Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 25.03.2011, Az. 2 BvR 1413/10

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2011, 8218

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Erforderlichkeit von Deutschkenntnissen für Erteilung von Visa zwecks Familiennachzugs <§ 30 Abs 1 S 1 Nr 2 AufenthG 2004> mit Art 6 Abs 1, Abs 2 GG vereinbar


Gründe

1

1. Die Beschwerdeführer sind [X.] Staatsangehörige. Ihre Anträge auf Erteilung von [X.] zum Zwecke des Familiennachzugs sind abgelehnt worden, weil die Beschwerdeführerin zu 1., die Mutter der Beschwerdeführer zu 2. bis 6., nicht in der Lage sei, den nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] erforderlichen Nachweis zu erbringen, sich zumindest auf einfache Art in [X.] Sprache verständigen zu können. Das Verwaltungsgericht und das [X.] (BVerwGE 136, 231) haben die behördliche Entscheidung bestätigt. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung in erster Linie ihres Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG, ferner ihrer Rechte aus Art. 3 GG sowie Art. 8 [X.]. Sie machen im Wesentlichen geltend, der geforderte Nachweis von Kenntnissen der [X.] sei verfassungswidrig. Insbesondere sei er unverhältnismäßig, weil er weder für die Integration der betroffenen Ausländer noch für die Bekämpfung von Zwangsheiraten geeignet sei. Die erforderlichen Sprachkenntnisse könnten wesentlich besser in [X.] erworben werden. Der Spracherwerb in der [X.] verhindere dagegen eine schnelle Integration in [X.].

2

2. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 [X.] nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine grundsätzliche Bedeutung hat und ihre Annahme auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt ist (vgl. [X.] 90, 22 <24 f.>).

3

a) Die nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderliche Verpflichtung des Ehegatten eines in [X.] lebenden Ausländers, sich zumindest auf einfache Art in [X.] Sprache verständigen zu können, verstößt nicht gegen Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG. In der Rechtsprechung des [X.] sind die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits geklärt (vgl. [X.] 76, 1; 80, 81; [X.] 13, 26). Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen konkretisieren in nicht zu beanstandender Weise die dort entwickelten Grundsätze für den Nachweis [X.] Sprachkenntnisse gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.].

4

aa) Das [X.] hat insbesondere betont, dass die zuständigen staatlichen Organe bei dem Erlass allgemeiner Regelungen über die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen dem sich aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden Gebot gerecht werden müssen, die ehelichen und familiären Bindungen der einen Aufenthaltstitel begehrenden Ausländer an ihre im [X.] lebenden Angehörigen angemessen zu berücksichtigen, und dabei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind (vgl. [X.] 76, 1 <49 f.>). Allerdings hat es auch hervorgehoben, dass dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Ausländerrechts ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht (vgl. [X.] 76, 1 <51 f.>).

5

bb) Das [X.] hat zutreffend festgestellt, dass der Gesetzgeber mit der Obliegenheit, einfache Kenntnisse der [X.] vor Zuzug in das [X.] zu erwerben, ein legitimes Ziel verfolgt, nämlich die Integration von Ausländern zu fördern und Zwangsverheiratungen zu verhindern. Dem [X.] ist auch in der Auffassung zu folgen, es sei nicht ersichtlich, dass die Einschätzung des Gesetzgebers, das zur Erreichung dieses Ziels gewählte Instrumentarium sei Erfolg versprechend, evident ungeeignet sein könnte. Den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers überschreitet auch nicht die weitere Annahme, der Erwerb von Deutschkenntnissen vor der Einreise sei erforderlich, weil er häufiger und schneller zur Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse führe als ein Spracherwerb erst im [X.]. Gleiches gilt für die Einschätzung, bereits bei Einreise vorhandene Sprachkenntnisse erschwerten die Ausnutzung von [X.], insbesondere könne sich ein Ehegatte im Falle einer Zwangslage an die zuständigen Behörden wenden und der Abhängigkeit von der "Schwiegerfamilie" leichter entgehen.

6

Die Beschwerdeführer setzen dem im Wesentlichen entgegen, die tatsächlich geforderten Sprachkenntnisse seien zu dürftig, um die zuziehenden Ausländer auch nur ansatzweise zu den Kommunikationsleistungen zu befähigen, die zur Erreichung der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele nötig seien. Die Beschwerdeführer berufen sich mithin auf die Ungeeignetheit der gesetzlichen Regelung. Ein vom Gesetzgeber gewähltes Mittel ist im verfassungsrechtlichen Sinn jedoch bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (stRspr; vgl. [X.] 125, 260 <317 f.> m.w.N.). Danach kann hier von einer verfassungsrechtlich erheblichen Ungeeignetheit des eingesetzten Instrumentariums nicht die Rede sein, weil selbst rudimentäre Sprachkenntnisse einen ersten Beitrag zur erwünschten Integration in [X.] darstellen.

7

Auch soweit das [X.] zu der Beurteilung gelangt, beim Ehegattennachzug zu einem Ausländer führe der geforderte Nachweis von Deutschkenntnissen in seiner konkreten gesetzlichen Ausgestaltung in der Regel zu einem angemessenen Interessenausgleich, ist dagegen von Verfassungs wegen nichts zu erinnern. Die mit dem Erwerb von Sprachkenntnissen typischerweise verbundene Belastung verzögerten häuslichen Zusammenlebens im [X.] wird sich zumeist in einem überschaubaren Zeitraum überwinden lassen, wofür insbesondere spricht, dass an die nachzuweisenden Sprachkenntnisse nur geringe Anforderungen gestellt werden. Hinzukommt, dass dem im [X.] lebenden ausländischen Ehepartner grundsätzlich Anstrengungen zumutbar sind, die familiäre Einheit durch Besuche oder - wie das [X.] zutreffend ausführt - nötigenfalls zur Gänze im Ausland herzustellen.

8

b) Die auf die fehlenden Deutschkenntnisse der Beschwerdeführerin zu 1. gestützte Ablehnung der Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug ist auch nicht im Hinblick auf die geltend gemachten Umstände des Einzelfalls unverhältnismäßig. Nach den Feststellungen des [X.], die von den Beschwerdeführern nicht mit [X.] der Verletzung von in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angegriffen worden sind, spricht nichts für eine unverhältnismäßig lange, die übliche Dauer eines Alphabetisierungs- und anschließenden Sprachkurses übersteigende Trennung der Eheleute.


9

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1413/10

25.03.2011

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BVerwG, 30. März 2010, Az: 1 C 8/09, Urteil

Art 6 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2 GG, § 27 AufenthG 2004, § 30 Abs 1 S 1 Nr 2 AufenthG 2004

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 25.03.2011, Az. 2 BvR 1413/10 (REWIS RS 2011, 8218)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8218


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 1413/10

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 1413/10, 25.03.2011.


Az. 1 C 8/09

Bundesverwaltungsgericht, 1 C 8/09, 30.03.2010.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

M 27 S 18.1984

10 C 12/12

B 14 AS 47/17 R

19 ZB 15.558

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