Bundessozialgericht, Urteil vom 21.02.2013, Az. B 10 EG 20/12 R

10. Senat | REWIS RS 2013, 7998

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Bayerisches Landeserziehungsgeld - polnischer Staatsangehöriger - Nichtigkeit des Art 1 Abs 1 S 1 Nr 5 LErzGG BY idF vom 16.11.1995 - Gleichheitssatz - Unvereinbarkeitserklärung - Ausbleiben einer Neuregelung für zurückliegende Zeiträume - Anspruchsausschluss bei Bezug von Arbeitslosenhilfe - Übergangsregelung für vor 2001 geborene Kinder - sozialgerichtliches Verfahren - Fortsetzung eines ausgesetzten Verfahrens - konkludentes Handeln - Zurückverweisung)


Leitsatz

Hat das Bundesverfassungsgericht eine landesrechtliche Bestimmung (hier: des BayLErzGG) und ihre Nachfolgevorschriften als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt sowie dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung eingeräumt, so ist die ursprüngliche Bestimmung nach Fristablauf als nichtig anzusehen, wenn bis dahin nur Nachfolgevorschriften geändert worden sind.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 10. November 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf Landeserziehungsgeld ([X.]) nach dem [X.] ([X.]) jeweils für das dritte Lebensjahr seiner Kinder [X.], geboren am 24.7.1995, und D., geboren am 12.4.2000, hat.

2

Der Kläger ist [X.] Staatsangehöriger und bezog in den streitigen [X.]räumen in [X.] Arbeitslosenhilfe ([X.]). Er erhielt unter seiner [X.] Meldeadresse "[X.] weg , E., [X.]" vom beklagten [X.] für seine Tochter [X.] in der [X.] vom 30.11.1995 bis [X.] ([X.]; vgl hierzu Senatsurteil vom 10.5.2007 - B 10 [X.] 2/06 R -). Mit Ablauf des Bezugszeitraumes für das [X.] beantragte der Kläger am [X.] für seine Tochter erfolglos die Gewährung von [X.] (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 12.12.1997), die anschließende Klage hat das [X.] ([X.]) mit Urteil vom [X.] ([X.] [X.] 1/98) abgewiesen, weil nach dem eindeutigen Wortlaut des Art 1 Abs 1 S 1 [X.] [X.] ein [X.] Antragsteller [X.] nicht beanspruchen könne. Dagegen hat der Kläger beim [X.] (L[X.]) Berufung eingelegt, die unter dem [X.] [X.] 1/01 eingetragen worden ist.

3

Am 7.5.2002 beantragte der Kläger ebenfalls erfolglos [X.] für seinen [X.] (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 14.8.2002). Während des anschließenden Klageverfahrens hat der Beklagte Unterlagen der [X.] zu den Wohn- und Meldeverhältnissen der Familie des [X.] in der [X.] ab Januar 2002 zu den Akten gereicht. Durch Urteil vom 24.11.2005 hat das [X.] auch diese Klage ([X.] [X.]) abgewiesen. Der Kläger habe jedenfalls deshalb keinen Anspruch auf [X.], weil er [X.] auf der Grundlage einer Vollzeitbeschäftigung bezogen habe (Art 1 Abs 1 S 1 [X.], Art 8 [X.] § 2 Bundeserziehungsgeldgesetz ). Dagegen hat der Kläger beim L[X.] ebenfalls Berufung eingelegt ([X.]).

4

Das L[X.] hat beide Berufungsverfahren mit Beschlüssen vom [X.] (L 9 [X.] 1/01) und 4.10.2006 ([X.]) jeweils bis zur Entscheidung des [X.] ([X.]) in dem Verfahren [X.] ausgesetzt. Nachdem der [X.] am [X.] ([X.] 60, 151) entschieden hatte, dass Art 1 Abs 1 [X.] [X.] idF der Bekanntmachung vom 16.11.1995 - [X.] 1995 - (BayGVBl S 818) mit der [X.] vereinbar sei, hat das L[X.] im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10.11.2010 beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem [X.] [X.] 80/07 verbunden. Mit Urteil vom selben Tage hat das L[X.] die Berufungen gegen die Urteile des [X.] vom [X.] und 24.11.2005 zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Zwar seien die Voraussetzungen des Art 1 Abs 1 S 1 [X.] erfüllt, nicht aber die der [X.] dieser Vorschrift.

5

Der langjährige [X.]-Bezug des [X.] schließe einen Anspruch auf [X.] nach Art 1 Abs 1 S 1 [X.] nicht aus. Gemäß Art 8 [X.] 1995 seien, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt sei, die Regelungen des BErzGG über die nicht volle Erwerbstätigkeit (§ 2) sowie über das Zusammentreffen von Ansprüchen (§ 3) entsprechend anzuwenden. Nach dem zum [X.]punkt des Inkrafttretens des Art 8 [X.] 1995 geltenden § 2 BErzGG (in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung) übe der Antragsteller dann keine volle Erwerbstätigkeit aus, wenn die wöchentliche Arbeitszeit 19 Stunden nicht übersteige (§ 2 Abs 1 [X.] BErzGG). Gemäß § 2 Abs 2 [X.] BErzGG stehe einer vollen Erwerbstätigkeit der Bezug von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenbeihilfe und [X.] gleich. Nach dieser Rechtslage habe der Bezug von [X.] den Bezug von Erziehungsgeld ([X.]) nicht ausgeschlossen. Art 8 [X.] 1995 stelle eine statische und keine dynamische Verweisung dar. Er nehme daher auf § 2 BErzGG in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung Bezug.

6

Der Kläger habe keinen Anspruch auf [X.] für seine Kinder, weil er [X.] Staatsangehöriger und in den streitbefangenen [X.]räumen nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der [X.] ([X.]) oder eines Vertragsstaats des [X.] (EWR) gewesen sei. Art 1 Abs 1 S 1 [X.] [X.] 1995 sei daher nicht erfüllt. Diese Vorschrift sei nach Art 14 [X.] idF vom [X.] [X.] idF vom 13.4.2004 für Kinder, die vor dem 1.1.2001 geboren worden seien, weiterhin anzuwenden.

7

Ein Anspruch auf Gleichstellung mit Inländern komme in den streitigen [X.]räumen für den Kläger auch nicht aus dem Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der [X.] andererseits vom 16.12.1991 - [X.] Abk Polen - ([X.] 1993, 1316) in Betracht, weil weder Art 37 Abs 1 [X.] Abk Polen noch Art 38 Abs 1 und Art 39 Abs 1 [X.] Abk Polen einen solchen begründeten.

8

Schließlich liege kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot in Art 3 Abs 1 GG oder Art 118 [X.] vor. Nach der Entscheidung des [X.] vom [X.] ([X.]) sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach Art 1 Abs 1 S 1 [X.] [X.] 1995 nur [X.] und Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der [X.] oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den EWR, nicht aber sonstige Ausländer einen Anspruch auf [X.] hätten. Zwar sei die Frage der Vereinbarkeit von Art 1 Abs 1 S 1 [X.] [X.] 1995 mit Art 3 Abs 1 und Art 6 GG beim [X.] ([X.] - 1 BvL 14/07 -) anhängig und noch nicht entschieden. Eine Vorlage an das [X.] gemäß Art 100 GG komme zur Überzeugung des Senats jedoch nicht in Betracht, weil sich der Zweck des [X.] nicht darin erschöpfe, nur die Familienleistung unter Verzicht auf Erwerbstätigkeit zu belohnen, sondern den zusätzlichen Zweck verfolge, nur Landeskindern (und privilegierten Ausländern) eine zusätzliche Fürsorgeleistung zukommen zu lassen.

9

Mit seiner vom L[X.] zugelassenen Revision hat der Kläger zunächst geltend gemacht: Die Nichtgewährung von [X.] für seine Kinder verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot. Er werde diskriminiert, da Art 1 Abs 1 S 1 [X.] [X.] 1995 auf die nationale Zugehörigkeit abstelle und damit Art 3 Abs 1 GG und Art 118 [X.] sowie das [X.] Abk Polen und Art 8, Art 14 Europäische Menschenrechtskonvention ([X.]) verletze. Auf das Urteil des [X.] ([X.]MR) in seiner Individualbeschwerde [X.]8453/00 vom 25.10.2005 zum Kindergeldrecht werde hingewiesen. Auch wenn das [X.] von der Freiwilligkeit seiner Gewährung geprägt sei, so könne die Staatsangehörigkeit kein sachgerechtes Differenzierungskriterium darstellen.

Im Hinblick auf die Entscheidung des [X.] vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - ([X.]E 130, 240 = NJW 2012, 1711) hat der Senat mit Beschluss vom 12.3.2012 das Verfahren ausgesetzt und es nach dem am 30.8.2012 erfolgten Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des [X.] vom [X.] (BayGVBl [X.]) wieder aufgenommen.

Nunmehr trägt der Kläger vor: Für ihn spiele es keine Rolle, dass die Neuregelung durch den Gesetzgeber mit Wirkung ab 30.8.2012 in [X.] getreten sei. Seine Staatsangehörigkeit könne ihm nicht entgegengehalten werden. Zweifel am Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen seien ausgeräumt. Insbesondere hätten er, seine Ehefrau sowie der [X.] und die Tochter [X.] ihre Hauptwohnung und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der [X.] vom [X.] bis [X.] im [X.] gehabt.

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Bayerischen L[X.] vom 10.11.2010 sowie des [X.] Würzburg vom [X.] und 24.11.2005, den Bescheid des Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.1997 und den Bescheid des Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.8.2002 aufzuheben sowie den Beklagten zu verurteilen, ihm [X.] jeweils für das dritte Lebensjahr seiner Tochter [X.] (vom 24.7.1997 bis 23.7.1998) und seines [X.] (vom 12.4.2002 bis 11.4.2003) zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil nach wie vor für zutreffend, weil Art 1 Abs 1 S 1 [X.] [X.] 1995 für die streitigen [X.]räume von der gesetzlichen Neuregelung nicht erfasst werde. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet gewesen, die Neuregelung auf den gesamten [X.]raum der Unvereinbarkeit dieser Regelung mit Art 3 Abs 1 GG zu erstrecken. Denn das [X.] habe - anders als in seinem Beschluss vom 23.6.2004 - 1 BvL 3/98 - ([X.]E 111, 115 = [X.]-8570 § 6 [X.]) - nicht verfügt, dass sich die Verpflichtung zur Neuregelung auf den gesamten insoweit betroffenen [X.]raum erstrecke. Nichtigkeit der beanstandeten Vorschriften trete nur ein, wenn es bis zum 31.8.2012 zu keiner verfassungsgemäßen Neuregelung komme. Zudem seien die übrigen Anspruchsvoraussetzungen des Art 1 Abs 1 S 1 [X.] bis 3 [X.] 1995 nicht nachgewiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 [X.]G).

Entscheidungsgründe

Einer Entscheidung des [X.]s steht die erfolgte Aussetzung des Verfahrens nicht entgegen. Der [X.] hat entsprechend der Anordnung im Beschluss des [X.] vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - ([X.]E 130, 240, 262 = NJW 2012, 1711 [X.]) das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 12.3.2012 ausgesetzt und es fortgesetzt, nachdem das Gesetz zur Änderung des [X.] vom [X.] (BayGVBl [X.]) am 30.8.2012 in [X.] getreten war. Dabei hat es einer Aufhebung des Beschlusses vom 12.3.2012 über die Aussetzung nicht bedurft, weil die Fortsetzung des Verfahrens auch durch konkludentes Handeln möglich ist (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 114 Rd[X.]0a mwN). Die Anordnung der Aussetzung ist hinfällig geworden, nachdem der [X.] Gesetzgeber entsprechend der vom [X.] eröffneten Möglichkeit tätig geworden ist. Mit seiner Anfrage vom [X.] und Mitteilung des neuen Aktenzeichens an die Beteiligten hat der [X.] sodann die Bearbeitung der Sache wieder aufgenommen und damit die Aussetzung des Verfahrens beendet.

Die Revision des [X.] ist zulässig. Sie ist kraft Zulassung durch das [X.] statthaft (§ 160 Abs 1 [X.]) und - nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie in Anbetracht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ([X.]sbeschlüsse vom 17.5.2011 und [X.]) - form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 [X.]).

Zwar kann die Revision gemäß § 162 [X.] nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des [X.] geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des [X.] hinaus erstreckt. Die [X.], das [X.] habe Vorschriften des [X.] verletzt, wäre mithin unzulässig; dieses Gesetz gilt nämlich nicht über den Bereich des [X.] hinaus (vgl [X.]surteil vom 2.2.2006 - [X.] [X.] 9/05 R - [X.], 44 = [X.]-1300 § 27 [X.], Rd[X.] 9). Der Kläger rügt aber ua eine Verletzung von Art 3 Abs 1 [X.] und damit von Bundesrecht. Auch Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts - wie das [X.] Abk Polen - sind als unmittelbar im [X.] geltendes Recht ebenso revisibel (vgl [X.]surteil vom [X.] - [X.] [X.] 2/01 R - [X.], 129, 130 = [X.] 3-6940 Art 3 [X.] und [X.]surteil vom 18.2.2004 - [X.] [X.] 10/03 R - [X.], 182 = [X.]-6940 Art 3 [X.] Rd[X.] 3) wie die [X.] als allgemeine Regelung des Völkerrechts nach Art 25 [X.] (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 162 Rd[X.] 4b).

Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Die bisherigen Tatsachenfeststellungen des [X.] lassen eine abschließende Entscheidung des [X.]s nicht zu.

Die Berufungen des [X.] gegen die klagabweisenden Urteile des [X.] sind zulässig gewesen (§ 143 [X.]). Gesetzliche Ausschlussgründe (§ 144 Abs 1 [X.]) liegen nicht vor, Form und Fristen sind eingehalten worden (§ 151 [X.]).

Der Kläger erstrebt mit seinen statthaften und zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 4 [X.]) die Gewährung von BayL[X.] jeweils für das dritte Lebensjahr seiner Tochter [X.] (24.7.1997 bis 23.7.1998) und seines [X.] (12.4.2002 bis 11.4.2003). Dabei wendet er sich zum einen gegen den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.1997 und zum anderen gegen den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.8.2002 (§ 95 [X.]). Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für diese Klagen sind erfüllt (vgl §§ 87, 90 [X.]).

Der Anspruch des [X.] auf BayL[X.] für die streitigen [X.]räume richtet sich nach dem [X.] idF der Bekanntmachung vom 16.11.1995 - [X.] 1995 - (BayGVBl S 818), weil dieses auf Kinder, die vor dem 1.1.2001 geboren worden sind, weiterhin Anwendung findet (vgl Art 14 Abs 1 [X.] vom [X.] - [X.] 2007 - BayGVBl S 442; Art 9 Abs 1 [X.] vom 13.4.2004 - [X.] 2004 -, BayGVBl [X.]; Art 9 Abs 1 [X.] vom 26.3.2001 - [X.] 2001 -, BayGVBl S 76).

Nach Art 1 Abs 1 S 1 [X.] bis 5 [X.] 1995 hat Anspruch auf BayL[X.], wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch fünfzehn Monate, in [X.] hat ([X.]), mit einem nach dem 30.6.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt ([X.]), dieses Kind selbst betreut und erzieht ([X.] 3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt ([X.] 4) und die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der [X.] oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den [X.] besitzt ([X.] 5).

Entgegen der Auffassung des [X.] scheitern die Leistungsansprüche des [X.] nicht an Art 1 Abs 1 S 1 [X.] 5 [X.] 1995.

Das [X.] hat Art 1 Abs 1 S 1 [X.] 5 [X.] 1995 und dessen Nachfolgevorschriften als mit Art 3 Abs 1 [X.] unvereinbar erklärt (Beschluss vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - [X.]E 130, 240 = NJW 2012, 1711). Gleichzeitig hat es dem [X.] Gesetzgeber für den Erlass einer Neuregelung eine Frist bis zum 31.8.2012 eingeräumt. Weiter hat es erklärt: Komme es bis zu diesem [X.]punkt zu keiner verfassungsgemäßen Neuregelung, so trete Nichtigkeit der beanstandeten Vorschriften ein ([X.], aaO, Rd[X.] 61).

Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt gemäß § 82 Abs 1 iVm § 78 S 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz ([X.]G) im Regelfall zu deren Nichtigkeit (vgl auch [X.]E 84, 168, 186; 92, 158, 186). Dies gilt nach § 78 S 1 [X.]G auch für Landesrecht. Bei Verstößen gegen den Gleichheitssatz - wie vorliegend - beschränkt sich das [X.] allerdings meist darauf, die Unvereinbarkeit der verfassungswidrigen Regelung mit dem [X.] festzustellen und sieht von einer Nichtigerklärung ab (vgl [X.]E 87, 114, 135 f; 94, 241, 265 = [X.] 3-2200 § 1255a [X.] 5 S 18). Dies gilt vor allem dann, wenn mehrere Möglichkeiten für die Beseitigung des Verfassungsverstoßes bestehen und die Nichtigerklärung in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eingreifen würde ([X.]E 39, 316, 332 f = [X.] 2600 § 60 [X.] S 6; [X.]E 77, 308, 337; 84, 168, 186 f). Da dem Gesetzgeber nach den Ausführungen des [X.] (Beschluss vom 7.2.2012, aaO, Rd[X.] 58) im vorliegenden Fall mehrere Möglichkeiten zur Verfügung standen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, er insbesondere auch auf die Voraussetzung der Staatsangehörigkeit ersatzlos verzichten konnte, kam nur eine Unvereinbarkeitserklärung ohne Verpflichtung zur Neuregelung in Betracht (vgl hierzu auch [X.]E 84, 168, 186 f; 92, 158, 186; 111, 176, 189 = [X.]-7833 § 1 [X.] 4 Rd[X.] 40). Das [X.] hat nur den Weg für eine solche Neuregelung als versperrt angesehen, die nachträglich das LErz[X.] abschafft, weil jene Eltern, die die Voraussetzungen des Art 1 Abs 1 S 1 [X.] 5 [X.] 1995 erfüllten, bereits aufgrund [X.] bzw rechtskräftig abgeschlossener Verfahren [X.] erhalten hätten, welches ihnen nicht rückwirkend wieder genommen werden könne. Eine nachträgliche Abschaffung des L[X.] benachteilige damit erneut in gleichheitswidriger Weise diejenigen, die die mit Art 3 Abs 1 [X.] unvereinbaren Voraussetzungen des Art 1 Abs 1 S 1 [X.] 5 [X.] nicht erfüllten (vgl [X.] Beschluss vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - [X.]E 130, 240, 260 f = NJW, aaO, Rd[X.] 58).

Eine Unvereinbarkeit mit dem [X.] hat grundsätzlich zur Folge, dass die betroffene gesetzliche Regelung in dem sich aus der Entscheidungsformel ergebenden Umfang nicht mehr angewendet werden darf ([X.]E 37, 217, 261; 55, 100, 110 = [X.] 2600 § 60 [X.] S 8; [X.]E 82, 126, 155; 84, 168, 187; 92, 53, 73 = [X.] 3-2200 § 385 [X.] 6 S 22 f). Nur in Ausnahmefällen ist eine verfassungswidrige Norm nach entsprechender Feststellung durch das [X.] weiter anwendbar (s hierzu [X.]E 37, 217, 261; 61, 319, 356; 92, 53, 73 = [X.] 3-2200 § 385 [X.] 6 S 22 f). Eine solche Ausnahme hat das [X.] vorliegend nicht festgestellt.

Aufgrund des Beschlusses des [X.] vom 7.2.2012 (aaO) war der [X.] Gesetzgeber folglich gehalten, die formale Gesetzeslage mit dem [X.] in Einklang zu bringen (vgl zB [X.]E 41, 399, 426; 55, 100, 110 = [X.] 2600 § 60 [X.] S 8; [X.]E 61, 319, 356; 81, 363, 384; 94, 241, 266 = [X.] 3-2200 § 1255a [X.] 5 S 18). Er hätte also die das Staatsangehörigkeitserfordernis enthaltenden Vorschriften des [X.] 1995, 2001, 2004 und 2007 entweder ersatzlos aufheben oder durch verfassungskonforme Bestimmungen ersetzen können. Im Hinblick auf die ihm vom [X.] eingeräumte Frist musste dies bis zum 31.8.2012 geschehen; andernfalls sollte die Nichtigkeit der beanstandeten Vorschriften eintreten ([X.] Beschluss vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - [X.]E 130, 240, 260 f = NJW, aaO, Rd[X.] 58; [X.]E 111, 115, 146 = [X.]-8570 § 6 [X.] 3 Rd[X.] 60).

Der [X.] Gesetzgeber hat lediglich das [X.] 2007 (geändert durch Art 14 Gesetz vom [X.], [X.]) mit Wirkung ab 30.8.2012 dahingehend geändert, dass dessen Art 1 Abs 1 S 1 [X.] 6 (Nachfolgeregelung zu Art 1 Abs 1 S 1 [X.] 5 [X.] 1995) aufgehoben und die Anspruchsberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Elternteilen entsprechend § 1 Abs 7 Bundeselterngeld- und [X.] (BE[X.]) geregelt worden ist (vgl § 1 Abs 5 [X.] neuer Fassung). Aus dem Umstand, dass die gesetzliche Neuregelung zeitlich nicht zurückwirkt und die hier streitigen [X.]räume die Leistungsansprüche des [X.] betreffend nicht erfasst, kann entgegen der Auffassung des Beklagten nicht der Schluss gezogen werden, dass Art 1 Abs 1 S 1 [X.] 5 [X.] 1995 weiterhin bzw erneut Anwendung finde. Da sich die Neuregelung nur auf das [X.] 2007, nicht aber auf die davor geltenden Fassungen des [X.] bezieht, fehlt es für den hier einschlägigen § 1 Abs 1 S 1 [X.] 5 [X.] 1995 an einem Tätigwerden des [X.] Gesetzgebers. Somit ist die letztgenannte Regelung nach der Bestimmung im Beschluss des [X.] vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - ([X.]E 130, 240, 262 = NJW, aaO, Rd[X.] 61) ab 1.9.2012 als nichtig anzusehen. Ihre Anwendung ist damit ausgeschlossen.

Eines speziellen Hinweises im Beschluss des [X.] vom 7.2.2012 (aaO) auf die Rechtsfolge der Nichtigkeit im Falle einer fehlenden Neuregelung auch für zurückliegende [X.]räume bedurfte es entgegen der Auffassung des Beklagten nicht. Das [X.] hat im vorliegenden Fall - anders als in seinem Beschluss vom 23.6.2004 (- 1 BvL 3/98 - [X.]E 111, 115, 146 = [X.]-8570 § 6 [X.] 3 Rd[X.] 60) - ausdrücklich nicht verfügt, dass sich eine [X.] des Gesetzgebers auf "den gesamten von der Unvereinbarerklärung betroffenen [X.]raum" erstreckt. Vielmehr hat es von vornherein keine [X.] ausgesprochen. Im Übrigen hat es in diesem Zusammenhang mehrfach auf die Fundstelle im 111. Band verwiesen (Beschluss vom 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 - [X.]E 130, 240, 262 = NJW, aaO, Rd[X.] 61 und 62). Damit hat das [X.] auf der Grundlage des § 31 [X.]G klargestellt, dass sich nicht nur die von ihm festgestellte Unvereinbarkeit mit dem [X.], sondern auch die angedrohte Nichtigkeit bei Ausbleiben einer Neuregelung auf alle von ihm beanstandeten Vorschriften in den jeweiligen Fassungen des [X.] und damit auf den gesamten von seinem Beschluss erfassten [X.]raum erstreckt.

Unter diesen Umständen erübrigt sich eine Prüfung des [X.]s, ob Art 1 Abs 1 S 1 [X.] 5 [X.] 1995 auch gegen die [X.] oder das [X.] Abk Polen verstößt. Im Übrigen ist der [X.] bereits mit Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 4/01 R - ([X.]-6720 Art 38 [X.]) zu dem Ergebnis gelangt, dass das [X.] Abk Polen in Bezug auf B[X.] kein Diskriminierungsverbot enthält.

Wie das [X.] ohne Rechtsverstoß angenommen hat, erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des Art 1 Abs 1 S 1 [X.] 4 [X.] 1995 für die streitbefangenen [X.]räume. Insbesondere steht sein Bezug von [X.] einer Anspruchsberechtigung nicht entgegen. Nach Auffassung des [X.] ist insoweit Art 8 [X.] Buchst a [X.] 1995 einschlägig. Danach sind die Regelungen des ersten Abschnitts des BErz[X.] über die nicht volle Erwerbstätigkeit (§ 2 BErz[X.]) entsprechend anzuwenden. § 2 BErz[X.] ist in der [X.] von 1994 bis 2003 mehrfach geändert worden. Nach § 2 Abs 2 [X.] BErz[X.] idF vom [X.] ([X.]) steht einer vollen Erwerbstätigkeit ua der Bezug von Arbeitslosengeld, [X.] und [X.] gleich. Von einer Gleichstellung mit einer vollen Erwerbstätigkeit hat der Gesetzgeber den Bezug von [X.] seinerzeit noch vollständig ausgenommen (vgl dazu B[X.] Urteil vom 13.5.1998 - [X.] [X.] 9/97 R - [X.] 3-7833 § 2 [X.] 7 S 34 mwN). Das hat sich allerdings mit Wirkung ab 1.1.2001 geändert. Nach § 2 Abs 2 BErz[X.] idF vom [X.] ([X.] 1426; Bekanntmachung der Neufassung vom 1.12.2000, [X.] 1645) schließt der Bezug von [X.] Erziehungsgeld aus, wenn der Bemessung dieser Entgeltersatzleistung ein Arbeitsentgelt oder -einkommen für eine Beschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 30 Stunden zugrunde liegt.

Ob es sich, wie das [X.] meint, bei der Verweisung in Art 8 [X.] Buchst a [X.] 1995 auf § 2 BErz[X.] um eine statische Verweisung handelt, mit der Folge, dass die ab 1.1.2001 geltende Änderung des BErz[X.] insoweit unberücksichtigt bleibt, kann hier dahinstehen. Diese Auslegung betrifft an sich die vom B[X.] nicht zu prüfende Anwendung von Landesrecht. Aber selbst wenn der [X.] den vom [X.] unberücksichtigt gelassenen Art 10 Abs 1 [X.] 1995 heranziehen dürfte (vgl dazu [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 162 Rd[X.] 7b mwN), wonach die in diesem Gesetz enthaltenen Verweisungen die genannten Vorschriften in der jeweils geltenden Fassung betreffen, so ergibt sich aus § 24 Abs 1 S 1 BErz[X.] in der ab 1.1.2001 geltenden Fassung ([X.] 2000, 1426, 1645), dass für die vor dem 1.1.2001 geborenen Kinder die Vorschriften dieses Gesetzes in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung weiter anzuwenden sind.

Da das [X.] die Voraussetzungen des Art 1 Abs 1 S 1 [X.] bis 3 [X.] 1995 nicht geprüft hat, fehlen insoweit tatrichterliche Feststellungen. Dies hindert den erkennenden [X.] an einer abschließenden Entscheidung über die vom Kläger geltend gemachten Leistungsansprüche, da der [X.] die noch erforderliche Aufklärung des Sachverhalts im Revisionsverfahren nicht selbst vornehmen kann (vgl § 163 [X.]). Deshalb ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 S 2 [X.]).

Das [X.] wird - soweit erforderlich - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 10 EG 20/12 R

21.02.2013

Bundessozialgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: EG

vorgehend SG Würzburg, 31. August 2000, Az: S 9 EG 1/98, Urteil

Art 1 Abs 1 S 1 Nr 5 LErzGG BY 1995 vom 16.11.1995, Art 8 Nr 1 Buchst a LErzGG BY 1995 vom 16.11.1995, Art 10 Abs 1 LErzGG BY 1995 vom 16.11.1995, Art 14 Abs 1 LErzGG BY 2007 vom 09.07.2007, Art 3 Abs 1 GG, § 82 Abs 1 BVerfGG, § 78 S 1 BVerfGG, § 2 Abs 2 BErzGG vom 31.01.1994, § 2 Abs 2 BErzGG vom 12.10.2000, § 24 Abs 1 S 1 BErzGG, § 162 SGG, § 170 Abs 2 S 2 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 21.02.2013, Az. B 10 EG 20/12 R (REWIS RS 2013, 7998)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7998

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1 BvL 14/07

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