Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 07.11.2013, Az. 2 BvR 1895/11

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2013, 1333

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung von Art 19 Abs 4 S 1 GG durch unzumutbare Erschwerung des Zugangs zur verwaltungsprozessualen Berufungsinstanz - Anwendbarkeit des § 104 Abs 3 S 1 AufenthG 2004 auf nicht-eheliche Lebensgemeinschaften als Frage von grundsätzlicher Bedeutung iSd § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs [X.] vom 4. August 2011 - 11 S 1943/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof [X.] zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs [X.] vom 11. August 2011 - 11 S 2244/11 - gegenstandslos. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Das Land [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die ihm die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a [X.] ([X.]) versagen, weil eine von seiner Lebensgefährtin begangene Straftat ihm nach § 104a Abs. 3 [X.] zuzurechnen sei und der Erteilung entgegenstehe.

2

1. Der Beschwerdeführer ist [X.] Staatsangehöriger. Er reiste im Jahr 1992 in die [X.] ein. Nach erfolgloser Stellung eines Asylantrags wird er seit 1997 geduldet. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin, die ebenfalls die [X.] Staatsangehörigkeit besitzt, und zwei 1999 und 2001 in [X.] geborenen gemeinsamen Kindern zusammen. Seine Lebensgefährtin wurde mit Urteil des [X.] vom 25. November 1997 wegen unerlaubten Aufenthalts im [X.] in Tateinheit mit Aufenthalt ohne Pass und ohne Ausweisersatz, Urkundenfälschung und Missbrauch von Ausweispapieren zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt.

3

2. Am 30. November 2006 beantragte der Beschwerdeführer bei der Ausländerbehörde der Landeshauptstadt [X.] die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß der Anordnung des [X.] nach § 23 [X.] über ein Bleiberecht für im [X.] wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20. November 2006. Die Ausländerbehörde leitete den Antrag in der Folge aufgrund der befristeten Gültigkeit dieser Anordnung in einen Antrag nach der bundesrechtlichen Altfallregelung des § 104a [X.] über. Nach dieser Vorschrift soll einem geduldeten Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 [X.] eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher [X.] lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im [X.] aufgehalten hat und er weitere in § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 [X.] benannte Voraussetzungen erfüllt. § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 [X.] schließt die Erteilung für den Fall aus, dass der Ausländer wegen einer im [X.] begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 [X.] oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem [X.] oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben. Hat ein in häuslicher [X.] lebendes Familienmitglied Straftaten im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 [X.] begangen, führt dies gemäß § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis nach der Vorschrift des § 104a [X.] für andere Familienmitglieder; dies gilt gemäß Satz 2 nicht für den Ehegatten eines Ausländers, der Straftaten im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 [X.] begangen hat, wenn der Ehegatte die Voraussetzungen des § 104a Abs. 1 [X.] im Übrigen erfüllt und es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, ihm den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen.

4

3. Mit Bescheid vom [X.] lehnte die Ausländerbehörde den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser und weiteren Vorschriften ab. Mit Blick auf die Altfallregelung stützte sie die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis auf § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.]. Die von der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers begangene Straftat falle unter diese Vorschrift. Sie sei dem Beschwerdeführer auch nach § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] entgegenzuhalten, da er aufgrund der gemeinsamen Kinder und ihres Zusammenlebens als Familienangehöriger im Sinne dieser Vorschrift zu werten sei. Diese Zurechnungsregel sei auch mit höherrangigem Recht vereinbar. Das Vorliegen einer besonderen Härte, die es nach § 104a Abs. 3 Satz 2 [X.] erforderlich machen könnte, ihm den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, sei nicht erkennbar.

5

4. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Beschwerdeführer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor dem Verwaltungsgericht [X.], zu deren Begründung er im Wesentlichen vortrug, die Zurechnungsregelung des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] sei verfassungswidrig. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit hier angegriffenem Urteil vom 16. Mai 2011 ab. Zum Antrag nach § 104a [X.] führte es aus, diese Vorschrift ermögliche im Zeitpunkt der Entscheidung ohnehin nur noch die Verlängerung einer nach dieser Vorschrift schon erteilten Aufenthaltserlaubnis, aber nicht mehr eine Neuerteilung, wie sich aus § 104a Abs. 5 [X.] ergebe. Die Vorschrift des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.], die aufgrund der Verurteilung der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers in seinem Fall Anwendung finde, sei im Übrigen auch verfassungsgemäß.

6

5. Gegen das Urteil des [X.] wandte sich der Beschwerdeführer mit einem Antrag auf Zulassung der Berufung, zu dessen Begründung er eine Abweichung von der Rechtsprechung des [X.] geltend machte. Nach dessen Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 22.09 - (NVwZ 2011, [X.]) könne der Beschwerdeführer auch nach Ablauf der in § 104a Abs. 5 [X.] bestimmten Gültigkeitsdauer für [X.] nach dieser Vorschrift einen Anspruch auf Ersterteilung einer solchen für die Vergangenheit geltend machen. Darüber hinaus sei der Ausschlussgrund der Vorstrafen von Familienangehörigen nach derselben Entscheidung nicht auf die Partner einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft anzuwenden. Auch die Verwandtschaft über das gemeinsame Kind mache den nicht-ehelichen Lebensgefährten nicht zum Familienangehörigen. Zudem habe die Frage, ob einem Anspruch auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis ein Fehlverhalten einer nicht-ehelichen Lebensgefährtin entgegengehalten werden könne, grundsätzliche Bedeutung und bedürfe der höchstrichterlichen Klärung. Vorsorglich werde auch eine Abweichung von der Auffassung des [X.]hofs [X.] im Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 GG vom 24. Juni 2009 - 13 S 519/09 - ([X.] 2009, [X.]) gerügt, der zwar für die vorliegende Konstellation entgegen der Entscheidung des [X.] das Merkmal des Familienangehörigen bejahe, die damit verbundene Sippenhaft aber insgesamt als unzulässig ansehe.

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6. Mit angegriffenem Beschluss vom 4. August 2011 lehnte der [X.]hof [X.] den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sei nicht gegeben. Es bedürfe nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens, um die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage zu beantworten, ob einem Anspruch auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis ein Fehlverhalten einer nicht-ehelichen Lebensgefährtin entgegengehalten werden könne. Diese Frage würde sich in dem angestrebten Berufungsverfahren so nicht stellen und könne bezogen auf den konkreten entscheidungserheblichen Sachverhalt ohne weiteres beantwortet werden.

8

Im vorliegenden Fall gehe es nicht um den Sachverhalt einer bloßen nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft, die in der Tat, wie das [X.] im Urteil vom 11. Januar 2011 zutreffend ausführe, nicht in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG falle und insbesondere keine Familie sei, weshalb eine Anwendung des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] ausscheide. Nur auf eine derartige Fallkonstellation sei die Aussage des [X.] zu beziehen. Hier gehe es vielmehr um eine (auch häusliche) Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers mit seiner nicht-ehelichen Partnerin und ihren gemeinsamen Kindern. Es sei aber geklärt und könne keinem Zweifel unterliegen, dass diese [X.] eine Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG darstelle. Denn Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG sei nach der Rechtsprechung die [X.] von Eltern und deren Kindern ungeachtet der Tatsache, ob die Eltern miteinander verheiratet seien. Der [X.]hof nimmt insoweit Bezug auf [X.] 80, 81, das Urteil des [X.] vom 27. Januar 1998 - 1 C 28.96 - ([X.] 1998, [X.]) und seinen Beschluss vom 22. März 2000 - 11 S 209/00 - ([X.] 2000, [X.]). Vor diesem Hintergrund liege es nahe, den Begriff des Familienangehörigen im Sinne des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] auch in diesem Sinn auszulegen. Für ein abweichendes Verständnis sehe der Senat keine greifbaren Anhaltspunkte; der Beschwerdeführer benenne solche auch nicht. Auch die [X.] (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) greife nicht durch. Ungeachtet der Tatsache, dass ein Vorlagebeschluss keine divergenzfähige Entscheidung darstelle, liege eine Divergenz nicht mehr vor, weil sich der Senat aus Gründen der Rechtseinheit der Auffassung des [X.] im Urteil vom 11. Januar 2011 angeschlossen habe.

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7. Gegen den Beschluss des [X.]hofs vom 4. August 2011 erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge, zu deren Begründung er ausführte, die genannte Entscheidung des [X.] sehe die vom [X.]hof vorgenommene Differenzierung zwischen nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften mit oder ohne gemeinsame Kinder nicht vor. Der [X.]hof hat die Anhörungsrüge mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 11. August 2011 zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer beanstande ausschließlich eine von seiner Auffassung abweichende Sicht der materiellen Rechtslage durch den Senat. Hierfür stehe die [X.] nicht offen.

8. Mit seiner am 1. September 2011 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 1 und 2 GG und Art. 7 [X.].

Die Nichtzulassung der Berufung durch den [X.]hof verletze den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Der [X.]hof habe verkannt, dass die Erstreckung des Familienbegriffs in § 104a [X.] auf nicht-eheliche Lebensgemeinschaften mit gemeinsamen Kindern höchstrichterlich nicht geklärt gewesen sei, und damit den Rechtsschutz unzulässig verkürzt. Jedenfalls das [X.] habe diese Frage mit Beschluss vom 11. Februar 2009 - 1 S 498/08 - ([X.] 2009, [X.]) als klärungsbedürftig angesehen. Auch das [X.] habe die Rechtsfrage im Urteil vom 11. Januar 2011 nicht geklärt, sondern lediglich ausgeführt, der sachliche Grund für eine Ungleichbehandlung von Ehegatten und nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften im Rahmen von § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] folge aus der günstigeren aufenthaltsrechtlichen Stellung, die das Gesetz Ehegatten insbesondere beim Familiennachzug, aber auch bei der Aufenthaltsbeendigung einräume. Vor diesem Hintergrund sei die Annahme des [X.]hofs nicht nachzuvollziehen, aus dem Urteil des [X.] ergebe sich, dass eine nicht-eheliche Lebensgemeinschaft mit Kindern als Familie im Sinne des § 104a [X.] anzusehen sei. Eine solche Unterscheidung widerspreche auch der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 6 GG gegenüber den betroffenen Kindern. [X.] man, der Familienbegriff des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] sei im vorliegenden Fall zutreffend angewandt worden, verletzten die angegriffenen Entscheidungen aufgrund der damit verbundenen ausländerrechtlichen Sippenhaft den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 GG sowie Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 7 Abs. 1 [X.].

9. Die Landeshauptstadt [X.] hat zu der Verfassungsbeschwerde dahingehend Stellung genommen, der [X.]hof [X.] sei im Einklang mit dem Wortlaut des § 104a Abs. 3 [X.] zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen würde, da diesem als in häuslicher [X.] lebendes Familienmitglied seiner Lebensgefährtin deren Fehlverhalten entgegenzuhalten sei. Das Justizministerium [X.] hat von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.]hofs [X.] vom 4. August 2011 richtet, nimmt die Kammer sie zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das [X.] bereits geklärt (vgl. [X.] 125, 104 <136 ff.>). Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig und offensichtlich begründet. Danach liegen die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]G für eine stattgebende [X.] vor.

1. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet keinen Anspruch auf die Einrichtung eines bestimmten [X.] (vgl. [X.] 92, 365 <410>; 104, 220 <231>; 125, 104 <136 f.>; stRspr). Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. [X.] 77, 275 <284>; 78, 88 <99>; 84, 366 <369 f.>; 125, 104 <137>). Das gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. [X.] 125, 104 <137>). Aus diesem Grunde dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können und die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leerläuft (vgl. zuletzt [X.] 125, 104 <137> m.w.[X.]). Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO selbst (vgl. [X.] 125, 104 <137>; [X.]K 5, 369 <375 f.>; 10, 208 <213>; 15, 37 <46 f.>).

Von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des - hier in Rede stehenden - [X.] des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist eine Rechtssache, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung und Anwendung geboten erscheint (vgl. [X.] 125, 104 <140>; [X.]K 10, 208 <214>). Stellt ein Oberverwaltungsgericht bereits im Zulassungsverfahren Erwägungen von grundsätzlicher Bedeutung an, schneidet es dem Beschwerdeführer nicht nur die Möglichkeit des Berufungsverfahrens ab, sondern zugleich den Rechtsweg zum [X.] als der zur abschließenden fachgerichtlichen Klärung rechtsgrundsätzlicher Fragen des Bundesrechts zuständigen Instanz (vgl. [X.] 125, 104 <140>). Der vom Gesetzgeber für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehene Rechtsschutz im Berufungsverfahren wird auf diese Weise in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verkürzt (vgl. [X.] 125, 104 <139 f.>).

2. a) Der im Fall des Beschwerdeführers aufgeworfenen Rechtsfrage, ob nicht-eheliche Lebenspartner (mit oder ohne gemeinsame Kinder) unter den Begriff des Familienmitglieds im Sinne des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] fallen, kam im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des [X.]hofs über den Antrag auf Zulassung der Berufung grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu.

aa) Ausweislich der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] vom 23. April 2007 (vgl. BTDrucks 16/5065, [X.] f.) findet die in § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] vorgesehene Zurechnung von Straftaten für die in häuslicher [X.] lebenden Familienmitglieder ihre Rechtfertigung in nach der jeweiligen familiären Beziehung differenzierten Überlegungen. Für minderjährige Kinder, deren Eltern straffällig geworden seien, entspreche dies dem Grundsatz, dass das minderjährige Kind das aufenthaltsrechtliche Schicksal der Eltern teile. Hinzu komme, dass aufgrund der häuslichen [X.] ein negativer Einfluss auf die übrigen Familienmitglieder nicht auszuschließen sei. Dies gelte auch für das Verhältnis von Geschwistern untereinander. Für die Fälle, in denen Kinder eine Straftat begangen haben, sei der Ausschluss der Eltern im Hinblick auf ihre Aufsichts- und [X.] gerechtfertigt. Zu lebenspartnerschaftlichen [X.]en und eheähnlichen Lebensgemeinschaften wird demgegenüber ausgeführt, die in § 104a Abs. 1 Nr. 6 [X.] genannten Straftaten des Partners seien im Rahmen der Soll-Regelung des § 104 Abs. 1 Satz 1 [X.] regelmäßig zu berücksichtigen (vgl. BTDrucks 16/5065, [X.]). Die Entwurfsbegründung geht danach von der Nichtanwendbarkeit des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] auf Fälle nicht-ehelicher Lebenspartner aus und verhält sich zur Zurechnung von Straftaten im [X.] nur allgemein und lediglich, soweit dieses unmittelbar betroffen ist.

bb) Ob § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] unmittelbar auf eheähnliche Lebensgemeinschaften anwendbar ist und ob die Vorschrift es gegebenenfalls - unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien - nach ihrem Wortlaut und Zweck zulässt, bei diesen das strafrechtliche Fehlverhalten des einen Partners dem anderen Partner [X.] zuzurechnen, sah das [X.] im Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit dem vom Beschwerdeführer in Bezug genommenen Beschluss vom 11. Februar 2009 - 1 S 498/08 - ([X.] 2009, [X.]) als für in einem Hauptsacheverfahren klärungsbedürftig an.

cc) Das [X.] hat die Frage im Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 22.09 - (NVwZ 2011, [X.]) entgegen der Auffassung des [X.]hofs nicht entschieden, so dass ihre Klärungsbedürftigkeit und damit auch die grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO im Zeitpunkt der Entscheidung über den Zulassungsantrag nicht entfallen war (vgl. dazu [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. Februar 2008 - 2 BvR 2575/07 -, [X.] 2008, [X.]). Das [X.] stellt vielmehr in Gegenüberstellung zur von ihm mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG als verfassungskonform eingestuften Anwendung der Zurechnungsregel des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] auf Ehegatten lediglich nicht-tragende Erwägungen zu deren Anwendbarkeit auf die Partner einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft an.

Es führt hierzu aus, hinsichtlich der Partner einer solchen dürfte eine Anwendung der Zurechnungsregelung ausscheiden, weil es sich dabei gerade nicht um Familienangehörige handle. Insofern würden Ehegatten nach § 104a Abs. 3 [X.] schlechter behandelt als in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft lebende Paare. Diese Ungleichbehandlung sei allerdings auch mit Blick auf das in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene Verbot der Diskriminierung der Ehe gerechtfertigt. Ein hinreichender sachlicher Grund für die wechselseitige Zurechnung von Straftaten unter Ehegatten sei darin zu sehen, dass andernfalls über ein Bleiberecht des nicht straffällig gewordenen Ehegatten mit Blick auf den besonderen Schutz der ehelichen Lebensgemeinschaft durch Art. 6 GG und Art. 8 [X.] ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht des an sich nach § 104a Abs. 1 Nr. 6 [X.] ausgeschlossenen Ausländers entstehen könnte, so dass dieser Versagungsgrund in derartigen Fällen praktisch häufig leerliefe. Bei nicht-ehelichen Partnern bestehe dagegen weder eine entsprechend günstige Familiennachzugsregelung wie bei Ehegatten, noch vermittelten Art. 6 GG oder Art. 8 [X.] aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, so dass der Ausschlussgrund des § 104a Abs. 1 Nr. 6 [X.] nicht durch abgeleitete Aufenthaltsansprüche leerzulaufen drohe (BVerwG, a.a.[X.], Rn. 38 f.).

dd) Die grundsätzliche Bedeutung der hier aufgeworfenen Frage ist auch nicht deshalb entfallen, weil die Altfallregelung des § 104a [X.] insofern auslaufendes Recht darstellt, als § 104a Abs. 5 [X.] die Gültigkeit hiernach erteilter [X.] auf den 31. Dezember 2009 mit der Möglichkeit einer Verlängerung um weitere zwei Jahre nach § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] begrenzt. Denn die betroffenen Ausländer können nach der Rechtsprechung des [X.] auch nach Ablauf des 31. Dezember 2009 verlangen, dass ihnen rückwirkend für den Zeitraum bis zu diesem Datum eine Aufenthaltserlaubnis hiernach erteilt wird. Die Erteilung derartiger [X.] ist Voraussetzung für eine mögliche Verlängerung nach § 104a Abs. 5 Satz 2 [X.] oder nach der zwischenzeitlich von der [X.] auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] getroffenen Anschlussregelung (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2010 - 1 C 19.09 -, NVwZ 2011, [X.], Rn. 12 ff.; Urteil vom 11. Januar 2011, a.a.[X.], Rn. 25), weshalb die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage auch im Zeitpunkt der Entscheidung des [X.]hofs weiterhin für einen nicht überschaubaren Kreis von Personen noch von Bedeutung war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 B 35.95 -, NVwZ-RR 1996, [X.] zur Revisionszulassung).

b) Der [X.]hof verneint die Klärungsbedürftigkeit der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Rechtsfrage mit der Erwägung, im Falle des Beschwerdeführers stehe nicht die Anwendbarkeit des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] auf eine bloße nicht-eheliche Lebensgemeinschaft in Rede, auf die allein sich die Ausführungen des [X.] im Urteil vom 11. Januar 2011 bezögen; hinsichtlich der hier gegebenen Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers mit seiner nicht-ehelichen Partnerin und ihren gemeinsamen Kindern sei in der Rechtsprechung des [X.]s geklärt, dass diese [X.] eine Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG darstelle; vor diesem Hintergrund liege es nahe, auch den Begriff des Familienmitglieds im Sinne des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] in diesem Sinn auszulegen; für ein abweichendes Verständnis bestünden keine greifbaren Anhaltspunkte. Der [X.]hof hat hiermit bereits im Zulassungsverfahren Erwägungen von grundsätzlicher Bedeutung angestellt und den [X.] des Beschwerdeführers in nicht zu rechtfertigender Weise verkürzt.

aa) Die vom [X.]hof vorgenommene Eingrenzung der Fragestellung auf die vorliegende Fallgestaltung ändert bereits an der Notwendigkeit einer grundsätzlichen Klärung des Begriffs des Familienmitglieds im Sinne des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] nichts. Den vorerwähnten Erwägungen des Gesetzentwurfs liegt erkennbar ein anderes Verständnis dieses Begriffs zugrunde, als es der [X.]hof im Beschluss vom 4. August 2011 als naheliegend einstuft. Der [X.]hof führt zudem mit der Unterscheidung zwischen nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften mit und solchen ohne gemeinsame Kinder bei der Frage nach der Anwendbarkeit der Zurechnungsregel des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] eine Differenzierung ein, die weder in den Gesetzesmaterialien noch in den Ausführungen des [X.] im Urteil vom 11. Januar 2011 angesprochen ist.

bb) Diese Differenzierung drängt sich aber auch nicht in einer Weise auf, die es rechtfertigte, von der Zulassung der Berufung deshalb abzusehen, weil das Auslegungsergebnis eindeutig ist. Insbesondere folgt dies nicht aus der vom [X.]hof in Bezug genommenen Rechtsprechung namentlich des [X.]s zum Begriff der Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG.

Die Entscheidung zum aufenthaltsrechtlichen Schutz eines Ausländers aus Art. 6 Abs. 1 GG bei einer Erwachsenenadoption ([X.] 80, 81 f.), auf die sich der [X.]hof zunächst stützt, verhält sich unmittelbar allein zu den Wirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG im [X.]. Gleiches gilt für das ebenfalls in Bezug genommene Urteil des [X.] vom 27. Januar 1998 - 1 C 28.96 - ([X.] 1998, [X.] <282 ff.>). Für die aufgeworfene Rechtsfrage könnte danach allein von Bedeutung sein, dass sich im Verhältnis zwischen nicht-ehelichen Lebenspartnern - vermittelt über das gemeinsame Kind - mittelbare Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG ergeben, wenn diesem aufgrund der Beziehung zum einen Elternteil das Verlassen des [X.]es mit dem anderen nicht zumutbar ist (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 -, [X.], [X.]; siehe auch Beschluss des [X.]hofs [X.] vom 22. März 2000 - 11 S 209/00 -, [X.] 2000, [X.]). Inwiefern derartige - von den Umständen des Einzelfalls abhängige - Schutzwirkungen verallgemeinert werden und so die Erstreckung der Zurechnungsregelung des § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] auf [X.]en nicht-ehelicher Lebenspartner mit gemeinsamen Kindern rechtfertigen können, liegt nicht auf der Hand und kann daher nicht im Verfahren der Berufungszulassung abschließend entschieden werden (vgl. auch Urteil des [X.] vom 19. Juni 2012 - 2 A 103/10 -, juris, Rn. 32 ff. m.w.[X.], demzufolge § 104a Abs. 3 Satz 1 [X.] keinerlei Ansatz für eine Anwendbarkeit auf nicht formelle Lebensgemeinschaften biete und allein der Umstand, dass Partner einer solchen Lebensgemeinschaft gemeinsame Kinder hätten, für die beide Familienangehörige seien, an der - fehlenden - rechtlichen Beziehung der Partner zueinander nichts ändern könne).

3. Der Beschluss über die Nichtzulassung der Berufung beruht auf dem Verstoß gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, da der [X.]hof bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergebenden Vorgaben die Berufung hätte zulassen müssen. Der Beschluss des [X.]hofs vom 4. August 2011 ist aufzuheben, ohne dass es einer Entscheidung über die weiteren hiergegen gerichteten [X.] des Beschwerdeführers bedarf. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an den [X.]hof zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 [X.]G). Der Beschluss des [X.]hofs vom 11. August 2011 wird damit gegenstandslos.

III.

Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung von Rechten durch das Urteil des [X.] geltend macht, steht der Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen (vgl. [X.]K 7, 350 <357>; 15, 37 <53>).

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 [X.]G, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. dazu auch [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Meta

2 BvR 1895/11

07.11.2013

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 11. August 2011, Az: 11 S 2244/11, Beschluss

Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 104a Abs 1 S 1 Nr 6 AufenthG 2004, § 104a Abs 3 S 1 AufenthG 2004, § 104a Abs 3 S 2 AufenthG 2004, § 104a Abs 5 AufenthG 2004, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 07.11.2013, Az. 2 BvR 1895/11 (REWIS RS 2013, 1333)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1333

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 C 22/09 (Bundesverwaltungsgericht)

Aufenthaltserlaubnis auf Probe; Altfallregelung; Verwertbarkeit einer Strafverurteilung; Zurechnung von Straftaten von Ehegatten


1 C 15/12 (Bundesverwaltungsgericht)

Aufenthaltserlaubnis für sonstige Familienangehörige; Patchwork-Familie; außergewöhnlicher Härtefall; Unionsbürgerschaft


10 CS 16.638 (VGH München)

Rückkehrverpflichtung wegen Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft


1 B 32/10, 1 B 32/10, 1 PKH 21/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Akzessorisches Aufenthaltsrecht minderjähriger Kinder


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