Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.07.2013, Az. 1 C 15/12

1. Senat | REWIS RS 2013, 3813

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Gegenstand

Aufenthaltserlaubnis für sonstige Familienangehörige; Patchwork-Familie; außergewöhnlicher Härtefall; Unionsbürgerschaft


Leitsatz

1. An das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) sind höhere Anforderungen zu stellen als an das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne von § 30 Abs. 2, § 31 Abs. 2 und § 32 Abs. 4 AufenthG.

2. Die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis gegenüber einem nachzugswilligen Mitglied einer "Patchwork-Familie" kann in seltenen Ausnahmefällen einen Verstoß gegen Art. 20 AEUV darstellen (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - Rs. C-356/11, O. und S.).

Tatbestand

1

Der 1973 geborene Kläger ist [X.] Staatsangehöriger. Er reiste 2007 ohne Visum erstmals nach [X.] ein. Mit seiner 1987 geborenen [X.] Lebensgefährtin hat er zwei 2008 bzw. 2010 geborene Töchter, die ebenfalls [X.] Staatsangehörige sind. Für beide Kinder übt er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin die elterliche Sorge aus. Seine Lebensgefährtin hat eine weitere Tochter ([X.]), die sowohl die [X.] als auch die [X.] Staatsangehörigkeit besitzt, und für die sie allein personensorgeberechtigt ist; diese Tochter lebt ebenfalls im Haushalt des [X.] und seiner Lebensgefährtin. Die Lebensgefährtin ist in einer Teilzeitbeschäftigung erwerbstätig. Sie hat eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.], die gemeinsamen Töchter haben Aufenthaltstitel nach § 33 [X.].

2

Im Mai und Juli 2008 sowie im Juli 2010 beantragte der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin und den beiden gemeinsamen Töchtern. Auf eine von ihm erstattete Selbstanzeige wegen mehrfacher Einreise ohne Visum erging ein Strafbefehl, durch den eine Geldstrafe festgesetzt wurde. Durch Bescheid vom 24. Januar 2011 lehnte die Beklagte die Anträge des [X.] auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziff. 1), forderte ihn zur Ausreise auf (Ziff. 2) und drohte ihm für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise die Abschiebung nach [X.] an (Ziff. 3).

3

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 2 [X.], hilfsweise nach § 25 Abs. 5 [X.], abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung mit Urteil vom 18. April 2012 stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 [X.] zu erteilen. Dies sei zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich. Zwischen dem Kläger und seinen Töchtern bestehe eine von Art. 6 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Der Kläger übe die Personensorge tatsächlich aus und betreue die Kinder während der Abwesenheit ihrer Mutter allein. Diese Lebensgemeinschaft könne nur im [X.] fortgesetzt werden. Denn weitere, ebenso geschützte [X.]en bestünden nicht nur zwischen den Töchtern des [X.] und ihrer Mutter, sondern auch zwischen dieser und ihrer Tochter [X.] Eine Aufenthaltsbeendigung des [X.] werde zwangsläufig die familiäre [X.] mit seinen Töchtern aufheben, sofern ihn jene nicht nach [X.] begleiteten. Dies werde jedoch die Aufhebung der Lebensgemeinschaft der gemeinsamen Töchter mit ihrer Mutter zur Folge haben, sollte diese mit ihrer Tochter [X.] im [X.] bleiben wollen. Sollte sie hingegen mit dem Kläger und den gemeinsamen Töchtern nach [X.] zurückkehren, müsse sie entweder die Lebensgemeinschaft mit [X.] aufgeben oder sie mitnehmen. Als [X.] Staatsangehörige besitze [X.] aber ein Aufenthaltsrecht in der [X.] [X.]. Selbst wenn die Annahme zutreffe, die Aufenthaltsbeendigung zu Lasten des [X.] verstoße nicht gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, stünden jedenfalls Art. 20 AEUV und die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) einer Aufenthaltsbeendigung entgegen. Der Anspruch des [X.] scheitere auch nicht am Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen. Hinsichtlich des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] (Sicherung des Lebensunterhalts) liege aus den genannten Gründen ein Ausnahmefall vor, der die Anwendung dieser nur im Regelfall geltenden Erteilungsvoraussetzung ausschließe. Durch seine mehrfache Einreise ohne Visum habe der Kläger zwar einen [X.] erfüllt, doch müsse von § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] im vorliegenden Fall abgesehen werden. Schließlich sei dem Kläger auch nicht die nachträgliche Durchführung eines Visumverfahrens zuzumuten, weil dieses wegen der ablehnenden Haltung der Beklagten voraussichtlich sehr lange dauern werde (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 [X.]).

4

Ihre rechtzeitig eingelegte Revision begründet die Beklagte damit, dass dem Kläger ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zustehe. Es fehle an einer außergewöhnlichen Härte. Die familiäre Lebenshilfe, die der Kläger seinen beiden minderjährigen Kindern schulde, müsse nicht im [X.] erbracht werden, weil die Lebensgemeinschaft mit der Lebensgefährtin des [X.] sowie ihrer Tochter [X.] auch in [X.] fortgeführt werden könne. Zwar stehe dieser Tochter aus ihrer [X.]n Staatsangehörigkeit ein Aufenthaltsrecht für die [X.] zu. Sie dürfe aber auf Grund ihrer zweiten Staatsangehörigkeit auch nach [X.] einreisen, wo der familiären Lebensgemeinschaft ein vergleichbarer verfassungsrechtlicher Schutz zustehe wie in der [X.] [X.]. Soweit sich das Berufungsgericht auf die Rechtsprechung des [X.] zu Art. 20 AEUV stütze, verkenne es, dass der vorliegende Sachverhalt mit dem vom [X.] entschiedenen Fällen nicht vergleichbar sei.

5

Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil. Der Vertreter des [X.] beim [X.] beteiligt sich am Verfahren und hebt hervor, dass ein Härtefall im Sinne von § 36 Abs. 2 [X.] nicht vorliege; der Gesetzgeber habe sich ausdrücklich gegen ein allgemeines Nachzugsrecht entschieden.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Begründung des Berufungsgerichts für die Annahme, die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels sei zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich, verletzt durch die Wahl eines unzutreffenden Entscheidungsmaßstabs [X.] (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den für die Annahme einer außergewöhnlichen Härte maßgeblichen Umständen fehlt, kann der [X.] in der Sache nicht abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit muss daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung und erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Deshalb bedarf es einer Entscheidung über den auch in der Revisionsinstanz angefallenen Hilfsantrag des [X.] auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 [X.] derzeit nicht.

7

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (st[X.]pr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 [X.] 17.08 - BVerwGE 133, 329 = [X.] 402.242 § 32 [X.] Nr. 4 jeweils Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des [X.] - sie zu berücksichtigen hätte (st[X.]pr, Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 [X.] 19.11 - BVerwGE 143, 277 = [X.] 402.242 § 11 [X.] Nr. 9 jeweils Rn. 12 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des [X.]es in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Anpassung von Rechtsvorschriften des [X.] infolge des Beitritts der [X.] zur [X.] vom 17. Juni 2013 ([X.]), zu Grunde zu legen. Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der entscheidungserheblichen Bestimmungen im vorliegenden Fall aber nicht geändert.

8

1. Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 [X.] vorliegen, kann auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen nicht entschieden werden.

9

1.1 Das [X.] ist anwendbar. Es wird nicht durch das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern ([X.]/[X.]) verdrängt (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 [X.]), da dieses Gesetz auf den Kläger keine Anwendung findet. Nach § 1 [X.]/[X.] regelt dieses Gesetz nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der [X.] sowie, unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 [X.]/[X.] (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 6 [X.]/[X.]), ihrer Familienangehörigen. Der Kläger ist jedoch kein Familienangehöriger eines [X.], da er mit der ältesten Tochter seiner Lebensgefährtin nicht verwandt ist; außerdem wird ihm von ihr kein Unterhalt gewährt.

1.2 Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 [X.] kann sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt werden, wenn dies zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 [X.]) müssen grundsätzlich ebenfalls vorliegen.

Das [X.] behandelt im sechsten Abschnitt des zweiten Kapitels den Aufenthalt von Ausländern in [X.] aus familiären Gründen. Dabei regeln die §§ 28 bis 30, 32, 33 und 36 Abs. 1 [X.] die Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern und unterscheiden zusätzlich danach, ob das in [X.] lebende Familienmitglied die [X.] Staatsangehörigkeit besitzt oder nicht. Demgegenüber erstreckt § 36 Abs. 2 [X.] die Möglichkeit einer Familienzusammenführung zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG (vgl. § 27 Abs. 1 [X.]) auch auf sonstige Familienangehörige, die von den vorgenannten Normen nicht erfasst werden; die Vorschrift ist auf sonstige Familienangehörige von [X.] entsprechend anzuwenden (vgl. § 28 Abs. 4 [X.]). Allerdings ist der Nachzug sonstiger Familiengehöriger auf Fälle einer außergewöhnlichen Härte, das heißt auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der [X.] im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 [X.] grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre.

Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in [X.] erbracht werden kann (Urteil vom 10. März 2011 - BVerwG 1 [X.] 7.10 - [X.] 402.242 § 7 [X.] Nr. 5 Rn. 10; ebenso zur Vorgängervorschrift in § 22 AuslG: Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - [X.] 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4). Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 [X.] 9.12 - [X.] 2013, 331 Rn. 23).

Die spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe in [X.] als Voraussetzung für den Nachzug sonstiger Familienangehöriger stellt eine höhere Hürde dar als die in den §§ 28 bis 30, 32, 33 und 36 Abs. 1 [X.] geregelten Voraussetzungen für den Nachzug von Kindern, Eltern oder Ehegatten, weil sie eine gesonderte Begründung dafür verlangt, dass die Herstellung der [X.] außerhalb der [X.]republik [X.] unzumutbar wäre (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 [X.] 10.12 - juris Rn. 37 - 39). Dies folgt im Übrigen auch aus dem Umstand, dass bei dem [X.] (§ 30 Abs. 2 und § 31 Abs. 2 bzw. § 32 Abs. 4 [X.]) die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Fällen, in denen die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Norm nicht erfüllt sind, schon zur Vermeidung einer besonderen Härte, also bei drohender erheblicher Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 2 [X.]), in Betracht kommt. Das Berufungsgericht hat den Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 2 [X.] verfehlt, indem es eine außergewöhnliche Härte schon angenommen hat, wenn die Umstände des Einzelfalles eine im Vergleich zum Nachzug von Eltern, Kindern oder Ehegatten nur vergleichbare Dringlichkeit im Sinne einer besonderen Härte begründen.

1.3 Der Kläger ist im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 [X.] sonstiger Familienangehöriger seiner leiblichen Töchter [X.], denn er ist als nicht mit der Mutter der Kinder verheirateter Vater keinem der sonst in Betracht kommenden Tatbestände des Familiennachzugs zuzuordnen. Der [X.] kann jedoch nicht abschließend entscheiden, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem zuvor benannten Entscheidungsmaßstab zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist, da notwendige Feststellungen zu den relevanten Umständen des Einzelfalles fehlen. Zwar sind die Kinder [X.] auf Grund ihres Alters von zwei bzw. vier Jahren außerstande, ein eigenständiges Leben zu führen; sie bedürfen vielmehr als Kleinkinder ständiger Pflege und Betreuung und deshalb der Einbindung in die familiäre Lebensgemeinschaft. Ob allerdings diese familiäre Lebenshilfe für [X.] in zumutbarer Weise nur in [X.] geleistet werden kann, hängt maßgeblich davon ab, wie sich eine Fortführung der Familiengemeinschaft außerhalb [X.]s voraussichtlich auf das Kind [X.] auswirken würde. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gewährt keinen unmittelbaren Aufenthaltsanspruch, verpflichtet die Ausländerbehörden jedoch, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im [X.]gebiet aufhalten, umfassend zu berücksichtigen. Die Pflicht des Staates zum Schutz der Familie drängt einwanderungspolitische Belange erst dann zurück, wenn die gelebte Familiengemeinschaft nur in der [X.]republik [X.] stattfinden kann, etwa weil besondere Umstände demjenigen Mitglied dieser Gemeinschaft, zu dem der Ausländer eine außergewöhnlich enge Beziehung hat, ein Verlassen des [X.]gebiets unzumutbar machen. Handelt es sich bei diesem Mitglied der Familiengemeinschaft um ein Kind, so ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen ([X.], Beschlüsse vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 - [X.]E 80, 81 <93>, vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 - [X.]E 76, 1 <46 ff.>, vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - AuAS 2013, 160, vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - [X.] 2008, 347 und vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 - [X.] 2006, 320). Die Besonderheiten, die sich aus einer als "Patchwork-Familie" bezeichneten familiären Konstellation ergeben, müssen sorgfältig ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt werden. Auch die außerhalb der "Patchwork-Familie" stehenden leiblichen Elternteile der minderjährigen Familienangehörigen sind in die Betrachtung einzubeziehen.

Nach diesem Maßstab wäre es dem Kläger und seinen leiblichen Töchtern [X.] sowie deren Mutter, der Lebensgefährtin des [X.], bei isolierter Betrachtung ohne Berücksichtigung des Kindes [X.] zumutbar, die zwischen ihnen bestehende familiäre Lebensgemeinschaft außerhalb [X.]s weiterzuführen. Sie besitzen ausschließlich die [X.] Staatsangehörigkeit; besondere Umstände, die eine Verwurzelung in [X.] nahe legen würden (Art. 8 [X.]), sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Verfahren weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Im Hinblick auf das Alter der Kinder von nur zwei bzw. vier Jahren bestand für das Berufungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung insofern auch kein Anlass zu weiterer Aufklärung. Ob dies im Zeitpunkt der erneuten Verhandlung und Entscheidung nach Zurückverweisung noch in gleicher Weise zutrifft, kann offenbleiben.

In den durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 [X.] gewährleisteten Schutz der gelebten Familiengemeinschaft, der der Kläger angehört, ist nach den Feststellungen des [X.] jedoch auch die älteste Tochter der Lebensgefährtin des [X.], die im Jahre 2006 geborene [X.], einbezogen. Aus diesem Grunde müssen die Auswirkungen einer Ausreise des [X.], seiner leiblichen Töchter und seiner Lebensgefährtin auf [X.] berücksichtigt werden. Zwar ist sie, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, als [X.] Staatsangehörige vor behördlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geschützt. Aus ihrer [X.]n Staatsangehörigkeit folgt für sich genommen allerdings nicht, dass ihr eine Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland ohne Hinzutreten besonderer Umstände stets unzumutbar wäre. Dasselbe gilt auch für den durch Art. 8 [X.] vermittelten Schutz (vgl. Urteil vom 13. Juni 2013 - BVerwG 10 [X.] 16.12 - juris Rn. 22 f. mit Nachweisen zur Rechtsprechung des [X.]). Ob ein Fall der Unzumutbarkeit vorliegt, hängt vielmehr davon ab, welche Folgen eine - ggf. bis zur Volljährigkeit andauernde, aber jedenfalls vorübergehende - Fortführung der Familiengemeinschaft mit ihrer Mutter, ihren Halbschwestern und dem Kläger im Ausland für sie hätte, ob und ggf. welche Alternativen denkbar wären (st[X.]pr, [X.], Beschlüsse vom 10. Mai 2008 a.a.[X.] und vom 1. Dezember 2008 - 2 BvR 1830/08 - [X.]K 14, 458 Rn. 27) und wie sich ein derartiger Aufenthalt im Ausland ggf. auf ihre - rechtlich gesicherte - Möglichkeit einer späteren Rückkehr und Reintegration in [X.] auswirken würde (Urteil vom 13. Juni 2013 a.a.[X.] Rn. 27).

Sollte sich aus derartigen Umständen - die bisher nicht hinreichend aufgeklärt sind - ergeben, dass [X.] die Fortführung der familiären Gemeinschaft außerhalb [X.]s nicht zuzumuten ist, spräche [X.] dafür, dass der Kläger zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte einen Aufenthaltstitel beanspruchen könnte. Denn auch wenn der Kläger mit [X.] nicht verwandt ist und auch sonst in keiner rechtlichen Beziehung zu ihr steht, so steht die Beziehung [X.]s zu ihrer leiblichen Mutter - der Lebensgefährtin des [X.], die zudem das alleinige Sorgerecht für sie ausübt - ebenso unter dem rechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG wie die Beziehung der Lebensgefährtin des [X.] zu den gemeinsamen Kindern [X.] Eine behördlich verfügte Aufenthaltsbeendigung des [X.] würde je nachdem, welche Entscheidung der Kläger und seine Lebensgefährtin über den Verbleib der übrigen Mitglieder der "Patchwork-Familie" treffen, dazu führen, dass entweder [X.] die [X.]republik [X.] zusammen mit der Familiengemeinschaft verlassen würde oder dass verfassungsrechtlich geschützte familiäre Bindungen zwischen den Mitgliedern der "Patchwork-Familie" beeinträchtigt oder zerstört würden. Die sich hieraus ergebenden konkreten Folgen für das Kind [X.] sind im Verfahren bisher weder unter dem Aspekt des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG noch unter demjenigen des Art. 8 [X.] hinreichend ermittelt worden, so dass die Frage, ob die Verweigerung eines Aufenthaltstitels zu Lasten des [X.] eine Handlungsmöglichkeit offenlässt, in der [X.] die Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland zumutbar wäre, nicht beantwortet werden kann.

1.4 Das Berufungsgericht wird daher aufzuklären haben, ob es besondere Umstände gibt, die einen Verbleib des Kindes [X.] in [X.] als einzige dem Kind zumutbare Alternative erscheinen lassen. Derartige Umstände können sich etwa aus dem Verhältnis [X.]s zu ihrem leiblichen Vater ergeben, insbesondere dann, wenn zwischen ihnen bereits bestehende oder gewünschte Kontakte durch die Fortführung der Familiengemeinschaft im Ausland unmöglich gemacht würden. Auch wenn bisher derartige Umstände im Verfahren nicht deutlich zu Tage getreten sind, drängt sich eine weitere Aufklärung im Hinblick auf das Recht eines Kindes auf Umgang mit beiden Eltern auf. [X.] ist auch, ob die Lebensumstände in [X.] dazu führen können, dass [X.] eine Beendigung ihres Aufenthalts nicht verarbeiten könnte, ohne Schaden zu nehmen. Ob dies der Fall sein kann, dürfte auch davon abhängen, wie sich ihre Lebensumstände bei einer Verlagerung der [X.] nach [X.] voraussichtlich darstellen würden. Weiter wird eine Prognose darüber zu treffen sein, ob durch einen Umzug der Familie nach [X.] die ihr auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit zustehende Rückkehrmöglichkeit beeinträchtigt oder gar entwertet würde, etwa durch eine Erschwerung der Reintegration aus sprachlichen Gründen oder als Folge einer Sozialisation in [X.]. Schließlich muss geprüft werden, ob es Alternativen zu einer Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft aller Mitglieder der "Patchwork-Familie" im Ausland gibt. In diesem Zusammenhang dürfte es darauf ankommen, wie das Verhältnis des Kindes [X.] zum Kläger, zu ihrem leiblichen Vater, ihren Halbgeschwistern und ihrer Mutter zu bewerten ist. Maßgeblicher Bezugspunkt für diese Prüfung wird der Zeitpunkt der erneuten Entscheidung des Berufungsgerichts sein.

1.5 Ohne weitere Sachaufklärung lässt sich auch die Frage nicht beantworten, ob die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gegeben sind oder nicht.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, dass der Lebensunterhalt des [X.] ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen nicht gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.]); zudem liegt der [X.] der mehrfachen illegalen Einreise (§ 5 Abs. 1 Nr. 2, § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) vor; schließlich ist der Kläger ohne Visum eingereist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.]).

1.5.1 Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist; dies gilt allerdings nicht in atypischen Ausnahmefällen. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, dass ein solcher Ausnahmefall anzunehmen ist, wenn sich ergeben sollte, dass die Verweigerung eines Aufenthaltstitels eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 [X.] darstellt, weil die Fortführung der [X.] im Ausland unzumutbar wäre und deshalb eine Verletzung von Art. 6 GG, Art. 8 [X.] anzunehmen wäre. Ob dies der Fall ist, kann jedoch - wie ausgeführt - erst nach Aufklärung der vorgenannten maßgeblichen Umstände beantwortet werden.

1.5.2 Ebenfalls ohne Verstoß gegen [X.] hat das Berufungsgericht angenommen, dass im vorliegenden Fall das Erfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegensteht. Nach dieser Vorschrift darf in der Regel kein [X.] vorliegen. Zwar verstößt die mehrfache Einreise des [X.] ohne Aufenthaltstitel gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 [X.] und stellt zugleich eine Straftat (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 [X.]) und damit einen [X.] (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) dar. Im vorliegenden Fall spricht jedoch [X.] dafür, dass gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 [X.] im Ermessenswege von dieser Erteilungsvoraussetzung abgesehen werden muss. Denn die eingetretene Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist im Hinblick auf den Zweck seiner Einreise, seine nachfolgende Selbstanzeige und die inzwischen erteilte Duldung von geringem Gewicht (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - [X.] 2008, 347 a.E.). Einer weiteren Sachaufklärung bedarf es hierzu nicht.

1.5.3 Ob schließlich der Umstand, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist ist, einem Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegensteht, kann erst nach weiterer Sachaufklärung entschieden werden. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Von diesem Erfordernis kann etwa dann abgesehen werden, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles unzumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines solchen Falles ohne hinreichend breite Tatsachengrundlage damit begründet, dass von einer langen Dauer des nachzuholenden Visumverfahrens auszugehen sei, weil der Kläger voraussichtlich den Rechtsweg gegen eine zunächst ablehnende Entscheidung werde beschreiten müssen. Mit dieser Begründung geht das Berufungsgericht zu Unrecht von der Annahme aus, die zuständige Behörde werde trotz einer gerichtlichen Entscheidung, in der ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 2 [X.] grundsätzlich bejaht wird, durch Verweigerung des Visums rechtswidrig handeln; zudem hat es versäumt, die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes durch eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO in seine Prognose einzubeziehen (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 [X.] 9.12 - [X.] 2013, 331 Rn. 22).

Für die im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 [X.] anzustellende Prognose muss vielmehr konkret ermittelt werden, wie lange der familiären Gemeinschaft des [X.], seiner Lebensgefährtin und der drei Kinder eine Abwesenheit des [X.] zugemutet werden kann. Hierfür kommt es insbesondere darauf an, wie lange ein Visumverfahren bei korrekter Sachbehandlung und ggf. unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen eine vorübergehende Ausreise des [X.] für die Familie hätte, insbesondere, ob die noch sehr kleinen Kinder auch durch eine verfahrensbedingte Abwesenheit des [X.] von nur wenigen Monaten emotional unzumutbar belastet würden. Die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen sind bisher nicht getroffen worden.

2. Sollte das Berufungsgericht auf der Grundlage der noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen eine negative Entscheidung über einen Anspruch des [X.] auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 [X.] treffen, wird diese Entscheidung am Recht der [X.] zu messen sein.

2.1 Die Richtlinie 2004/38/[X.] und des Rates (Unionsbürgerrichtlinie) ist auf den Kläger nicht anwendbar. Sie regelt die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten wahrnehmen können, das Recht dieser Personen auf Daueraufenthalt sowie die Beschränkung dieser Rechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit und gilt für jeden Unionsbürger, der sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat, sowie seine Familienangehörigen. Der Kläger ist jedoch nicht Familienangehöriger im Sinne der Richtlinie, da er mit dem Kind [X.]r Staatsangehörigkeit [X.] nicht verwandt ist; zudem hat diese von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht und gewährt dem Kläger keinen Unterhalt.

Auch die Richtlinie 2003/86/[X.]) findet keine Anwendung. Zwar sind die Lebensgefährtin des [X.] und seine leiblichen Kinder Drittstaatsangehörige, so dass sie grundsätzlich als Zusammenführende in Betracht kämen. Doch der Kläger zählt nicht zum Kreis der Nachzugsberechtigten, weil er nicht der Ehegatte seiner Lebensgefährtin ist (vgl. Art. 4 Abs. 1a der Richtlinie); die Optionen für den Nachzug nichtehelicher Partner und von Verwandten in gerader aufsteigender Linie, denen von den zusammenführenden Familienangehörigen Unterhalt gewährt wird (vgl. Art. 4 Abs. 2a und Abs. 3 der Richtlinie) sind im [X.]n Aufenthaltsrecht nicht genutzt worden.

2.2 Als unionsrechtlicher Maßstab kommen im vorliegenden Falle vielmehr allein Art. 20 und 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der [X.] (A[X.]V) in Betracht.

Art. 20 Abs. 1 A[X.]V verleiht jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt, den Status eines [X.]. Dieser umfasst nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2a, Art. 21 A[X.]V das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Nach der Rechtsprechung des [X.] steht dieser grundlegende Status der Unionsbürger nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des [X.] der Rechte, die ihnen der [X.]tatus verleiht, verwehrt wird. Dies gilt auch für minderjährige Unionsbürger. Solange sie sich in einer Situation befinden, die durch eine rechtliche, wirtschaftliche oder affektive Abhängigkeit von Drittstaatsangehörigen bestimmt ist, darf auch durch - insbesondere aufenthaltsrechtliche - Maßnahmen gegen diese nicht bewirkt werden, dass sich der minderjährige Unionsbürger rechtlich oder faktisch gezwungen sieht, das Unionsgebiet zu verlassen. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob sich die Maßnahme nur gegen einen Elternteil oder gegen beide Eltern des [X.] oder gegen andere Bezugspersonen richtet. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Unionsbürger sein Freizügigkeitsrecht bereits ausgeübt hat oder nicht. Allerdings reicht der bloße Wunsch, die Familiengemeinschaft mit allen Familienangehörigen im Unionsgebiet aufrecht zu erhalten, nicht aus. Verhindert werden soll nämlich eine Situation, in der der Unionsbürger für sich keine andere Wahl sieht als einem Drittstaatsangehörigen, von dem er rechtlich, wirtschaftlich oder affektiv vollkommen abhängig ist, bei der Ausreise zu folgen bzw. sich zu ihm ins Ausland zu begeben und deshalb das Unionsgebiet zu verlassen. Lebt er hingegen mit einem sorgeberechtigten Drittstaatsangehörigen zusammen, der über ein Daueraufenthaltsrecht verfügt und eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit hat, so spricht dies dagegen, dass eine aufenthaltsrechtliche Maßnahme gegen einen anderen Drittstaatsangehörigen einen unionsrechtswidrigen Zwang zur Ausreise auslösen könnte (vgl. [X.], Urteile vom 19. Oktober 2004 - [X.]. [X.]-200/02, [X.] und [X.] - Slg. 2004, [X.] Rn. 25 ff.; vom 8. März 2011 - [X.]. [X.]-34/09, [X.] - Slg. 2011, [X.] Rn. 41 ff.; vom 5. Mai 2011 - [X.]. [X.]-434/09, [X.] - Slg. 2011, [X.] Rn. 44 ff.; vom 15. November 2011 - [X.]. [X.]-256/11, [X.] - NVwZ 2012, 97 Rn. 59 - 69; vom 8. November 2012 - [X.]. [X.]-40/11, [X.] - NVwZ 2013, 357 Rn. 66 ff.; vom 6. Dezember 2012 - [X.]. [X.]-356/11, [X.] und S. - NVwZ 2013, 419 Rn. 52 ff. mit dem Hinweis auf Rn. 44 der Anträge des Generalanwalts in dieser Sache und vom 8. Mai 2013 - [X.]. [X.]-87/12, [X.] - [X.] 2013, 259 Rn. 34 ff.).

Nach diesen Grundsätzen muss sich jede nationale Maßnahme eines Mitgliedstaats gegen drittstaatsangehörige Bezugspersonen minderjähriger Unionsbürger an dem Verbot messen lassen, einen rechtlichen oder faktischen Zwang zum Verlassen des [X.] auszulösen und die [X.]chaft dadurch ihrer praktischen Wirksamkeit zu berauben. Die Berufung auf Art. 20 und 21 A[X.]V ist allerdings auf seltene Ausnahmefälle beschränkt ([X.], Urteil vom 8. November 2012 a.a.[X.] Rn. 71). Zu prüfen sind jeweils alle Umstände des konkreten Falles ([X.], Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.[X.] Rn. 53). Ob eine nationale Maßnahme den Kernbestand der [X.]chaft in diesem Sinne beeinträchtigt, hat das mitgliedstaatliche Gericht zu entscheiden.

Lebt der schutzbedürftige minderjährige Unionsbürger in einer "Patchwork-Familie", so sind die sich aus den Besonderheiten dieser familiären Lebensgemeinschaft ergebenden Umstände in die Betrachtung einzubeziehen. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, ob zwischen dem Drittstaatsangehörigen, für den das Aufenthaltsrecht beantragt wird, und dem minderjährigen Unionsbürger eine biologische Beziehung besteht; maßgeblich ist vielmehr, ob der Unionsbürger von dem Drittstaatsangehörigen in finanzieller, rechtlicher oder affektiver Hinsicht im vorerwähnten Sinne abhängig ist. Auch ist es von erheblicher Bedeutung, ob ein faktischer Zwang zur Ausreise den minderjährigen Unionsbürger an der Fortführung eines bestehenden Kontakts zu einem leiblichen Vater oder einer leiblichen Mutter hindert, der bzw. die außerhalb der "Patchwork-Familie" lebt. Schließlich ist zu berücksichtigten, wer das Sorgerecht für den minderjährigen Unionsbürger innehat und ausübt ([X.], Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.[X.] Rn. 51, 55).

2.3 Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall anwendbar. Ob allerdings die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 [X.] gegenüber dem Kläger unionsrechtlichen Anforderungen genügen würde, kann ohne eine im Falle einer derartigen Entscheidung zu § 36 Abs. 2 [X.] erforderlich werdenden weiteren Sachaufklärung nicht entschieden werden.

Das Berufungsgericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass unabhängig von der Annahme eines außergewöhnlichen Härtefalls im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 [X.] ein Anspruch des [X.] auf einen Aufenthaltstitel jedenfalls aus Art. 20 A[X.]V folge, weil die Verweigerung eines Aufenthaltstitels dazu führen werde, dass sowohl seine Lebensgefährtin als auch ihre älteste Tochter [X.] [X.] verlassen würden. Diese Annahme beruht auf einem Entscheidungsmaßstab, der der vorzitierten Rechtsprechung des [X.] nicht entspricht. Denn das Berufungsgericht lässt außer [X.], dass [X.]s Mutter - die Lebensgefährtin des [X.] - über ein Aufenthaltsrecht verfügt, das wegen seiner Bindung an die Minderjährigkeit [X.]s einem Daueraufenthaltsrecht gleichkommt und dass bereits dieser Umstand der Annahme eines unionsrechtswidrigen faktischen Zwangs zum Verlassen des [X.] entgegensteht. Gegen einen solchen Zwang spricht auch, dass die Lebensgefährtin des [X.] das alleinige Sorgerecht für [X.] innehat, so dass diese jedenfalls nicht in einem rechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Kläger steht. Schließlich hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Lebensgefährtin des [X.] - nicht aber dieser selbst - durch Erwerbstätigkeit zum Unterhalt der Familiengemeinschaft beiträgt, so dass auch nichts für eine wirtschaftliche Abhängigkeit [X.]s vom Kläger spricht; Unterhaltspflichten hat er ihr gegenüber nicht.

Ob die übrigen nach der vorzitierten Rechtsprechung des [X.] maßgeblichen Kriterien gegeben sind oder nicht, lässt sich ohne zusätzliche Sachverhaltsaufklärung allerdings nicht feststellen. Insbesondere liegen keine aussagekräftigen Feststellungen dazu vor, ob zwischen [X.] und dem Kläger ein affektives Abhängigkeitsverhältnis besteht, dessen Intensität trotz der festgestellten Umstände - insbesondere der wirtschaftlichen, rechtlichen und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch affektiven Bindung [X.]s an ihre Mutter - für das Vorliegen eines unionsrechtswidrigen Zwangs zum Verlassen des [X.] sprechen könnte. [X.] Feststellungen fehlen auch zu der weiteren Frage, ob eine emotionale Beziehung zwischen [X.] und ihrem leiblichen Vater festgestellt werden kann, die eine möglicherweise bestehende affektive Abhängigkeit [X.]s vom Kläger relativieren würde. Erst wenn diese Aspekte hinreichend geklärt sind, kann ggf. entschieden werden, ob die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts gegenüber dem Kläger mit Art. 20 A[X.]V und der dazu ergangenen Rechtsprechung des [X.] im Einklang stünde.

Meta

1 C 15/12

30.07.2013

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 18. April 2012, Az: 7 A 10112/12, Urteil

Art 20 AEUV, Art 21 AEUV, § 36 Abs 2 AufenthG 2004, § 30 Abs 2 AufenthG 2004, § 31 Abs 2 AufenthG 2004, § 32 Abs 4 AufenthG 2004, § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG 2004, § 5 Abs 1 Nr 2 AufenthG 2004, § 5 Abs 2 S 1 Nr 1 AufenthG 2004, § 5 Abs 2 S 2 AufenthG 2004, Art 8 MRK, Art 6 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.07.2013, Az. 1 C 15/12 (REWIS RS 2013, 3813)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3813

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