Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 16.06.2016, Az. 1 BvR 2257/15

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2016, 9802

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: normunmittelbare Verfassungsbeschwerde gegen Tarifeinheitsgesetz unzulässig - unzureichende Ausführungen zur Tariffähigkeit der Beschwerdeführerin


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich in der Sache unmittelbar gegen § 4a [X.] in der Fassung des [X.] ([X.]) vom 3. Juli 2015 ([X.], [X.] 1130).

2

1. Die Beschwerdeführerin ist eine im November 2010 gegründete und noch im Aufbau befindliche Koalition. Durch Entscheidungen der Gerichte für Arbeitssachen wurde der Beschwerdeführerin die Tariffähigkeit abgesprochen; eine hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde ist beim [X.] anhängig. Der zuständige Arbeitgeberverband habe die Aufnahme von Tarifverhandlungen abgelehnt. Aufgrund des nicht abgeschlossenen Statusverfahrens habe die Beschwerdeführerin keine Tarifverträge abschließen können; zwischenzeitlich sei ihr der Abschluss eines Tarifvertrags gelungen.

3

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Vorschrift des § 4a [X.]. Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Insbesondere sei sie beschwerdebefugt. Sie werde trotz zunehmender Repräsentation in den Betrieben gegenüber der [X.] in der [X.] sein. Der Beschwerdebefugnis stehe nicht die fachgerichtliche Entscheidung entgegen, nach der die Beschwerdeführerin nicht tariffähig sei. Das ergebe sich aus dem die Nichtzulassungsbeschwerde begründenden Schriftsatz. Das angegriffene Gesetz beeinflusse zudem den Status der Beschwerdeführerin als tariffähige [X.], wodurch es ihr erschwert werde, die von der Rechtsprechung zur Feststellung der Tariffähigkeit vorausgesetzte positive Prognose zu erzielen.

4

Die Verfassungsbeschwerde sei begründet, weil § 4a [X.] nicht mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar sei. Einer bestehenden [X.] werde jedenfalls faktisch der Abschluss von Tarifverträgen unmöglich gemacht. Die gesetzlich angeordnete Tarifeinheit führe dazu, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Existenz bedroht werde. Das sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Es sei insbesondere für junge Koalitionen unverhältnismäßig und käme einem [X.]sverbot gleich, weil das in § 4a [X.] vorgesehene Mehrheitsprinzip die empirische Feststellung [X.] Mächtigkeit verhindere, während die Rechtsprechung die [X.] Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit fordere.

5

Die Verfassungsbeschwerde wurde mit weiteren gegen das [X.] gerichteten Verfassungsbeschwerden dem [X.], dem Bundesrat, dem [X.], dem Bundeministerium des Innern, dem [X.], dem [X.], allen Landesregierungen, dem [X.], dem Deutschen [X.]sbund, der [X.], dem Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, der [X.], der [X.], dem [X.], dem [X.], der [X.] beziehungsweise dem Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der [X.], dem [X.], dem Bund der [X.]innen und [X.] der Arbeitsgerichtsbarkeit, der [X.], dem [X.], der [X.], dem [X.] und dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut zugestellt.

6

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]), weil sie unzulässig ist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin durch die angegriffene Vorschrift des [X.]es gegenwärtig betroffen und damit beschwerdebefugt ist.

7

1. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrunde liegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint. [X.] müssen darlegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert (vgl. [X.] 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; [X.], Beschluss des [X.] vom 10. November 2015 - 1 BvR 2056/12 -, [X.], Rn. 9). Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gehört auch, dass [X.] ihre gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit ausreichend substantiieren (vgl. [X.] 79, 1 <15>; 123, 267 <329>). Wird die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz erhoben, so müssen die Tatsachen, aus denen sich die Betroffenheit der [X.]n ergibt, im [X.] hinreichend belegt werden. Die bloße Behauptung oder Versicherung der [X.]n reicht dazu nicht aus (vgl. [X.] 83, 162 <169 f.>; siehe auch als Frage der Begründetheit in [X.] 84, 90 <116>; 85, 117 <120>).

8

Gegenwärtig ist die Betroffenheit, wenn die angegriffene Vorschrift auf die Rechtsstellung der [X.]n aktuell und nicht nur virtuell einwirkt, wenn das Gesetz die Normadressatinnen und -adressaten mit Blick auf seine künftig eintretenden Wirkungen zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder wenn klar abzusehen ist, dass und wie [X.] in der Zukunft von der Regelung betroffen sein werden (vgl. [X.] 102, 197 <207>; 110, 141 <151 f.>; 114, 258 <277>). Allein die vage Ansicht, dass [X.] irgendwann einmal in Zukunft von der Regelung betroffen sein könnten, genügt hingegen nicht (vgl. [X.] 1, 97 <102>; 43, 291 <385 f.>; 60, 360 <371>; 74, 297 <319>; 114, 258 <277>).

9

2. Unter Berücksichtigung dessen kann der Verfassungsbeschwerde nicht entnommen werden, dass die Beschwerdeführerin gegenwärtig betroffen ist.

a) Die Verfassungsbeschwerde ist nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 [X.] entsprechend begründet. Mangels substantiierter Ausführungen zur Tariffähigkeit (zu den Voraussetzungen [X.], Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 1 ABR 88/09 -, juris, Rn. 28 ff.) ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin derzeit oder in naher Zukunft von der Kollisionsregel des § 4a Abs. 2 Satz 2 [X.] erfasst wird, weil von ihr wirksam abgeschlossene Tarifverträge verdrängt werden könnten. Insbesondere kann eigener Vortrag dazu nicht durch den Verweis auf eine Rechtsmittelbegründung im fachgerichtlichen Verfahren ersetzt werden, weil es nicht Aufgabe des [X.]s ist, aufgrund eines undifferenzierten Hinweises auf frühere Schriftsätze den dortigen Vortrag auf verfassungsrechtlich relevante Lebenssachverhalte hin zu untersuchen (vgl. [X.] 80, 257 <263>).

Dass der zuständige Arbeitgeberband die Aufnahme von Tarifverhandlungen mit der Beschwerdeführerin abgelehnt hat, wird nicht konkretisiert. Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, sie habe aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Statusverfahrens keine Tarifverträge abschließen können, ist ein hinreichend konkreter Zusammenhang mit dem [X.] nicht erkennbar. Soweit sie auf eine durch das [X.] verursachte Gefährdung ihrer Existenz verweist, genügen allgemeine Überlegungen zu möglichen Gesetzesfolgen ebenfalls nicht, um die Möglichkeit einer hinreichenden Betroffenheit in eigenen Rechten nachvollziehbar erkennen zu lassen.

b) Die weiteren Ausführungen lassen eine gegenwärtige Betroffenheit der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht erkennen. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, die vom [X.] verursachte Unmöglichkeit, Tarifverträge abzuschließen, verhindere eine positive Prognose für ihre Tariffähigkeit, trägt dies nicht. Ungeachtet des Umstandes, dass das [X.] aus dem Abschluss von Tarifverträgen in nennenswertem Umfang Rückschlüsse auf die Tariffähigkeit zieht, entsteht die Tariffähigkeit nicht etwa mit dem Abschluss von Tarifverträgen, sondern ist eine Voraussetzung für deren Wirksamkeit (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 1 ABR 88/09 -, juris, Rn. 41 ff.).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2257/15

16.06.2016

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

Art 9 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, TarifEinhG, § 4a Abs 2 S 2 TVG vom 03.07.2015

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 16.06.2016, Az. 1 BvR 2257/15 (REWIS RS 2016, 9802)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9802

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

Vf. 54-VI-15

Zitiert

1 BvR 2056/12

1 ABR 88/09

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