Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.12.2023, Az. 10 C 5/22

10. Senat | REWIS RS 2023, 10423

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Gegenstand

Mangels Klagebefugnis unzulässige Klage auf Aufhebung des sog. Kreuzerlasses (§ 28 AGO)


Leitsatz

Weder das Grundrecht auf Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) noch das Verbot der Diskriminierung wegen des Glaubens und der Weltanschauung (Art. 3 Abs. 3 GG) in Verbindung mit dem Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität des Staates gewährleisten einen Anspruch einer Weltanschauungsgemeinschaft auf Entfernung von Kreuzen, die im Eingangsbereich staatlicher Behörden als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung angebracht sind.

Tenor

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils zur Hälfte.

Tatbestand

1

Die Kläger sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasste Weltanschauungsgemeinschaften. Sie begehren unter anderem die Entfernung der in [X.]efolgung des sogenannten Kreuzerlasses der [X.] Staatsregierung angebrachten Kreuze im Eingangsbereich von Dienstgebäuden.

2

Im April 2018 beschloss die [X.] Staatsregierung unter Änderung von § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung ([X.]) für die [X.]ehörden des beklagten Freistaats, dass im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung [X.] ein Kreuz gut sichtbar anzubringen sei. Ferner empfiehlt § 36 [X.] Gemeinden, [X.], [X.]ezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, nach dieser Geschäftsordnung zu verfahren. Die Änderung wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht und trat zum 1. Juni 2018 in Kraft.

3

Hiergegen erhoben die Kläger sowie 25 Privatpersonen Klagen zum Verwaltungsgericht und begehrten die Verpflichtung des [X.]eklagten, § 28 [X.] aufzuheben, den sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, die in [X.]efolgung von § 36 [X.] angebrachten Kreuze zu entfernen, sowie hilfsweise, den [X.]eklagten zu verpflichten, die in seinen Dienststellen gemäß § 28 [X.] angebrachten Kreuze zu entfernen.

4

Den Klageantrag, § 28 [X.] aufzuheben, hat das Verwaltungsgericht abgetrennt und als Normenkontrollantrag an den Verwaltungsgerichtshof verwiesen (5 N 20.1331). Der Verwaltungsgerichtshof wies die Klagen der 25 Privatpersonen mangels einer Klagebefugnis als unzulässig ab und ließ die Revision nicht zu; die diesbezüglichen Nichtzulassungsbeschwerden sind vor dem [X.] ohne Erfolg geblieben ([X.]eschluss vom 9. Juni 2023 - [X.]VerwG 10 [X.] 13.22 -). Die Klagen auf Aufhebung des § 28 [X.] hat der Verwaltungsgerichtshof als zulässig, aber unbegründet abgewiesen und die Revision zugelassen. Auf das Urteil des Senats in dem erfolglosen Revisionsverfahren [X.]VerwG 10 C 3.22 wird [X.]ezug genommen.

5

Die Klagen auf Entfernung der Kreuze sind vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg geblieben. Die [X.]erufungen hat der Verwaltungsgerichtshof unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Die Klagen seien zulässig. Eine Verletzung des Grundrechts der Religions- und Weltanschauungsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 [X.] sowie des Rechts der Kläger auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 [X.] erscheine möglich. Die Klagen seien aber unbegründet. Die durch § 28 [X.] veranlasste Aufhängung von [X.] begründe einen Verstoß gegen die [X.] Verpflichtung des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Das [X.] Kreuz könne zwar auch als rein säkulares Symbol aufgefasst werden. Maßgeblich sei jedoch, dass das Kreuz ebenso ausschließlich als religiöses Symbol gedeutet werden könne. Ein Eingriff in die Grundrechte der Kläger aus Art. 4 und Art. 3 [X.] liege aber nicht vor. Der Antrag auf Empfehlung gegenüber sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die angebrachten Kreuze zu entfernen, sei unzulässig. Diese entschieden autonom, ob sie der staatlichen Empfehlung Folge leisteten. Außerdem komme einer solchen Empfehlung keine rechtlich verpflichtende Wirkung zu.

6

Mit ihren vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revisionen verfolgen die Kläger ihr [X.]egehren weiter: Das Gebot staatlicher Neutralität werde verfehlt, wenn im Eingangsbereich von [X.]ehörden das zentrale Symbol der [X.]n Glaubensgemeinschaften gut sichtbar prange und dem Eintretenden dadurch Parteilichkeit vermittelt werde. Es sei [X.], dass die Anbringung des Kreuzes Werbeeffekte für [X.] Glaubensgemeinschaften entfalte. Die im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen angebrachten Kreuze hätten eine den [X.]n Glauben fördernde und damit die Weltanschauungsfreiheit der Kläger beeinträchtigende Wirkung. Die Wahrnehmung des Kreuzes im Eingangsbereich sei nicht lediglich flüchtig. Der Eingangsbereich sei häufig ein Wartebereich. Manchmal genügten überdies Augenblicke, um wirksam beeindruckt zu sein.

7

Die Abweisung der Klagen auf Abgabe einer Empfehlung an die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, angebrachte Kreuze wieder zu entfernen, verstoße gegen Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 1 und 3 [X.]. Es sei davon auszugehen, dass die juristischen Personen der Empfehlung gemäß § 36 [X.] gefolgt seien.

8

Die Kläger beantragen,

das Urteil des [X.] Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Juni 2022 und das Urteil des [X.] vom 17. September 2020 zu ändern und den [X.]eklagten zu verurteilen,

1. die in seinen Dienststellen in [X.]efolgung von § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die [X.]ehörden des Freistaates [X.]ayern ([X.]) im Eingangsbereich der Dienstgebäude angebrachten Kreuze zu entfernen,

2. den Gemeinden, [X.], [X.]ezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, die in [X.]efolgung von § 36 [X.] angebrachten Kreuze zu entfernen.

9

Der [X.]eklagte beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs liege in der Anbringung von [X.] im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen keine Verletzung des dem Staat obliegenden Gebots weltanschaulich-religiöser Neutralität. Jedenfalls seien die Kläger keinem Grundrechtseingriff ausgesetzt.

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind zulässig, aber nicht begründet. Im Einklang mit Bundesrecht hat der Verwaltungsgerichtshof die Klagen auf Entfernung der Kreuze für zulässig und im Ergebnis zu Recht für unbegründet erachtet (1.). Die Klagen auf Verpflichtung zur Abgabe einer Empfehlung, angebrachte Kreuze zu entfernen, sind unzulässig (2.).

1.a) Die Leistungsklagen sind zulässig. Die Kläger sind klagebefugt (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO analog).

Auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 [X.]) sowie auf das grundrechtliche Diskriminierungsverbot wegen des Glaubens (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 [X.]) können sich nach Art. 19 Abs. 3 [X.] auch inländische juristische Personen und Religionsgemeinschaften, die Personen des öffentlichen Rechts sind, berufen ([X.], Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - [X.]E 125, 39 <73 f.>). Hiervon ausgehend ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass aufgrund der Anbringung der Kreuze zulasten der Weltanschauung der Kläger eine Bevorzugung und staatliche Identifikation mit dem [X.] Glauben verbunden ist. Dies vermag die Klagebefugnis der Kläger zu begründen.

b) Im Ergebnis zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof die Verurteilung zur Entfernung der Kreuze abgelehnt. Die Voraussetzungen eines öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs, der einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, sind nicht gegeben. Nach diesem in den Grundrechten und dem rechtsstaatlichen Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wurzelnden Anspruch kann jemand, der durch öffentlich-rechtliches Handeln der vollziehenden Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, verlangen, dass die Verwaltung andauernde unmittelbare Folgen ihres rechtswidrigen Vorgehens rückgängig macht (BVerwG, Urteile vom 19. Juli 1984 - 3 C 81.82 - BVerwGE 69, 366 <371 ff.> und vom 29. Juni 2022 - 6 C 11.20 - BVerwGE 176, 19 Rn. 16).

aa) [X.] verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten aus Art. 4 Abs. 1 und 2 [X.]. Ihre Anbringung berührt schon nicht den Schutzbereich dieses Grundrechts der Kläger.

Wie bereits ausgeführt, können sich die Kläger als Weltanschauungsgemeinschaften auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 19 Abs. 3 [X.] berufen (vgl. [X.], Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - [X.]E 125, 39 <73 f.>). Obwohl Vereinigungen nicht in derselben Weise wie der einzelne Mensch religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen, also ein forum internum, haben können (vgl. [X.], in: [X.], [X.], 9. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 11), ist doch in Religion und Weltanschauung eine überindividuelle Dimension der [X.], Bekennen und Handeln angelegt. Auf Vereinigungen, deren Zweck auf diese überindividuelle Dimension der Religion oder Weltanschauung gerichtet ist, kann die Religions- und Weltanschauungsfreiheit im [X.] daher ihrem Wesen nach im Sinne des Art. 19 Abs. 3 [X.] angewendet werden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 4. Oktober 1965 - 1 BvR 498/62 - [X.]E 19, 129 <132>, vom 13. Oktober 1998 - 2 BvR 1275/96 - [X.]E 99, 100 <118> und vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - [X.]E 105, 279 <293>).

Es liegt aber kein Eingriff in die Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Kläger vor. Die Anbringung der Kreuze verkürzt keine in Art. 4 Abs. 1 und 2 [X.] enthaltene Freiheitsgewährleistung zulasten der Kläger. Ihnen bleibt es auch bei der Ausstattung des Eingangsbereiches staatlicher Behörden mit einem Kreuz unbenommen, sich als weltanschaulicher Zusammenschluss zu betätigen, ihre Weltanschauung zu verbreiten, sie zu pflegen und zu fördern und für sie zu werben (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - [X.]E 105, 279 <293 f.>.

Die Kläger genießen als kollektive Grundrechtsträger zudem keinen aus der negativen Religions- und Weltanschauungsfreiheit folgenden Schutz vor unausweichlicher Konfrontation gegenüber angebrachten Kreuzen, da sie als Vereinigung nicht in eine vom Staat geschaffene Lage geraten können, in der der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Symbols ausgesetzt ist (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471, 1181/10 - [X.]E 138, 296 Rn. 104). Grundrechte ihrer Mitglieder können sie - wie sie selbst klargestellt haben - nicht geltend machen.

bb) Auch das grundrechtliche Diskriminierungsverbot wegen des Glaubens gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 [X.] in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates wird durch die Anbringung der Kreuze nicht verletzt.

(1) Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 [X.] darf niemand wegen seines Glaubens und seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Art. 3 Abs. 3 [X.] ist ein individuelles Grundrecht mit spezifisch [X.] Bezug. Geschützt sind Einzelne davor, Nachteile als Angehörige einer Gruppe zu erfahren, der sie aufgrund eines tatsächlich oder vermeintlich vorliegenden Merkmals zugeordnet werden. Verboten ist jede Bevorzugung und Benachteiligung infolge einer rechtlichen Unterscheidung. Die Vorschrift ist spezieller als der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 [X.]. Sie verbürgt subjektive Abwehrrechte ([X.], in: [X.]/[X.]/[X.], Grundgesetz, Stand Mai 2023, Art. 3 Abs. 3 Rn. 14; [X.], in: [X.], [X.], 9. Aufl. 2021, Art. 3 Rn. 233). Nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 [X.] ist das Grundrecht auf juristische Personen und sonstige Personenvereinigungen anwendbar, wenn deren Zusammenschluss und Betätigung gerade auf den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 [X.] beruht. Dies ist für Vereinigungen anerkannt, die einen Glauben oder eine politische Überzeugung vertreten ([X.]/[X.], in: v. Mangoldt/[X.]/[X.], [X.], 7. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 411 ff.). Der [X.] aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 [X.] hat damit einen personalen Bezug zu Einzelnen oder Vereinigungen, welche es vor Benachteiligungen infolge ihrer religiösen Anschauungen schützt und deren Bevorzugung wegen jenen Überzeugungen es verbietet. Entscheidend ist demnach die Wirkung einer Maßnahme auf die geschützten einzelnen Personen oder kollektiven Vereinigungen. Daran fehlt es hier.

Das Kreuz kann nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs als zentrales Symbol des [X.] Glaubens aufgefasst werden. Er hat das Kreuz unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.] dahingehend gewürdigt, dass es Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht nur Ausdruck der vom [X.] mitgeprägten abendländischen Kultur ist ([X.], Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - [X.]E 93, 1 <19>; diff. [X.], Entscheidung vom 1. August 1997 - 6-VII-96 u. a. - NJW 1997, 3157 f.). Auch der [X.] sieht in einem Kruzifix ein religiöses, wenn auch "ein wesentlich passives Symbol" ([X.] <Große Kammer>, Urteil vom 18. März 2011 - 30814/06 - NVwZ 2011, 737 Rn. 66 und 72). An die dieser Würdigung zugrundeliegenden tatrichterlichen Feststellungen ist der Senat mangels Verfahrensrügen gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).

Nach den weiteren Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist die Wahrnehmung der Kreuze im Eingangsbereich zudem flüchtig. Daraus hat der Verwaltungsgerichtshof geschlossen, dass den dort angebrachten Kreuzen keine den [X.] Glauben fördernde und die Weltanschauungsfreiheit möglicherweise beeinträchtigende Wirkung zukommt. Ein Werbeeffekt für die [X.] Kirchen sei nicht gegeben. Das [X.] sei ein im Wesentlichen passives Symbol ohne missionierende oder indoktrinierende Wirkung. Einen möglichen Einfluss auf Besucher der Dienststellen hätten die Kläger nicht nachvollziehbar aufgezeigt. An diese nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist das [X.] gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.

(2) Schließlich ergibt sich nichts anderes, wenn man das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 [X.] im Lichte des Grundsatzes weltanschaulich-religiöser Neutralität auslegt. Einen Verstoß gegen diesen Grundsatz hat der Verwaltungsgerichtshof bundesrechtswidrig bejaht.

(a) Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 [X.] sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 [X.] die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung [X.] Rechtsformen und untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. [X.], Beschlüsse vom 11. April 1972 - 2 BvR 75/71 - [X.]E 33, 23 <28> und vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - [X.]E 93, 1 <17>). Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 28. April 1965 - 1 BvR 346/61 - [X.]E 19, 1 <8> und vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - [X.]E 93, 1 <17>) und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren (vgl. [X.], Urteil vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 - [X.]E 108, 282 <300> und Beschluss vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471, 1181/10 - [X.]E 138, 296 Rn. 109). Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471, 1181/10 - [X.]E 138, 296 Rn. 109 und vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 1333/17 - [X.]E 153, 1 Rn. 87).

Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Art. 4 Abs. 1 und 2 [X.] gebietet auch im positiven Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - [X.]E 93, 1 <16>). Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden. Auch verwehrt es der Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 1333/17 - [X.]E 153, 1 Rn. 86 ff.).

Dies schließt jedoch die Verwendung religiöser Symbole und eine Teilnahme des Staates und seiner Vertreter an religiösen Gebräuchen nicht schlechthin aus. Schon dem Wortlaut des Grundgesetzes lässt sich in vielfältiger Weise entnehmen, dass die [X.] nicht als ein laizistischer Staat verfasst ist. Hinzuweisen ist etwa auf die Benennung Gottes in der Präambel des Grundgesetzes und darauf, dass nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 [X.] der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen, mit Ausnahme der bekenntnisfreien, ordentliches Lehrfach ist (BVerwG, Urteil vom 21. April 1999 - 6 C 18.98 - BVerwGE 109, 40 <45 f.>). Das Neutralitätsprinzip verlangt daher vom Staat keinen vollständigen Verzicht auf religiöse Bezüge im Sinne einer strengen Laizität, sondern verpflichtet ihn zur Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen. Der Verzicht des Grundgesetzes auf einen strikten Laizismus und somit die grundsätzliche Zulässigkeit religiöser Bezüge im Agieren des Staates bedingen, dass die Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes erst bei einer (gewissen) Intensität in Betracht kommt (vgl. [X.], [X.], 1182 <1184> sowie [X.] <Große Kammer>, Urteil vom 18. März 2011 - 30814/06 - NVwZ 2011, 737 Rn. 72, der wegen des passiven Charakters des Kruzifixes an der Wand eines Klassenzimmers eine Verletzung des Neutralitätsgebots verneint.)

(b) Danach kann sich aus dem Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität in seiner subjektiv-rechtliche Grundrechtsgewährleistungen ergänzenden und verstärkenden Funktion nichts Weiteres zugunsten der Kläger ergeben. Nach dem Kontext und Zweck der Verwendung des [X.] identifiziert sich der [X.] durch die Aufhängung von Kreuzen nicht mit [X.] Glaubenssätzen. Schon nach dem Wortlaut der im Gesetz- und [X.] veröffentlichten Regelung des § 28 [X.] soll das Kreuz im Zusammenhang mit seiner Anbringung im Eingangsbereich staatlicher Stellen vielmehr Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung [X.] sein. Es dient somit in einem spezifischen Kontext der Darstellung des staatlichen Eigenverständnisses [X.], wie es durch die subjektive Zwecksetzung in § 28 [X.] seinen Ausdruck gefunden hat. Aufgrund der Veröffentlichung des § 28 [X.] im Gesetz- und [X.] (GVBl 2018 S. 281) ist dieser über den Symbolgehalt des Kreuzes für den [X.] Glauben hinausgehende besondere Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung [X.] auch objektiv hinreichend erkennbar. Eine Werbung für die [X.] Kirchen ist, wie tatrichterlich festgestellt (s. o.), damit nicht verbunden. Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs bieten zudem keinerlei Grundlage für die Annahme, dass die Anbringung des Kreuzes der verfassungsrechtlich unabdingbaren Offenheit des Staates gegenüber anderen Bekenntnissen und Weltanschauungen im Wege stünde.

2. Das Begehren auf Abgabe einer Empfehlung an die sonstigen Personen des öffentlichen Rechts, die in Befolgung von § 36 [X.] angebrachten Kreuze zu entfernen, ist mangels Klagebefugnis bereits unzulässig. Ein Anspruch auf Abgabe einer verwaltungsinternen Empfehlung ohne rechtliche Außenwirkung besteht nicht. Die Verurteilung zur begehrten Empfehlung, im Eingangsbereich von Dienststellen angebrachte Kreuze zu entfernen, wäre ebenso wie § 28 [X.] i. V. m. § 36 [X.] eine Verwaltungsvorschrift (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2023 - 10 B 13.22 - juris Rn. 14), der keine rechtliche Wirkung nach außen zukommt. Gegen eine solche Verwaltungsvorschrift besteht grundsätzlich kein Rechtsschutz.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

10 C 5/22

19.12.2023

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 1. Juni 2022, Az: 5 B 22.674, Urteil

Art 4 Abs 1 GG, Art 4 Abs 2 GG, Art 3 Abs 3 GG, Art 19 Abs 3 GG, Art 33 Abs 3 GG, Art 140 GG, Art 136 Abs 1 WRV, Art 136 Abs 4 WRV, Art 137 Abs 1 WRV, § 28 AGOBeh BY, § 36 AGOBeh BY, § 42 Abs 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.12.2023, Az. 10 C 5/22 (REWIS RS 2023, 10423)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10423

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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