Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.12.2023, Az. 10 C 3/22

10. Senat | REWIS RS 2023, 10443

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Gegenstand

Mangels Klagebefugnis unzulässige Klage auf Aufhebung des sog. Kreuzerlasses (§ 28 AGO)


Tenor

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils zur Hälfte.

Tatbestand

1

Die Kläger sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasste Weltanschauungsgemeinschaften und wenden sich gegen den sogenannten Kreuzerlass der [X.] Staatsregierung.

2

Im April 2018 beschloss die [X.] Staatsregierung unter Änderung von § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung ([X.]) für die Behörden des beklagten Freistaats, dass im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung [X.] ein Kreuz gut sichtbar anzubringen sei. Ferner empfiehlt § 36 [X.] Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, nach dieser Geschäftsordnung zu verfahren. Die Änderung wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht und trat zum 1. Juni 2018 in Kraft.

3

Hiergegen erhoben die Kläger sowie 25 Privatpersonen Klage zum Verwaltungsgericht und begehrten die Verpflichtung des Beklagten, § 28 [X.] aufzuheben, den sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, die in Befolgung von § 36 [X.] angebrachten Kreuze zu entfernen, sowie hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die in seinen Dienststellen gemäß § 28 [X.] angebrachten Kreuze zu entfernen.

4

Den Klageantrag, § 28 [X.] aufzuheben, hat das Verwaltungsgericht abgetrennt und als Normenkontrollantrag an den Verwaltungsgerichtshof verwiesen (5 N 20.1331). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klagen der 25 Privatpersonen mangels einer Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen und die Revision nicht zugelassen; die diesbezüglichen Nichtzulassungsbeschwerden sind vor dem [X.] ohne Erfolg geblieben (Beschluss vom 9. Juni 2023 - BVerwG 10 B 13.22 -).

5

Die Klagen auf Aufhebung des § 28 [X.] hat der Verwaltungsgerichtshof als zulässig, aber unbegründet abgewiesen und die Revision zugelassen. Die Kläger seien als Weltanschauungsgemeinschaften klagebefugt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Beklagte seine Neutralitätspflicht und die Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit der Kläger durch den Erlass des § 28 [X.] sowie dessen öffentliche Bekanntmachung im Gesetz- und Verordnungsblatt und die durch ihn veranlasste Aufhängung der Kreuze in staatlichen [X.] verletzt habe. Die Eingriffsqualität hänge - anders als bei natürlichen Personen - nicht davon ab, ob im Einzelfall eine unausweichliche Konfrontation mit einem [X.] gegeben sei. Die Klagen seien jedoch unbegründet. Die Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität sei ein objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip und begründe als solches kein einklagbares subjektives Recht der Kläger als Weltanschauungsgemeinschaften.

6

Mit ihren Revisionen verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter: Sie seien in ihrer Glaubensbetätigungsfreiheit beeinträchtigt. Zudem seien sie in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung verletzt. Durch das in den Kreuzen zum Ausdruck kommende staatliche Bekenntnis zum [X.]tum würden Atheisten, Agnostiker und Andersgläubige gegenüber [X.] und die Kläger gegenüber den [X.] Kirchen herabgesetzt. Auch der Kontakt mit dem Kreuz im Eingangsbereich einer Behörde sei wirkmächtig.

7

Die Kläger beantragen,

das Urteil des [X.] Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Juni 2022 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des [X.] ([X.]) aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

9

Die Klagen seien bereits mangels Außenwirkung des § 28 [X.] unzulässig. Auch bei Annahme zulässiger Klagen ergebe sich aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs keine Verletzung des Gebots weltanschaulich-religiöser Neutralität.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Revisionen der Kläger sind nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs beruht im Ergebnis nicht auf einer Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Allerdings sind die Leistungsklagen mangels Klagebefugnis bereits unzulässig.

Die Zulässigkeit der Klagen ist auch im Revisionsverfahren von Amts wegen und damit abweichend von dem Rügevorbehalt des § 137 Abs. 3 Satz 1 VwGO zu prüfen ([X.], Urteil vom 28. Februar 1985 - 2 C 14.84 - [X.]E 71, 73; [X.], in: [X.], VwGO, 16. Aufl. 2022, § 143 Rn. 4).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs lässt sich aus dem Erlass des § 28 [X.] und dessen Bekanntgabe im Gesetz- und Verordnungsblatt nichts für eine Klagebefugnis der Kläger (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO analog) ableiten. § 28 [X.] ist eine bloße Verwaltungsvorschrift ohne rechtliche Außenwirkung und verletzt schon deshalb keine Rechte der Kläger. Eine rechtliche Betroffenheit außerhalb der Verwaltung stehender Rechtssubjekte scheidet aus. Die Auffassung der Kläger, auch Verwaltungsvorschriften könnten Außenwirkung mit [X.] Bedeutung entfalten, ist zwar insoweit zutreffend (zu einem Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG durch Richtlinien zur Förderung von einzelbetrieblichen Investitionen in der Landwirtschaft vgl. [X.], Urteil vom 6. November 1986 - 3 C 72.84 - [X.]E 75, 109 <115>), als zur Auslösung einer grundrechtlichen Wirkung je nach Art und Ausmaß auch tatsächliche Auswirkungen staatlicher Maßnahmen genügen können, wenn schon dadurch der Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts berührt wird (so [X.], Urteil vom 18. April 1985 - 3 C 34.84 - [X.]E 71, 183 <191>, Beschluss vom 9. Juni 2023 - 10 B 13.22 - juris Rn. 10). Hierfür ist indes nichts ersichtlich. Entsprechendes tragen die Kläger auch nicht schlüssig vor. Soweit sie sich auf das Urteil des [X.] vom 9. Juni 2020 - 2 [X.] - ([X.] 154, 320) berufen, wo die Verletzung einer Partei in ihrem Recht auf chancengleiche Teilnahme am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG durch die Veröffentlichung eines Interviews auf der Homepage eines Ministers in Rede stand, war dort eine rechtlich relevante Außenwirkung mit der staatlichen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit bereits entstanden.

Vorliegend kann sich eine rechtlich beachtliche Wirkung für die Kläger erst mit der Anbringung eines Kreuzes im Eingangsbereich einer staatlichen Behörde entfalten. Dies gilt entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs auch für die von den Klägern geltend gemachte diskriminierende Benachteiligung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG durch Erlass und Bekanntmachung des § 28 [X.]. Diese Publizität begründet noch keine beachtliche Außenwirkung mit der Möglichkeit eines Eingriffs in ein subjektives Recht. Erst die Anbringung der Kreuze, also die Umsetzung der Verwaltungsvorschrift, kann zu solch einer Außenwirkung und damit zu einer rechtlichen Betroffenheit Dritter führen.

Auch dem Hinweis der Kläger auf die unter bestimmten Voraussetzungen anzunehmende Zulässigkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage (vgl. [X.], Urteil vom 18. April 1985 - 3 C 34.84 - [X.]E 71, 183; zu einer Veröffentlichung von [X.]) lässt sich nichts zugunsten ihrer Klagebefugnis entnehmen. Das [X.] sah im dortigen Verfahren die vorbeugende Unterlassungsklage aufgrund eines besonderen Rechtsschutzinteresses als zulässig an und bejahte einen Unterlassungsanspruch. Aus Gründen effektiven Rechtsschutzes musste der damalige Kläger nicht die Publikation der [X.] abwarten. Vorliegend besteht für die Kläger indes wirksamer Rechtsschutz gegen die gemäß dem [X.] angebrachten Kreuze. Insoweit wird auf das gleichzeitig mit dem vorliegenden Verfahren entschiedene Verfahren [X.] 10 C 5.22 Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

10 C 3/22

19.12.2023

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 1. Juni 2022, Az: 5 N 20.1331, Urteil

§ 28 AGOBeh BY, § 36 AGOBeh BY, § 42 Abs 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.12.2023, Az. 10 C 3/22 (REWIS RS 2023, 10443)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10443

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvE 1/19

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