Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.04.2013, Az. B 9 V 36/12 B

9. Senat | REWIS RS 2013, 6528

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verwertung eines im Verwaltungsverfahren eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens - Urkundsbeweis - Pflichten des Sachverständigen - persönliche Untersuchung - Zentralaufgabe - Rügeverlust - Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs


Leitsatz

Ein Gericht, das ein im Verwaltungsverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten im Wege des Urkundsbeweises verwerten will, muss sicherstellen, dass der das Gutachten verantwortlich Unterzeichnende die Vorschriften für gerichtlich bestellte Sachverständige beachtet hat.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 24. Mai 2012 insoweit aufgehoben, als es die Ansprüche der Klägerin auf Feststellung weiterer Schädigungsfolgen sowie auf Gewährung einer höheren Grundrente, eines höheren Berufsschadensausgleichs und einer höheren Ausgleichsrente betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 24.5.2012 hat das [X.] ([X.]) einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen als Folgen rechtsstaatswidriger Maßnahmen der [X.], auf Gewährung zeitlich früherer, höherer und zusätzlicher Versorgungsleistungen sowie auf Herausgabe von [X.] verneint. Die Geltendmachung weiterer Ansprüche hat es als unzulässig angesehen. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim [X.] ([X.]) Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln sowie einer Divergenz (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 [X.] und 3 [X.]) begründet.

2

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist teilweise zulässig und begründet. Im Übrigen ist sie unzulässig.

3

Die Klägerin hat ausweislich ihres in mehrere Punkte gegliederten Berufungsantrages eine Anzahl materieller Ansprüche verfolgt, die auch prozessual voneinander getrennt behandelt und etwa gemäß § 202 [X.] iVm § 301 ZPO nach jeweiliger Entscheidungsreife durch [X.] hätten erledigt werden können ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 125 Rd[X.]a). Das Vorliegen von [X.] ist grundsätzlich für jeden abtrennbaren, tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil des [X.] gesondert zu prüfen (vgl dazu [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 160 Rd[X.]8a mwN).

4

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]), so müssen zur Bezeichnung des [X.] die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl [X.] § 160a [X.], 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [X.] - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl [X.] § 160a [X.], 36). Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 [X.] kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 S 1 [X.] (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.] (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

5

Diese Darlegung ist der Klägerin hinsichtlich der als Verfahrensmangel gerügten Verwertung des Gutachtens des Prof. Dr. F durch das [X.] gelungen. Die Rüge ist auch erfolgreich. Durch die Heranziehung und Verwertung des bereits im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens des Prof. Dr. F vom 24.7.2001 hat das [X.] § 118 Abs 1 [X.] iVm § 407a Abs 2 ZPO verletzt. Diese Vorschriften betreffen unmittelbar zwar nur die Einholung von Sachverständigengutachten durch das Gericht selbst. Aber auch für die Einholung eines Gutachtens durch die Verwaltung gelten gemäß § 21 [X.] ähnliche Grundsätze (s auch § 26 VwVfG). Danach besteht für Sachverständige die Pflicht zur Erstattung von Gutachten, wenn sie durch Rechtsvorschriften vorgesehen ist (§ 21 Abs 3 [X.]). Zudem muss der Sachverständige unparteiisch sein. Er darf von der Teilnahme am Verwaltungsverfahren weder kraft Gesetzes noch wegen Besorgnis der Befangenheit ausgeschlossen sein (§§ 16, 17 [X.]; s auch §§ 20, 21 VwVfG, dazu [X.] in [X.]/[X.], VwVfG, 13. Aufl 2012, § 26 Rd[X.]1). Auch die inhaltlichen Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Sachverständigengutachten, wie sie § 407a Abs 2 ZPO normiert, muss ein im Verwaltungsverfahren eingeholtes Gutachten grundsätzlich erfüllen (vgl [X.], aaO, Rd[X.]0).

6

Jedenfalls hat ein Gericht, welches unter Verzicht auf Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zulässigerweise ein bereits im Verwaltungsverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten (§ 21 Abs 1 S 2 [X.], Abs 3 [X.]) im Wege des [X.] (s [X.], aaO, § 128 Rd[X.] 7 f mwN; [X.] vom 8.12.1988 - 2/9b [X.] - Juris) verwerten will, sicherzustellen, dass der das Gutachten verantwortlich Unterzeichnende die Vorschriften des § 407a Abs 2 ZPO beachtet hat. Dies folgt zwingend daraus, dass im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten in der Regel kein geringerer Beweiswert beizumessen ist als gerichtlich eingeholten Gutachten (s [X.], aaO, mwN).

7

Gemäß § 407a Abs 2 S 1 ZPO ist der Sachverständige nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt (§ 407a Abs 2 S 2 ZPO). Nach der zu § 407a Abs 2 ZPO ergangenen Rechtsprechung des [X.] muss der Sachverständige die zentralen Aufgaben der Begutachtung selbst erbringen ([X.], aaO, § 118 Rd[X.] 11h mwN). Inwieweit die Durchführung der persönlichen Untersuchung des Probanden zum sog unverzichtbaren [X.] der vom Sachverständigen selbst zu erfüllenden Zentralaufgaben zählt, hängt von der Art der Untersuchung ab. Je stärker die Untersuchung auf objektivierbare und [X.] organmedizinische Befunde bezogen ist, umso eher ist die Einbeziehung von Mitarbeitern möglich ([X.], aaO). Bei psychologischen und psychiatrischen Gutachten muss der Sachverständige die persönliche Begegnung mit dem Probanden und das explorierende [X.] im wesentlichen Umfang selbst durchführen ([X.] Beschluss vom 18.9.2003 - [X.] [X.]/03 B - [X.] 4-1750 § 407a [X.] 1; [X.] Beschluss vom [X.] - B 13 R 535/08 B - Juris; [X.], aaO).

8

Die Klägerin hat mit der Nichtzulassungsbeschwerde - zutreffend - darauf hingewiesen, auf ein Verbot der Verwertung des Gutachtens des Prof. Dr. F schon in ihrer Berufungsbegründungsschrift vom [X.] gegenüber dem [X.] hingewiesen zu haben. Darin hat die Klägerin behauptet, Prof. Dr. F lediglich auf dem Flur des Instituts gesehen zu haben, als er [X.] zugerufen habe, dass er nun zum Zahnarzt ginge. Die gutachterlichen Untersuchungen seien von [X.] durchgeführt worden. Diesem erheblichen Einwand gegen die Verwertbarkeit des Gutachtens des Prof. Dr. F wegen einer Verletzung des § 407a Abs 2 ZPO ist das [X.] nicht nachgegangen. Allein der vom [X.] in diesem Zusammenhang genannte Umstand, dass Prof. Dr. F das Gutachten mit der Formulierung "einverstanden aufgrund eigener Untersuchung und Urteilsbildung" unterzeichnet hat ([X.]) belegt angesichts der detaillierten und abweichenden Darstellung der Klägerin nicht, dass der Sachverständige die Klägerin tatsächlich persönlich untersucht hat. Zweifel sind hier auch deshalb geboten, weil nicht festgestellt ist, dass der im Verwaltungsverfahren beauftragte Sachverständige Prof. Dr. F wie bei einer Beauftragung durch ein Gericht eindringlich auf seine Pflichten nach § 407a Abs 2 ZPO hingewiesen worden ist.

9

Die Klägerin hat das Recht zur Rüge dieses Mangels des Gutachtens des Prof. Dr. F auch nicht im laufenden Gerichtsverfahren nach Maßgabe des § 295 ZPO verloren. Nach dieser gemäß § 202 [X.] entsprechend anwendbaren Vorschrift ([X.] § 160a [X.] 61 mwN) kann die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die [X.] auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung (…) den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. Zwar hat die Klägerin die Verwertung dieses im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens vor der Entscheidung des [X.] nicht gerügt. Es bestand dafür indes keine Veranlassung, denn der angefochtene Verwaltungsakt ist nicht auf dieses Gutachten, sondern auf das am 17.9.2002 von [X.] erstattete Gutachten gestützt worden. Darüber hinaus hat das [X.] erst in seinem Urteil vom 13.6.2007 auf das Gutachten von Prof. Dr. F Bezug genommen. Nachdem das [X.] dieses Gutachten in seinem Urteil verwertet hatte, ist das erstmalige Eingehen der Klägerin darauf im Rahmen ihrer Berufungsbegründung ausreichend. Die Klägerin hat auch dadurch das [X.] nicht verloren, dass sie der Verwertung des Gutachtens des Prof. Dr. F in der mündlichen Verhandlung des [X.] nicht erneut ausdrücklich widersprochen hat. § 295 ZPO ist auf den sog [X.] zugeschnitten und verlangt dem Anwalt ab, eine bereits schriftsätzlich angebrachte Verfahrensrüge in der nächsten mündlichen Verhandlung des Gerichts zu wiederholen. Hiervon ist bei einem nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten eine Ausnahme zu machen, weil das Gericht grundsätzlich auf eine angemessene und sachdienliche Antragstellung hinzuwirken hat (§ 112 Abs 2 S 2 [X.]) und nicht rechtskundige Beteiligte durch eine Regelung wie § 295 ZPO, die zu einem Verlust des [X.]s führt, überrascht sein können ([X.] [X.] 4-1750 § 407a [X.] 1 = [X.]b 2004, 363 mit zust [X.]; ebenso zum Zivilprozess [X.] in [X.], ZPO, 29. Aufl 2012, § 295 Rd[X.] 9 mwN).

Von diesem Verfahrensmangel betroffen sind allerdings nur die Ansprüche der Klägerin auf Feststellung weiterer Schädigungsfolgen sowie auf Gewährung einer höheren Grundrente, eines höheren [X.] und einer höheren Ausgleichsrente, denn nur hinsichtlich dieser Ansprüche ist das genannte Gutachten des Prof. Dr. F von Bedeutung (s Urteil des [X.] zu A., B., C. und D.). Hinsichtlich des Anspruchs auf Feststellung einer weiteren schädigungsbedingten Gesundheitsstörung (schwere posttraumatische Belastungsstörung - [X.] -) und der Höhe des [X.] hat sich das [X.] ausdrücklich auf das Gutachten des Prof. Dr. F gestützt und insbesondere die Feststellung der geltend gemachten schweren [X.] als Schädigungsfolge abgelehnt. Hinsichtlich des Anspruchs auf höhere Grundrente und Ausgleichsrente fehlt zwar eine ausdrückliche Bezugnahme des [X.] auf dieses Gutachten. Da die Höhe dieser Leistungen indes von der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) abhängt, die MdE selbst aber von dem Umfang der anerkannten Schädigungsfolgen bestimmt wird, liegt der rechtliche Zusammenhang mit dem Anspruch auf Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen auf der Hand.

Soweit das [X.] zugleich auch über den rechtmäßigen Beginn der Grundrente, des [X.] und der Ausgleichsrente entschieden hat, fehlt es an einem entsprechenden rechtlichen Zusammenhang mit der Verneinung des Anspruchs auf Feststellung weiterer Schädigungsfolgen, denn das [X.] hat die Ansprüche auf früheren Leistungsbeginn aus Rechtsgründen verneint.

Auch hinsichtlich der vom [X.] als unzulässig angesehenen Anträge der Klägerin (Anfechtung mehrerer Bescheide, die von dem [X.] vom 13.6.2007 erfasst werden; Ansprüche nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz; Ansprüche auf Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie auf Herausgabe eines von der [X.] an den Beklagten bezahlten Betrages) sowie hinsichtlich der Ansprüche der Klägerin auf andere Versorgungsleistungen (s Urteil des [X.] zu E. - Gewährung eines Ehegatten- und [X.] - und [X.] - Auszahlung der an andere Stellen erstatteten Beträge -) hat das [X.] das Gutachten des Prof. Dr. F nicht herangezogen. Es besteht auch kein ausreichender rechtlicher Zusammenhang mit den Ansprüchen, bei denen dies der Fall ist.

Soweit die Klägerin die Verwertung des Gutachtens des Prof. Dr. F unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten (Verletzung anderer Verfahrensvorschriften und Abweichung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]) angreift, kommt es nicht darauf an, ob ihr Vorbringen insoweit die Anforderung des § 160a Abs 2 [X.] [X.] erfüllt. Denn diesbezüglich greift bereits die Rüge der Verletzung von § 118 Abs 1 [X.], § 407a Abs 2 ZPO durch. Dies gilt entsprechend auch für andere [X.], die sich auf die Streitpunkte beziehen, die von dieser erfolgreichen Verfahrensrüge erfasst werden (Ansprüche der Klägerin auf Feststellung weiterer Schädigungsfolgen sowie auf Gewährung einer höheren Grundrente, eines höheren [X.] und einer höheren Ausgleichsrente). Dementsprechend erübrigt sich ein Eingehen auf die Rüge der Klägerin, das [X.] habe Teile ihres Klageantrages unberücksichtigt gelassen, soweit sich die betreffenden Anträge auf die Höhe des [X.] ("Bescheid vom [X.] "Ost") und auf die Feststellung von Schädigungsfolgen ("Bezeichnung der schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen") beziehen.

Soweit es die Klägerin als Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 [X.]) ansieht, dass sie der Berichterstatter in der mündliche Verhandlung als von den [X.] überzeugte Person, also als Täterin und nicht als Opfer, bezeichnet habe, hat sie angesichts des § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 [X.] keinen im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde rügefähigen Verfahrensmangel bezeichnet. Zunächst kommt es insoweit allein auf die Feststellungen des Gerichts im Urteil selbst, nicht aber auf Äußerungen einzelner Mitglieder des [X.] vor der Entscheidung an. Die Klägerin hat nicht deutlich gemacht, inwiefern das [X.] die von ihr kritisierte Annahme des Berichterstatters seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Darüber hinaus hat die Klägerin keinen Beweisantrag bezeichnet, den das [X.] diesbezüglich übergangen haben könnte. Im Übrigen handelt es sich im [X.] um die Behauptung einer unrichtigen Beweiswürdigung des [X.]. Eine solche Rüge kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil nach § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 [X.] der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 128 S 1 [X.] (freie richterliche Beweiswürdigung) gestützt werden kann.

Ansonsten hat die Klägerin ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht, die sich auf das gesamte Berufungsurteil beziehen. Insoweit entspricht die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 [X.] [X.]. Damit ist die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig, soweit sie die nicht von der erfolgreichen Verfahrensrüge (Unzulässigkeit der Verwertung des Gutachtens von Prof. Dr. F) erfassten Streitpunkte betrifft.

In Bezug auf das gesamte Urteil rügt die Klägerin insbesondere unter verschiedenen Gesichtspunkten Verletzungen ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dieses Verfahrensgrundrecht (Art 103 GG, § 62 [X.]) soll nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] und des [X.] ([X.]) verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht haben äußern können (vgl [X.] [X.] 3-1500 § 153 [X.] 1 mwN; [X.]E 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen mit einbezogen wird ([X.]E 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Der aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Anspruch auf ein faires Verfahren ist nur verletzt, wenn grundlegende Rechtsschutzstandards, wie das Gebot der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten, das Verbot von widersprüchlichem Verhalten oder von Überraschungsentscheidungen nicht gewahrt werden (vgl [X.]E 78, 123, 126; [X.] [X.] 3-1500 § 161 [X.] 5; [X.] [X.] 3-1750 § 565 [X.] 1; [X.] 3-1500 § 112 [X.]; [X.] Beschluss vom [X.] - B 11 [X.] 21/02 B -). In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass ein Verstoß gegen § 62 [X.] nicht geltend gemacht werden kann, wenn der Beteiligte von gegebenen prozessualen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, keinen Gebrauch gemacht hat. Dementsprechend hat er mit der Nichtzulassungsbeschwerde darzulegen, dass er seinerseits alles getan habe, um sich Gehör zu verschaffen (vgl [X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.]2).

Soweit die Klägerin zunächst vorbringt, dass die vom [X.] für die mündliche Verhandlung vorgesehene [X.] von fünfundvierzig Minuten zu kurz gewesen sei, um den höchst umfangreichen Prozessstoff erschöpfend zu erörtern und ihr vor der Verhandlung der angesetzte [X.]rahmen nicht mitgeteilt worden sei, hat sie eine Verletzung des § 62 [X.] nicht hinreichend dargestellt. Für eine mögliche Verletzung des rechtlichen Gehörs eines Beteiligten kommt es nicht auf die beabsichtigte Dauer einer mündlichen Verhandlung, sondern auf deren tatsächliche Dauer und insbesondere darauf an, ob der Beteiligte ausreichend zu Wort gekommen ist. Zur Darlegung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs hätte die Klägerin daher ausführen müssen, dass und welche entscheidungserheblichen Umstände in der mündlichen Verhandlung nicht oder nicht ausreichend erörtert worden sind und inwiefern sie durch die Verhandlungsführung des [X.] gehindert worden ist, alle ihr wichtig erscheinenden Gesichtspunkte vorzutragen. Dies hat sie unterlassen. Ihre pauschale Behauptung, sie habe keine Möglichkeit gehabt, Anträge (insbesondere auf Vertagung) zu stellen, reicht insoweit nicht aus.

Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang beanstandet, dass das [X.] ihr persönliches Erscheinen nicht angeordnet habe. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung steht gemäß § 111 Abs 1 [X.] im Ermessen des Vorsitzenden des zuständigen [X.]. [X.] Zweck der Regelung ist die Aufklärung des Sachverhalts besonders bei Beteiligten, die schriftlich nichts vorgetragen haben, oder, sofern sie vertreten sind, zur Aufklärung des Sachverhalts selbst angehört werden sollen ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 111 Rd[X.] mwN). Das persönliche Erscheinen kann auch aus anderen Zwecken angeordnet werden, dient jedoch nicht in erster Linie der Gewährung rechtlichen Gehörs. Hierfür ist es ausreichend, wenn der Beteiligte in prozessordnungsgerechter Form von der mündlichen Verhandlung benachrichtigt wird. Dass dies nicht geschehen sei, hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Die Klägerin hat im Übrigen an der mündlichen Verhandlung des [X.] teilgenommen, so dass die [X.] ihres persönlichen Erscheinens für sie allenfalls finanzielle Auswirkungen hat.

Soweit die Klägerin als weitere Verletzung ihres Anspruchs nach § 62 [X.] vorträgt, dass das [X.] entgegen ihrer Erwartung nach seiner Beratung nicht in Vergleichsverhandlungen eingetreten sei, sondern ein Urteil verkündet habe, hat sie ebenfalls einen derartigen Verfahrensmangel nicht schlüssig dargestellt. Dabei kommt es nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Klägerin, sondern darauf an, ob die Vorgehensweise des [X.] unter Berücksichtigung aller Umstände objektiv geeignet war, das rechtliche Gehör der Klägerin zu verletzen. Allein die von der Klägerin genannten Umstände, dass der Berichterstatter sie am 14.5.2012 angerufen und einen Vergleichsvorschlag unterbreitet habe, dass ein am Vortag des Termins mit dem Beklagten geführtes Telefonat diese Möglichkeit aufgezeigt habe und dass dem Beklagten aufgegeben gewesen sei, einen über die Sach- und Rechtslage unterrichteten Beschäftigten zu der Verhandlung zu entsenden, sind nicht geeignet, die beschriebene Erwartung der Klägerin zu begründen. Eine derartige Erwartung wäre nur dann nachvollziehbar, wenn etwa der [X.] des [X.] seine auf die mündliche Verhandlung folgende Beratung als sog [X.] bezeichnet hätte oder sogar ausdrücklich angekündigt hätte, mit den Beteiligten nach der Beratung eine weitere Erörterung, uU zum Abschluss eines Vergleichs führen zu wollen. Dass sich das [X.] bei Schließung seiner mündlichen Verhandlung so verhalten habe, hat die Klägerin nicht vorgetragen.

Soweit die Klägerin schließlich geltend macht, dass das [X.] "unklare Anträge der Klägerin formuliert" habe, hat sie weder eine Verletzung des § 106 [X.] noch eine solche des § 62 [X.] schlüssig dargetan.

Gemäß § 106 Abs 1 [X.] hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. § 106 [X.] verpflichtet demnach das Gericht, sachgerechte Anträge nach den erkennbaren [X.] des Beteiligten herbeizuführen. Ob diese Prozessziele erreichbar sind, ob also die entsprechenden Anträge auch zu dem vom Antragsteller gewünschten Ziel führen, ist indes nicht Gegenstand des § 106 Abs 1 [X.], sondern der Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit der Anträge. Da die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung selbst zahlreiche Anträge gestellt hatte, hätte sie, um eine Verletzung des § 106 Abs 1 [X.] darzustellen, folglich im Einzelnen darlegen müssen, dass die ihr vom [X.] vorgeschlagenen Anträge nicht den von ihr schriftlich ausgedrückten [X.] entsprochen hätten. Dem wird ihr Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

Die Klägerin hat zwar ([X.]6, 37 der Beschwerdebegründung) erklärt, das [X.] habe von ihr gestellte Anträge "einfach weggelassen". Eine schlüssige Begründung dieser Behauptung hätte jedoch angesichts der Anzahl und des Umfangs der gestellten Anträge einer genaueren Darstellung (zB einer vergleichenden Synopse der von der Klägerin schriftlich formulierten Anträge einerseits und der vom [X.] der Klägerin vorgeschlagenen Anträge andererseits) bedurft. Weiter hätte dargelegt werden müssen, inwiefern es auf weggelassene Teile von Anträgen, soweit sich diese nicht ohnehin auf die von der erfolgreichen Verfahrensrüge erfassten Streitpunkte beziehen, überhaupt ankommt. Zudem hat es die Klägerin unterlassen darzustellen, was sie unternommen hat, um sich insoweit rechtliches Gehör zu verschaffen. Sofern sie sich hinsichtlich der vom [X.] vorgeschlagenen Anträge unsicher gewesen wäre, ob diese Anträge ihre Prozessziele vollständig erfassten, hätte sie dies in der Berufungsverhandlung äußern und das [X.] um mehr [X.] zur Prüfung oder notfalls um Vertagung bitten müssen. Dass sie dies getan habe, hat sie indes nicht behauptet. Allein der Umstand, dass das [X.] ihr zahlreiche Anträge vorgeschlagen habe, die sie in der Kürze der [X.] nicht habe überprüfen können, belegt somit eine Verletzung von §§ 62, 106 Abs 1 [X.] nicht.

Gemäß § 160a Abs 5 [X.] kann das [X.] in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.] vorliegen. Der [X.] macht auch zur Beschleunigung des Verfahrens von dieser Möglichkeit hinsichtlich des angefochtenen Urteils in dem Umfang Gebrauch, in dem dieses von dem erfolgreich gerügten Verfahrensmangel betroffen ist. Im Übrigen ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 9 V 36/12 B

17.04.2013

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Reutlingen, 13. Juni 2007, Az: S 3 VU 3293/03, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 407a Abs 2 S 1 ZPO, § 407a Abs 2 S 2 ZPO, § 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10, § 21 Abs 3 SGB 10, § 202 SGG, § 295 ZPO, § 112 Abs 2 S 2 SGG, § 62 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.04.2013, Az. B 9 V 36/12 B (REWIS RS 2013, 6528)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6528

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