Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.02.2016, Az. B 9 V 69/15 B

9. Senat | REWIS RS 2016, 15541

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Berufsschadensausgleich - vermutlicher Schulabschluss - Darlegung der Klärungsbedürftigkeit - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Sachaufklärungspflicht - rechtliches Gehör - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 19. Oktober 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt höheren Berufsschadensausgleich.

2

Der [X.] hat bei der 1979 geborenen Klägerin als Folge von Angriffen iS von § 1 Opferentschädigungsgesetz ([X.]) eine Reihe von Gesundheitsstörungen anerkannt, [X.] eine chronische posttraumatische Belastungsreaktion, depressive Verstimmungen und eine Borderline-Persönlichkeit (Bescheid vom 15.5.2003). Den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) stellte der [X.] zuletzt mit 70 fest und erkannte eine besondere berufliche Betroffenheit an. Zugleich gewährte er der Klägerin neben einer Ausgleichsrente einen Berufsschadensausgleich. Diesem legte er das Durchschnittseinkommen der Besoldungsgruppe [X.], [X.] mit Stellenzulage zugrunde und orientierte sich damit am Abschluss einer Mittelschulausbildung (mittlere Reife) (Bescheid vom 8.3.2012).

3

Der Widerspruch der Klägerin ua gegen die Berechnungsgrundlage des Berufsschadensausgleichs ([X.]) in Gestalt ihrer Einstufung in die Besoldungsgruppe [X.] blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27.6.2012).

4

Das [X.] hat den [X.]n verurteilt, der Klägerin ab 1.6.2011 [X.] auf der Grundlage eines Durchschnittseinkommens unter Eingruppierung bei vermutlichem Erzielen der Reifeprüfung (Abitur) zu gewähren (Urteil vom 3.9.2014).

5

Die Klägerin hat Berufung, der [X.] Anschlussberufung eingelegt. Mit dem angefochtenen Urteil hat das L[X.] das Urteil des [X.] teilweise aufgehoben und die Klage umfassend abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von [X.] nach einer höheren Besoldungsgruppe als [X.]. Nach der zutreffenden Prognose des [X.] hätte die Klägerin ohne die anerkannten Schädigungsfolgen trotz ihres vergleichsweise hohen IQ von 122 vermutlich nicht den Abschluss einer höheren Schulausbildung (Reifeprüfung) erreicht. Denn sie habe keine überdurchschnittlichen Schulleistungen erbracht, obwohl die Schädigungsfolgen bei ihr zu keinerlei kognitiven Einschränkungen geführt hätten. Zudem hätten auch ihre Eltern keine vergleichbare Schulbildung besessen.

6

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im genannten Urteil macht die Klägerin geltend, das L[X.] habe seine Pflicht zur Amtsermittlung und rechtliches Gehör verletzt und die grundlegende Bedeutung der Rechtssache verkannt.

7

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen; weder die behaupteten Verfahrensfehler (1.) noch die vermeintliche grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (2.) sind ordnungsgemäß dargetan worden (vgl § 160a Abs 2 [X.] [X.]G).

8

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] 3 Halbs 1 [X.]G), so müssen bei der Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 [X.] [X.]G) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden.

9

a) Gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. [X.] die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 [X.]G), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das L[X.] nicht gefolgt ist.

Einen solchen konkreten Beweisantrag beim L[X.] hat die Beschwerde nicht bezeichnet; auch dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ist er nicht zu entnehmen. Ihr allgemeiner Hinweis auf "[X.]" in der mündlichen Verhandlung genügt dafür nicht. Der Antrag, im Revisionsverfahren eine Zeugenvernehmung nachzuholen, kann den erforderlichen Beweisantrag in der Berufungsinstanz nicht ersetzen und verkennt im Übrigen § 163 [X.]G. Danach ist der Senat an die tatsächlichen Feststellungen des L[X.] gebunden. Der Hinweis auf angeblich fehlende Ermittlungen des L[X.] kann der Beschwerde daher insgesamt nicht zum Erfolg verhelfen. Dasselbe gilt für den Vorwurf, der [X.] habe seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt. Ein Mangel des gerichtlichen Verfahrens ist damit von vornherein nicht dargetan.

b) Ebenso wenig dargetan hat die Klägerin den behaupteten Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs in Form einer Überraschungsentscheidung. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl [X.] Nichtannahmebeschluss vom 10.2.2001 - 2 BvR 1384/99 - Juris Rd[X.] 7 unter Hinweis auf [X.]E 66, 116, 147; 74, 1, 5; 86, 133, 145; B[X.] SozR 3-1500 § 112 [X.] 2 [X.] mwN). Selbst wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte und Tatsachenwertungen von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (vgl [X.] Kammerbeschluss vom 15.8.1996 - 2 BvR 2600/95 - Juris Rd[X.] 22 unter Hinweis auf [X.]E 31, 364, 370; 66, 116, 147; 74, 1, 5). Insbesondere ein Kollegialgericht ist nicht verpflichtet, seine (vorläufige) Rechtsauffassung aufzudecken (vgl [X.] aaO; vgl [X.] in [X.], [X.]G, Stand: April 2015, § 62 Rd[X.] 4b bb>) und erst recht nicht, bei einer Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits seine endgültige Beweiswürdigung darzulegen. Sonst drohte das Ergebnis der [X.]ensbildung, das in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, vorweggenommen und die Beratung ihrer prozessualen erkenntnisleitenden Funktion beraubt zu werden. Andererseits setzt eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährleistung rechtlichen Gehörs voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann (vgl [X.] Kammerbeschluss vom 15.8.1996 - 2 BvR 2600/95 - Juris Rd[X.] 22 unter Hinweis auf [X.]E 84, 188, 190). Um den Anspruch auf rechtliches Gehör und damit zugleich das Gebot fairen Verfahrens (vgl B[X.] Beschluss vom 7.8.2014 - B 13 R 441/13 B - Juris) zu wahren, darf das Gericht deshalb seine Entscheidung nicht auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl [X.]E 86, 133, 144 f; vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 62 Rd[X.] 8a, 8b mwN).

Zur Begründung eines entsprechenden [X.] ist nicht nur der Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (B[X.] SozR 1500 § 160a [X.] 36).

Diese Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Vielmehr räumt sie selber ein, dass L[X.] habe, wenn auch in allgemeiner Form, auf die Möglichkeit einer Verschlechterung durch die von dem [X.]n eingelegte Anschlussberufung hingewiesen und mitgeteilt, die vom [X.] für richtig gehaltene Eingruppierung der Klägerin in [X.] nicht zu teilen. Die Beschwerde legt nicht dar, warum angesichts dieses Hinweises ein gewissenhafter und kundiger [X.] in keinem Fall damit zu rechnen brauchte, dass sich das L[X.] der Rechtsauffassung des [X.]n in seinem dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Bescheid anschließen würde. Ohnehin führt die Klägerin auch nicht im Einzelnen aus, an welchem entscheidungserheblichen Vorbringen sie durch den vermeintlichen Gehörsverstoß des L[X.] gehindert worden sein sollte, sondern verweist lediglich allgemein auf [X.] im Rahmen der mündlichen Verhandlung.

2. Ebenso wenig dargetan ist eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl B[X.] SozR 3-1500 § 160a [X.] 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, [X.]G, 2. Aufl 2014, § 160a Rd[X.] 42 ff).

Eine solche konkrete Rechtsfrage hat die Beschwerde indes nicht formuliert und auch nicht dargelegt, warum noch grundsätzlicher Klärungsbedarf bestehen sollte. Die bloße Behauptung, die Rechtssache habe sowohl in Bezug auf die bei einer Entscheidung heranzuziehenden Aspekte, als auch auf die Voraussetzungen, welche an eine höhere Eingruppierung nach § 7 Beschäftigungsverordnung ([X.]) gestellt würden, grundsätzliche Bedeutung, hat die Beschwerde durch nichts belegt. Stattdessen macht sie umfangreiche Ausführungen zur angeblichen Missachtung der Regelung des § 7 [X.] durch das L[X.]. Indes ist die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des L[X.] im Einzelfall nicht zulässiger Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl B[X.] SozR 1500 § 160a [X.] 7). Soweit die Beschwerdeführerin ihre Kritik am L[X.]-Urteil insoweit damit begründet, das L[X.] habe die Regelung des § 7 [X.] verkannt, weil es ihre Fähigkeiten und Veranlagungen nicht berücksichtigt habe, wendet sie sich gegen die Beweiswürdigung des L[X.]. Diese entzieht indes § 160 Abs 2 [X.] [X.]G vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. [X.] der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden ([X.] in: [X.]/[X.], [X.]G, 2014, § 160 Rd[X.] 58 mwN).

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 [X.]G).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 [X.]G.

Meta

B 9 V 69/15 B

25.02.2016

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Reutlingen, 3. September 2014, Az: S 4 VG 1922/12, Urteil

§ 7 BVG§30Abs3u4u5DV, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 103 SGG, § 62 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 25.02.2016, Az. B 9 V 69/15 B (REWIS RS 2016, 15541)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 15541

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