Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.11.2013, Az. B 9 SB 10/13 B

9. Senat | REWIS RS 2013, 1146

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Urkundsbeweis - nicht vom beauftragten Arzt erstelltes Gutachten - Kernbereich der vom beauftragten Sachverständigen zu erfüllenden Zentralaufgaben - sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Schwerbehindertenrecht - Zurückverweisung


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 29. November 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Mit Urteil vom 29.11.2012 hat das [X.] [X.] ([X.]) einen Anspruch des [X.] auf Feststellung eines [X.]rades der Behinderung ([X.]dB) von mindestens 80 sowie auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "[X.]" und "[X.]" ab dem 26.4.2005 verneint. [X.]egen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim [X.] (BS[X.]) Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln begründet.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger den Begründungsanforderungen nach § 160 Abs 2 S 3 S[X.][X.] [X.]enüge getan.

3

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] S[X.][X.]), so müssen zur Bezeichnung des [X.] die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.], 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [X.] - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.], 36). [X.]emäß § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 S[X.][X.] kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 S 1 S[X.][X.] (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 S[X.][X.] (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

4

Diesen Anforderungen hat der Kläger hinreichend Rechnung getragen, soweit er eine Verletzung von § 118 Abs 1 S[X.][X.] iVm § 407a ZPO rügt. [X.]emäß § 407a Abs 2 S 1 ZPO ist der Sachverständige nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt (§ 407a Abs 2 S 2 ZPO). Dazu hat der Kläger vorgetragen, das [X.] hätte das im Verwaltungsverfahren bei Prof. Dr. B. eingeholte [X.]utachten vom 11.12.2006 nicht verwerten dürfen, weil der Sachverständige dieses [X.]utachten von seinem Oberarzt und der Assistenzärztin habe erstellen lassen.

5

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Der gerügte Verfahrensmangel liegt vor. Durch die Verwertung des bereits im Verwaltungsverfahren bei Prof. Dr. B.
eingeholten [X.]utachtens vom 11.12.2006 hat das [X.] § 118 Abs 1 S[X.][X.] iVm § 407a Abs 2 ZPO verletzt. Die letztgenannte Vorschrift betrifft zwar unmittelbar nur die Einholung von Sachverständigengutachten durch das [X.]ericht. Aber auch für die Einholung eines [X.]utachtens durch die Verwaltung gelten gemäß § 21 S[X.]B X ähnliche [X.]rundsätze (s auch § 26 Verwaltungsverfahrensgesetz ). Danach besteht für Sachverständige die Pflicht zur Erstattung von [X.]utachten, wenn sie durch Rechtsvorschriften vorgesehen ist (§ 21 Abs 3 S 1 S[X.]B X). Zudem muss der Sachverständige unparteiisch sein. Er darf von der Teilnahme am Verwaltungsverfahren weder kraft [X.]esetzes noch wegen Besorgnis der Befangenheit ausgeschlossen sein (§§ 16, 17 S[X.]B X; s auch §§ 20, 21 VwVf[X.], dazu [X.] in [X.]/[X.], VwVf[X.], 14. Aufl 2013, § 26 Rd[X.]1). Auch die inhaltlichen Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Sachverständigengutachten, wie sie § 407a Abs 2 ZPO normiert, muss ein im Verwaltungsverfahren eingeholtes [X.]utachten grundsätzlich erfüllen (vgl [X.]sbeschluss vom 17.4.2013 - B 9 V 36/12 B - [X.] 4-1500 § 118 [X.] RdNr 5; [X.], aaO, Rd[X.]0).

6

Jedenfalls hat ein [X.]ericht, welches unter Verzicht auf Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zulässigerweise ein bereits im Verwaltungsverfahren erstattetes Sachverständigengutachten (§ 21 Abs 1 S 2 [X.], Abs 3 S[X.]B X) im Wege des [X.] (s [X.] in [X.]/[X.]/[X.], S[X.][X.], 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 7f mwN; BS[X.] Urteil vom 8.12.1988 - 2/9b [X.] - Juris) verwerten will, sicherzustellen, dass der das [X.]utachten verantwortlich Unterzeichnende die Vorschriften des § 407a Abs 2 ZPO beachtet hat. Dies folgt schon daraus, dass im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten in der Regel kein geringerer Beweiswert beizumessen ist als gerichtlich eingeholten [X.]utachten ([X.], aaO, mwN; vgl insgesamt [X.]sbeschluss vom 17.4.2013 - B 9 V 36/12 B -, aaO, RdNr 5 ff). Durch die Verwertung von im Verwaltungsverfahren erstatteten Sachverständigengutachten im Wege des [X.] kann die Vorschrift des § 407a Abs 2 ZPO nicht umgangen werden.

7

Nach der zu § 407a Abs 2 ZPO ergangenen Rechtsprechung des BS[X.] muss der Sachverständige die zentralen Aufgaben der Begutachtung selbst erbringen (vgl BS[X.] Beschluss vom [X.] - B 13 R 535/08 B - Juris RdNr 12 mwN; [X.], aaO, § 118 RdNr 11h mwN). Inwieweit die Durchführung der persönlichen Untersuchung des Probanden zum sog unverzichtbaren Kern der vom Sachverständigen selbst zu erfüllenden Zentralaufgaben zählt, hängt von der Art der Untersuchung ab. Je stärker die Untersuchung auf objektivierbare und [X.] organmedizinische Befunde bezogen ist, umso eher ist der Einsatz von Mitarbeitern möglich ([X.], aaO). [X.] ist in jedem Falle betroffen, wenn sich der Sachverständige, wie vorliegend, überhaupt nicht persönlich mit der zu begutachtenden Person befasst.

8

Danach ist das [X.]utachten vom 11.12.2006 unter Verstoß gegen § 407a Abs 2 ZPO zustande gekommen. Es ist nicht von dem damit beauftragten Prof. Dr. B. erstellt worden, sondern von dem Oberarzt [X.] und der Assistenzärztin [X.] Der Kläger ist - wovon auch das [X.] ausgegangen ist - von Prof. Dr. B. nicht persönlich untersucht worden. Der Umstand, dass Prof. Dr. B. nach den Feststellungen des [X.] das [X.]utachten mit seinem Zustimmungsvermerk unterzeichnet hat (s Urteil S 13), ändert daran nichts.

9

Der Kläger hat das Recht zur Rüge dieses Mangels des [X.]utachtens des Prof. Dr. B.
 auch nicht im laufenden [X.]erichtsverfahren verloren. Nach § 295 ZPO, der gemäß § 202 S[X.][X.] im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbar ist (BS[X.] [X.] 1500 § 160a [X.] mwN), kann die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die [X.] auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung (…) den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. Hierzu hat das [X.] in seiner Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass der Kläger bereits im Verfahren vor dem S[X.] Braunschweig den Mangel gerügt und das daraus folgende Verwertungsverbot geltend gemacht hat.

Auf dem gerügten Verfahrensmangel kann das angegriffene Berufungsurteil beruhen, weil sich das [X.] für seine Feststellung, dass der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines [X.]dB von mindestens 80 sowie auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "[X.]" und "[X.]" habe, ausdrücklich auch auf das [X.]utachten vom 11.12.2006 aus der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde der [X.] M. gestützt und dieses seiner Entscheidung mit zugrunde gelegt hat.

[X.]emäß § 160a Abs 5 S[X.][X.] kann das BS[X.] in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] S[X.][X.] vorliegen. Der [X.] macht auch zur Beschleunigung des Verfahrens von dieser Möglichkeit hinsichtlich des angefochtenen Urteils [X.]ebrauch, da dieses von dem erfolgreich gerügten Verfahrensmangel insgesamt betroffen ist. Unter diesen Umständen kann es hier dahinstehen, ob auch die weiteren vom Kläger gerügten Verfahrensmängel vorliegen.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren bleibt dem [X.] vorbehalten.

Meta

B 9 SB 10/13 B

14.11.2013

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Braunschweig, 14. Oktober 2008, Az: S 11 SB 380/05, Urteil

§ 118 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 407a Abs 2 S 1 ZPO, § 407a Abs 2 S 2 ZPO, § 402 ZPO, § 415 ZPO, § 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10, § 21 Abs 3 S 1 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.11.2013, Az. B 9 SB 10/13 B (REWIS RS 2013, 1146)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1146

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