Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 24.11.2021, Az. 2 BvR 1319/20

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2021, 873

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde ohne weitere Begründung (§ 93d Abs 1 S 3 BVerfGG) - begründete Selbstablehnung eines Verfassungsrichters - langjährige freundschaftliche Beziehung zu Verfahrensbeteiligten als Ablehnungsgrund


Tenor

Die Selbstablehnung des Richters [X.] wird für begründet erklärt.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

1. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung des [X.] (nachfolgend: das [X.]) vom 27. Mai 2020 betrifft eine Gebührenanforderung durch das [X.] - Grundbuchamt - im Zusammenhang mit der Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit. Das [X.] hat den [X.] bestätigt. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG sowie von Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 GG. Der [X.] sei unzutreffend, denn der zugrundeliegende Geschäftswert sei zu hoch angesetzt worden.

2

2. Mit Vermerk vom 3. September 2021 hat [X.] unter der Überschrift "[X.] gemäß § 19 Abs. 3 [X.]" angezeigt, dass er mit dem Geschäftsführer der Beschwerdeführerin "seit über 20 Jahren freundschaftlich verbunden" sei. Die Besorgnis der Befangenheit könne daher nicht ausgeschlossen werden.

3

Die Beschwerdeführerin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie hat mitgeteilt, den Ausführungen in der [X.] werde nicht entgegengetreten. Es sei eine Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit zu treffen.

4

Die Selbstablehnung des [X.]s [X.] ist begründet (unter 1.). Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (unter 2.).

5

1. Bei der Erklärung von [X.] handelt es sich um eine Selbstablehnung (unter a)), über die durch die Kammer eine Entscheidung zu treffen ist (unter b)). Die Besorgnis der Befangenheit besteht (unter c)).

6

a) Bei der dienstlichen Äußerung des [X.]s [X.] handelt es sich um eine Erklärung im Sinne des § 19 Abs. 3 [X.]. Diese Regelung setzt nicht voraus, dass der [X.] sich selbst für befangen hält. Es genügt, dass er Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit zu treffen (vgl. [X.] 88, 1 <3>; 88, 17 <22>; 98, 134 <137>; 101, 46 <50>; 109, 130 <131 f.>). So liegt der Fall hier. [X.] lehnt sich zwar nicht ausdrücklich selbst als befangen ab. Er teilt aber unter Verweis auf § 19 Abs. 3 [X.] einen Sachverhalt mit, der die Besorgnis der Befangenheit begründen kann.

7

b) Nach § 19 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 [X.] ist über die Befangenheit von [X.] eine Entscheidung zu treffen. Die [X.] des Zweiten Senats ist nach § 19 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 Halbsatz 1 [X.] für diese Entscheidung im Rahmen der Prüfung der Annahme der Verfassungsbeschwerde gemäß § 93b Satz 1 in Verbindung mit § 93a [X.] zuständig (§ 93d Abs. 2 Satz 1 [X.]). Sie entscheidet unter Ausschluss desjenigen, der den Sachverhalt angezeigt hat. An die Stelle von [X.] tritt [X.]in [X.], die der [X.] für das Geschäftsjahr 2021 durch Beschluss vom 8. Dezember 2020 als Vertreterin eines verhinderten ordentlichen Kammermitglieds gemäß § 15a Abs. 1 und 2 [X.] bestimmt hat (vgl. [X.], 232 <233>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. Oktober 2011 - 2 BvR 1010/10, 2 BvR 1219/10 -, juris, Rn. 16; ebenso [X.], in: [X.]/[X.]/ [X.], [X.], 2015, § 19 Rn. 36; Kliegel, in: [X.], [X.], 2018, § 19 Rn. 15; [X.], [X.], 3. Aufl. 2020, § 19 Rn. 29).

8

c) Hinsichtlich des [X.]s [X.] besteht die Besorgnis der Befangenheit.

9

aa) Die Besorgnis der Befangenheit eines [X.]s des [X.] nach § 19 [X.] setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der [X.] tatsächlich parteilich oder befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln (vgl. [X.] 88, 17 <22 f.>; 99, 51 <56>; 101, 46 <50 f.>; 102, 192 <194 f.>; 142, 302 <307 Rn. 18>; 154, 312 <316 Rn. 13>). Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass [X.]innen und [X.] des [X.] über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, in Unvoreingenommenheit und Objektivität zu entscheiden. Bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es aber auch darum, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden (vgl. [X.] 108, 122 <129>).

bb) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die langjährige freundschaftliche Verbundenheit stellt eine solche persönliche Nähebeziehung dar, die geeignet ist, den Eindruck einer Voreingenommenheit zu begründen. Freundschaftliche Verbindungen dieser Art gehen regelmäßig mit dem Entstehen von ausgeprägter Sympathie und weitreichender Unterstützungsbereitschaft einher. Jedenfalls ein Außenstehender kann daher begründet daran zweifeln, ob ein [X.] in dieser Situation seine Entscheidung ausschließlich an den maßgeblichen rechtlichen Regeln ausrichtet und ob er auch einen danach verbleibenden Beurteilungsspielraum nicht sympathiebezogen ausfüllt. Insbesondere könnte die Befürchtung entstehen, der [X.] werde auch ohne sachliche Argumente zu Gunsten des langjährig freundschaftlich Verbundenen entscheiden.

Weil die Art und Intensität einer bilateralen persönlichen Verbindung einer Beurteilung durch Dritte nur begrenzt zugänglich ist, ergibt sich die Besorgnis der Befangenheit hier daraus, dass [X.] und der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin - Letzterer dadurch, dass die Beschwerdeführerin der Anzeige von [X.] nicht entgegengetreten ist - ihr Verhältnis zueinander selbst als langjährige freundschaftliche Verbundenheit charakterisieren. Zudem bewertet [X.] die persönliche Nähebeziehung jedenfalls so, dass sie ihm Anlass gegeben hat, den Sachverhalt nach § 19 Abs. 3 [X.] anzuzeigen. Diese Selbsteinschätzung führt hier dazu, dass auch Dritte - insbesondere die gegebenenfalls nach § 94 [X.] am [X.] zu [X.] (vgl. [X.] 20, 9 <14>) - an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zweifeln müssen.

d) [X.] ist damit von der Mitwirkung an der Entscheidung ausgeschlossen. Auch für die Entscheidung in der Sache ist die Kammer damit an seiner statt mit [X.]in [X.] besetzt.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1319/20

24.11.2021

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Dresden, 27. Mai 2020, Az: 17 W 363/20, Beschluss

§ 19 Abs 1 BVerfGG, § 19 Abs 3 BVerfGG, § 93a Abs 2 BVerfGG, § 93d Abs 1 S 3 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 24.11.2021, Az. 2 BvR 1319/20 (REWIS RS 2021, 873)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 873

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 BvR 2099/21 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Unzulässige Verfassungsbeschwerde in einer Konkurrentenstreitsache bzgl Besetzung von Stellen am BFH - Verwerfung mehrerer …


2 BvR 10/22, 2 BvR 11/22 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Unzulässige Verfassungsbeschwerde in einer Konkurrentenstreitsache bzgl Besetzung von Stellen am BFH - Verwerfung mehrerer …


2 BvR 137/24 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde ohne Begründung (§ 93d Abs 1 S 3 BVerfGG) - Zurückweisung offensichtlich …


1 BvR 2397/23 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahme einer wegen Subsidiarität sowie unzureichender Begründung unzulässigen Verfassungsbeschwerde - Verwerfung offensichtlich unzulässiger Ablehnungsgesuche


2 BvR 1400/17 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahme einer gegen den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 09.11.2016 "über die Verlängerung und Erweiterung …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 BvR 1219/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.