BT-Drucksache 18/7651

Integration ist gelebte Demokratie und stärkt den sozialen Zusammenhalt

Vom 24. Februar 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/7651
18. Wahlperiode 24.02.2016
Antrag
der Abgeordneten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Kerstin Andreae,
Annalena Baerbock, Ekin Deligöz, Dr. Thomas Gambke, Matthias Gastel,
Kai Gehring, Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Maria
Klein-Schmeink, Tom Koenigs, Christian Kühn (Tübingen), Markus Kurth,
Monika Lazar, Steffi Lemke, Peter Meiwald, Irene Mihalic, Beate
Müller-Gemmeke, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Brigitte Pothmer,
Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Corinna Rüffer, Elisabeth
Scharfenberg, Ulle Schauws, Kordula Schulz-Asche, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Hans-Christian Ströbele, Markus Tressel, Jürgen Trittin,
Dr. Julia Verlinden, Doris Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Integration ist gelebte Demokratie und stärkt den sozialen Zusammenhalt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

2016 muss ein Jahr der Integration werden, ein Jahr des Aufbruchs zu einem neuen
Miteinander. Dafür gibt es bereits gute Ansätze: Integration von Flüchtlingen findet
täglich erfolgreich statt. Sie wird längst gelebt in Städten und Gemeinden durch das
große Engagement vieler Freiwilliger, durch Beschäftigte in öffentlichen Verwal-
tungen, durch Wohlfahrtspflege, Kultureinrichtungen, Vereine, Religionsgemein-
schaften und Unternehmen und nicht zuletzt durch das Engagement von Geflüchte-
ten selbst.
Integration setzt eine aktive Zivilgesellschaft, den Willen der Flüchtlinge und eine
funktionierende staatliche Infrastruktur von den Kommunen über die Länder bis zur
Bundesregierung voraus. Integration lässt sich nicht verordnen, erfolgreiche Integra-
tion ist vielmehr Ausdruck des Zusammenlebens von unterschiedlichen Menschen,
die gemeinsam die Werte und Regeln unserer Gesellschaft tragen und weiterentwi-
ckeln. Integration ist ein Prozess hin zu einem Leben im Rahmen des rechtlichen
Systems mit sozialer Chancengleichheit und kultureller Selbstbestimmung. Grund-
lage hierfür ist der Anspruch der Geflüchteten auf Teilhabe und die Schaffung einer
Perspektive: vom Flüchtling zu Mitbürgerin und Mitbürger auf der Basis eines In-
tegrationsgesetzes. Das Integrationsgesetz entwickelt die 2005 geschaffenen gesetz-
lichen Grundlagen für Integration fort.
Integrationsunterstützung für Neuankommende ist ein wichtiger Beitrag hin zu einer
inklusiven Gesellschaft für alle. Die inklusive Gesellschaft muss das Ziel sein, ge-
rade in einer Zeit, in der die Spaltung zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen
immer größer wird und in der die Ausgrenzung einzelner Teile der Bevölkerung

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diese Entwicklungen weiter vorantreibt mit besorgniserregenden Folgen: für unsere
Gesellschaft, für unsere Demokratie, für das Miteinander von Menschen unter-
schiedlichster Herkunft, die gemeinsam in unserem Land leben.
Die hohe Zahl von Geflüchteten hat bereits ohnehin bestehende Defizite in der öf-
fentlichen Verwaltung, im Bildungsbereich, bei der Arbeitsmarktförderung und im
Bereich Wohnen noch einmal besonders deutlich gemacht. Die hier notwendigen
Investitionen müssen allen in der Gesellschaft zugutekommen, insbesondere ein-
kommensschwachen und benachteiligten Menschen, die jetzt schon unter den Defi-
ziten leiden. Statt Gruppen gegeneinander auszuspielen, müssen Chancen für alle
entstehen.
Integration braucht Offenheit statt Ressentiments, sie braucht die Bereitschaft der
Neuankommenden und der aufnehmenden Gesellschaft, sich füreinander zu öffnen.
Integration bedeutet Herausforderung, richtig gestaltet aber keine Überforderung.
Wer statt anzupacken allerdings beständig Ängste vor Überforderung schürt, will
Integration verhindern, will abschotten und will, dass Deutschland den Flüchtlingen
fremd bleibt.

Integration als Prozess hin zu einem neuen Zusammenleben in einer inklusiven Ge-
sellschaft
Dass eine große Zahl der Menschen vor Verfolgung und Krieg flüchtet, ist historisch
betrachtet keine neue Situation. Auch die deutsche und europäische Geschichte ist
eine Geschichte der Migration, der Flucht, der Integration und des Wandels. Viele
hier lebende Menschen kennen aus eigenem Erleben oder aus der Familie und ihrer
Geschichte die Erfahrung von Flucht, Vertreibung oder von freiwillig erfolgten Mig-
rationsentscheidungen. Integration und Wandel bedeuten auch große Chancen. Sie
dürfen nicht dadurch verspielt werden, dass deren Gestaltung von der Bundesregie-
rung vernachlässigt wird.
Der gegenwärtige Integrationsprozess ist die Grundlage für unser zukünftiges Zu-
sammenleben. Jetzt muss der Boden für die ersten Schritte in Deutschland bereitet
werden für die mittelfristige Integration von Flüchtlingen in Bildung und Beruf und
für die Klärung, ob sie eine langfristige Perspektive als Bürgerinnen und Bürger
Deutschlands anstreben.
Die Ermöglichung der gesellschaftlichen Teilhabe für alle, die neu zu uns kommen-
den Menschen wie die Menschen, die bereits hier leben, ist die Grundlage für ein
neues Zusammenleben. Dazu braucht es einen inklusiven Arbeitsmarkt, inklusive
Bildungseinrichtungen, eine soziale Sicherung und Strukturen gesellschaftlicher
Teilhabe. Es braucht Institutionen, die für alle gleichermaßen gut sind und so den
sozialen Zusammenhalt langfristig stärken.
Die Bedingungen zur Integration müssen nicht überall von Rostock bis Konstanz
gleich sein, denn Deutschland ist vielfältig. Aber sie müssen gleich gut sein. Der
Bund braucht daher ein schlüssiges Gesamtkonzept für Integration, das gutes Zu-
sammenleben, Teilhabe und Unterstützung für gute Integration in den Mittelpunkt
stellt. Wichtig sind aber auch flexible Lösungen für unterschiedliche Bedarfe. Bei
der Konzeption und der Ausgestaltung müssen das Wissen und die Erfahrungen
funktionierender öffentlicher Verwaltung, der Zivilgesellschaft wie der Flüchtlinge
selbst einfließen.
Neuankommende brauchen schnellen Zugang zu umfassenden Integrationsmaßnah-
men: zu Sprachkursen, zu Bildungsangeboten und zur Qualifikation und daran an-
schließend zur Erwerbstätigkeit. Die Motivation von Flüchtlingen, sich zu integrie-
ren, muss engagiert unterstützt, ein integrationsförderndes Lebensumfeld beim
Wohnen, bei der Gesundheitsfürsorge, bei der sozialen Sicherung und bei der kultu-
rellen Teilhabe geschaffen werden. Konflikte und Integrationsprobleme müssen
frühzeitig identifiziert und gelöst werden.

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Für eine gemeinsame Zukunft in Integration investieren
Integration gibt es nicht zum Nulltarif, aber gut gemacht zahlt sie sich am Ende für
alle aus. Sie ist eine Investition in die Zukunft unseres Landes: für ein friedliches
Zusammenleben, für eine dynamische und kreative Entwicklung unserer Gesell-
schaft und für eine starke Infrastruktur. Die Gelder, die zur Aufnahme und Integra-
tion von Flüchtlingen bereitgestellt werden, kommen der deutschen Wirtschaft und
insbesondere vielen kleinen und mittelständischen Handwerksbetrieben zugute.
Aus vielen vergleichenden Studien geht klar hervor, dass sich gerade solche Regio-
nen und Länder gesellschaftlich und ökonomisch positiv entwickeln, die eine hohe
Vielfalt aufweisen.
Die Grundsteine für die Integration und für den späteren beruflichen Lebensweg
werden zu einem großen Teil in den Bildungseinrichtungen von Kita über Schule bis
zur beruflichen Bildung beziehungsweise zur Hochschule gelegt. Dabei ist die In-
vestition in Bildung nicht nur für die jungen Menschen sondern für alle in Deutsch-
land von unschätzbarem Wert.
In den nächsten fünf Jahren bedeutet dies ein Investitionsvolumen von mindestens
4 Milliarden Euro jährlich, insgesamt also 20 Milliarden Euro. Dank aktuell guter
Steuereinnahmen ist diese Aufgabe zu bewältigen, ohne die Bürgerinnen und Bürger
zusätzlich zu belasten.
Die Gelder, die jetzt aufgewendet werden, ermöglichen dauerhaft ein gutes Zusam-
menleben. Viele der Flüchtlinge werden bleiben. Sie sind Nachbarinnen und Nach-
barn, Klassenkameradinnen und -kameraden, Kolleginnen und Kollegen, Freundin-
nen und Freunde, Familienangehörige, Staatsbürgerinnen und Staatsbürger von mor-
gen.
Bleibt diese lohnenswerte Investition in die Zukunft Deutschlands hingegen aus,
werden die Kosten für die Gesellschaft am Ende um ein Vielfaches höher sein.
Die Rücklage im Bundeshaushalt für Ausgaben mit Bezug auf die Integration, Ver-
sorgung und Unterbringung von Flüchtlingen beträgt derzeit ca. 12 Milliarden Euro,
von denen knapp 6 Milliarden Euro noch nicht verplant sind. Wichtig ist, dass diese
Mittel jetzt schnell für die Flüchtlingsintegration bereitgestellt werden – und zwar
schon in diesem Jahr. Das Geld ist da, die Herausforderungen stehen jetzt an. Des-
halb ist ein Nachtragshaushalt für dieses Jahr erforderlich, damit Klarheit herrscht,
wie viel nun für welche Aufgaben genau zur Verfügung gestellt wird.

Keine neuen Integrationshemmnisse aufbauen
Die Bundesregierung hat die Integration der Geflüchteten bislang massiv vernach-
lässigt und dadurch sogar behindert. Bei keinem der Gesetzespakte zur Flüchtlings-
politik spielte Integration eine Rolle. Es fehlt ein schlüssiges Gesamtkonzept für In-
tegration und es fehlt an bundesweiter Steuerung. Es fehlt an Investitionen in eine
tragfähige Integrationsinfrastruktur.
Stattdessen sorgt die Regierungskoalition für permanente Verunsicherung aller Be-
teiligten durch monatelange unsinnige Debatten über völkerrechtswidrige „Ober-
grenzen“ und durch ständig neue „Asylpakete“, die im Gesamtergebnis weder eine
Entlastung der Behörden bringen noch Integration fördern, dafür aber die Rechte
von Schutzsuchenden massiv beschneiden. Mit Einschränkungen wie beim Famili-
ennachzug errichtet die Bundesregierung selbst neue und schwerwiegende Integra-
tionshemmnisse. Eltern, Kinder, Ehemänner und Ehefrauen, denen die Flucht nach
Deutschland geglückt ist, werden in ständiger Sorge um das Schicksal der damit von
legalen und somit sicheren Zugängen ausgesperrten Angehörigen gehalten. Das be-
hindert das Ankommen in unserer Gesellschaft.
Die Bundesregierung konterkariert Bemühungen um zügige Entscheidungen in fai-
ren Asylverfahren. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stauen

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sich immer mehr anhängige Verfahren, die noch keiner Entscheidung zugeführt wur-
den. Reformvorschläge, die das BAMF entlasten könnten, wie ein Verzicht auf die
aufwendigen obligatorischen Widerrufsverfahren, die auch dann drei Jahre nach der
Flüchtlingsanerkennung durchgeführt werden müssen, wenn sich die Lage im Her-
kunftsland offensichtlich nicht geändert oder sich gar verschlechtert hat, die Einfüh-
rung einer „Altfallregelung“ oder die Beibehaltung der schriftlichen Verfahren für
Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Eritrea, lehnt die Bundesregierung ab. So gibt
es weiterhin lange Wartezeiten, bis Flüchtlinge überhaupt einen Antrag stellen kön-
nen. Dadurch werden Menschen in Ungewissheit und Untätigkeit gehalten und müs-
sen oft für lange Zeit in Massenunterkünften bleiben. Auch so wird Integration be-
wusst behindert. Fatal ist auch, dass trotz jahrelanger Diskussion darüber weiterhin
zahlreiche Schutzsuchende vom Zugang zu Integrationskursen ausgeschlossen blei-
ben.

Konflikte und Probleme benennen und lösungsorientiert angehen
Demokratie lebt von Auseinandersetzung, von Kontroversen, unterschiedlichen
Meinungen und alternativen Lösungswegen. Auch Integration verläuft nicht ohne
Auseinandersetzung und Konflikte. Unsere Gesellschaft ist vielfältig, gerade das
zeichnet sie aus. Die Menschen, die hierherkommen, haben oft andere Hintergründe
und Erfahrungen, ganz unterschiedliche Erwartungen, Fähigkeiten und Bedürfnisse.
Sie sprechen andere Sprachen und kommen oft aus Ländern, in denen sich demokra-
tische Traditionen kaum entwickeln konnten.
Unser Land wird derzeit noch vielfältiger und auch jünger. Es wird sich verändern.
Auch die Menschen, die nach Deutschland kommen, werden sich verändern. Integra-
tion ist ein wechselseitiger Prozess. Es braucht Dialog, Begegnung und im Alltag
gelebte Wertevermittlung statt Forderungen nach formaler Integration per Verord-
nung von oben und Unterschrift unter ein Stück Papier.
Grundlagen unseres Zusammenlebens sind und bleiben dabei die Demokratie, wie
sie unser Grundgesetz garantiert, die Menschenwürde, die Freiheit und die gleichbe-
rechtigte Teilhabe aller in einer offenen, demokratischen Gesellschaft und einem ge-
meinsamen Europa.
Aus Vorfällen wie in der Silvesternacht 2015 in Köln sind auch Lehren für die In-
tegration zu ziehen. Es gibt keine Entschuldigung für diese Taten und sie müssen
selbstverständlich bestraft werden. Dennoch gilt: Perspektivlosigkeit und dauerhafte
Isolation von nur Geduldeten in Gemeinschaftsunterkünften, die keinen Zugang zu
Integrations- und Deutschkursen und nur eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt
erhalten, torpedieren Prävention und Integration. Die bislang ermittelten Tatver-
dächtigen sind gesellschaftlich nicht integriert. Es braucht Prävention durch Integra-
tion, wirksame Gewaltschutzkonzepte, breite gesellschaftliche Auseinandersetzung
über Geschlechterrollen, insbesondere auch über Männerbilder und sexualisierte Ge-
walt, die Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung und eine gut
ausgestattete Polizei und Justiz.
Deutschland kann auf die Stärke und Ausstrahlungskraft seiner freien und vielfälti-
gen Gesellschaft vertrauen. Aber deren Werte müssen kontinuierlich und immer wie-
der neu vermittelt werden – gegenüber vielen neu Ankommenden genauso wie ge-
genüber vielen Alteingesessenen. Antisemitismus, Homophobie, Rassismus, Gewalt
gegen Frauen, sexualisierte und häusliche Gewalt, Dschihadismus, Hetze gegen
Muslime oder antieuropäische Stimmungsmache dürfen in Deutschland keinen Platz
haben.

Hetze, Gewalt und der Spaltung der Gesellschaft entgegentreten
Rassistische, rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte verbreiten Hass und
Hetze. Sie wollen kein Miteinander, keine Integration, sondern ein aggressives Ge-
geneinander und eine Spaltung unserer Gesellschaft.

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Die zunehmende Enthemmung bei Worten und Taten gibt Anlass zu größter Sorge.
Geflüchtete, in der Flüchtlingsarbeit engagierte Bürgerinnen und Bürger und Jour-
nalistinnen und Journalisten werden bedroht, sie sind Zielscheibe von Hass, Hetze
und rassistisch motivierter Gewalt. 2015 wurden 14.000 rechtsextrem motivierte
Straftaten registriert, dabei allein 1.600 Straftaten im Zusammenhang mit der Unter-
bringung von Asylsuchenden, darunter viele Brandanschläge. Mancherorts bilden
sich so genannte „Bürgerwehren“, die das Gewaltmonopol des Staates in Frage stel-
len. Dem muss von Anfang an Einhalt geboten werden. Hetze und Gewalt muss mit
allen geeigneten rechtsstaatlichen und gesellschaftspolitischen Mitteln entgegenge-
treten werden. Niemand darf sich sicher dabei fühlen, wenn er andere menschenver-
achtend beschimpft, geistige Brandstiftung betreibt oder Menschen bedroht und an-
greift.
Den Medien kommt hierbei eine besondere Rolle zu: Sie sind und bleiben Stütze
unserer Demokratie, informieren, zeigen Missstände auf und treiben den gesell-
schaftlichen Dialog voran. Auch das ist wichtig für eine gelebte Integration. Deshalb
steht der Deutsche Bundestag hinter der Meinungs- und Medienfreiheit und lehnt
jegliche Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten ab.
Es ist Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten, einer Spaltung der Gesell-
schaft unmissverständlich entgegenzuwirken. Dazu gehört, sich im Diskurs nach
klaren und fairen Regeln auseinanderzusetzen. Gegenüber rassistischer Angstmache
und Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen darf es keine Toleranz, darf
es keinerlei Entgegenkommen geben. Demokratie ist in Gefahr, wenn Hetze, Ras-
sismus und Gewalt auf Gleichgültigkeit oder sogar Akzeptanz stoßen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

zügig einen Nachtragshaushalt vorzulegen und in Kooperation mit den Ländern,
Kommunen und der Zivilgesellschaft ein umfassendes Integrationskonzept zu ent-
wickeln und umzusetzen. Es soll insbesondere folgende Eckpunkte umfassen:

1. Zügige, qualifizierte und faire Asylverfahren
Eine Voraussetzung für gut gelingende Integration ist, dass Asylsuchende nicht in
langer Ungewissheit verharren müssen. Viele Flüchtlinge warten aber über Jahre auf
eine Entscheidung im Asylverfahren.
• Um den Integrationsprozess zu unterstützen, braucht es zügige, qualifizierte und

faire (einschließlich altersgerechte) Asylverfahren. Dafür müssen die personel-
len Ressourcen sichergestellt werden.

• Damit sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf die Be-
arbeitung von Asylverfahren konzentrieren kann, muss es von unnötigen Auf-
gaben entlastet werden. So gehört das obligatorische Widerrufsverfahren abge-
schafft. Die Aufgaben der schriftlichen Verfahren und Wiederaufnahme der
Dublin-Verfahren für syrische Flüchtlinge müssen rückgängig gemacht werden,
da sie das BAMF unverhältnismäßig belasten.

• Es muss zur signifikanten Entlastung des BAMF eine Altfallregelung für unan-
gemessen lang andauernde Asylverfahren geschaffen werden.

2. Integration in die offene Gesellschaft
Die Flüchtlinge kommen in einer offenen, demokratischen Gesellschaft an. Werte,
tradierte Verhaltensweisen und unausgesprochene Ordnungen, all das erklärt sich
nicht von selbst. Um den Flüchtlingen das Einleben in unsere Gesellschaft zu er-
möglichen, müssen ihnen entsprechende Angebote von Beginn an zur Verfügung
stehen – unabhängig von der Bleibeperspektive. Es werden falsche Weichen gestellt,
wenn Schutzsuchende über lange Zeiträume auf Integrationskurse warten müssen
und keine Möglichkeit haben, Deutsch zu lernen.

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• Die Integrationskurse müssen gestärkt und weiter ausgebaut werden, so dass alle

Neuangekommenen von Beginn an daran teilnehmen können, anerkannte
Flüchtlinge wie auch diejenigen, die noch im Asylverfahren sind. Die „Bleibe-
perspektive“ darf nicht über den Zugang entscheiden, da sie sich immer nur auf
eine bestimmte Gruppe von Flüchtlingen, nie aber auf den Einzelnen bezieht. Es
ist im Interesse der Asylsuchenden und der Gesamtgesellschaft, dass Integration
frühzeitig ermöglicht wird. Der Bund muss die Kosten für die Kinderbetreuung
für Eltern, die an Integrationskursen teilnehmen, wieder übernehmen.

• Im Rahmen der Integrationskurse gibt es bereits jetzt spezifische Angebote für
bestimmte Zielgruppen, z. B. für Frauen und für Menschen, die nicht in der la-
teinischen Schrift alphabetisiert sind. Diese inhaltliche und didaktische Diffe-
renzierung muss weiter ausgebaut werden. Menschen mit einem akademischen
Hintergrund und Menschen, die bereits mehrsprachig sind, lernen anders als
Menschen, die in ihrem Herkunftsland lediglich eine einsprachige Grundschul-
bildung genossen haben. An dieser Stelle brauchen wir mehr Innovation und
mehr Flexibilität. Zur besseren Vereinbarkeit der Integrationskursteilnahme mit
familiären oder auch beruflichen Verpflichtungen sollten Kinderbetreuungs-
und E-learning-Angebote geschaffen werden.

• Die bestehenden Integrationsangebote zur Vermittlung der pluralistischen Ge-
sellschaft müssen weiter ausgebaut werden. Dazu gehören insbesondere auch
Themen wie die Auseinandersetzung über Geschlechterrollen und Männerbil-
der, das Recht auf freie Entfaltung z. B. für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-
sexuelle, Transgender und Intersexuelle (LSBTTI) und die Religionsfreiheit.

• Frauen brauchen im Integrationsprozess besondere Unterstützung, gerade dann,
wenn es für sie nicht selbstverständlich ist, sich an Kursen zu beteiligen oder auf
eine Perspektive in Arbeit vorzubereiten. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte
helfen dabei.

• Kultureller Austausch und der Zugang zu kulturellen Angeboten sind von großer
Bedeutung für eine gelungene Integration. Beim Musizieren oder Theaterspielen
können Empathie und Kooperation auch dann eingeübt werden, wenn noch
Sprachhindernisse bestehen. Projekte und Programme von Theatern, Museen,
Orchestern etc. für Migrantinnen, Migranten und Geflüchtete sollten durch aus-
reichend personelle und finanzielle Mittel unterstützt werden. Auch den öffent-
lich-rechtlichen Medien kommt bei der Integration eine wichtige Rolle zu, etwa
mit Sprachangeboten.

3. Teilhabe durch Bildung
Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.
Um ihre Möglichkeiten zur Integration zu stärken, braucht es eine strukturelle För-
derung und ein inklusives Bildungssystem. Es reicht nicht, auf die bestehenden, im
Bildungsbereich oftmals mit zu wenigen Ressourcen ausgestatteten Angebote zu set-
zen, vielmehr muss hier zusätzlich investiert werden.
• Um der Bedeutung von Sprache als Schlüssel zur Integration gerecht zu werden,

braucht es passende Deutschkurse für die verschiedenen Qualifikationsniveaus.
Mehrsprachigkeit beim Lehrpersonal muss gefördert werden.

• Der Bund muss eine Bildungsoffensive initiieren, die die frühkindliche, schuli-
sche, berufliche und hochschulische Bildung umfasst. Es müssen genügend qua-
lifizierte Fachkräfte, Räumlichkeiten und geeignete Materialien zur Verfügung
stehen. Daher muss der Bund die Länder in den nächsten zehn Jahren mit min-
destens einer Milliarde Euro zusätzlich pro Jahr unterstützen, damit sie qualita-
tiv gute Angebote bereitstellen können, die den Flüchtlingen, aber auch der ge-
samten Gesellschaft, insbesondere bislang marginalisierten Gruppen, zugute-
kommen. Geflüchtete Kinder und Jugendliche sollten von Anfang an Zugang zu
Kindertagesstätten und Schulen haben.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/7651
• Um überall in Deutschland die Bildungsmöglichkeiten für junge Flüchtlinge vo-

ranzubringen und gute Standards für alle in der Gesellschaft durchzusetzen,
muss das Integrationshemmnis Kooperationsverbot umgehend aus der Verfas-
sung gestrichen werden. Nur so können die Gemeinschaftsaufgabe Bildung und
die Herausforderungen, die sich den Bildungsinstitutionen stellen, in Koopera-
tion mit Bund, Ländern und Kommunen gemeistert werden.

• Das Personal an Kitas, Schulen und Hochschulen darf mit den Herausforderun-
gen und Aufgaben der Integration der heterogenen Schülerschaft nicht allein ge-
lassen werden. Es braucht sowohl Unterstützungsangebote als auch kontinuier-
liche Fortbildungen u. a. zur Vermittlung von interkultureller Kompetenz. Au-
ßerdem muss es bei der Elternarbeit an Kitas und Schulen unterstützt werden.
Denn durch das Einbinden der Eltern in die Bildungsprozesse, das Erklären, wie
Bildung in Deutschland „funktioniert“ und organisiert ist, kann die Integration
ganzer Familien gelingen.

• Die bestehenden Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe müssen von Anfang an
stärker in die Aufnahme, Versorgung und Förderung junger Flüchtlinge mit ein-
bezogen und hierfür entsprechend ausgestattet werden. Weiter ist es wichtig,
andere junge Menschen mit in die Integration einzubeziehen, die bereits vor ei-
niger Zeit nach Deutschland gekommen sind. Die vielfältigen Erfahrungen, die
in der Vergangenheit bei der Integration der Kinder der Gastarbeitergeneratio-
nen, der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler oder auch der Unionsbürgerin-
nen und Unionsbürger bereits gemacht wurden, können heute genutzt werden.

4. Teilhabe durch Ausbildung und Arbeit
Nach der sprachlichen Qualifizierung ist der Zugang zum Ausbildungs- und Arbeits-
markt für Flüchtlinge, die Gesellschaft und die Wirtschaft von zentraler Bedeutung.
Bislang scheitert dies viel zu oft an fehlenden Qualifikationsmöglichkeiten, unnöti-
gen bürokratischen Regelungen und aufenthalts- sowie sozialrechtlichen Hürden.
• Der Bund muss ein Gesamtkonzept zur Arbeitsförderung von Flüchtlingen erar-

beiten und implementieren, um Unterstützung und Qualifizierung aufeinander
abzustimmen und mit den tatsächlichen Bedarfen zu vereinen.

• Flüchtlinge mit geringer Schulbildung brauchen zusätzliche sprachliche und
schulische Qualifikationsmaßnahmen. Es müssen Möglichkeiten geschaffen
werden, auch im Erwachsenenalter Grundfertigkeiten zu erwerben, Haupt- bzw.
Sekundarschulabschlüsse nachzuholen und eine Ausbildung zu absolvieren, um
so einen anerkannten Berufsabschluss zu erwerben.

• Damit auch zehntausende nicht mehr schulpflichtige, aber lernwillige junge Er-
wachsene aufgenommen werden können, muss ein eigenes Ausbauprogramm
für Berufsschulen aufgelegt werden.

• Rechtliche und bürokratische Hürden wie die Vorrangprüfung und die Be-
schränkungen für Asylsuchende bei der Leiharbeit müssen abgeschafft werden,
hier wird eine Arbeitsmarktintegration konkret verhindert.

• Es muss Rechtssicherheit für Auszubildende und Betriebe durch ein gesichertes
Bleiberecht für Asylsuchende und Geduldete in der Berufsausbildung und für
anschließende Weiterbeschäftigung geschaffen werden. Das gilt analog auch für
ein Studium. Geduldeten in der Ausbildung muss eine Aufenthaltserlaubnis er-
teilt werden können. Die bestehende Duldungsregelung greift zu kurz, da sie
nach wie vor keine ausreichende Rechtssicherheit für Betriebe und Auszubil-
dende darstellt, die innereuropäische Mobilität der Betroffenen einschränkt und
sie bei der Berechnung von Voraufenthaltszeiten etwa bei der Einbürgerung und
der Niederlassungserlaubnis benachteiligt.

• Um Flüchtlingen den Einstieg in die Ausbildung zu ermöglichen, müssen pra-
xisnahe Maßnahmen wie die Einstiegsqualifizierung angepasst werden und um

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Angebote der allgemeinen und berufsbezogenen Sprachförderung sowie sozial-
pädagogischen Unterstützung erweitert werden. Auch die beruflichen Schulen
müssen dabei unterstützt werden, entsprechende flüchtlingsspezifische Qualifi-
zierungsangebote auf- und auszubauen.

• Die Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse muss erleich-
tert und die entsprechenden Verfahren müssen beschleunigt werden. Dazu müs-
sen die Angebote für Anpassungs- und Nachqualifizierungen ausgebaut und ihre
Finanzierung gesichert werden. Bisher verhindern zu oft hohe Kosten die Teil-
nahme an einer erforderlichen Qualifizierungsmaßnahme. Um dies in Zukunft
zu verhindern, sollen die Kosten über das SGB II oder III übernommen werden.

• Arbeitsagenturen und Jobcenter sollen bundesweit von Anfang an in Integrati-
onsteams zusammenarbeiten und in allen Erstaufnahmeeinrichtungen vertreten
sein, um die Flüchtlinge zu informieren, zu beraten und ihre Qualifikationen
festzustellen. Dabei sollen gruppenspezifische Bedarfe von z. B. jüngeren oder
weiblichen Flüchtlingen berücksichtigt werden.

• Der Weg in die Selbstständigkeit kann auch für Flüchtlinge eine Berufsperspek-
tive sein, dabei brauchen sie passende Unterstützung und Beratung. Auch wäh-
rend des Asylverfahrens und für Geduldete sollten selbstständige Tätigkeiten
möglich sein.

5. Teilhabe durch gemeinsames Leben und Wohnen
Es braucht geeigneten Wohnraum für alle Menschen, die hier leben. Flüchtlinge kön-
nen nicht auf lange Zeit in oftmals riesigen und überfüllten Gemeinschaftsunterkünf-
ten leben. Gerade hierdurch werden sie ausgeschlossen. Insbesondere in den Bal-
lungszentren stehen schon seit geraumer Zeit zu wenige Wohnungen zur Verfügung,
um allen Menschen guten und preiswerten Wohnraum zu ermöglichen. Jährlich ge-
hen sogar durch das Auslaufen der Sozialbindung 60.000 Sozialwohnungen verlo-
ren. Eine Steuerförderung mit der Gießkanne kann diese Probleme nicht lösen. Es
braucht viel mehr dauerhaft günstige Wohnungen.
• Notwendig ist ein starker sozialer Wohnungsbau für Menschen mit kleinem Ein-

kommen, denn nur so ist eine wachsende Konkurrenz um die schwindenden
günstigen Wohnungen zu verhindern. Die Bundesmittel für den sozialen Woh-
nungsbau müssen auf mindestens zwei Milliarden Euro im Jahr aufgestockt wer-
den.

• Eine neue Form der Wohngemeinnützigkeit soll auf den Weg gebracht werden.
Sie trägt dazu bei, dass neue dauerhaft günstige Wohnungen für die Menschen
entstehen, die wenig Geld haben. Wichtig ist, aus den Fehlern der Vergangenheit
zu lernen. Mitnahmeeffekte müssen ausgeschlossen sein und eine zielgerichtete,
effiziente Förderung von günstigem Wohnraum muss ermöglicht werden. So
bleiben unsere Nachbarschaften lebendig.

• Wohnungsgenossenschaften sind wichtige und solidarische Akteure für gutes
Wohnen. Für sie müssen Anreize gestärkt werden, in neue Projekte zu investie-
ren.

• Es dürfen keine anonymen Siedlungen mit abgesenkten Standards am Rande der
Städte und in Industrievierteln entstehen, denn Integration wird dann gelingen,
wenn Flüchtlinge inmitten unserer Städte und Gemeinden wohnen und wir ge-
meinsam leben.

• Kommunen, die explizit dafür werben, dass Flüchtlinge sich bei ihnen nieder-
lassen, müssen bei der Instandsetzung von vorhandenem Wohnraum und in ihrer
Willkommensinfrastruktur besonders unterstützt werden.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9 – Drucksache 18/7651
6. Gesundheit und soziale Sicherung als Teil einer umfassenden Integrationspo-
litik
Viele Asylsuchende und Geduldete haben in ihrem Herkunftsland und auf ihrer
Flucht Schlimmstes erlebt und sind traumatisiert. In Deutschland können sie im
Krankheitsfall aber nicht einfach zum Arzt gehen. Asylsuchende und Geduldete ha-
ben nur eingeschränkten Zugang zu gesundheitlichen Leistungen. Sie werden nur
bei akuten Erkrankungen sowie Schmerzzuständen behandelt und müssen in den
meisten Bundesländern vorab beim Sozialamt eine Genehmigung dafür beantragen.
Da sie nicht über die gesetzliche Krankenversicherung versichert sind, ziehen sich
Genehmigungsverfahren selbst für dringende Leistungen wie Atmungsgeräte, The-
rapien bei Krebsbehandlungen oder Psychotherapie oft monatelang hin. In einer ak-
tuellen Stellungnahme der Robert Bosch Stiftung zeigen Expertinnen und Experten
die eklatanten Mängel in der gesundheitlichen und insbesondere der psychosozialen
Versorgung von Asylsuchenden auf und empfehlen zur Abhilfe die flächendeckende
Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge sowie eine bundeseinheitliche Re-
gelversorgung (Robert Bosch Expertenkommission zur Neuausrichtung der Flücht-
lingspolitik (Vorsitz Armin Laschet), Themendossier: Zugang zu Gesundheitsleis-
tungen und Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge und Asylbewerber, Februar
2016). Grundlage für soziale Teilhabe ist darüber hinaus eine existenzsichernde
Grundsicherung, wie sie unser Grundgesetz verlangt.
• Die psychosoziale Versorgung der geflohenen Menschen ist mit zielgerichteten

und solide ausfinanzierten Programmen seitens des Bundes zu fördern. Dabei ist
der Bedarf an qualifizierten Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern zu berück-
sichtigen.

• Der Bund muss darauf drängen, dass die Gesundheitskarte für Flüchtlinge als
Zwischenschritt in allen Bundesländern eingeführt wird. Das Ziel muss die bun-
desweite Einbeziehung von Flüchtlingen in die Regelversorgung der gesetzli-
chen Krankenversicherung sein und der Zugang zu den Regelleistungen der
Grundsicherung am besten durch die Abschaffung des diskriminierenden Asyl-
bewerberleistungsgesetzes.

7. Verstärkung der Maßnahmen gegen Anfeindungen und Diskriminierung
Flüchtlinge sowie ihre Unterstützerinnen und Unterstützer werden vielfach mit Dis-
kriminierung, Hass und Gewalt konfrontiert. Die populistischen und rechtsextremen
Akteure zielen darauf, Integration zu verhindern. Es braucht kurz- und langfristige
Maßnahmen, um ihnen entgegenzutreten und auf ein gesellschaftliches Klima hin-
zuwirken, das Integration fördert statt behindert.
• Die Förderung zivilgesellschaftlicher Arbeit zur Demokratiestärkung, gegen

Rechtsextremismus, Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Men-
schenfeindlichkeit muss als Daueraufgabe nachhaltig gestaltet und finanziell
strukturell abgesichert werden, wobei die Unabhängigkeit zivilgesellschaftli-
chen Engagements nicht ausgehöhlt werden darf.

• Demokratiebildung beginnt bereits im frühen Kindesalter. Kitas und Schulen
sollen Orte der Vielfalt sein, an denen Rassismus und andere Formen gruppen-
bezogener Menschenfeindlichkeit keinen Platz haben. Es geht um die Befähi-
gung, Verständnis für die gemeinsamen Grundwerte und kulturelle Vielfalt zu
entwickeln, Menschenwürde zu achten und religiöse Unterschiede zu respektie-
ren.

• Die Schutzanstrengungen für Flüchtlingseinrichtungen müssen verstärkt wer-
den. Es braucht zudem ein bundesweites Netz zivilgesellschaftlicher Opferbera-
tungsstellen, wo Betroffene rechter Gewalt, potenzielle Opfer und deren Ange-
hörige kompetent und zeitnah beraten werden können. Antidiskriminierungs-
stellen müssen gestärkt und Flüchtlinge über die Möglichkeiten informiert wer-
den, gegen Diskriminierung vorzugehen.

Drucksache 18/7651 – 10 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
• Strafrechtlich relevante Hetze, Übergriffe auf Flüchtlinge und Unterkünfte müs-

sen konsequent mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt werden.
• Auch innerhalb von Einrichtungen zur Unterbringung von Flüchtlingen müssen

Gewaltschutzkonzepte erarbeitet und umgesetzt werden. Kinder, Jugendliche
und Frauen sind vom Leben auf engstem Raum ohne Privatsphäre besonders
betroffen, auch Menschen mit Behinderungen und Gruppen mit erhöhtem Dis-
kriminierungsrisiko wie Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, trans- und
intersexuelle Menschen. Die Aufnahme muss so gestaltet werden, dass alle si-
cher sind.

8. Stärkung und Verstetigung des bürgerschaftlichen Engagements
Die Bewältigung des Zuzugs der Flüchtlinge gelingt vielerorts insbesondere durch
den Einsatz von engagierten Einzelpersonen, Initiativen, Gemeinden oder Verbän-
den. Gerade in Krisenzeiten wird deutlich, wie wichtig eine selbstbewusste Bürger-
schaft für das Funktionieren demokratischer Gesellschaften ist. Doch auch Helferin-
nen und Helfer brauchen Hilfe, damit ihnen die Lust und die Kraft fürs Engagement
nicht verloren gehen.
• Die Engagementstrukturen vor Ort müssen gestärkt werden. Dafür braucht es

eine unabhängige Koordinationsstelle für bürgerschaftliches Engagement, die
an der Schnittstelle zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft infor-
miert, berät und unterstützt. Darüber hinaus brauchen Engagierte den Zugang zu
Fortbildungen und Supervision, um beispielsweise mit hochemotionalen und be-
lastenden Einzelschicksalen von Geflüchteten besser umgehen zu können.

• Engagierte in Projekten, Initiativen oder Vereinen brauchen langfristige, ver-
lässliche, unbürokratische und transparente Förderstrukturen, so dass sie sich
auf ihr eigentliches Anliegen konzentrieren können.

• Um das Ankommen von Flüchtlingen auch in der Zivilgesellschaft zu ermögli-
chen, müssen die Zugänge u. a. in Vereine, Religionsgemeinschaften und auch
Parteien besonders gefördert werden. Alle Freiwilligendienstformate sollten für
Flüchtlinge geöffnet werden und entsprechende pädagogische Begleitung ge-
währleisten. Auch die Unterstützung von Flüchtlingsselbstorganisationen för-
dert Integration.

• Der Bund muss die Zivilgesellschaft stärker an der Ausarbeitung, Umsetzung
und Steuerung von Integration durch eine in regelmäßigen Abständen tagende
Flüchtlingskonferenz beteiligen. Zur zivilgesellschaftlichen Beteiligung gehört
insbesondere auch die Einbeziehung der Selbstorganisation von Flüchtlingen so-
wie von weiteren Migrantenorganisationen.

• Gemeinsamer Sport verbindet und ist wichtig für die Integration. Geflüchtete
sollten schnell die Möglichkeit haben, am Vereinssport teilzunehmen, auch ohne
Vereinsmitglied zu sein. Vereine, Landessportbünde und Sportverbände brau-
chen ausreichend personelle und finanzielle Ressourcen hierfür.

9. Effektive staatliche Strukturen für Integration
Die staatlichen Strukturen zur Unterstützung der Integration sind nicht ausreichend
für die jetzige Situation. Der Staat muss aber Garant sein für die Integrationsaufga-
ben der kommenden Monate und Jahre. Dazu gehört insbesondere die Koordination
und Vernetzung der verschiedenen Akteure sowie die hauptberufliche Begleitung
des bürgerschaftlichen Engagements.
• Notwendig ist eine professionelle Integrationsstruktur, die die verschiedenen

Bereiche der Integration miteinander verknüpft. Dafür sollten flächendeckend
bundesweit kommunale Integrationscenter in jedem der 295 Landkreise und in
jeder der 110 kreisfreien Städte gegründet werden. Die Integrationscenter sollen
eine zentrale Rolle als Anlaufstelle einnehmen; hier kann auf kommunaler

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 11 – Drucksache 18/7651

Ebene die Integrationsarbeit gestaltet, zusammengeführt und koordiniert wer-
den, hier können Integrationsmanagerinnen und Integrationslotsen Flüchtlinge,
Initiativen, Unternehmen, Wohlfahrtsverbände beraten und unbürokratisch un-
terstützen.

• Integration ist eine zentrale Zukunftsaufgabe. Es braucht auch im Bund ein Mi-
nisterium für Migration und Integration, das in allen aufenthalts- und asylrecht-
lichen Fragen federführend ist und vom Asylverfahren über Integrationsmaß-
nahmen bis zur Projektförderung steuernd agieren kann. Auf Länderebene gibt
es bereits erfolgreiche Beispiele.

• In Deutschland hat heute jeder Fünfte einen Migrationshintergrund, bei den un-
ter Zwanzigjährigen bereits fast jeder Dritte. Das muss sich bei den Neueinstel-
lungen im öffentlichen Dienst widerspiegeln. Ein angemessener Anteil von Be-
schäftigten mit Migrationsgeschichte im öffentlichen Dienst, von der Schule bis
zur Polizei, stärkt das Vertrauen in die Institutionen, kann stärkere Sensibilisie-
rung bewirken und ist wichtiger Integrationsfaktor.

10. Europäische Investitionen
Integration braucht auch europäische Investitionen, damit die Integration in
Deutschland und in den übrigen EU-Mitgliedstaaten schneller vorankommen kann.
• Gelder aus dem Mehrjährigen Finanzrahmen der EU sollten hierzu eingesetzt

werden und auch die anstehende Überprüfung des Finanzrahmens sollte Maß-
nahmen zur Integrationsförderung berücksichtigen.

• Die Europäische Investitionsbank sollte schnell und unkompliziert Kredite für
den Ausbau kommunaler Infra- und Bildungsstruktur oder für Existenzgründun-
gen bereitstellen.

• Auch im Bereich der Flüchtlingsaufnahme braucht es auf europäischer Ebene
mehr Steuerung und Koordination. Und für den Fall, dass in Defizitverfahren
die vereinbarten Vorgaben zum Schuldenabbau aufgrund von Ausgaben für
Flüchtlinge nicht eingehalten werden können, sollte die bestehende Flexibilität
des Stabilitäts- und Wachstumspakts Anwendung finden.

Berlin, den 23. Februar 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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