BT-Drucksache 18/6815

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/5500, 18/5502, 18/6124, 18/6125, 18/6126 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016)

Vom 24. November 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6815
18. Wahlperiode 24.11.2015

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Ekin Deligöz, Anja Hajduk,
Dr. Tobias Lindner, Kerstin Andreae, Luise Amtsberg, Dr. Franziska Brantner,
Katja Dörner, Dr. Thomas Gambke, Kai Gehring, Britta Haßelmann, Uwe
Kekeritz, Maria Klein-Schmeink, Markus Kurth, Irene Mihalic, Dr. Konstantin
von Notz, Lisa Paus, Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Claudia
Roth (Augsburg), Corinna Rüffer, Elisabeth Scharfenberg, Ulle Schauws,
Dr. Gerhard Schick, Dr. Frithjof Schmidt, Kordula Schulz-Asche, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe, Jürgen Trittin, Dr. Julia Verlinden, Doris
Wagner, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

– Drucksachen 18/5500, 18/5502, 18/6124, 18/6125, 18/6126 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016
(Haushaltsgesetz 2016)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Trotz der beachtlichen Herausforderungen und vieler Schwierigkeiten hat sich
Deutschland bisher mit großem Engagement seiner Verantwortung gestellt, von
Krieg und Verfolgung fliehenden Menschen Schutz zu gewähren. Politik und Ver-
waltung, diverse Institutionen und nicht zuletzt unzählige Bürgerinnen und Bürger
haben mit beträchtlichem Einsatz dafür gesorgt, dass verbriefte Schutzrechte für die
vielen gepeinigten Menschen praktische Geltung erlangt haben. Das ist jenseits der
Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen auch und gerade ein Zeichen gelebter Werte-
orientierung, die große Anerkennung verdient. Die Ausprägung dieser Willkom-
menskultur verlangt Improvisationsvermögen und Willenskraft. Schließlich ist auch
in verschiedensten Bereichen gehörige Überzeugungsarbeit zu leisten und es sind –
vor allem gesellschaftliche und politische – Widerstände zu überwinden. Es wird
einen langen Atem brauchen, denn die Hauptaufgabe, nämlich die Integration der
geflohenen Menschen, steht noch an ihrem Anfang. Die Leistung wird darin beste-
hen, die Willkommenskultur in eine Willkommensinfrastruktur umzuwandeln, die
insbesondere bei Bildung, Arbeitswelt, Wohnen sowie gesellschaftlicher Integration
und sozialer und kultureller Teilhabe ansetzt. Es gilt also nicht nur, die erste Versor-
gung und Unterbringung effizient zu gestalten und abzusichern, sondern auch den

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Weg für erfolgreiche Integrationsprozesse zu ebnen. Bund, Länder und Kommunen
stehen in der Pflicht, dabei eine Gesamtstrategie zu verfolgen, welche die verschie-
denen Bausteine von Leistungen, Angeboten, Rechtsstrukturen usw. bedarfsgerecht
und passgenau zueinander fügt, die gesellschaftlichen Akteure einbindet, Ressour-
cenbedarfe identifiziert und für eine faire materielle Lastenverteilung sorgt.

Die Beratungen des Bundeshaushaltes 2016 standen erwartungsgemäß stark unter
dem Eindruck dieser Situation. Die Bundesregierung hat – anders noch als im ver-
gangen Haushaltsverfahren – auf die gestiegenen Flüchtlingszahlen reagiert und den
Mitteleinsatz an zahlreichen Stellen angepasst und erhöht. Das ist zu begrüßen,
wenngleich dieser Schritt an vielen Stellen faktisch unumgänglich war. Ferner ist
anzuerkennen, dass die Bundesregierung in Verhandlungen mit den Bundesländern
entschieden hatte, sich strukturell und dauerhaft bei der Versorgung und Unterbrin-
gung von Asylsuchenden zu beteiligen. Dennoch weist der Etat 2016 noch viele
Schwachstellen auf. Bedarfe wurden teilweise schöngerechnet und Leistungszu-
gänge zu eng gefasst. Das kann man etwa deutlich im Bereich Arbeit und Soziales
bzw. bei den Integrationskursen sehen. Um eine Willkommensinfrastruktur zu schaf-
fen, müssen diese Schwächen gezielt, beherzt und konsequent beseitigt werden. Die
Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellt in den Haushaltsberatungen
deshalb ein Maßnahmenpaket von insgesamt 5,2 Milliarden Euro ein und macht
dadurch deutlich, wo noch enormer Veränderungsbedarf besteht. Rund die Hälfte
der Mittel dient der allgemeinen sozialen Infrastruktur der Gesamtgesellschaft, z. B.
Förderung des sozialen Wohnraums und Bildungsmaßnahmen. Von günstigem
Wohnraum und guter Bildung profitieren alle gleichermaßen.

Das Bundesinnenministerium (BMI) nimmt eine zentrale Stellung ein: vom Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bis hin zu Integrationskursen und Pro-
grammen gegen Rechtsextremismus, vieles läuft über den Etat des BMI. Um die
Asylverfahren zu beschleunigen hat das BAMF 3.000 neue Stellen in diesem Haus-
halt erhalten, dies ist ein richtiger Schritt, um die Wartezeiten zu verkürzen und
schnell Rechtssicherheit für die Betroffenen herzustellen. Das BAMF ist auch ver-
antwortlich für die Integrationskurse, in denen die deutsche Sprache erlernt wird und
Kenntnisse über die Kultur und Geschichte Deutschlands vermittelt werden. Der Er-
werb der deutschen Sprache ist ein, wenn nicht der, zentrale Baustein zur Integration.
Umso empörender ist, dass die Koalition ihr integrationspolitisches Versprechen
bricht, und viele Asylsuchende trotz guter Bleibeperspektive von der Teilnahme an
Integrationskursen ausschließt: Durch einen gleichermaßen simplen wie unseriösen
Taschenspielertrick wird die Schutzquote für Schutzsuchende z. B. aus Afghanistan,
Somalia und Pakistan so kleingerechnet, dass diese Flüchtlinge von diesem zentralen
Integrationsangebot ausgeschlossen werden. Hinzu kommt, dass die Koalition mit
ihrer Aufstockung der Mittel für Integrationskurse weit hinter ihren eigenen ur-
sprünglichen Bedarfszahlen zurückbleibt. Die Bundestagsfraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN fordert eine adäquate finanzielle Ausstattung und beantragt
eine Aufstockung der Mittel für die Integrationskurse um 600 Mio. Euro. Auch im
Bereich Migrationsberatung bleibt die Koalition hinter ihren eigenen Schätzungen
zurück. Hier hat sie im Verfahren eine sachgerechte Mittelanpassung auf insgesamt
70 Mio. Euro beantragt. Positiv zu vermerken ist, dass die Koalition erkannt hat,
dass die Muslimischen Dachverbände auch finanzielle Mittel benötigen, um Integ-
rationsprojekte umzusetzen. Die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN hatten hier
3 Mio. Euro gefordert, die Koalition setzt 2,5 Mio. Euro ein. Das ist ein guter An-
fang.

Leider hat die Große Koalition das Thema der Arbeitsmarktintegration zunächst völ-
lig verschlafen – entsprechend verzögert werden erforderliche Maßnahmen erst an-
gegangen. Viel zu spät, aber immerhin werden nun doch bei relevanten Titelansätzen
die Mittel erhöht. Für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales war es unum-
gänglich, die Ansätze der Passivleistungen Arbeitslosengeld II und die Kosten der
Unterkunft zu erhöhen. Vor allem aber ist es richtig, die Ausstattung der Jobcenter

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bei Personal und Eingliederungsmitteln auszuweiten, die berufliche Sprachförde-
rung deutlich auszubauen und auch das Programm Integration durch Qualifizierung
besser auszustatten. Leider zeigt sich, dass offenbar eher ein vorgegebener Finanz-
rahmen handlungsleitend war und weniger die konkret zu erwartenden Bedarfe. Die
Bundesregierung hat ihren Schätzungen überaus optimistische Annahmen zugrunde
gelegt. So wird etwa für die im SGB II befindlichen Schutzberechtigten dort ledig-
lich eine Verweildauer von 65 Prozent im Jahresverlauf angenommen. Gemäß den
dazu vorliegenden Hinweisen ist das für die Anfangsphase des Aufenthaltes und
auch angesichts der ausbaubedürftigen Förderangebote zumindest bis auf Weiteres
kaum erwartbar. Ein weiterer gravierender Schwachpunkt ist in der Tatsache begrün-
det, dass den Jobcentern eine Schlüsselfunktion bei den beruflichen Integrationsbe-
mühungen zukommt, diese aber bisher schon klar unterfinanziert sind. Eine rein an
Flüchtlingszahlen ausgerichtete Mittelerhöhung trägt also nicht deren grundsätzli-
chen Finanzbedarf Rechnung. Die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN hatte daher im Verfahren eine sachgerechte Mittelanpassung in Höhe von ins-
gesamt rund 1,2 Mrd. Euro gefordert, welche sowohl die bisherige allgemeine Mit-
telknappheit als auch zusätzliche Anforderungen bedingt durch gestiegene Flücht-
lingszahlen abdeckt. Dem ist die Koalition nicht gefolgt. Es besteht daher ein sehr
hohes Risiko, dass die aktuelle Vorlage für den Bundeshaushalt schon in wenigen
Monaten Makulatur ist. Und gemäß den Erfahrungen seit dem vergangenen Haus-
haltsverfahren sind die Erwartungen gering, dass im Bedarfsfalle schnell nachge-
steuert wird. Auffällig ist zudem, dass sich die Bundesregierung mehr als zurückge-
halten hat, was ihre Prognosen für die Folgejahre angeht. Auch wenn die gegenwär-
tige Situation schwieriger als gewöhnlich Kalkulationen zulässt, ist es haushaltspo-
litisch völlig unangemessen, auf jedwede mittelfristige Finanzplanung zu verzichten.

Ähnlich gelagert ist die Problematik im Bereich der sozialen Wohnraumförderung.
Besonders akut ist die Bereitstellung von Erstaufnahme- und Gemeinschaftsunter-
künften. Hier ist, nicht zuletzt infolge des jüngsten Bund-Länder-Gipfels zur Flücht-
lingspolitik, einiges in die Wege geleitet geworden, auch unter der Finanzbeteiligung
des Bundes. Es steht aber darüber hinaus die Aufgabe an, Flüchtlingen, die ihre Ver-
fahren durchlaufen haben und vermutlich dauerhaft hier leben werden, angemesse-
nen Wohnraum anbieten zu können. Das wiederum findet in einer Phase statt, die in
vielen Städten und Regionen durch sich verschärfende Wohnungsknappheit geprägt
ist. Gerade für Menschen mit niedrigen Einkommen oder Familien wird die Woh-
nungssuche zum immer größeren Problem. Und pro Jahr gehen unter dem Strich
immer noch 60 Tausend Sozialwohnungen verloren, da sie aus der Mietpreisbindung
fallen. Der Bund muss finanziell zu ausreichend preiswertem Wohnraum beitragen,
und zwar dort, wo es gute Integrationsbedingungen gibt. Dieser bezahlbare Wohn-
raum wird dringend gebraucht, sowohl von Flüchtlingen mit Bleibeperspektive als
auch von bereits hier lebenden Menschen. Jetzt gilt es die Weichen für einen Woh-
nungssektor mit dauerhaft bezahlbarem Wohnraum für Menschen mit kleinen Ein-
kommen zu stellen, damit keine weitere Verdrängung stattfindet.

Es wird also dringend und in großem Umfang dauerhaft bezahlbarer Wohnraum be-
nötigt, für den im Übrigen die bewährten hohen Qualitätsstandards gelten sollten. Es
dürfen nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholt und anonyme Großsiedlungen
am Rande der Städte errichtet werden. Auch Anforderungen an Energieeffizienz und
der Einsatz erneuerbarer Energien dürfen dabei nicht unterlaufen werden. Es ist ein
erster Schritt, dass der Bund die Kompensationsmittel für die soziale Wohnraumför-
derung um 500 Mio. Euro auf eine Milliarde in den nächsten vier Jahren erhöht.
Diese Summe ist eine erste Finanzspritze, reicht aber bei weitem nicht aus. Nötig
wären nach Angaben des Städte- und Gemeindebundes mindestens 2 Milliarden
Euro jährlich. Die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau müssen daher auf
mindestens zwei Milliarden Euro im Jahr aufgestockt werden.

Es ist ausdrücklich gut zu heißen, dass die Koalition im Bereich des Familienressorts
in eine ähnliche Richtung gegangen ist, wie sie auch von der Bundestagsfraktion

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BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgeschlagen wurde. Hierzu zählen die Stärkung der
Jugendmigrationsdienste, ein Ausbau im Bereich des bürgerschaftlichen Engage-
ments oder auch die Unterstützung für die Aufgaben der Wohlfahrtsverbände. Diese
Maßnahmen sind zu unterstützen und auf mittlere Sicht bei Bedarf zu intensivieren.
Wenig verständlich ist es, dass die Koalition ausschließlich den Bundesfreiwilligen-
dienst und nicht auch das Freiwillige Soziale Jahr in der Flüchtlingsarbeit fördert.
Ansonsten ist zu festzustellen, dass die beeindruckende Hilfe, die in Deutschland
von unzähligen Freiwilligen und Ehrenamtlichen zur Betreuung, Versorgung und
Integration von Flüchtlingen auf vielfältigste Weise erbracht wird, auf einem dünnen
Fundament steht. Hier tut die Stärkung der vor Ort bestehenden Ehrenamtsinfra-
struktur Not, sonst drohen eine Überforderung und sogar der Rückzug von vielen
Helferinnen und Helfern von ihrem ehrenamtlichen Engagement. Die Koalition
springt zudem zu kurz, wenn sie über besagte erhöhte Förderung der Wohlfahrtsver-
bände Gewaltschutzstrukturen in Flüchtlingsunterkünften und spezifische Bera-
tungsangebote sowie auch die psychosoziale (Akut)Versorgung der geflohenen
Menschen bewerkstelligen will. Hierzu sind vielmehr zielgerichtete Programme mit
einer Finanzausstattung von 25 bzw. 50 Mio. Euro erforderlich, um die engagierte
Arbeit der vielen Psychosozialen Zentren in der Flüchtlingsarbeit zu stärken – damit
hier insbesondere den von (sexualisierter) Gewalt gefährdeten Flüchtlingen sowie
solchen Schutzsuchenden mit gravierenden seelischen Belastungen angemessen ge-
holfen werden kann.

Durch den Etat der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM)
wird bereits eine Vielzahl an Institutionen gefördert, welche das Zusammenleben der
Gesellschaft stärken und Integration voranbringen. Viele Kulturträger haben in den
letzten Monaten Konzepte entwickelt, um deutschlandweit Projekte mit Flüchtlingen
zu realisieren. Die hierzu aus dem Haushalt der BKM zur Verfügung stehenden Mit-
tel für die Kulturfonds werden nicht ausreichen. Damit die vielen guten Ideen nicht
an der Finanzierung scheitern, sind zusätzliche Mittel auch für die kulturelle Ver-
mittlung, die kulturpolitische Gesellschaft, das Programm „Flucht und Flüchtlinge“
des Fonds Soziokultur und die Soziokulturellen Zentren nötig. Die Bundestagsfrak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat daher insgesamt eine Million Euro beantragt,
um deutschlandweit Projekte im Bereich der kulturellen Bildung von Flüchtlingen
zu ermöglichen. Die Koalition ist dieser Forderung leider nicht nachgekommen.

Die Koalition verkennt die immens wichtige Rolle, die Bildung und Betreuung auch
für die hier ankommenden jungen schutzsuchenden Menschen zukommt. Die
Grundsteine für die soziale Teilhabe – und hierbei zuvörderst die Sprachförderung –
und für den späteren beruflichen Lebensweg werden Großteils in den Bildungsein-
richtungen von Kita über Schule bis zur beruflichen Bildung bzw. der Hochschule
gelegt. Die Möglichkeiten von Ländern und Kommunen sind zu stark begrenzt, als
dass sie der zusätzlich entstehenden Nachfrage entsprechen können. Dabei ist die
Investition in Bildung nicht nur für die betroffenen jungen Menschen, sondern auch
für die gemeinsame Zukunft des Landes von unschätzbarem Wert. Sie sollte deshalb
als politische Gemeinschaftsaufgabe ersten Ranges verstanden werden und auch die
Streichung des Kooperationsverbots aus der Verfassung umfassen. Ebendas macht
sich die Koalition jedoch nicht zu Eigen. Eine nennenswerte Unterstützung beim
Ausbau der Bildungsangebote im Hinblick auf Flüchtlinge wird in diesem Haushalt
nicht vorgesehen. Die Koalition belässt es bei drei vergleichsweise begrenzten Maß-
nahmen. So werden die durch den Wegfall des Betreuungsgeldes freiwerdenden
Bundesmittel auf drei Jahre begrenzt den Kommunen zur Verfügung gestellt – leider
ohne eine vereinbarte Zweckbindung sondern lediglich mit dem Appell verknüpft,
in die Kindertagesbetreuung zu investieren. Zudem plant die Bundesregierung erst
ab März 2016 Ehrenamtliche für die Vermittlung von Deutschkenntnissen auszubil-
den. Anstatt direkt in die Bildungschancen von Flüchtlingen zu investieren und bei-
spielsweise die Hochschulen bei dieser großen Aufgabe zu unterstützen, kürzt die
Koalition beim Hochschulpakt 2020. Und das entgegen dem Wissen, dass aufgrund

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der Menschen die zu uns kommen, mit deutlich steigenden Menschenzahlen zu rech-
nen ist. Das Geld für die Koordinierungsstellen und Alphabetisierungskurse reicht
nicht aus. Die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit konkreten
Änderungsanträgen im Verfahren gezeigt, welche Schritte im Sinne einer weitsich-
tigen Bildungs- und Integrationspolitik zu gehen wären. Der zentrale Schritt ist dabei
die Finanzierung einer auf zehn Jahre angelegten Bildungsoffensive zu realisieren,
mit der Bundesländer und Kommunen unterstützt werden, zielgerichtet in die Bil-
dung von Flüchtlingen zu investieren, als eine erste Unterstützungsmaßnahme mit
jeweils 1 Mrd. Euro pro Jahr. Dies umfasst Maßnahmen in den Bereichen Sprach-
förderung, frühkindliche, schulische, berufliche und hochschulische Bildung.

Auch auf internationaler Ebene besteht angesichts von 60 Mio. Flüchtlingen welt-
weit großer Handlungsbedarf. Neben international zu treffenden Vereinbarungen
stehen die wohlhabenden Nationen jeweils in der Pflicht, ihre Bemühungen zur Ver-
besserung der menschenrechtlichen und humanitären Situation der Flüchtenden so-
wie der Lage in den Herkunfts- und Aufnahmeländern zu intensiveren. Deutschland
muss hier als starke Wirtschaftsnation Verantwortung übernehmen. Den wichtigsten
unmittelbaren Ansatzpunkt bilden zunächst die Mittel für die Humanitäre Hilfe. Hier
ist eine Aufstockung auf 1 Mrd. Euro im kommenden Jahr zu beschließen. Es ist
beschämend, wenn jedes Jahr im Sommer der UNHCR keine Gelder mehr zur Ver-
fügung hat und die Lebensmittelrationen in den Flüchtlingscamps gekürzt werden
müssen. Hier sind die wohlhabenden Länder in der Pflicht, die internationalen Or-
ganisationen wie die Vereinten Nationen (VN) und ihre Hilfswerke, darunter das
Welternährungsprogramm, dauerhaft finanziell zu stärken. Die Bundestagsfraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat im Haushaltsverfahren eine Stärkung der VN in
Höhe von 150 Mio. Euro, eine Aufstockung der Krisen- und Stabilisierungshilfe auf
500 Mio. Euro und einen höheren Beitrag von insgesamt 100 Mio. Euro für das
Welternährungsprogramm gefordert.

Auch bei der Zivilen Krisenprävention sehen wir erheblichen Handlungsbedarf. Ins-
besondere müssen zusätzliche Mittel bei der institutionellen und operationellen Stär-
kung des Ressortkreises Zivile Krisenprävention eingesetzt werden. Die Bundesmi-
nisterien des Auswärtigen, des Inneren, der Verteidigung und für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung haben gemeinsam eine Budgetverantwortung in
Höhe von 200 Mio. Euro. Mit einem starken Ressortkreis soll die Chance genutzt
werden, Konflikten frühzeitig zu begegnen und Eskalationen zu verhindern. Zudem
dürfen Konfliktregionen und Staaten mit problematischer Menschenrechtslage nicht
mit deutschen Kriegswaffen hochgerüstet werden.

Auch die Klimakrise kann zu einer Zunahme von Klimaflüchtlingen führen. Die
Vereinbarungen der Staatengemeinschaft beim Pariser Gipfel muss deshalb mit fi-
nanziellen Mitteln unterlegt werden. Die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN fordert daher eine Aufstockung der internationalen Klimaschutzmittel um
500 Mio. Euro. Im Haushaltsverfahren hat der Etat des Bundesministeriums für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung von der Koalition keinen Cent mehr
erhalten. Dies ist ein Armutszeugnis. Nicht nur, dass die ODA-Quote von 0,7 Pro-
zent in weite Ferne rückt, sondern gerade in unseren Krisenzeiten ist es unverständ-
lich, dass der Entwicklungszusammenarbeit keine stärkere Bedeutung beigemessen
wird. Die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zeigt mit ihren Haus-
haltsanträgen von über 850 Mio. Euro, dass eine Stärkung der Entwicklungszusam-
menarbeit möglich ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• den Einzelplan 04 so auszustatten, dass weitere Mittel für deutschlandweite Pro-
jekte zur kulturellen Teilhabe von Flüchtlingen bereitstehen;

• im Einzelplan 05 umgehend für eine deutliche Aufstockung der Mittel zur huma-
nitären Hilfe zu sorgen;

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• im Einzelplan 06 die Mittel für die Integrationskurse massiv aufzustocken, um

so einen breiteren, sinnvollen Zugang zu diesem zentralen integrationspoliti-
schen Angebot zu ermöglichen sowie für eine sachgerechte Ausstattung der Mi-
grationsberatung für Erwachsene zu sorgen;

• über den Einzelplan 11 die Jobcenter entsprechend ihrer gesamten Aufgaben-
und Kundenbreite endlich angemessen auszustatten, das Angebot für Maßnah-
men zur Abschlussanerkennung und Qualifizierung mit mehr Mitteln zu verstär-
ken sowie frühzeitig darzulegen, wie im kommenden Jahr bei sich abzeichnender
Unterdeckung von Haushaltstiteln in dem Ressort nachgesteuert werden soll;

• über den Einzelplan 15 die psychosoziale (Akut)Versorgung der geflohenen
Menschen mit zielgerichteten und solide ausfinanzierten Programmen zu för-
dern;

• im Einzelplan 16 Kompensationszahlungen an die Länder wegen der Beendigung
der Finanzhilfen des Bundes zur Sozialen Wohnraumförderung vorzusehen;

• im Einzelplan 17 Vorhaben zu verankern, welche den Gewaltschutz von beson-
ders gefährdeten Flüchtlingsgruppen stärken sowie die Stärkung von lokalen Ko-
ordinierungs- und Unterstützungsstrukturen für die freiwillige und ehrenamtliche
Flüchtlingshilfe ermöglichen;

• den Einzelplan 23 mit erheblich mehr Mitteln auszustatten, um u. a. die Krisen-
bewältigung und den Wiederaufbau besser auszustatten, die Vereinten Nationen
und besonders das Welternährungsprogramm zu stärken sowie die internationale
Klimaschutzmittel zu erhöhen;

• auf eine Kürzung des Hochschulpakts im Einzelplan 30 zu verzichten und diesen
vielmehr in Korrelation zur steigenden Zahl studierender Flüchtlinge anzuheben;

• das Kooperationsverbot abzuschaffen sowie als eine erste Maßnahme die Finan-
zierung einer auf zehn Jahre angelegten Bildungsoffensive in die Wege zu leiten,
mit der Bundesländer und Kommunen unterstützt werden, zielgerichtet in die
Bildung von Flüchtlingen zu investieren. Dies umfasst Maßnahmen in den Be-
reichen Sprachförderung, frühkindliche, schulische, berufliche und hochschuli-
sche Bildung;

• die Kommunen weiter als bisher finanziell in der Weise zu unterstützen, dass sie
die aus gestiegenen Flüchtlingszahlen resultierenden Aufgabenzuwächse zufrie-
denstellend erfüllen können.

Berlin, den 23. November 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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