BT-Drucksache 17/8493

Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen - Zugang zu Medikamenten weltweit verwirklichen

Vom 25. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8493
17. Wahlperiode 25. 01. 2012

Antrag
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Krista Sager, Birgitt Bender, Dr. Konstantin
von Notz, Priska Hinz (Herborn), Thilo Hoppe, Ute Koczy, Tom Koenigs, Marieluise
Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel,
Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Ingrid Hönlinger, Katja Keul,
Memet Kilic, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Dr. Tobias Lindner,
Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Tabea Rößner, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Frithjof Schmidt,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Hans-Christian Ströbele, Josef Philip Winkler
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das Menschenrecht auf Gesundheit umsetzen – Zugang zu Medikamenten
weltweit verwirklichen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Staatengemeinschaft hat sich mit den Millenniumentwicklungszielen 4, 5
und 6 dazu verpflichtet, die Kinder- und Müttergesundheit entscheidend zu ver-
bessern und entschieden gegen HIV/AIDS, Malaria und andere schwere Krank-
heiten vorzugehen. Die meisten Erkrankungen in Entwicklungs- und Schwel-
lenländern sind armutsbedingt. Aber auch umgekehrt gilt: Krankheiten fördern
und verursachen Armut, sind deshalb ein bedeutendes Entwicklungshemmnis
und konterkarieren die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit.

Um das Problem dauerhaft lösen zu können, müssen wirksame Gesundheits-
systeme aufgebaut werden. Darüberhinaus müssen preiswerte und nutzen-
geprüfte Arzneimittel zur Prävention (z. B. Mikrobizide und Impfstoffe) und
Behandlung sowie Diagnostika entwickelt und zur Verfügung gestellt werden.
Hierzu müssen Forschung und Entwicklung intensiviert werden. Der univer-
selle Zugang zu Medikamenten und weiteren medizinischen Produkten ist eine
zentrale Voraussetzung, um das Menschenrecht auf Gesundheit zu verwirk-
lichen.

Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierten 17 vernachlässig-
ten Tropenkrankheiten beeinträchtigen das Leben von über einer Milliarde
Menschen. Diese Krankheiten können schwere körperliche Beeinträchtigungen
und Behinderungen hervorrufen, nicht wenige davon haben bei Nichtbehand-

lung einen tödlichen Verlauf. Viele dieser Krankheiten sind behandelbar oder
wären sogar vermeidbar. Nicht mit eingeschlossen sind bei der WHO-Definition
die so genannten großen drei – HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose. Nach An-
gaben der WHO starben aber allein 2009 an diesen drei Krankheiten 4,3 Millio-
nen Menschen. UNAIDS, das gemeinsame Programm der Vereinten Nationen
zu HIV/AIDS, dokumentiert zudem, dass nicht einmal die Hälfte der therapie-
bedürftigen HIV-Infizierten entsprechende Medikamente erhält. Das ursprüng-

Drucksache 17/8493 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

liche Ziel der Weltgemeinschaft, bis 2010 universellen Zugang (definiert als 80-
prozentige Abdeckung aller bedürftigen HIV-Infizierten) zu Prävention, Thera-
pie, Betreuung und Unterstützung zu ermöglichen, wurde weit verfehlt.

Um den Zugang zu den notwendigen Präventionsmitteln, Impfstoffen, Diagnos-
tika und Medikamenten wesentlich zu verbessern, muss sowohl die Forschungs-
als auch die Versorgungslücke weitgehend geschlossen werden. Weniger als
2 Prozent der neu entwickelten pharmazeutischen Wirksubstanzen zwischen
1975 und 2004 zielten auf vernachlässigte Krankheiten einschließlich Malaria
und Tuberkulose ab. Da vor allem Menschen in Entwicklungs- und Schwellen-
ländern mit geringer Kaufkraft von diesen Krankheiten betroffen sind, gibt es
keinen entsprechenden Markt und keine wirtschaftlichen Anreize für pharma-
zeutische Unternehmen, Produkte gegen diese Krankheiten zu entwickeln. Aber
auch die Versorgung der armen Bevölkerung mit bereits existierenden medizini-
schen Produkten ist problematisch. So führen beispielsweise hohe Medikamen-
tenpreise dazu, dass sich viele Menschen in Entwicklungs- und Schwellen-
ländern die notwendigen Medikamente nicht leisten können, da das derzeitige
Patentrecht den Pharmaherstellern Monopolrechte garantiert. Bereits 2001 wurde
mit der Doha-Erklärung versucht, das Menschenrecht auf Gesundheit zu stär-
ken. Sie ist eine Ergänzung zum Übereinkommen der Welthandelsorganisation
(WTO) über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums,
dem sogenannten TRIPS-Abkommen. Die WTO-Staaten verpflichteten sich in
der Erklärung, die öffentliche Gesundheit zu schützen und den Zugang zu Me-
dikamenten durch so genannte TRIPS-Flexibilitäten zu fördern. Dies kann zum
Beispiel durch Zwangslizenzen, Parallelimporte und strikte Patentierungs-
voraussetzungen erfolgen. Allerdings lassen sich diese Schutzklauseln oftmals
nur schwer durchsetzen. Hinzu kommt, dass vor allem durch bilaterale Freihan-
delsabkommen versucht wird, TRIPS-Flexibilitäten gravierend einzuschränken
und verschärfte Regelungen in Bezug auf geistiges Eigentum durchzusetzen.
Dies ist eine Missachtung des Menschenrechts auf Gesundheit (siehe auch An-
trag auf Bundestagsdrucksache 17/448).

Das neue Förderkonzept der Bundesregierung zu vernachlässigten und armuts-
bedingten Krankheiten, welches im Mai 2011 aufgelegt wurde, ist eine wichtige
Initiative, die erstmals speziell Produktentwicklungspartnerschaften (PDP) för-
dert. Der finanzielle Umfang des Programms ist mit 20 Mio. Euro für die Jahre
2011 bis 2014 unzureichend. Außerdem sind Tuberkulose und HIV/AIDS von
der Förderung ausgeschlossen.

Im Bereich der medizinischen Forschung kommt weltweit fast die Hälfte der
Gelder aus staatlichen Mitteln; dies gilt auch in Teilen für Deutschland. Die Ver-
wertungsinitiative von 2001 beispielsweise (jetzt unter dem Namen SIGNO beim
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie angesiedelt) ist aber allein
kommerziell ausgerichtet. Konkrete Leitlinien für den Umgang mit Patentrech-
ten im Zusammenhang mit öffentlich geförderter medizinischer Forschung, um
beispielsweise möglichst niedrige Produktpreise in den Entwicklungsländern zu
ermöglichen, gibt es nicht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im Rahmen des Förderprogramms „Vernachlässigte und armutsassoziierte
Krankheiten“ die PDP-Förderung für den Zeitraum von 2013 bis 2016 auf
100 Mio. Euro zu erhöhen;

2. die Mittel für das Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung (BMBF) zu vernachlässigten und armutsassoziierten Krankheiten
im Haushalt bzw. Einzelplan 30 gesondert auszuweisen, um so eine trans-
parente Mittelverwendung zu gewährleisten;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8493

3. die Anstrengungen in der öffentlichen Forschungsförderung (Projekt- und
institutionelle Förderung durch BMBF und Bundesministerium für Gesund-
heit) im Bereich der vernachlässigten Krankheiten, Tuberkulose, Malaria
und vernachlässigter Aspekte von HIV/AIDS zu forcieren;

4. gemeinsam mit den großen Forschungsinstitutionen wie der Deutschen For-
schungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Helmholtz-Ge-
meinschaft zu erörtern, wie aus deren Sicht die Erforschung vernachlässig-
ter Krankheiten intensiviert werden könnte und welchen Beitrag sie hierzu
leisten könnten;

5. das Förderprogramm „Vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten“
mit einer zweiten Ausschreibung als Förderschwerpunkt weiterhin zu
sichern und Tuberkulose sowie vernachlässigte Aspekte der Prävention,
Diagnose und Behandlung von HIV/AIDS, wie spezielle Medikamente für
Kinder, Mikrobizide und Impfstoffe, in die Förderung mit aufzunehmen;

6. zu ermöglichen, dass Medikamente, Impfstoffe und andere medizinische
Produkte, die auf öffentlich finanzierter Forschungsförderung beruhen, für
Menschen in ärmeren Ländern leichter zugänglich gemacht werden. Die
Aufnahme sozialer Kriterien im Sinne einer gerechten Lizenzpolitik (etwa
Equitable-Licensing-Klauseln) bei Verträgen z. B. zwischen Hochschulen
oder außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Unternehmen oder
auch im Rahmen der Beauftragung von Patentverwertungsagenturen wür-
den dazu beitragen;

7. den deutschen Beitrag an den Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS,
Tuberkulose und Malaria auf 300 Mio. Euro jährlich zu erhöhen;

8. das deutsche Engagement an der europäischen Initiative EDCTP (European
and Developing Countries Clinical Trials Partnership) auszubauen und
darauf hinzuwirken, dass die 17 gemäß der WHO-Definition vernachlässig-
ten Krankheiten ebenfalls Teil der Initiative werden;

9. sich dafür einzusetzen, dass in Freihandelsabkommen der EU keine so
genannten TRIPS+-Bestimmungen, wie beispielsweise verlängerte Patent-
laufzeiten oder Datenexklusivität, festgeschrieben werden;

10. sich in der WTO dafür einzusetzen, für die am wenigsten entwickelten
Länder verlängerte Übergangsfristen zur Implementierung des TRIPS-Ab-
kommens zu gewähren;

11. dafür Sorge zu tragen, dass es durch Zollbehörden bei der Anwendung der
Regelungen über Grenzmaßnahmen nach dem Anti-Counterfeiting Trade
Agreement (ACTA) nicht aufgrund von Namensähnlichkeiten zwischen
legal produzierten Generika und Originalmedikamenten zum ungerecht-
fertigten Verdacht von Markenrechtsverletzungen kommt, und damit zu
ungerechtfertigten Beschlagnahmen, Durchsuchungen oder sogar zur Ver-
nichtung von Lieferungen lebensnotwendiger Medikamente und dadurch
der Zugang zu Medikamenten in Entwicklungs- und Schwellenländern ein-
geschränkt oder – etwa wegen der Verteuerung durch alternative Transport-
wege – erschwert wird;

12. neue Forschungsansätze und -förderungsmechanismen im Bereich der ver-
nachlässigten Krankheiten, Tuberkulose, Malaria und vernachlässigter
Aspekte von HIV/AIDS, so z. B. die Ausschreibung von Preisgeldern,
aktiv zu prüfen und damit dem Aktionsplan der WHO für öffentliche
Gesundheit, Innovation und geistige Eigentumsrechte Rechnung zu tragen;

Drucksache 17/8493 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
13. darauf hinzuwirken, dass im neu gegründeten Deutschen Zentrum für
Infektionsforschung (dzif) der Förderschwerpunkt der vernachlässigten
Krankheiten einschließlich Tuberkulose und Malaria und vernachlässigter
Aspekte von HIV/AIDS mit ausreichenden Mitteln unterstützt wird;

14. sich dafür einzusetzen, dass im Nachfolgeprogramm des 7. EU-Forschungs-
rahmenprogramms, „Horizon 2020“, die Forschung zu vernachlässigten
Krankheiten einschließlich Tuberkulose und Malaria und vernachlässigter
Aspekte von HIV/AIDS in der dritten Säule „Gesellschaftliche Herausfor-
derungen“ im Programm „Gesundheit, Demografie und Wohlergehen“ be-
rücksichtigt wird;

15. sich dafür einzusetzen, dass der „Global Code of Practice on the Inter-
national Recruitment of Health Personnel“ der WHO implementiert wird,
um die Versorgung mit medizinischen Leistungen durch entsprechendes
Gesundheitspersonal in den Entwicklungsländern nicht weiter zu ver-
schlechtern;

16. sich stärker bei der WHO in den Prozess um die verabschiedete Resolution
(WHA61.21) für eine „Globale Strategie und Aktionsplan für öffentliche
Gesundheit, Innovation und geistige Eigentumsrechte“ einzubringen sowie
den Vorschlag der WHO-Arbeitsgruppe – Consultative Expert Working
Group on Research and Development: Financing and Coordination
(CEWG) – für ein verbindliches Abkommen nach Artikel 19 der WHO-
Verfassung für Forschung und Entwicklung im Bereich vernachlässigter
und armutsbedingter Krankheiten zu prüfen.

Berlin, den 24. Januar 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.