BT-Drucksache 17/7831

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/6600, 17/6602, 17/7111, 17/7123, 17/7124, 17/7125 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012 (Haushaltsgesetz 2012) hier: Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Vom 22. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7831
17. Wahlperiode 22. 11. 2011

Änderungsantrag

der Abgeordneten Diana Golze, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Matthias W. Birkwald, Heidrun
Bluhm, Steffen Bockhahn, Dr. Martina Bunge, Roland Claus, Heidrun Dittrich,
Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine
Leidig, Michael Leutert, Thomas Lutze, Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Jens
Petermann, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer,
Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Kathrin Vogler, Harald
Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/6600, 17/6602, 17/7111, 17/7123, 17/7124, 17/7125 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012
(Haushaltsgesetz 2012)

hier: Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Der Bundestag wolle beschließen:

1. Die Gesamtausgaben in Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 14 Mrd.
Euro erhöht, um folgende Änderungen zu finanzieren:

a) die Anhebung des Regelsatzes in der Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) auf 500 Euro;

b) die analoge Anhebung der Regelsätze für die Sozialhilfe sowie die Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im SGB XII sowie

c) die Integration von Asylsuchenden, geduldeten und Bürgerkriegsflücht-
lingen in die Sicherungssysteme nach dem SGB II und dem SGB XII.
2. Die Gesamtausgaben in Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 11,3 Mrd.
Euro erhöht, damit ein angemessener Beitrag für SGB-II-Leistungsberech-
tigte zur Rentenversicherung in Höhe der Hälfte des Durchschnittsentgelts
geleistet wird (0,5 Entgeltpunkte).

3. Die Gesamtausgaben in Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 600 Mio.
Euro erhöht, um die Abschaffung des befristeten Zuschlags sowie die An-
rechnung des Elterngeldes bei Hartz-IV-Leistungsberechtigten zu korrigieren.

Drucksache 17/7831 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Die Gesamtausgaben in Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 5 Mrd. Euro
erhöht, um die Beiträge an die Krankenkassen für Leistungsberechtigte im
Bereich des SGB II auf ein angemessenes Niveau anzuheben.

5. Die Gesamtausgaben in Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 7,1 Mrd.
Euro erhöht, um die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und
Heizung gemäß der tatsächlichen Entwicklung der Kosten zu erhöhen und
Folgekosten für die Kommunen durch die Erhöhung des Regelsatzes auf
500 Euro zu refinanzieren.

6. Die Gesamtausgaben in Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 im Eingliederungstitel
werden um 1,6 Mrd. Euro erhöht, um Kürzungen der arbeitsmarktpolitischen
Leistungen für SGB-II-Leistungsberechtigte zu verhindern.

7. Die Titel 681 12-251 (Arbeitslosengeld II) und 632 11-251 (Beteiligung des
Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung) werden jeweils mit
einem Haushaltsvermerk versehen. Diese Vermerke haben zum Inhalt, dass
Mittel aus den beiden genannten Titeln für Eingliederungsmaßnahmen (Titel
685 11-251 – Leistungen zur Eingliederung in Arbeit) genutzt werden können.

8. Der Titel 216 02-251 (Eingliederungsbeitrag der Bundesagentur für Arbeit)
wird ersatzlos gestrichen und auf Einnahmen über einen Eingliederungsbei-
trag der Bundesagentur für Arbeit verzichtet.

9. Die Gesamtausgaben in Kapitel 11 13 – Titel 636 81 werden um 1,7 Mrd.
Euro erhöht, um zur Umsetzung des Prinzips gleiche Rente für gleiche Leis-
tung erste Schritte zu einer Angleichung der Ostrenten auf Westniveau zu
finanzieren (1,2 Mrd. Euro) und um mit einer Entfristung der Renten nach
Mindestentgeltpunkten einen Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut zu
leisten (500 Mio. Euro).

Berlin, den 22. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Haushaltspolitik der schwarz-gelben Regierung, die im Einzelplan 11 des
Haushaltsgesetzes ihren sichtbaren Niederschlag findet, ist unsozial, belastet
schwache Regionen in besonderer Weise und ist ökonomisch falsch. Eine der
wesentlichen Ursachen der Finanzmarktkrise – die Polarisierung von Einkom-
men und Vermögen – wird nicht bekämpft.

Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigen den dra-
matischen Zustand der ungleichen Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums
in Deutschland: Der Anteil der reichsten 10 Prozent verfügt über mehr als
60 Prozent des gesamten Vermögens. Gleichzeitig verfügt die untere Hälfte über
fast überhaupt kein Vermögen (DIW Wochenbericht 4/2009, S. 59). Die vo-
rübergehenden Einbußen durch die Finanzmarktkrise 2008 haben die Vermö-
genden bereits heute schon wieder kompensiert. Die soziale Polarisierung wird
durch die Haushaltspolitik fortgesetzt.

Dem ist ein grundsätzlich anderer Ansatz entgegenzustellen: Es wird eine Politik
der massiven sozialen Umverteilung angestrebt. Dies ist sozial gerecht und durch
die Steigerung der Nachfrage ökonomisch vernünftig. Ein derartiger Politik-
wechsel wirkt zudem zukünftigen Krisen entgegen. Die angeführten Änderun-

gen im Einzelplan 11 konkretisieren die Strategie der Umverteilung durch den

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7831

Ausbau von sozialer Sicherheit und von Maßnahmen zur sozialen Eingliede-
rung.

Die Änderungen für den Einzelplan 11 lassen sich in sechs Ziele einteilen:

1. Rücknahme der Kürzungen durch das sog. Sparpaket

Die Haushaltspolitik der schwarz-gelben Regierung folgt im Grundsatz einer
falschen Strategie. Die Haushaltsprobleme sind wesentlich verursacht durch die
Finanz- und Wirtschaftskrise. Diese Krise ist aber nicht von Hartz-IV-Leistungs-
berechtigten ausgelöst worden. Insbesondere dieser Gruppe wird aber die Kri-
senbewältigung unverändert maßgeblich aufgenötigt. Gleichzeitig werden aber
die Nutznießer des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, die Vermögenden,
verschont. Damit fallen Haftung und Verantwortung auseinander. Durch die
Konzentration der Haushaltskonsolidierung durch Kürzungen bei den Sozial-
leistungsberechtigten wird die soziale Spaltung vorangetrieben. Der Konzentra-
tion von Vermögen und Einkommen – eine der strukturellen Krisenursachen –
wird nicht in präventiver Absicht entgegengewirkt, sondern sie wird weiter be-
fördert. Die Kürzungen im Einzelplan 11 sind daher zurückzunehmen.

Die Mittel sind bereitzustellen, um die folgenden Kürzungen rückgängig zu
machen:

● Anrechnung des Elterngeldes auf das Arbeitslosengeld II;

● Streichung des befristeten Zuschlags nach Auslaufen des Anspruchs auf
Arbeitslosengeld;

● Reduktion des Eingliederungstitels um 1,6 Mrd. Euro; der Eingliederungsti-
tel ist auf dem bestehenden Niveau zu konsolidieren, um eine Verstärkung
der beruflichen Weiterbildung und einen bundesweiten Aufbau eines öffent-
lich geförderten Beschäftigungssektors (ÖBS) nach Berliner Vorbild zu reali-
sieren.

2. Menschenwürdige Existenzsicherung durch erhöhte Grundsicherungs-
leistungen

Die Regelleistung für erwachsene Grundleistungsberechtigte („Regelbedarfs-
stufe 1“) ist auf 500 Euro im Monat anzuheben. Eine sachgerechte Ermittlung
des Regelsatzes, die verdeckt Arme aus der Referenzgruppe herausrechnet, die
sich auf die untersten 20 Prozent der Haushalte (statt der untersten 15 Prozent)
als Ausgangspunkt der Berechnung bezieht und weitgehend auf Abschläge ver-
zichtet, liegt in der Größenordnung von 500 Euro. Die Bundesregierung hat da-
gegen durch willkürliche Manipulationen das Existenzminimum kleingerech-
net. Gutachten von Dr. Irene Becker und Prof. Dr. Johannes Münder im Auftrag
der Hans-Böckler-Stiftung bewerten die Ermittlung des Existenzminimums
durch die Bundesregierung als verfassungswidrig (Soziale Sicherheit Sonder-
heft September 2011).

Zugleich soll ein Deckungsvermerk eingeführt werden, der eine „Aktivierung“
der Leistungen gestattet, d. h. die Mittel für das Arbeitslosengeld II können auch
beispielsweise für einen ÖBS genutzt werden.

Eine Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (Kurz-
bericht 11/2008) zeigt, dass die Erhöhung der Regelsätze in der politisch ge-
wünschten Weise wirkt: Sie verteilt um und bekämpft Armut. Das IAB zeigt:
Bereits durch eine Anhebung des Regelsatzes auf 420 Euro wird die Armuts-
(risiko)quote um 2 Prozent gesenkt. In besonderer Weise profitieren insbeson-
dere Alleinerziehende. Die sachgerechte Anhebung auf 500 Euro Regelsatz
wäre umso effektiver im Kampf für eine gerechtere soziale Verteilung.

Drucksache 17/7831 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
3. Eine bessere soziale Absicherung von Hartz-IV-Beziehenden

Statt der verabschiedeten Streichung der Rentenbeiträge durch das Kürzungs-
paket muss der soziale Schutz von SGB-II-Leistungsberechtigten ausgeweitet
werden. Der Beitrag ist so anzuheben, dass ein effektiver Schutz vor Altersarmut
gewährleistet wird: Eine Anhebung auf 0,5 Entgeltpunkte ist angemessen. Die
vollständige Verlagerung des sozialen Risikos Altersarmut auf die betroffenen
Hartz-IV-Bezieher ist grundlegend zu korrigieren.

Die Beiträge zu den Krankenkassen müssen angemessen sein. Dies sind die der-
zeitigen Beiträge für die ALG-II-Beziehenden nicht. Als Orientierungswert für
die Höhe der Anhebung können die pro Monat und Mitglied durchschnittlich
entrichteten Beiträge dienen. Die Krankenkassen würden dadurch Mehreinnah-
men erzielen, wodurch die Einnahmeseite der gesetzlichen Krankenkassen ge-
stärkt würde.

4. Entlastung der Kommunen durch angemessene Beteiligung des Bundes

Schließlich muss sich der Bund in angemessener Weise an den Kosten für Un-
terkunft und Heizung beteiligen. Entstandene Lücken durch einen nicht sachge-
rechten Fortschreibungsmechanismus der Bundesbeteiligung (Orientierung an
der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften statt an den tatsächlichen Kosten) sind
zu korrigieren. Ebenso übernimmt der Bund zusätzliche Kosten der Kommunen,
die durch die Erhöhung des Regelsatzes entstehen.

5. Verzicht auf Belastung der Bundesagentur für Arbeit

Der Bund trägt die Verantwortung für die Finanzierung des SGB II; dies gilt
auch für die Eingliederungsleistungen und die Verwaltungskosten. Die durch
den sog. Eingliederungsbeitrag praktizierte Verschiebung der Kosten auf die
Bundesagentur für Arbeit ist nicht sachgerecht und belastet die Beitragszahler
zur Arbeitslosenversicherung. Die Beitragsmittel aus der Arbeitslosenversiche-
rung müssen vorrangig zur Verbesserung der Vermittlung und Eingliederung der
Leistungsberechtigten sowie der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeits-
losengelds eingesetzt werden.

6. Rente ausbauen

Der Rentenwert Ost ist in fünf Schritten an das Westniveau anzugleichen. Das
Prinzip gleiche Rente für gleiche Leistung muss mehr als zwanzig Jahre nach
der Vereinigung endlich umgesetzt werden. Die Angleichung ist aus Steuermit-
teln zu finanzieren. Gleichzeitig ist die Rente nach Mindestentgeltpunkten zu
entfristen als Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut. Im Rahmen des Kamp-
fes gegen Altersarmut ist eine Mindestrente in Höhe von 900 Euro vorzuberei-
ten, damit diese zeitnah ab dem Haushaltsjahr 2013 umgesetzt werden kann.

Der Haushaltsansatz im Einzelplan 11 wird durch die Maßnahmen erheblich
ausgeweitet. Dies ist aber notwendig und sinnvoll, um einen grundlegenden
politischen Strategiewechsel zu erreichen und die überfällige Politik der sozia-
len Umverteilung einzuleiten. Ein wichtiger Baustein eines Strategiewechsels
ist die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von
10 Euro pro Stunde. Nach Berechnungen des Prognos Instituts hätte diese Maß-
nahme einen fiskalischen Gesamteffekt – höhere Sozialversicherungsbeiträge
und Steuereinnahmen sowie geringere Sozialausgaben – in Höhe von 12,7 Mrd.
Euro (Prognos: Fiskalische Effekte eines gesetzlichen Mindestlohns, Berlin
2011). Die Bundesregierung verzichtet durch ihr Nichthandeln in diesem Be-
reich nicht nur auf gerechte Löhne auf dem Arbeitsmarkt, sondern zugleich auf
erhebliche staatliche Mehreinnahmen und Einsparungen.

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