BT-Drucksache 17/7610

Stagnation beim Bürokratieabbau überwinden - Neue Schwerpunktsetzung für den Mittelstand umsetzen

Vom 8. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7610
17. Wahlperiode 08. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Andrea Wicklein, Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine),
Heinz-Joachim Barchmann, Doris Barnett, Klaus Barthel, Sören Bartol,
Uwe Beckmeyer, Klaus Brandner, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Martin
Burkert, Dr. Peter Danckert, Martin Dörmann, Sebastian Edathy, Ingo Egloff,
Petra Ernstberger, Gabriele Fograscher, Dr. Edgar Franke, Iris Gleicke, Ulrike
Gottschalck, Kerstin Griese, Michael Groß, Wolfgang Gunkel, Hans-Joachim
Hacker, Bettina Hagedorn, Klaus Hagemann, Michael Hartmann (Wackernheim),
Rolf Hempelmann, Gustav Herzog, Gabriele Hiller-Ohm, Dr. Eva Högl, Frank
Hofmann (Volkach), Josip Juratovic, Johannes Kahrs, Daniela Kolbe (Leipzig),
Anette Kramme, Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Burkhard Lischka,
Gabriele Lösekrug-Möller, Kirsten Lühmann, Katja Mast, Petra Merkel (Berlin),
Dietmar Nietan, Manfred Nink, Thomas Oppermann, Stefan Rebmann, Gerold
Reichenbach, Michael Roth (Heringen), Anton Schaaf, Marianne Schieder
(Schwandorf), Werner Schieder (Weiden), Silvia Schmidt (Eisleben), Carsten
Schneider (Erfurt), Ottmar Schreiner, Ewald Schurer, Dr. Martin Schwanholz,
Rolf Schwanitz, Rita Schwarzelühr-Sutter, Sonja Steffen, Peer Steinbrück,
Christoph Strässer, Wolfgang Tiefensee, Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Stagnation beim Bürokratieabbau überwinden – Neue Schwerpunktsetzung für
den Mittelstand umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Programm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ war bis zum Jahr
2009 erfolgreich – die unnötige Bürokratie, vor allem aus Informationspflichten
der Wirtschaft, wurde signifikant abgebaut. Seitdem wird eine Stagnation des
Programms deutlich. Die bisher gesetzten Ziele der Bundesregierung konnten in
drei wichtigen Bereichen von den Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP
nicht umgesetzt werden. So ist immer noch nicht das Nettoabbauziel von
25 Prozent der unnötigen bürokratischen Lasten erreicht. Auf europäischer
Ebene, die zu 50 Prozent für die bürokratischen Belastungen der deutschen

Gesetzgebung verantwortlich ist, ist seit zwei Jahren so gut wie kein Fortschritt
erzielt worden. Und bei dem neuen Ansatz, Erfüllungsaufwand in ausgewählten
Bereichen um 25 Prozent zu verringern – wie durch das Gesetz zur Einsetzung
eines Nationalen Normenkontrollrates vom 16. März 2011 festgelegt – geht
nach wie vor die Umsetzung des politischen Ziels nur sehr langsam voran.

Drucksache 17/7610 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Dabei war die Bundesregierung vor sechs Jahren sehr eindrucksvoll mit dem
Regierungsprogramm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ gestartet. In
sehr kurzer Zeit gelang es den Nationalen Normenkontrollrat zu etablieren, das
Standardkostenmodell einzuführen, drei Mittelstandsentlastungsgesetze zu ver-
abschieden und so die Belastungen der Wirtschaft durch unnötige Bürokratie um
20 Prozent abzubauen. Den faktischen Stillstand des Programm kritisiert auch
der Nationale Normenkontrollrat, wenn er in seinem Jahresbericht 2011
schreibt: „Festzustellen ist allerdings auch, dass die Anstrengungen im Verlauf
der letzten Jahre an Momentum verloren haben.“

Einer der bisherigen Erfolgsfaktoren waren die verbindlichen Abbauziele des
Regierungsprogramms. Die bisherige Entlastung der Wirtschaft beträgt 10,5 Mrd.
Euro. Soll das ursprünglich festgelegte Abbauziel erreicht werden, so müssen
die noch ausstehenden Maßnahmen zur Erreichung des Abbauziels umgehend
angegangen werden. Der deutsche Mittelstand erwartet von der Bundesregie-
rung eine schnelle Umsetzung des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen
Normenkontrollrates, damit auch Bürokratiebelastungen zur Überprüfung ein-
bezogen werden können, die der Wirtschaft aus der Rechtsanwendung ent-
stehen. In Zukunft sollten beim Bürokratieabbauprogramm auch Entlastungen
für die Bürgerinnen und Bürger mit einbezogen werden.

Die Bundesregierung muss die Kosten, die natürlichen oder juristischen Perso-
nen durch die Rechtsanwendung entstehen, schnell bewerten und den Bürokra-
tieabbau zu einem eigenständigen Politikziel weiterentwickeln. Allerdings sind
maßgebliche nationale und europäische Entscheidungen vonseiten der Bundes-
regierung nicht angegangen worden. Auf EU-Ebene ist festzustellen, dass die
Kommission noch nicht bereit ist, den Bürokratieabbau von einem unabhängi-
gen Gremium bewerten zu lassen.

In Deutschland werden Bürokratiekosten nach einheitlichen Maßstäben erfasst,
in einem komplexen Prozess bewertet und mit dem Ziel ihrer Verringerung mit
den Bundesministerien besprochen. So können neue Regelungsvorhaben der
Bundesregierung schon in der Frühphase auf mögliche Bürokratiekosten kon-
trolliert werden und Alternativen im Gesetzgebungsprozess einfließen. Inzwi-
schen ist ein kritisches Bewusstsein in den Bundesministerien gegenüber unnö-
tigen bürokratischen Regelungen entstanden. Bürokratie ist nicht per se negativ
zu bewerten, sie kann auch Planungssicherheit und damit einen Standortvorteil
im internationalen Vergleich bieten. Bürokratieabbau sollte daher auch immer
die Qualität der Regelungen beinhalten.

Seit März 2011 stehen auch Belastungen zur Überprüfung an, die der Wirtschaft
aus der Rechtsanwendung entstehen. Es gilt, unnötige bürokratische Lasten
beim Erfüllungsaufwand zu verringern. Dazu bedarf es, gerade auch im Inte-
resse des deutschen Mittelstands, einer Festlegung auf ein allgemeinverbind-
liches Abbauziel ab 2012. Ebenso ist es notwendig, für den Zeitraum ab 2012
ein neues Nettoentlastungsziel bei den Informations- und Statistikkosten fest-
zulegen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,

1. die Stagnation der Umsetzung des Regierungsprogramms Bürokratieabbau
zu überwinden, neue Initiativen, gerade auch zur Entlastung des Mittelstan-
des, zu ergreifen sowie das Programm zum Bürokratieabbau insbesondere für
kleine und mittlere Unternehmen weiter auszubauen und als Daueraufgabe zu
betrachten, die weder zeitlich noch inhaltlich begrenzt werden sollte;

2. zur weiteren Entlastung des Mittelstands zügig die Methodik zur Berechnung
des Erfüllungsaufwandes in das deutsche Bürokratieabbauprogramm aufzu-

nehmen und die erforderliche Kostentransparenz herzustellen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7610

3. an der Arbeit des Nationalen Normenkontrollrates, dem Standardkosten-
modell und der Einsetzung des Staatsekretärsausschusses für Bürokratie-
abbau festzuhalten und weiterhin die Unabhängigkeit des Nationalen
Normenkontrollrates sicherzustellen. Dem Nationalen Normenkontrollrat
müssen vonseiten der Bundesregierung die notwendigen Beteiligungsfris-
ten eingeräumt werden;

4. dem Nationalen Normenkontrollrat in der Gemeinsamen Geschäftsordnung
der Bundesministerien das Recht einzuräumen, von den Ressorts Berichte
zu verlangen, wie seine Feststellung aufgegriffen und mit welchen Mitteln
sie umgesetzt worden sind bzw. eine Begründung, weshalb sie zu keinen
Folgerungen geführt haben;

5. zur Optimierung des Programms „Bürokratieabbau und bessere Rechtset-
zung“ ein Abbauziel zur Begrenzung des Erfüllungsaufwandes zu ent-
wickeln und klare Konzepte zur Erreichung des Abbauziels je Bundesminis-
terium vorzugeben;

6. bis zum Jahresende 2011 das festgelegte Abbauziel von 25 Prozent als Net-
toziel umzusetzen und dabei auf mittelstandsfreundliche Entlastung zu ach-
ten. Hierbei müssen neue bürokratische Belastungen durch zusätzliche Ent-
lastungsmaßnahmen umgehend ausgeglichen werden;

7. ein neues allgemeinverbindliches Abbauziel bei der Verringerung unnötiger
bürokratischer Lasten für den Zeitraum ab 2012 bei den Informations- und
Statistikkosten festzulegen;

8. aus dem Bericht des Nationalen Normenkontrollrates zur Einreiseoptimie-
rung entsprechende Folgerungen zu ziehen und das Verfahren auf einen mo-
dernen Arbeitsprozess umzustellen, damit die durchschnittliche Verfahrens-
dauer von sechs Wochen deutlich verkürzt wird;

9. verstärkt die Bürokratiekosten für die Bereiche des Bundesrechts, mit denen
EU-Richtlinien umgesetzt werden, zu überprüfen und Strategien bei Bedarf
mit anderen EU-Ländern zu entwickeln, um Einsparpotentiale solcher Re-
gelungen zu identifizieren und eigene Vorschläge zur weiteren Vereinfa-
chung einzubringen;

10. bei Verhandlungen zu neuen Regelungsvorhaben auf EU-Ebene grundsätz-
lich gegenüber der Kommission auf einer plausiblen Bürokratiekostenab-
schätzung aller Legislativvorschläge zu bestehen, die auch durch einen eu-
ropäischen Normenkontrollrat geprüft wird und mit anderen Ländern
Allianzen zur Realisierung dieser Forderung einzugehen;

11. die Bürokratiekostenermittlung bei EU-Rechtsakten schon bei den Vor-
arbeiten der Kommission vorzunehmen durch ein nationales Verfahren zur
Ermittlung der zu erwartenden Kosten und nicht erst, wenn die EU-Richt-
linie bereits in Kraft getreten ist und national umgesetzt werden muss;

12. verstärkt die bürokratische Entlastung der Bürgerinnen und Bürger ins Auge
zu fassen. Hier liegt ein erhebliches Aufgabenfeld, da sich Bürger immer
stärker mit komplizierten Antrags- und Genehmigungsverfahren konfron-
tiert sehen. Insbesondere Antragsverfahren für Pflegebedürftige, langfristig
erkrankte Menschen sowie für Familien und Alleinerziehende sollen ent-
wickelt werden;

13. in Zusammenarbeit mit den Bundesländern ein koordiniertes Verfahren zu
erarbeiten, mit dem auf verschiedenen Gebieten Onlineverfahren zur Be-
antragung von Leistungen wie z. B. Leistungen nach dem Bundesaus-
bildungsförderungsgesetz (BAföG) realisiert werden können und darüber
ein jährliches Arbeitsprogramm zu erstellen. Bis zum Jahr 2013 sollten erste

Leistungsvergleiche nach Artikel 91d des Grundgesetzes durchgeführt wer-
den;

Drucksache 17/7610 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
14. die Methode des Nationalen Normenkontrollrates, Verfahrensabläufe nach
dem Muster der drei Projekte „Einfacher zum BAföG“, „Einfacher zum
Wohngeld“ und „Einfacher zum Elterngeld“ auf Optimierungsmöglichkei-
ten flächendeckend zu untersuchen. Für eine solche Untersuchung böte sich
beispielsweise die Zulassung von Kraftfahrzeugen an;

15. bei der Umstellung auf elektronische Melde- und Antragsverfahren
(eGovernment) darauf zu achten, dass die ressortübergreifende Koordinie-
rung größerer eGovernment-Projekte zu einer Vereinfachung der Verfahren
und zum Abbau unnötiger Bürokratie genutzt wird;

16. Erfahrungen bei der Vereinfachung der elektronischen Rechnungsstellung
für die Einführung der elektronischen Signatur zu nutzen, um verstärkt
eGovernment-Prozeduren bereitzustellen.

Berlin, den 8. November 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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