BT-Drucksache 17/3819

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -Drucksachen 17/2500, 17/2502, 17/3508, 17/3523, 17/3524, 17/3525- Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011 (Haushaltsgesetz 2011) hier: Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Vom 22. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3819
17. Wahlperiode 22. 11. 2010

Änderungsantrag
der Abgeordneten Katja Kipping, Dr. Gesine Lötzsch, Diana Golze,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Matthias W. Birkwald,
Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Dr. Martina Bunge, Roland Claus,
Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Katrin Kunert,
Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert, Thomas Lutze, Cornelia Möhring,
Kornelia Möller, Wolfgang Neskovic, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair,
Dr. Kirsten Tackmann, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/2500, 17/2502, 17/3511, 17/3523, 17/3524, 17/3525 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011
(Haushaltsgesetz 2011)

hier: Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Der Bundestag wolle beschließen:

1. Die Gesamtausgaben im Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 11,2 Mrd.
Euro erhöht, um folgende Änderungen zu finanzieren:

a) die Anhebung des Regelsatzes in der Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) auf 500 Euro;

b) die analoge Anhebung der Regelsätze für die Sozialhilfe sowie die Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch
Sozialgesetzbuch (SGB XII) sowie

c) die Integration von Asylsuchenden, Geduldeten und Bürgerkriegsflücht-
lingen in die Sicherungssystem nach dem SGB II und SGB XII.
2. Die Gesamtausgaben im Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 11,3 Mrd.
Euro erhöht, damit auf die Streichung des Rentenversicherungsbeitrags für
Arbeitslosengeld-II-Beziehende verzichtet werden kann und stattdessen ein
angemessener Beitrag nach der Hälfte des Durchschnittsentgelts geleistet
wird (0,5 Entgeltpunkte).

Drucksache 17/3819 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Die Gesamtausgaben im Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 660 Mio.
Euro erhöht, um den Verzicht auf die Abschaffung des befristeten Zuschlags
und die Anrechnung des Elterngeldes bei Hartz-IV-Leistungsberechtigten zu
finanzieren.

4. Die Gesamtausgaben im Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 5 Mrd.
Euro erhöht, um die Beiträge an die Krankenkassen für Leistungsberechtigte
im SGB II auf ein angemessenes Niveau anzuheben.

5. Die Gesamtausgaben im Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 werden um 6,2 Mrd.
Euro erhöht, um die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und
Heizung an die tatsächliche Entwicklung der Kosten zu erhöhen und Folge-
kosten für die Kommunen durch die Erhöhung des Regelsatzes auf 500 Euro
zu finanzieren.

6. Die Gesamtausgaben im Kapitel 11 12 Titelgruppe 01 im Eingliederungstitel
werden um 1,3 Mrd. Euro erhöht, um die Kürzungen der arbeitsmarktpoli-
tischen Leistungen für SGB-II-Leistungsberechtigte durch den Haushaltsplan
2011 zu verhindern.

7. Die Titel 681 12-251 (Arbeitslosengeld II) und 632 11-251 (Beteiligung des
Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung) werden mit einem
Haushaltsvermerk versehen. Diese Vermerke haben zum Inhalt, dass Mittel
aus den beiden genannten Titeln für Eingliederungsmaßnahmen (Titel 685
11-251 – Leistungen zur Eingliederung in Arbeit) genutzt werden können.

8. Der Titel 216 02-251 (Eingliederungsbeitrag der Bundesagentur für Arbeit)
wird ersatzlos gestrichen und auf Einnahmen über einen Eingliederungsbei-
trag der Bundesagentur für Arbeit verzichtet.

Berlin, den 22. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Haushaltspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung, die im Einzelplan 11
des Haushaltsgesetzes 2011 ihren sichtbaren Niederschlag findet, ist unsozial,
belastet schwache Regionen in besondere Weise und ist ökonomisch falsch. Eine
der wesentlichen Ursachen der Finanzmarktkrise – die Polarisierung von Ein-
kommen und Vermögen – wird nicht bekämpft.

Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e. V. (DIW) zeigen den
dramatischen Zustand der ungleichen Verteilung des gesellschaftlichen Reich-
tums in Deutschland: der Anteil der reichsten 10 Prozent verfügt über mehr als
60 Prozent des gesamten Vermögens. Gleichzeitig verfügt die untere Hälfte über
fast überhaupt kein Vermögen. Der Anteil der reichsten Haushalte ist zwischen
den Jahren 2002 und 2007 dabei deutlich gestiegen – um etwa 3 Prozentpunkte.
Alle anderen Haushalte haben dafür relativ weniger als 2002 (DIW Wochen-
bericht 4/2009, S. 59). Die vorübergehenden Einbußen durch die Finanzmarkt-
krise 2008 haben die Vermögenden bereits heute schon wieder kompensiert. Die
soziale Polarisierung wird durch die Haushaltspolitik fortgesetzt.

Dem ist ein grundsätzlich anderer Ansatz entgegenzustellen: es wird eine
Politik der massiven sozialen Umverteilung angestrebt. Dies ist sozial gerecht
und wirkt zukünftigen Krisen entgegen. Die angeführten Änderungen im Ein-

zelplan 11 konkretisieren die Strategie der Umverteilung durch den Ausbau von
sozialer Sicherheit und von Maßnahmen zur sozialen Eingliederung.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3819

Die Änderungen für den Einzelplan 11 lassen sich nach fünf Zielen einteilen:

1. Verzicht auf Kürzungen durch das sog. Sparpaket

Die Haushaltspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung folgt im Grundsatz
einer falschen Strategie. Die Haushaltsprobleme sind wesentlich verursacht
durch die Finanz- und Wirtschaftskrise. Diese Krise ist aber nicht von
Hartz-IV-Leistungsberechtigten ausgelöst worden. Insbesondere dieser Gruppe
wird aber die Krisenbewältigung maßgeblich aufgenötigt. Gleichzeitig werden
aber die Nutznießer des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, die Vermögen-
den, verschont. Damit fallen Haftung und Verantwortung auseinander. Durch die
Konzentration der Haushaltskonsolidierung durch Kürzungen bei den Sozial-
leistungsberechtigten wird die soziale Spaltung vorangetrieben. Der Konzentra-
tion von Vermögen und Einkommen – eine der strukturellen Krisenursachen –
wird nicht in präventiver Absicht entgegengewirkt, sondern sie wird weiter be-
fördert. Die Kürzungen im Einzelplan 11 sind daher abzulehnen.

Die Mittel sind bereitzustellen, um die folgenden Kürzungen zu vermeiden:

– Anrechnung des Elterngeldes auf das Arbeitslosengeld II,

– Streichung des befristeten Zuschlags nach Auslaufen des Anspruchs auf Ar-
beitslosengeld,

– Reduktion des Eingliederungstitels um 1,3 Mrd. Euro; der Eingliederungs-
titel ist auf dem bestehenden Niveau zu konsolidieren, um eine Verstärkung
der beruflichen Weiterbildung und einen bundesweiten Aufbau eines öffent-
lich geförderten Beschäftigungssektors (ÖBS) nach Berliner Vorbild zu rea-
lisieren.

2. Deutlich mehr Geld für Hartz-IV-Beziehende

Die Regelleistung für Erwachsene ist auf 500 Euro im Monat anzuheben. Eine
sachgerechte Ermittlung des Regelsatzes, die verdeckt Arme aus der Referenz-
gruppe herausrechnet, die sich auf die untersten 20 Prozent der Haushalte (statt
der untersten 15 Prozent) als Ausgangspunkt der Berechnung bezieht und weit-
gehend auf Abschläge verzichtet, liegt in der Größenordnung von 500 Euro.
Eine genauere Ermittlung ist derzeit nicht möglich, da die Bundesregierung auf
notwendige Auswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ver-
zichtet hat. Allerdings geben bereits die untersten 15 Prozent der Haushalte in
etwa 500 Euro aus, wenn ausschließlich die durch die Kommunen zu tragenden
Kosten der Unterkunft und Heizung abgezogen werden.

Zugleich soll ein Deckungsvermerk eingeführt werden, der eine „Aktivierung“
der Leistungen gestattet, d. h. die Mittel für das Arbeitslosengeld II können auch
beispielsweise für einen ÖBS genutzt werden.

Eine Analyse des IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der
Bundesagentur für Arbeit – Kurzbericht 11/2008) zeigt, dass die Erhöhung der
Regelsätze in der politisch gewünschten Weise wirkt: sie verteilt um und ver-
meidet Armut. Das IAB zeigt: bereits durch eine Anhebung des Regelsatzes auf
420 Euro wird die Armuts-(-risiko-)quote um 2 Prozent gesenkt. In besonderer
Weise profitieren insbesondere Alleinerziehende: deren Armutsquote würde von
22,5 Prozent auf 15 Prozent gesenkt. Eine Anhebung auf 500 Euro wäre umso
effektiver im Kampf für eine gerechtere soziale Verteilung.

3. Eine bessere soziale Absicherung von Hartz-IV-Beziehenden

Statt der verabschiedeten Streichung der Rentenbeiträge durch das Kürzungs-

paket muss der soziale Schutz von SGB-II-Leistungsberechtigten ausgeweitet
werden. Der Beitrag ist so anzuheben, dass ein effektiver Schutz vor Altersarmut

Drucksache 17/3819 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
gewährleistet wird: eine Anhebung auf 0,5 Entgeltpunkte ist angemessen. Die
vollständige Verlagerung des sozialen Risikos Altersarmut auf die betroffenen
Hartz-IV-Bezieher ist zu verhindern.

Die Beiträge zu den Krankenkassen müssen angemessen sein. Dies sind die der-
zeitigen Beiträge für die Arbeitslosengeld-II-Beziehenden nicht. Als Orientie-
rungswert für die Höhe der Anhebung können die pro Monat und Mitglied
durchschnittlich entrichteten Beiträge dienen. Die Krankenkassen würden da-
durch Mehreinnahmen erzielen, wodurch die Einnahmeseite der gesetzlichen
Krankenkassen gestärkt würde. Zusatzbeiträge, die alleine von den Versicherten
zu tragen sind, könnten vermieden oder zumindest begrenzt werden.

4. Entlastung der Kommunen durch angemessene Beteiligung des Bundes

Schließlich muss sich der Bund in angemessener Weise an den Kosten für Un-
terkunft und Heizung beteiligen. Entstandene Lücken durch einen nicht sach-
gerechten Fortschreibungsmechanismus der Bundesbeteiligung (Orientierung
an der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften statt an den tatsächlichen Kosten)
sind zu korrigieren. Ebenso übernimmt der Bund zusätzliche Kosten der Kom-
munen, die durch die Erhöhung des Regelsatzes entstehen.

5. Verzicht auf Belastung der Bundesagentur für Arbeit

Der Bund trägt die Verantwortung für die Finanzierung des SGB II. Eine Ver-
schiebung der Kosten für die Bundesagentur für Arbeit ist nicht sachgerecht und
belastet die Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung. Die Beitragsmittel aus
der Arbeitslosenversicherung müssen vorrangig zur Verbesserung der Vermitt-
lung und Eingliederung der Leistungsberechtigten sowie der Verlängerung der
Bezugsdauer des Arbeitslosengelds eingesetzt werden.

Der Haushaltsansatz im Einzelplan 11 wird durch die Maßnahmen erheblich
ausgeweitet. Dies ist aber notwendig und sinnvoll, um einen grundlegenden
politischen Strategiewechsel zu erreichen und die überfällige Politik der sozia-
len Umverteilung einzuleiten.

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