BT-Drucksache 17/13548

Bürokratieabbau optimieren - Mittelstandsorientierung stärken

Vom 15. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13548
17. Wahlperiode 15. 05. 2013

Antrag
der Abgeordneten Andrea Wicklein, Wolfgang Tiefensee, Hubertus Heil (Peine),
Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Heinz-Joachim Barchmann,
Doris Barnett, Bärbel Bas, Lothar Binding (Heidelberg), Martin Dörmann,
Sebastian Edathy, Ingo Egloff, Petra Ernstberger, Gabriele Fograscher, Dr. Edgar
Franke, Martin Gerster, Iris Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim), Kerstin Griese,
Wolfgang Gunkel, Michael Hartmann (Wackernheim), Rolf Hempelmann, Gabriele
Hiller-Ohm, Petra Hinz (Essen), Dr. Eva Högl, Frank Hofmann (Volkach), Josip
Juratovic, Anette Kramme, Daniela Kolbe (Leipzig), Angelika Krüger-Leißner, Ute
Kumpf, Dr. Karl Lauterbach, Steffen-Claudio Lemme, Burkhard Lischka, Gabriele
Lösekrug-Möller, Kirsten Lühmann, Katja Mast, Hilde Mattheis, Dietmar Nietan,
Manfred Nink, Thomas Oppermann, Mechthild Rawert, Stefan Rebmann, Gerold
Reichenbach, Dr. Carola Reimann, Michael Roth (Heringen), Annette Sawade,
Anton Schaaf, Bernd Scheelen, Marianne Schieder (Schwandorf), Werner Schieder
(Weiden), Silvia Schmidt (Eisleben), Frank Schwabe, Dr. Martin Schwanholz,
Rita Schwarzelühr-Sutter, Dr. Carsten Sieling, Sonja Steffen, Christoph Strässer,
Kerstin Tack, Rüdiger Veit, Dr. Marlies Volkmer, Dr. Dieter Wiefelspütz,
Manfred Zöllmer, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Bürokratieabbau optimieren – Mittelstandsorientierung stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bürokratiekosten werden in Deutschland inzwischen nach einheitlichen Maß-
stäben erfasst, in einem Verfahren mit Unterstützung des Normenkontrollrates
(NKR) bewertet und mit dem Ziel ihrer Verringerung in den Bundesministerien
thematisiert. So werden neue Regelungsvorhaben der Bundesregierung schon in
der Frühphase auf mögliche Bürokratiekosten analysiert und Alternativen in den
Gesetzgebungsprozess integriert. Einem solchen Vorhaben Bürokratieabbau
muss die Politik eine hohe Priorität einräumen.

Allerdings ist ein Stillstand bei der Umsetzung des Bürokratieabbaus durch die
Bundesregierung zu verzeichnen, wie auch der Normenkontrollrat in seinem
Jahresbericht 2012 feststellt.
Die Erfahrungen mit dem Programm Bürokratieabbau zeigen, dass sich die
Belastungen nicht nur auf Bürokratiekosten aus Informationspflichten allein
zurückführen lassen. Ebenso relevant sind Belastungen, die durch den Vollzug
von bundesrechtlichen Vorschriften entstehen. Um die Bürger und die Wirt-
schaft wirkungsvoll von bürokratischen Belastungen befreien zu können, ist zu
identifizieren, wo die Ursachen für die bürokratischen Belastungen liegen und

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wer welchen Beitrag zur Entlastung der Betroffenen in seinem jeweiligen Ver-
antwortungsbereich leisten kann.

Dazu bedarf es einer ganzheitlichen Betrachtung des Gesamtprozesses – von
der bundes-, ggf. über die landesrechtliche Regelung bis hin zum Vollzug durch
die zuständige Stelle. Für den Vollzug bundesrechtlicher Vorschriften sind zu-
meist die Länder und Kommunen bzw. die Kammern oder Sozialversicherungs-
träger zuständig. Untersuchungen zeigen, dass die inhaltlichen Befolgungs-
kosten für die Betroffenen eine erhebliche Belastung darstellen. In vielen Fällen
hat dies für die Wirtschaft auch Investitionen zur Folge. Die alleinige Betrach-
tung von Bürokratiekosten durch Ermittlung der Informationspflichten wird
diesem Umstand nicht gerecht und lässt wesentliche Entlastungspotenziale un-
genutzt.

Informationspflichten umfassen nur etwa 15 Prozent der Bürokratielasten der
Wirtschaft. Auch diese Tatsache verdeutlicht die Notwendigkeit zur Erweite-
rung des Ansatzes zum Bürokratieabbau. Eine adäquate Erweiterung der
Zuständigkeiten des Normenkontrollrates war daher angezeigt und hat sich
inzwischen bewährt.

So stehen seit März 2011 also auch Belastungen zur Überprüfung an, die der
Wirtschaft aus der Rechtsanwendung entstehen. Es gilt, unnötige bürokratische
Lasten beim Erfüllungsaufwand zu verringern. Dazu bedarf es allerdings nach
wie vor einer Festlegung auf ein allgemeinverbindliches Abbauziel. Bis heute
bleibt die Bundesregierung dieses jedoch schuldig.

Eine umfassende Bestandserhebung (vergleichbar der Bestandserhebung 2008
bei der Erfassung der Bürokratiekosten) ist wegen des damit verbundenen Auf-
wands bei der Messung des Erfüllungsaufwands nicht sinnvoll. Andererseits ist
eine Verminderung des Erfüllungsaufwands im Allgemeinen nur zu erwarten,
wenn messbare Ziele gesetzt werden. Messbare Fortschritte setzen aber voraus,
dass der Anfangsbestand gemessen wurde. Die Bundesregierung könnte daher
in einem einfachen Verfahren relevante Regulierungsfelder für bürokratische
Belastungen bei Wirtschaft, Bürgern, Verwaltung identifizieren und in den in
Betracht kommenden, eng begrenzten Rechtsbereichen den Ausgangsbestand
messen. Für diese Rechtsbereiche könnten sodann Abbauziele vorgegeben und
ihre Erreichung gemessen werden.

Sieben Jahre lang hat das Regierungsprogramm „Bürokratieabbau und bessere
Rechtsetzung“ gute Erfolge erzielt: Es hat unnötigen Bürokratieaufwand um
20 Prozent verringert und die Wirtschaft um 10,5 Mrd. Euro entlastet. Doch seit
2009 stagniert der Bürokratieabbau.

Um den Stillstand zu überwinden, bedarf es verschiedener Maßnahmen. Dazu
gehören neue Initiativen, um den Mittelstand, aber auch Bürgerinnen und
Bürger von unnötiger Bürokratie zu entlasten, ohne politische Vorgaben und
Ziele in Frage zu stellen. Das Programm Bürokratieabbau muss vor allem für
kleine und mittlere Unternehmen ausgebaut werden, denn sie verfügen nicht
– wie größere Unternehmen – über eigene Abteilungen für diesen Bereich. Der
Normenkontrollrat muss gestärkt werden.

Zwischen den Bundesministerien gibt es noch immer kein abgestimmtes IT-Kon-
zept. Die Einbeziehung der Bundesländer in eine gemeinsame IT-Strategie oder
eine gemeinsame Strategie zum Bürokratieabbau ist ebenfalls noch nicht reali-
siert. Dies macht es notwendig, dass die Bundesregierung stärker als bisher mit
der Einbeziehung der Länderebene und der kommunalen Ebene in die Bewertung
des bürokratischen Erfüllungsaufwands beginnt. Bei den Regierungsvorhaben
„Vereinfachung der elektronischen Rechnungsstellung“ und des „E-Govern-
ment-Gesetzes“ gab es im Jahr 2012 große zeitliche Verzögerungen. Die derzei-

tige Bundesregierung hat ihr Ziel, die Bürokratiebelastungen der Wirtschaft, also
den Bereich der Informationspflichten bis Ende 2011 um 25 Prozent zu senken,

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bis heute nicht erreicht. Dies alles verdeutlicht: Der aktive Bürokratieabbau
braucht neue Impulse und den wirklichen Willen voranzukommen. Durch
konkrete Maßnahmen könnte die Wirtschaft Milliarden an Bürokratiekosten ein-
sparen – ein effektives und zudem äußerst billiges Konjunkturprogramm.

Auch auf europäischer Ebene, wo etwa die Hälfte der in Deutschland anfallen-
den bürokratischen Regeln auf unmittelbar geltendes EU-Recht zurückzuführen
sind, ist die Situation unbefriedigend. Seit drei Jahren ist so gut wie kein Fort-
schritt erzielt worden. So konnte die Bundesregierung die langjährige Forde-
rung nach einem eigenständigen Normenkontrollrat auf Brüsseler Ebene bis
jetzt nicht durchsetzen.

Inzwischen ist deutlich geworden, dass das Impact Assessment bei Regelungs-
vorhaben der Kommission als nicht ausreichend zu beurteilen ist. Bisher wird
die bürokratische Belastung nicht effektiv minimiert. Deshalb hat das Euro-
päische Parlament beschlossen, eine eigene Impact-Assessment-Einrichtung zu
schaffen. Es besteht die Notwendigkeit, eine gewisse Erfolgskontrolle einzu-
richten beziehungsweise einen Nachweis zu erbringen, dass dieses Instrument
wirklich praktikabel ist und funktioniert.

Bei Entwürfen von EU-Richtlinien hat die Bundesregierung zu wenig hin-
reichende Kenntnis über die Auswirkungen auf den Erfüllungsaufwand, die im
Falle der Annahme der Richtlinie national zu erwarten wären. Bisher können die
Vorarbeiten der EU für EU-Rechtsakte (§ 4 Absatz 1 Nummer 4 des Gesetzes
zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates) nicht oder nicht hin-
reichend untersucht werden. In einem gutachtlich untersuchten Fall kam die EU-
Kommission zu einer viel zu geringen Annahme des Erfüllungsaufwands in
Deutschland. Das liegt bei EU-Richtlinien insbesondere an der Komplexität,
wie ein Entwurf im Falle seiner Annahme konkret in nationales Recht umgesetzt
würde. Oft kommen auch mehrere Umsetzungsalternativen für den nationalen
Gesetzgeber in Betracht. Außerdem kommt es vor, dass zum Teil der Bundes-
gesetzgeber, zum Teil die Landesgesetzgeber bei der Umsetzung zuständig sind.

Die Bundesregierung sollte daher festlegen, wie sie bei Entwürfen von EU-Richt-
linien, die im Falle der Umsetzung in nationales Recht komplexe Rechtsgebiete
berühren und die schwer zu übersehende Auswirkungen auf den nationalen
Erfüllungsaufwand haben, künftig vorgehen wird und wie sie eine adäquate
Beteiligung des NKR sicherstellen will.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Stillstand beim Bürokratieabbau zu überwinden und neue Initiativen zu
ergreifen, um den Mittelstand, aber auch Bürgerinnen und Bürger von un-
nötiger Bürokratie zu entlasten. Das Programm Bürokratieabbau muss vor
allem für kleine und mittlere Unternehmen ausgebaut werden. Der Normen-
kontrollrat muss gestärkt werden;

2. die Senkung der Bürokratiebelastungen aus Informations- und Statistik-
pflichten, die bereits bis Ende 2011 um 25 Prozent gesenkt werden sollten,
für die Wirtschaft definitiv bis Ende Juli 2013 zu realisieren;

3. die bestehenden Programme zum Bürokratieabbau der Bundesregierung zur
Chefsache im Bundeskanzleramt zu machen. Auch die Zuständigkeit für
bessere Rechtssetzung auf der internationalen Ebene ist im Kanzleramt zu
konzentrieren;

4. vierteljährlich über den Stand des Bürokratieabbaus der einzelnen Bundes-
ressorts zu informieren;

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5. weitere Anstrengungen zu unternehmen, um zu einer Begrenzung steigen-
der Folgekosten zu gelangen, u. a. durch Festlegung konkreter und mess-
barer Ziele;

6. den bürokratischen Aufwand verstärkt mit Hilfe von ebenenübergreifenden
Ex-post-Projekten zu reduzieren. Der Erfüllungsaufwand soll dazu in einem
abgegrenzten Lebensbereich untersucht werden – unter Einbeziehung auch
der Bundesländer und der kommunalen Ebene;

7. bei wichtigen neuen Gesetzgebungsvorhaben nach drei bis fünf Jahren die
Zielerreichung sowie den real entstandenen Bürokratieaufwand zu überprü-
fen und ggf. zu reduzieren;

8. im Bereich des E-Governments und durch den Einsatz digitaler Informa-
tionstechniken erhebliche Kostenreduzierungen sicherzustellen;

9. ein einheitliches, standardisiertes IT-Konzept für alle Bundesministerien
bereitzustellen. Dieses Konzept ist durch eine zentrale Koordinierung mit
den Bundesländern kompatibel zu gestalten;

10. die Abstimmungsprozesse der Bundesministerien in den EU-Ratsarbeits-
gruppen transparenter und besser nachvollziehbar zu gestalten, da hier
Kernprozesse der europäischen Gesetzgebung betroffen sind;

11. sich für die Schaffung eines Normenkontrollrates auf europäischer Ebene
einzusetzen, da etwa 50 Prozent der in Deutschland geltenden Regelungen
unmittelbar auf geltendem EU-Recht basieren beziehungsweise auf recht-
liche Vorgaben aus Brüssel zurückzuführen sind.

Berlin, den 15. Mai 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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