BT-Drucksache 17/12481

Wohnungsnot bekämpfen - Sozialen Wohnungsbau neu starten und zum Kern einer gemeinnützigen Wohnungswirtschaft entwickeln

Vom 26. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12481
17. Wahlperiode 26. 02. 2013

Antrag
der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Halina Wawzyniak, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder, Matthias W. Birkwald,
Steffen Bockhahn, Dr. Martina Bunge, Roland Claus, Heidrun Dittrich,
Klaus Ernst, Diana Golze, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Katrin Kunert,
Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze,
Kornelia Möller, Jens Petermann, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und
der Fraktion DIE LINKE.

Wohnungsnot bekämpfen – Sozialen Wohnungsbau neu starten und zum Kern
einer gemeinnützigen Wohnungswirtschaft entwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Wohnen in Deutschland wird seit einigen Jahren immer teurer und die Tendenz
hält weiter an.

Die Ursachen dafür sind vielfältig und regional differenziert.

Steigende Bau- und Grundstückspreise tragen dazu bei, ebenso wie erhöhte
Grund- und Grunderwerbsteuern. Auch die unabdingbaren Erfordernisse der
Barrierefreiheit und des Klimaschutzes im Wohngebäudebereich führen
zwangsläufig zu Kostensteigerungen. Die notwendige Forcierung der energe-
tischen Gebäudesanierung wird einen weiteren Kostenschub auslösen.

Im Kern aber liegt die Haupttriebkraft für den Anstieg der Wohnungsmieten im
Auseinanderdriften von Angebot und Nachfrage auf dem Mietwohnungsmarkt,
sowohl quantitativ als auch qualitativ.

Die Verwerfungen auf dem Mietwohnungsmarkt werden in jüngster Zeit
massiv durch das aggressive Auftreten von ausschließlich renditeorientierten
Finanzspekulanten verschärft, die speziell in Metropolregionen große Woh-
nungsbestände ankaufen, um sie zu Höchstrenditen zu verwerten.

Das treibt nicht nur die Mieten und Kaufpreise in den Zentren in die Höhe, son-
dern löst eine regelrechte Mietpreiswelle bis in die Randgebiete und Umland-
gemeinden aus.
In den vergangenen Jahrzehnten sind – gemessen an der Entwicklung des
Bedarfs – zu wenige Mietwohnungen gebaut worden. Die gebauten Wohnun-
gen entsprechen in ihrer Preis- und Beschaffenheitsstruktur nur unzureichend
den unterschiedlichen Wohnbedürfnissen der Mieterinnen und Mieter sowie
von Wohnungssuchenden.

Drucksache 17/12481 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

In städtischen Ballungszentren entwickelt sich eine neue Wohnungsnot, die
sich nicht nur in steigenden Wohnkosten ausdrückt, sondern in einer tiefen
sozialen Spaltung der Stadtbevölkerung. Für Reiche wird Wohnen in der City
zum Statussymbol, während weniger begüterte Menschen verdrängt werden.
Ganze Stadtquartiere werden sozial „entmischt“. Historisch gewachsene Wohn-
viertel verändern ihren Charakter von Grund auf.

Ohne energische Gegenmaßnahmen wird dieser Prozess immer weiter ausufern
und sehr bald auch kleinere Städte sowie ländliche Regionen erfassen, wenn
auch in anderen Erscheinungsformen.

Am stärksten betroffen von der Verknappung und Verteuerung des Wohnungs-
angebotes sind einkommensschwache Haushalte, Sozialleistungsempfängerin-
nen und -empfänger, zunehmend Rentnerinnen und Rentner, Menschen mit Be-
hinderungen, Familien mit Kindern sowie Studierende.

Der Wohnungsmarkt in seiner jetzigen Beschaffenheit ist mit der Lösung dieser
gebündelten Problematik eklatant überfordert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– ihre politische Verantwortung für die Beseitigung von Wohnungsnot und
Wohnungsknappheit anzuerkennen und eine Gesetzesinitiative auf den Weg
zu bringen, Wohnen als Menschenrecht im Grundgesetz festzuschreiben;

– Maßnahmen zu ergreifen, die ein weiteres Ansteigen der Mieten auf Grund
starker Nachfrage unterbinden. Insbesondere sind rechtzeitig geeignete
Schritte gegen die Einflussnahme ausschließlich renditeorientierter Finan-
zinvestoren auf den Wohnungsmarkt zu unternehmen;

– Regelungen im Bundesrecht vorzulegen, die Mietsteigerungen auf ein Mini-
mum reduzieren, wie:

a) Änderung der §§ 557 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) mit dem
Ziel, dass Mieterhöhungen ohne Wohnwertverbesserung bei Bestands-
und Neumieten nur in Höhe des Inflationsausgleichs zulässig sind.

b) Änderung des § 558 BGB mit dem Ziel, die Vergleichsmiete auf Grund-
lage aller Bestandsmieten zu ermitteln.

c) Streichung des § 573 Absatz 2 Nummer 3 BGB mit dem Ziel, dass Ver-
mieterinnen und Vermieter wegen einer beabsichtigten wirtschaftlichen
Verwertung des Grundstücks keinen Kündigungsgrund für das Mietver-
hältnis geltend machen können.

d) Änderung des § 577a Absatz 1 BGB mit dem Ziel, die Spekulation mit
Wohnraum durch eine Umwandlung in Eigentumswohnungen zu verhin-
dern.

e) Änderung des § 559 BGB, zunächst zur Absenkung der Modernisie-
rungsumlage von 11 auf 5 Prozent, und Vorbereitung von Regelungen,
mit denen die Modernisierungskosten als Maßstab für die Umlage ersetzt
werden durch Kriterien der Wohnwertverbesserung.

f) Änderung des § 5 Absatz 2 des Wirtschaftsstrafgesetzes 1954 zur stren-
geren Fassung der Ordnungswidrigkeiten bei unangemessen hohen Miet-
forderungen;

– Maßnahmen zur bedarfsgerechten Förderung des sozialen Wohnungsbaus zu
ergreifen, deren Umsetzung in einem Bund-Länder-Konzept verbindlich zu
vereinbaren sind, und dabei den Aspekt der Barrierefreiheit besonders zu be-
rücksichtigen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12481

– in einem ersten Schritt die Kompensationszahlungen des Bundes zur Wohn-
bauförderung auf 700 Mio. Euro aufzustocken, zunächst bis 2017 festzu-
schreiben und das Finanzierungsprogramm im Jahr 2017 zu evaluieren;

– mit den Ländern Vereinbarungen zur Finanzierung und sachgerechten Ver-
wendung ihrer sozialen Wohnraumförderung in der jeweils anteiligen Höhe
der Bundesmittel abzuschließen;

– mit den Ländern Wohnungsbaufonds aufzulegen, die sich zu revolvierenden
Fonds entwickeln und nicht kapitalmarktfinanziert sind;

– Bestimmungen zu erlassen, die eine unbefristete Sozialbindung von öffent-
lich geförderten Sozialwohnungen sicherstellen;

– Umstrukturierungen im Bundeshaushalt vorzunehmen, die den objektiven
Erfordernissen des Klimaschutzes auch bei der energetischen Gebäudesanie-
rung tatsächlich gerecht werden. Dazu

a) ist der Zuschuss des Bundes für die energetische Gebäudesanierung auf
zunächst 5 Mrd. Euro im Jahr zu erhöhen und verlässlich zu verstetigen;

b) sind die Haushaltszuweisungen des Bundes an die Länder und Kommu-
nen für Wohngeldleistungen und Kosten der Unterkunft dem Bedarf ent-
sprechend aufzustocken und um eine Klimakomponente zu erweitern;

c) sind Mittel für die Erstellung eines verbindlichen Sanierungsfahrplanes
bereitzustellen, der bis 2050 stufenweise zu erreichende energetische
Qualitätskriterien von Gebäuden festschreibt;

d) sind Haushaltstitel einzuführen, die die Einführung bedarfsorientierter
Gebäudeenergieausweise als Bestandteil der Miet- und Kaufverträge
finanzieren;

– die Städtebauförderung auf 600 Mio. Euro aufzustocken und zu verstetigen,
sie zu einem Instrument des sozialen und klimagerechten Stadtumbaus zu
entwickeln und insbesondere das Programm Soziale Stadt nachhaltig aufzu-
werten, es mit mindestens 100 Mio. Euro auszustatten sowie Maßnahmen
zum Erhalt und zur Pflege gewachsener Sozialstrukturen in den Stadtquar-
tieren in den Verwendungsbestimmungen festzuschreiben;

– die Länder darin zu unterstützen, in den Kommunen leistungsfähige öffent-
liche Wohnungswirtschaftsgesellschaften und Genossenschaften zu etablie-
ren;

– Maßnahmen zu ergreifen, die die weitere Privatisierung öffentlicher Woh-
nungen unverzüglich unterbinden. Kommunen dürfen nicht gezwungen wer-
den, Wohnungsbestände aus Gründen der Haushaltskonsolidierung zu ver-
kaufen;

– steuerrechtliche und andere geeignete Maßnahmen zu ergreifen zur Ent-
wicklung und Förderung eines gemeinwohlorientierten wohnungswirt-
schaftlichen Sektors in einer marktrelevanten Größenordnung, einschließ-
lich kommunaler Eigenbetriebe für die wohnungswirtschaftliche Ver- und
Entsorgung.

Berlin, den 26. Februar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 17/12481 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Begründung

Die Ursachen für die gegenwärtig zu beobachtende Entwicklung von Woh-
nungsmieten liegen sowohl in einer allgemeinen Preis- und Kostensteigerung
in der Immobilienwirtschaft als auch in der ungebremsten Wirkung von Ange-
bots- und Nachfragediskrepanzen auf den Wohnungsmärkten, die gegenwärtig
verschärft wird durch das massive Auftreten rein renditeorientierter Finanzin-
vestoren auf dem Wohnungsmarkt.

Um die gravierendsten Auswirkungen einzudämmen und Vorsorge für eine
dauerhaft funktionierende, sozial gerechte Wohnungsversorgung zu treffen,
sind einerseits ordnungspolitische Sofortmaßnahmen und andererseits langfris-
tige Strategien zur Reformierung wohnungswirtschaftlicher Strukturen erfor-
derlich.

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