BT-Drucksache 17/11880

Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung in Schulen und Kindergärten gewährleisten

Vom 12. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11880
17. Wahlperiode 12. 12. 2012

Antrag
der Abgeordneten Karin Binder, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch,
Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, Eva Bulling-Schröter, Dr. Martina Bunge,
Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Diana Golze, Inge Höger, Katja Kipping,
Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Ulrich Maurer, Kornelia Möller, Jens
Petermann, Richard Pitterle, Ingrid Remmers, Michael Schlecht, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair,
Kathrin Vogler, Johanna Voß, Harald Weinberg, Katrin Werner, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche
Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten gewährleisten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung für alle Kinder und Jugend-
lichen an allen Schulen und Kindertagesstätten ist unerlässlich. Bei Kindern und
Jugendlichen ist die Ernährung für die gesunde körperliche und geistige Ent-
wicklung besonders wichtig. Schulen und Kindertagesstätten sind Orte, an
denen alle Kinder und Jugendlichen einen großen Teil des Tages verbringen und
unabhängig von ihrem familiären Hintergrund erreicht werden können. Eine
hochwertige und unentgeltliche Verpflegung unterstützt die Konzentration und
den Lernerfolg. Zudem trägt sie zur Verringerung sozial bedingter Bildungs-
unterschiede bei. Die Verpflegung ist aber nur erfolgreich, wenn die Kinder und
Jugendlichen von Beginn an in die Planung des Speiseangebots und die Ausge-
staltung der Pausen und der Essumgebung einbezogen werden.

Das Essenangebot an den Schulen und Kindertagesstätten soll alle Kinder und
Jugendlichen gleichermaßen erreichen. Sie dürfen dabei nicht zu Bittstellern
herabgewürdigt werden. Mit den derzeitigen Hartz-IV-Regelsätzen für Kinder
ist eine altersgerechte Ernährung nicht zu erreichen. Die Zuschüsse für die Ver-
pflegung durch das Bildungs- und Teilhabepaket kommen bei vielen Kindern
und Jugendlichen nicht an. Zudem ist das Paket bürokratisch und verursacht
hohe Verwaltungskosten.
Trotz der deutlichen Zunahme von Ganztagsschulen bieten viele Schulen gar
kein warmes Mittagessen an. Es fehlt an qualifiziertem Personal für Küche und
Mensa, an geeigneten Räumen und entsprechender Ausstattung und damit auch
an Attraktivität für eine gemeinsame Verpflegung. Qualität und Auswahl des
Essenangebots sind in der überwiegenden Mehrheit der Schulkantinen mangel-
haft. Kommunen und Länder sehen sich vor allem an Halbtagsschulen oft nicht
in der Verantwortung, für die Mahlzeiten in der Schule zu sorgen. Sie sind auf-

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grund schlechter Haushaltslagen oft nicht in der Lage, die Voraussetzungen für
eine hochwertige Verpflegung an Schulen und Kindertagesstätten zu schaffen.
Der Bund soll deshalb aus Gründen der öffentlichen Fürsorge nach Artikel 74
Absatz 1 Nummer 7 des Grundgesetzes (GG) die Finanzierung der Verpflegung
in öffentlichen Schulen und Kindertagesstätten sicherstellen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

eine hochwertige und unentgeltliche Verpflegung für alle Kinder und Jugend-
lichen in Schulen und Kindertagesstätten sicherzustellen. Dazu sind folgende
Maßgaben zu erfüllen:

1. Die Bundesregierung legt dem Bundestag einen Gesetzentwurf vor, in dem
die Finanzierung der Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten durch
den Bund zur Herstellung gleicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet ge-
sichert wird.

2. Die Bundesregierung setzt die Aufgabe zusammen mit den politischen und
gesellschaftlichen Akteuren wie der Kultusministerkonferenz, den Ländern
und Kommunen, Forschungseinrichtungen, Gewerkschaften, Schüler- und
Elternvertretungen, Schulen, Bildungspersonal sowie der Regionalbewegung
und den Verbraucherverbänden um. Hierfür schließt sie mit den Ländern
einen Vertrag, der folgendes garantieren soll:

a) Für die Verpflegung sollen in den Schulgesetzen Qualitätsstandards ver-
ankert werden. Für Kindertagesstätten ist nach dem Achten Buch Sozial-
gesetzbuch eine Verpflegung nach Qualitätsstandards aufzunehmen. Die
Einhaltung muss sichergestellt und kontrolliert werden. Um eine selbstbe-
stimmte Ernährungsweise der Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen,
sollen die Qualitätsstandards geschmacklich vielfältige, abwechslungsrei-
che und frische Mahlzeiten ohne Zusatzstoffe garantieren und kulturellen
und religiösen Bedürfnissen Rechnung tragen.

b) Das Thema Ernährung soll durch praktische Aktivitäten wie das gemein-
same Zubereiten von Mahlzeiten und Getränken in Lernküchen fest in den
Lernalltag einbezogen werden. Die Kinder und Jugendlichen sollen zu-
dem besser über die regionale, saisonale und ökologische Erzeugung von
Lebensmitteln informiert werden.

c) Die Zubereitung der Mahlzeiten soll mittelfristig einrichtungsnah mög-
lichst durch betriebseigene oder kommunale Küchen erfolgen. Die fach-
liche Qualifizierung und eine tarifliche Bezahlung des Personals sind
sicherzustellen.

d) Die Einbindung der Kinder und Jugendlichen sowie der Eltern- und Schü-
lervertretungen ist bei der Auswahl der Verpflegung einschließlich der
Ausgestaltung der Pausen und der Essräume abzusichern.

3. Die Bundesregierung zahlt den Ländern eine kostendeckende Pauschale von
derzeit mindestens 4 Euro je Kind bzw. Jugendlichem und Tag zur Verwen-
dung durch die Träger. Die Bundesregierung fördert über die Initiative „IN
FORM“ des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz zudem die Versorgung von Schulen und Kindertagesstätten
mit regionalen, saisonalen und ökologischen Erzeugnissen.

4. Die Bundesregierung legt kurzfristig ein bundesweites Investitionsprogramm
zur finanziellen Unterstützung der Kommunen für den Aus- und Neubau von
Küchen und Mensen auf, das den Qualitätsstandards und den Bedürfnissen
der Kinder und Jugendlichen gerecht wird.
5. Die Vernetzungsstellen Schulverpflegung werden flächendeckend ausgebaut,
personell aufgestockt und dauerhaft eingerichtet. Sie sollen den Schulträgern

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durch qualifizierte und unabhängige Beratung helfen, die Qualität der Schul-
verpflegung langfristig bundesweit abzusichern und weiter zu verbessern. Sie
sollen grundsätzlich um die Aufgabe Verpflegung in Kindertagesstätten er-
weitert werden.

6. Für die Verpflegung und damit verbundene Dienstleistungen in Schulen und
Kindertagesstätten durch kommerzielle Anbieter reduziert die Bundesregie-
rung den Mehrwertsteuersatz von 19 auf 7 Prozent. Nicht gewinnorientierte
Verpflegungsangebote in Schulen und Kindertagesstätten durch kommunale
Einrichtungen oder Vereine werden generell von der Umsatzsteuer befreit.

Berlin, den 12. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Derzeit besuchen 8,6 Millionen Schülerinnen und Schüler allgemeinbildende
Schulen. In Kindertagesstätten werden rund drei Millionen nicht schulpflichtige
Kinder betreut. Sie alle haben einen Anspruch auf eine hochwertige und unent-
geltliche Verpflegung in den Einrichtungen. Bisher sind laut einem Beschluss
der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2004 Ganztagsschulen verpflichtet,
ein Mittagessen zur Verfügung zu stellen. Qualitätsanforderungen wurden damit
jedoch nicht verknüpft. Bis heute haben nur wenige Bundesländer die Verpfle-
gung auch an bestimmte Mindeststandards geknüpft.

Mittlerweile gehen zwischen 20 und 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen
ohne Frühstück aus dem Haus. Das bedeutet für sie erhebliche Nachteile bei den
schulischen Leistungen. Zunehmend muss deshalb auch ein Frühstück angebo-
ten werden. Bleiben die Kinder und Jugendlichen bis zum Nachmittag in den
Einrichtungen, benötigen sie zudem eine Zwischenmahlzeit. Kinder und Ju-
gendliche verbringen in den Schulen und Kindertagesstätten viele Stunden des
Tages. Hier sollten sie mit der Verpflegung einen großen Teil ihrer Tagesener-
giemenge aufnehmen. Die Beschränkung auf das Mittagessen ist dabei nicht
ausreichend. Die Probleme sind durch ein umfassendes Verpflegungsangebot in
der Schule und der Kindertagesstätte gut zu beheben. Es muss flächendeckend
für alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von der finanziellen Lage ihrer Fa-
milien zugänglich sein. Gerade Kinder aus Familien mit kleinem Einkommen
profitieren dann ganz besonders.

Vielfach können sich ärmere Familien das Mittagessen für ihre Kinder jedoch
nicht leisten. Das Forschungsinstitut für Kinderernährung e. V., Dortmund, hat
bereits im Jahr 2007 darauf hingewiesen, dass die in den Hartz-IV-Sätzen ent-
haltenen Ansätze für Nahrungsmittel für eine altersgerechte Ernährung von
Kindern und Jugendlichen bei weitem nicht ausreichen. Die Zuschüsse für die
Mittagsverpflegung im „Bildungs- und Teilhabepaket“ der schwarz-gelben
Bundesregierung kommen bei vielen Kindern nicht an und stigmatisieren diese
gleichzeitig. Statistische Daten zur Inanspruchnahme legt die Bundesregierung
nicht vor. Nach Erhebungen des Deutschen Städtetages und des Deutschen
Landkreistages hat nur etwa die Hälfte der leistungsberechtigten Kinder und
Jugendlichen Anträge über das Bildungs- und Teilhabepaket gestellt. Hiervon
bezog sich ein gutes Drittel der Anträge auf die Unterstützung für ein gemein-
schaftliches Mittagessen. In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für

Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages

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am 30. November 2011 wurden die Regelungen des Bildungs- und Teilhabe-
paketes von allen Seiten als „bürokratisch“ kritisiert.

Das gemeinsame Erleben einer attraktiven Verpflegung unterstützt eine gesund-
erhaltende Ernährungsweise insbesondere dann, wenn sie praxisbezogen in den
Lernalltag eingebunden wird. In Ländern mit hohen Bildungserfolgen, wie
Finnland und Schweden, wird allen Kindern und Jugendlichen die Verpflegung
an Schulen und Kindertagesstätten kostenfrei zur Verfügung gestellt. Sie ist mit
hohen Qualitätsstandards, regionalen Produkten und einer umfassenden Ernäh-
rungsbildung verknüpft.

Qualitätsstandards in Schulen und Kindertagesstätten

Qualitätsvorgaben dürfen nicht zu einer Bevormundung der Kinder und Jugend-
lichen führen. Sie sollen eine selbstbestimmte Ernährungsweise ermöglichen
und ein hochwertiges, geschmacklich vielfältiges, abwechslungsreiches und
frisches Angebot ohne Aromen, Geschmacksverstärker und andere Zusatzstoffe
sicherstellen. Bisher wurden Qualitätsstandards für die Schulverpflegung und
für Kindertagesstätten nur von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V.
(DGE) veröffentlicht. Diese könnten als Orientierung dienen. Derzeit wenden
nach Angaben der DGE nur 34 Prozent der Schulen die von ihr entwickelten
Qualitätsstandards an. Es wird kritisiert, dass es für die Schulverpflegung keine
einheitlichen Vorgaben gibt und es an einer Einbindung in den Schulalltag fehlt.
Mensen sind danach in vielen Schulen nur behelfsmäßig vorhanden. Die Essen-
zeiten sind häufig viel zu kurz. Die Speisen sind oft einseitig, zu fett und zu süß.
Als Getränke werden zu häufig nur süße Limonaden angeboten.

Nach Angaben der Hochschule Niederrhein weisen 90 Prozent der Schulkanti-
nen Qualitätsmängel auf. Häufig mangelt es an Abwechslung und frischen Zu-
taten. Die Mahlzeiten werden bis zu sechs Stunden warm gehalten. Durch die
lange Warmhaltung gehen Geschmack und Nährstoffe verloren. Die langen
Warmhaltezeiten können zudem zu einer deutlichen Vermehrung von Krank-
heitserregern führen. Dennoch bestimmt die Warmverpflegung in über 60 Pro-
zent der Schulen das Essen. Mischküche, eine Kombination aus Fertigkompo-
nenten mit frisch vor Ort zubereitetem Essen, wird nur in einer von fünf Schulen
angeboten. Das tägliche Zubereiten der Speisen vor Ort bildet die Ausnahme.

Ein wesentliches Problem des Verpflegungsangebotes stellt die geringe Akzep-
tanz dar. Weniger als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler in Ganztagsschu-
len nehmen am Mittagessen teil. Dieses Ergebnis verwundert nicht, da sie nur
selten von Beginn an in die Planung des Verpflegungsangebotes einbezogen so-
wie bei der Ausgestaltung der Pausen und der Mensa beteiligt werden.

In Schulen und Kindertagesstätten können Kinder und Jugendliche viel über die
Erzeugung und Wertschätzung von Lebensmitteln erfahren. So können auch die
Regionalerzeugung gestärkt und solidarische Wertschöpfungsketten gefördert
werden. Zudem ist es wichtig, die Kinder und Jugendlichen von Anfang an in
das Thema praxisorientiert einzubeziehen. Auch sollen Lehr- und Erziehungs-
kräfte den Kindern die gemeinsame Verpflegung vorleben.

Kosten für die Verpflegung an Schulen und Kindertagesstätten

Die einzusetzenden Kosten sind entscheidend für eine hochwertige Schulver-
pflegung, die von den Kindern und Jugendlichen gern angenommen wird. Die
Hochschule Niederrhein ermittelt 4 bis 5 Euro pro Mahlzeit, um ein Dienstleis-
ter gebundenes Kochsystem („Cook & Chill“) einzuführen. Eine aktuelle Studie
der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg für das Land Berlin
zu den Kosten einer Schulverpflegung geht von etwa 3,30 Euro an Grundschulen

und bis zu 4,25 Euro in Sekundarschulen und an Gymnasien aus. Ein Sternekoch,

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der eine eigene Schulmensa in Bad Kreuznach betreibt, beziffert ebenfalls einen
Preis von 4 Euro, wenn mit frischen, saisonalen und regionalen Produkten ge-
kocht werden soll. Unabhängig von der Frage, wie eine hochwertige und attrak-
tive Verpflegung an öffentlichen Schulen und Kindertagesstätten zu finanzieren
wäre, entsteht bundesweit ein jährlicher Finanzierungsbedarf von 8,3 Mrd. Euro,
wenn jedem Kind im Schulalltag eine angemessene Ernährung zukommen soll.

Die Kostenstruktur lässt sich zum einen durch eine grundsätzliche Absenkung
der Mehrwertsteuer auf 7 Prozent verbessern. Zum anderen kann die Schaffung
kommunaler oder gemeinnütziger Küchen zur Belieferung umliegender Schulen
die Kosten senken und Forderungen nach regionaler und saisonaler Versorgung
unterstützen. Derzeit geht die Entwicklung allerdings in die andere Richtung.
Aufgrund der Unterfinanzierung der Schulverpflegung bildet sich ein monopol-
artiger Markt mit wenigen Großcaterern heraus. Allein die beiden Unternehmen
Sodexo SCS GmbH und Dussmann Stiftung & Co. KGaA haben bei der Schul-
verpflegung mittlerweile einen Marktanteil von rund 70 Prozent.

Finanzierung der Verpflegung an Schulen und Kindertagesstätten

Eine angemessene Verpflegung aller Kinder und Jugendlichen in Schulen und
Kindertagesstätten stellt Kommunen vor erhebliche Herausforderungen. Viele
Städte und Gemeinden leiden unter starken finanziellen Problemen. Eine Unter-
stützung durch den Bund ist notwendig, da auch die Bundesländer künftig durch
die Schuldenbremse hinsichtlich ihrer finanziellen Möglichkeiten weiter einge-
schränkt werden. Der Bundestag sollte daher für eine vollständige Finanzierung
durch den Bund plädieren. Das Verbraucherschutzministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen wies in diesem Zusammenhang im Rahmen der Anhörung
des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des
Deutschen Bundestages am 30. November 2011 darauf hin, dass auch bei kos-
tenfreier Abgabe von Lebensmitteln (hier im Rahmen des Schulobstprogramms)
die Wertschätzung von Lebensmitteln hoch sei.

Bisher wird die Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten nur als Aufgabe
der Bildungspolitik, der Kommunen oder der Eltern wahrgenommen. Betrachtet
man diese Aufgabe jedoch als öffentliche Fürsorge im Sinne des Artikels 74 Ab-
satz 1 Nummer 7 GG in Verbindung mit Artikel 72 Absatz 2 GG, ist eine Finan-
zierung durch den Bund ohne Grundgesetzänderung möglich. Die „öffentliche
Fürsorge“ beschränkt sich nicht auf klassische Sozialleistungen. Sie hat viel-
mehr einen deutlich darüber hinausgehenden Anwendungsbereich, unter den
auch präventive Maßnahmen zur Förderung des Kindeswohls und fürsorgende
Betreuung und Bildung zählen. Das ist bei der Verpflegung von Kindern und Ju-
gendlichen in öffentlichen Schulen und Kindertagesstätten zweifellos der Fall.

Entgegen der Auffassung der Bundesregierung ist die Ermäßigung der Mehr-
wertsteuer von 19 auf 7 Prozent für die Verpflegung und damit verbundene
Dienstleistungen in Schulen und Kindertagesstätten europarechtlich zulässig.
Nach Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom
10. März 2011, C-502/09, Lohmeyer) ist eine Ermäßigung möglich, sofern die
Lieferung der Speisen der dominierende Bestandteil ist. Darüber hinaus er-
möglicht die europäische Mehrwertsteuerrichtlinie (Richtlinie 2009/47/EG) auf
Restaurant- und Verpflegungsdienstleitungen den ermäßigten Mehrwertsteuer-
satz anzuwenden. Eine vollständige Umsatzsteuerbefreiung der Verpflegung in
Schulen und Kindertagesstätten ist darüber hinaus möglich, wenn diese als eng
mit dem Schulunterricht verbundene Dienstleistung angesehen wird (Arti-
kel 132 Absatz 1 Buchstabe i der Richtlinie 2006/112/EG). Das ist bei Schulver-
pflegung der Fall, sofern diese durch Schulförder-, Eltern- oder Mensavereine
durchgeführt wird. Da Kindertagesstätten einen ähnlichen Bildungsauftrag wie

Schulen haben, sollten auch sie in diesen Fällen von der Steuerbefreiung erfasst
sein.

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