BT-Drucksache 17/11828

Genossenschaften aktiv fördern, Mitgliedschaften erleichtern und unterstützen

Vom 11. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11828
17. Wahlperiode 11. 12. 2012

Antrag
der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Johanna Voß, Dr. Kirsten Tackmann,
Agnes Alpers, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, Karin Binder,
Matthias W. Birkwald, Steffen Bockhahn, Dr. Martina Bunge, Roland Claus,
Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Diana Golze, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Jan Korte,
Jutta Krellmann, Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert,
Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Kornelia Möller, Jens Petermann,
Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Michael Schlecht, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke,
Sabine Stüber, Alexander Süßmair, Frank Tempel, Kathrin Vogler,
Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Genossenschaften aktiv fördern, Mitgliedschaften erleichtern und unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Genossenschaften haben sich in ihrer jahrhundertelangen Tradition als solidari-
sche Wirtschaftsform bewährt. Sie sind Mittel gemeinschaftlicher Existenz-
gründung und -sicherung.

Die vielfältigen Betätigungsfelder von Genossenschaften und ihre erfolgreiche
weltweite Verbreitung belegen, dass das genossenschaftliche Prinzip der selbst-
organisierten Hilfe große Potenziale und Zukunftsfähigkeit besitzt.

Genossenschaften sind überwiegend auf Gebieten aktiv, die unmittelbar mit
den sozialen und wirtschaftlichen Belangen ihrer Mitglieder verknüpft sind.

Sie übernehmen somit durch gemeinschaftliche Initiative Verantwortung für
Belange der individuellen Existenzsicherung.

Traditionell geschieht das dort, wo der oder die Einzelne allein nicht in der
Lage ist, ein soziales Bedürfnis zu befriedigen oder wirtschaftlich tätig zu wer-
den.

Mit ihrer gemeinschaftlichen, nutzerkonzentrierten Förderorientierung und
dem grundsätzlichen Prinzip „Ein Mitglied – eine Stimme“ stellen Genossen-
schaften eine demokratische Alternative zu vorrangig an Rendite orientierten

Geschäftsmodellen dar.

Wohnungsgenossenschaften sind im Besonderen geeignet, das Grundbedürfnis
ihrer Mitglieder nach sicherem, gesundem, selbstbestimmtem und bezahlbarem
Wohnen zu befriedigen.

Über das Wohnen hinaus stellen sie durch ihre Eigentumsform ein wesentliches
Element der individuellen Altersvorsorge ihrer Mitglieder dar.

Drucksache 17/11828 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Energiegenossenschaften, die inzwischen etwa die Hälfte der neugegründeten
Genossenschaften ausmachen, tragen wesentlich zur Energiewende und der
Dezentralisierung der Stromerzeugung bei.

Der Genossenschaftsgedanke und die genossenschaftliche Organisation ökono-
mischer, sozialer und ökologischer Ziele verdienen große politische Unterstüt-
zung und angemessene Förderung durch die Bundesregierung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– dem Deutschen Bundestag einen Bericht darüber vorzulegen, durch welche
Rechtsvorschriften und Bestimmungen Genossenschaften in ihrer Gründung
und in ihrer Geschäftstätigkeit gegenüber anderen Rechtsformen benachtei-
ligt werden,

– einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Benachteiligungen von Ge-
nossenschaften gegenüber anderen wirtschaftlichen Rechtsformen beseitigt
werden,

– einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den kleine Genossenschaften von
Pflichtprüfungen, gegebenenfalls unter bestimmten Auflagen für die Sat-
zung, befreit werden,

– das Genossenschaftsgesetz dahingehend zu novellieren, dass die General-
versammlung und die demokratische Mitbestimmung der Genossenschafts-
mitglieder deutlich gestärkt und gefördert werden und die Umgehung von
Mitbestimmungsklauseln durch Vorstände von den Mitgliedern unterbunden
und sanktioniert werden kann,

– durch eine Novelle des Genossenschaftsgesetzes den Anteil der investieren-
den Mitglieder im Vorstand entsprechend den Regelungen für den Auf-
sichtsrat in § 8 des Genossenschaftsgesetzes zu beschränken,

– einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den Genossenschaften in begrenz-
tem Umfang die Kreditaufnahme bei ihren Mitgliedern erleichtert wird,

– Bestimmungen zu erlassen, durch die Genossenschaftsanteile, die der Siche-
rung des Nutzungsrechts an einer Wohnung, der Existenzsicherung oder der
Altersvorsorge dienen, vor Zwangsverkäufen bei Bezug von Transferleis-
tungen und im Fall einer Privatinsolvenz geschützt werden,

– mit den Ländern zu vereinbaren, dass in der schulischen, beruflichen und
universitären Bildung Genossenschaften in ihrer besonderen Rechtsform
und den damit verbundenen Aspekten einer Mitgliedschaft gleichberechtigt
berücksichtigt werden und anwenderorientiertes Wissen über Genossen-
schaften vermittelt wird,

– rechtliche und steuerliche Voraussetzungen zu schaffen, durch die Gemein-
nützigkeit für Genossenschaften im Bereich der Wohnungswirtschaft er-
möglicht und dauerhaft erhalten wird,

– Betätigungsfelder für Genossenschaften insbesondere für die Sicherung der
sozialen Daseinsvorsorge in ländlichen oder dünn besiedelten Räumen zu
definieren und entsprechende Förderprogramme für die Gründung solcher
Genossenschaften einzuführen,

– zur Förderung von Genossenschaften, die

• der Versorgung ihrer Mitglieder mit klimaschonenden und altersgerech-
ten sowie barrierefreien Wohnungen,

• der Versorgung mit regional erzeugter, erneuerbarer Energie, mit woh-
nungswirtschaftlichen Dienstleistungen,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11828

• der Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Menschen oder

• der Entwicklung regionaler Wirtschaftskreisläufe

dienen, besondere Steuer- und Finanzierungsmöglichkeiten zu entwickeln,

– Diskriminierungen von Agrargenossenschaften in der europäischen und
deutschen Agrarpolitik zu verhindern,

– im Agrarbericht der Bundesregierung die wirtschaftliche Entwicklung von
Genossenschaften in Abgrenzung zu anderen juristischen Personen der
Landwirtschaft gesondert auszuweisen,

– in der Ressortforschung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz die Besonderheiten der Agrargenossenschaften
als Produktivgenossenschaften analysieren zu lassen und insbesondere unter
dem Aspekt genossenschaftliches und kooperatives Wirtschaften in der
Landwirtschaft als Entwicklungsmöglichkeit in ländlich geprägten Regionen
zum Erhalt von Arbeitsplätzen und zur Bewahrung einer breiten Eigentums-
streuung zu evaluieren.

Berlin, den 11. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Trotz der allgemein anerkannten Potenziale von Genossenschaften und ihrer
breiten gesellschaftlichen Akzeptanz entwickeln sich neue Genossenschaften in
der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren nicht in ausreichender Zahl und
Breite.

Zwar steigt die Anzahl der Genossenschaften seit einigen Jahren wieder, im
Vergleich zu Gründungen in anderen Wirtschaftsformen jedoch nur gering.

Wesentliche Gründe hierfür sind:

– Genossenschaften müssen sich aufwändigen und kostenträchtigen Grün-
dungsprüfungen und ständig wiederkehrenden Pflichtprüfungen unterziehen.
Dass eine weitere Entlastung kleiner Genossenschaften sinnvoll ist, ist in-
zwischen weitgehender politischer Konsens. Bereits im Mai 2006 wurde in
einem Bericht an den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages über die
„Evaluierung der neuen Regelung über die Befreiung kleinerer Genossen-
schaften von der Verpflichtung zur Prüfung ihres Jahresabschlusses durch das
Gesetz zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung
des Genossenschaftsrechts vom 14. August 2006“ empfohlen, die Einrich-
tung einer von Gründungsprüfung und Prüfpflicht befreiten „kleinen Genos-
senschaft“ oder „Kooperativgesellschaft (haftungsbeschränkt)“ zu erwägen.
Im Mai 2012 sprach der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages eine
ähnliche Empfehlung aus (hib, 9. Mai 2012). In der Antwort der Bundes-
regierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestags-
drucksache 17/10654) kündigte die Bundesregierung erneut an, in diese
Richtung tätig zu werden. Alles bislang ohne Konsequenzen. Die kleinen
Genossenschaften sollen einen Namen führen, der kenntlich macht, dass es
sich um eine nicht geprüfte Genossenschaft handelt. Erfüllen diese kleinen
Kooperativgesellschaften in zwei aufeinanderfolgenden Jahren nicht be-

stimmte Größenmerkmale, so sollen sie in nach dem Genossenschaftsgesetz
geprüfte Genossenschaften umgewandelt werden. Als Größenmerkmale

Drucksache 17/11828 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
einer kleinen Genossenschaft bieten sich die Kriterien für Kleinstbetriebe
nach Artikel 1a der durch die Richtlinie 2012/6/EU geänderten Richtlinie
78/660/EWG an.

– Genossenschaften sind durch Gesetze und Rechtsvorschriften von Förder-
möglichkeiten und Finanzierungsquellen ausgeschlossen, die andere wirt-
schaftliche Rechtsformen in Anspruch nehmen können.

– Es fehlt die Vermittlung von Kenntnissen über die Genossenschaft als
besondere Rechtsform in der schulischen, beruflichen und universitären Bil-
dung.

– Förderprogramme, insbesondere zur Gründungsförderung, sind oft auf indi-
viduelle selbstständige Tätigkeiten zugeschnitten und stehen deshalb für Ge-
nossenschaften nur eingeschränkt zur Verfügung.

Diese Benachteiligung von Genossenschaften muss vom Gesetzgeber aufgeho-
ben und von einer angemessenen und sachdienlichen Förderkultur abgelöst
werden.

Nach aktueller Rechtslage sind Genossenschaftsanteile, die der Existenzsiche-
rung dienen, im Fall einer Privatinsolvenz nicht geschützt. Dies kann zum Ver-
lust des Nutzungsrechts an einer Genossenschaftswohnung führen.

Die agrarstrukturelle Entwicklung in vielen ländlichen Regionen ist geprägt
durch den Strukturwandel zu größeren landwirtschaftlichen Betrieben. Das ist
oft mit einem Verlust an Arbeitsplätzen und landwirtschaftlichem Betriebs-
vermögen aufgegebener Einzelbetriebe gekoppelt.

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