BT-Drucksache 17/11550

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/10200, 17/10202, 17/10816, 17/10823, 17/10824, 17/10825 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2013 (Haushaltsgesetz 2013) hier: Einzelplan 17 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Vom 20. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11550
17. Wahlperiode 20. 11. 2012

Änderungsantrag
der Abgeordneten Sven-Christian Kindler, Priska Hinz (Herborn), Katja Dörner,
Dr. Tobias Lindner, Monika Lazar, Kerstin Andreae, Katrin Göring-Eckardt, Britta
Haßelmann, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Oliver Krischer, Markus Kurth, Jerzy
Montag, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Claudia Roth (Augsburg),
Elisabeth Scharfenberg, Ulrich Schneider, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Hans-Christian Ströbele, Dr. Harald Terpe, Beate Walter-Rosenheimer, Josef Philip
Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/10200, 17/10202, 17/10816, 17/10823, 17/10824, 17/10825 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2013
(Haushaltsgesetz 2013)

hier: Einzelplan 17
Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Der Bundestag wolle beschließen:

Das Förderprogramm „Maßnahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und De-
mokratie“ (Kapitel 17 02, Titel 684 14) mit einer Mittelausstattung in Höhe von
29 Mio. Euro wird durch das neue Bundesprogramm „Maßnahmen für eine
demokratische Kultur, gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und
Rechtsextremismus“ mit einer jährlichen Mittelausstattung in Höhe von 50 Mio.
Euro ersetzt.

Die sogenannte Extremismusklausel als Zuwendungsvoraussetzung wird aus
den Richtlinien des Bundesprogramms „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPE-
TENZ STÄRKEN“ gestrichen und die Vergabe der Zuwendungen im Rahmen
dieses Programms nicht an eine Unterzeichnung einer solchen Erklärung ge-
knüpft.
Berlin, den 19. November 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Drucksache 17/11550 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Antidemokratische Positionen haben die Mitte der Gesellschaft längst erreicht.
Rechtsextreme Haltungen sind kein Randproblem, sondern breit verankert.
Jeder Vierte in Deutschland denkt mehr oder weniger „ausländerfeindlich“, wie
die aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung e. V. „Die Mitte im Umbruch –
Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012“ belegt.

9 Prozent der Menschen in Deutschland vertreten ein geschlossenes rechtsextre-
mes Weltbild. Im Vorjahr waren es 8,2 Prozent, was auch bereits alarmieren
musste. Ein noch weitreichenderes Problem stellen menschenfeindliche Haltun-
gen in der rechtspopulistischen Grauzone dar. So gibt es mit 36,2 Prozent ein
enormes Potenzial an islamfeindlichen Meinungen. Hierin liegt eine massive
gesellschaftliche Spaltungsgefahr, denn zur Bevölkerung der Bundesrepublik
Deutschland gehören mehrere Millionen Muslime. Auch antisemitische Ressen-
timents werden vertreten. Der Aussage, die Juden würden die Erinnerung an den
Holocaust heute für ihren eigenen Vorteil nutzen, stimmten 31,9 Prozent zu, was
vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sehr ernst genommen werden
muss. Die Ergebnisse solcher Erhebungen müssen wachrütteln.

Wir brauchen eine gesellschaftliche Demokratieoffensive auf allen Ebenen.
Gute Bildung für alle, Aufklärung gegen menschenfeindliche Haltungen und de-
mokratische Strukturen vor Ort, z. B. in der Jugendarbeit, sind vonnöten. Es ist
wichtig, frühzeitig anzusetzen, um Jugendliche für die Demokratie zu gewinnen.
Soziale Perspektiven für junge Menschen in strukturschwachen Gebieten müs-
sen politische Priorität bekommen. Unerlässlich ist es auch, Menschen mit Mi-
grationshintergrund, die dem verbreiteten Rassismus und der Diskriminierung
ausgesetzt sind, zu stärken, z. B. durch Empowermentprojekte, und ihnen echte
gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Gerade im Umgang mit Migrantinnen und Migranten haben auch die staatlichen
Organe tragisch versagt. Ein Jahr nach Bekanntwerden der NSU-Verbrechen ist
das langwährende schwerwiegende Versagen der Ermittlungsbehörden offen-
sichtlich. Rassismus und Vorurteile führten dazu, dass offenkundige Spuren ins
rechtsextreme Milieu nicht verfolgt wurden und stattdessen die Opfer und ihr
Umfeld selbst in den Fokus von Verdächtigungen gerieten. Eine gesamtgesell-
schaftliche Sensibilisierung für rassistische und neonazistische Tendenzen ist
daher auf allen Ebenen dringend erforderlich.

Wir müssen daher mehr in die Prävention investieren, um zu vermeiden, dass
überhaupt ein Nährboden für solche schrecklichen Taten entstehen kann.

Dies gelingt aber nicht, indem man die Arbeit der zivilgesellschaftlichen
Anti-Nazi-Initiativen, die sich für eine tragfähige Demokratie einsetzen, durch
Bekenntniszwänge behindert. Vielmehr müssen gerade diejenigen, die sich tag-
täglich um demokratische Kultur bemühen, vom Staat geachtet, unterstützt und
solide gefördert werden. Die verfassungsrechtlich hoch umstrittene „Extremis-
musklausel“, mit der die Träger für die Gesinnung ihrer Projektpartner haften
müssen, wird daher ersatzlos gestrichen. Der halbherzige Änderungsversuch,
mit dem Bundesministerin Dr. Kristina Schröder ihre vor dem Verwaltungsge-
richt Dresden erlittene Schlappe auszubügeln versucht hat, genügt nicht. Die
Klausel bleibt Ausdruck einer Misstrauenskultur gegenüber zivilgesellschaft-
lichen Initiativen, welche eine geeinte Auseinandersetzung mit dem menschen-
verachtenden Rechtsextremismus verhindert. Zudem trägt sie zu einer gefährli-
chen Verharmlosung von Nazigewalt bei, was nicht nur wegen der rechtsterro-
ristischen Mordserie, sondern auch angesichts der 182 getöteten Opfer rechter
Gewalt seit 1990* zynisch und inakzeptabel ist.
* Laut aktuellen Recherchen des Opferfonds CURA der Amadeu Antonio Stiftung.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11550

Das neue 50-Millionen-Programm richtet sich gegen Rechtextremismus und
weitere Formen von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie Rassismus,
Antisemitismus, aber auch, Antiziganismus sowie Homo- und Transfeindlich-
keit und stärkt demokratisches Engagement vor Ort. Eine Ausweitung auf
andere sogenannte Extremismusformen ist inhaltlich nicht begründbar und ver-
kennt die Gefahren durch Rechtsextremismus und andere Formen Gruppen-
bezogener Menschenfeindlichkeit, auch in der „Mitte der Gesellschaft“.

Innerhalb des Programms stellen wir neue Mittel für Projekte in eigenständiger
und alleiniger Trägerschaft von zivilgesellschaftlichen Initiativen zur Verfü-
gung. Die Kofinanzierung durch die Träger darf nicht mehr als 25 Prozent be-
tragen. So können sich auch Initiativen aus solchen Kommunen erfolgreich für
Modellprojekte bewerben, deren Kommunalverwaltungen nicht an einer Aus-
einandersetzung mit Rechtsextremismus aktiv mitwirken. Die Mittel sollen von
einem Gremium verwaltet werden, das sich aus einem oder mehreren kompeten-
ten freien Trägern zusammensetzt.

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