BT-Drucksache 16/6786

Für ein transparentes, mittelstandsfreundliches, innovationsoffenes und soziales Vergaberecht

Vom 24. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6786
16. Wahlperiode 24. 10. 2007

Antrag
der Abgeordneten Kerstin Andreae, Irmingard Schewe-Gerigk, Christine Scheel,
Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Alexander Bonde, Kai Gehring,
Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Markus Kurth, Monika Lazar,
Jerzy Montag, Brigitte Pothmer, Dr. Gerhard Schick, Silke Stokar von Neuforn,
Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler,
Margareta Wolf (Frankfurt) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für ein transparentes, mittelstandsfreundliches, innovationsoffenes
und soziales Vergaberecht

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Aufträge der öffentlichen Verwaltung an die private Wirtschaft machen in
der Bundesrepublik Deutschland rund 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
aus, etwa 300 Mrd. Euro pro Jahr.

Effiziente, transparente und unbürokratische Vergabeverfahren mit hoher Wett-
bewerbsintensität sind für die Wirtschaft und den Mittelstand ebenso wie für die
Konsolidierung nachhaltige Bewirtschaftung öffentlicher Haushalte von zentra-
ler Bedeutung. Das deutsche Vergaberecht muss vereinfacht werden, da es un-
übersichtlich und zersplittert ist. Zudem soll das Engagement von Unternehmen
im ethischen, sozialen und ökologischen Bereich besser berücksichtigt werden,
um eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu unterstützen und Wettbewerbs-
nachteile auszugleichen.

Durch die Ausrichtung der Beschaffung am Ziel des nachhaltigen Wirtschaftens
kann die öffentliche Hand wichtige Impulse geben. Bund, Länder und Kommu-
nen befinden sich bei der Vergabe von Aufträgen an Dritte in einer besonderen
Verantwortung, der sie gerecht werden müssen. Durch die wirtschaftlichen Ent-
scheidungen der staatlichen Ebenen sollen auch die sozial- und umweltpoliti-
schen Ziele gefördert werden, für die die Bundesrepublik Deutschland auf na-
tionaler und internationaler Ebene selbst politisch eintritt. Dafür müssen die
rechtlichen Voraussetzungen zügig geschaffen werden. So ist z. B. die Durch-
setzung einer gerechteren Globalisierung nicht nur Thema von internationalen
Abkommen, sondern von Vergabeentscheidungen bei Produkten aus der welt-
weiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Die Förderung der Gleichstellung von

Frauen ist nicht nur Aufgabe bei der Umsetzung des Allgemeinen Gleichbehand-
lungsgesetzes, sondern einer entsprechenden wirtschaftlichen Impulssetzung
durch den Staat. Auch weitere sozialpolitische Ziele wie die Beschäftigung von
Menschen mit Behinderungen und die Schaffung von Ausbildungsplätzen kön-
nen durch eine verantwortungsvolle Vergabepraxis effektiv unterstützt werden.

Allerdings besteht erhebliche Rechtsunsicherheit insbesondere in der Vergabe-
praxis der Kommunen, da die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parla-

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ments und des Rates vom 31. März 2004 von der Bundesregierung pflichtwidrig
bis heute nicht umgesetzt wurde.

Die Bundesregierung hat mehrfach angekündigt, einen Gesetzentwurf zur Re-
form des Vergaberechts in den deutschen Bundestag einzubringen. Sie hat diese
Ankündigung aber bislang nicht umgesetzt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, zügig einen Ge-
setzentwurf zur Reform des Vergaberechts vorzulegen, der

– das Vergaberecht vereinfacht und entbürokratisiert,

– die Förderung von Innovationen insbesondere im ökologischen und sozialen
Bereich durch das Vergaberecht erleichtert,

– die Berücksichtigung von sozialen Kriterien entsprechend der EU-Richtlinie
ermöglicht – wie insbesondere Ausbildungsbereitschaft und Beschäftigung
von Menschen mit Behinderungen – und Rechtssicherheit für die Vergabe-
stellen hinsichtlich der Berücksichtigung sozialer Kriterien schafft,

– die Förderung der Gleichstellung von Frauen durch das Vergaberecht ermög-
licht und hierfür klare Kriterien und Maßstäbe entwickelt,

– den Ausschluss von Unternehmen aus dem Vergabeverfahren gewährleistet,
die selbst oder deren Zulieferer gegen die ILO-Kernarbeitsnormen verstoßen,

– es ermöglicht, durch öffentliche Nachfrage einen Beitrag zur gerechten Ge-
staltung der Globalisierung zu leisten,

– Korruption verhindert und ein bundesweites Korruptionsregister schafft,

– den Rechtsschutz gegen Vergabeentscheidungen auch unterhalb der Schwel-
lenwerte einzuführen,

– im Bundesgleichstellungsgesetz die nach § 97 IV des Gesetzes gegen Wett-
bewerbsbeschränkungen (GWB) erforderliche gesetzliche Grundlage dafür
zu schaffen, dass der Bund Aufträge zur Beschaffung von Waren, Bau- und
Dienstleistungen ab einem Volumen von 50 000 Euro bevorzugt an Unter-
nehmen vergibt, die die Gewähr dafür bieten, dass sie die Verbote zur Be-
nachteiligung aufgrund des Geschlechts nach dem Allgemeinen Gleichbe-
handlungsgesetz einhalten und Maßnahmen zur Gleichstellung durchführen.

Berlin, den 24. Oktober 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Das deutsche Vergaberecht ist zersplittert und unübersichtlich. Häufig wird es
fehlerhaft angewandt oder ignoriert. Dadurch werden öffentliche Mittel vergeu-
det, Innovationschancen vertan und Korruption ermöglicht. Die Teilnahme an
Ausschreibungen erfordert hohen zeitlichen und personellen Aufwand.

Wesentliche Einzelheiten des Vergaberechts sind in der Verdingungsordnung für
Leistungen (VOL), der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB)
und der Verdingungsordnung für öffentliche freiberufliche Leistungen (VOF)
geregelt. Diese Regelwerke betreffen weitgehend identische Sachverhalte. Eine

weitgehend einheitliche Vergabeordnung könnte mehr Transparenz schaffen.
Die A-Teile von VOL, VOB und VOF müssen daher in einer einzigen Vergabe-

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ordnung zusammengefasst werden. Besonderheiten für die einzelnen Bereiche
könnten weiterhin in den einzelnen Vergabeordnungen geregelt werden. Für
andere Bereiche mit spezifischen Leistungscharakteristika, wie zum Beispiel die
Beschaffung von Arbeitsmarktdienstleistungen und andere soziale Dienstleis-
tungen, sollte die Einführung einer eigenen Verdingungsordnung geprüft wer-
den.

Für jedes Vergabeverfahren haben die Unternehmen Nachweise zur Dokumen-
tation ihrer Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit vorzulegen. Prä-
qualifizierungsverfahren, bei denen sich Unternehmen unabhängig von der kon-
kreten Ausschreibung generell für ein Jahr als für öffentliche Ausschreibungen
geeignet qualifizieren können, vereinfachen die Vergabeverfahren erheblich.
Die Kosten der Teilnahme an einer Vergabe können so für die Unternehmen um
30 Prozent gesenkt werden, wie ein aktuelles Gutachten zeigt. In der Bauindus-
trie wird das System bereits auf Bundesebene genutzt, ebenso branchenübergrei-
fend in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.
Der Bund sollte zügig ein entsprechendes Verfahren auch für Vergaben außer-
halb der Bauwirtschaft definieren und geeignete Institutionen oder Unterneh-
men mit der Durchführung beauftragen.

Außerdem sollte eine Bagatellgrenze eingeführt werden, unterhalb derer keine
Ausschreibung erforderlich ist. Wir schlagen die Grenze von 15 000 Euro für
Dienstleistungen und Lieferaufträge und 30 000 Euro für Bauleistungen vor.
Derzeit hat jedes Land die Möglichkeit, für jedes Gewerk eigene Schwellen-
werte festzulegen. Das führt zur großer Unübersichtlichkeit.

Eine Reihe von Änderungen im Vergaberecht und in den Verfahren sind notwen-
dig, um Korruption sinnvoll bekämpfen zu können.

Bisher besteht keine praktikable Möglichkeit für Vergabestellen zu erfahren,
welche Bieter an anderen Standorten wegen Korruptionsvorwürfen von Verga-
beverfahren ausgeschlossen worden sind. Unternehmen, die der Bestechung
überführt worden sind, müssen daher in einem bundesweiten Korruptionsregis-
ter erfasst werden, damit Auftraggeber die Möglichkeit erhalten, sie von der Ver-
gabe auszuschließen. Dieses Register könnte beim Bundesamt für Wirtschaft
und Ausfuhrkontrolle geführt werden. Damit können diese auf der Grundlage
des geltenden Vergaberechtes von der Auftragsvergabe ausgeschlossen werden.
Zu diesem Zweck und früherem Erkennen von Korruption sollte die Bundesre-
gierung arbeitsrechtliche Schutzregelungen für Beschäftigte (sogenannte Whist-
leblower) entsprechend dem Zivilrechtsabkommen des Europarats gegen Kor-
ruption vom 4. November 1999 schaffen, die Behörden einen Verdacht auf Kor-
ruption mitteilen oder auf sonstige Verstöße gemäß den OECD-Richtlinien für
multinationale Unternehmen.

Bund, Länder und Kommunen sollten gemeinsam ein transparentes System über
öffentliche Ausschreibungen im Internet schaffen. Websites, die nur schwer ge-
funden werden können und nicht übersichtlich mit Links verbunden sind, er-
leichtern Korruption.

Im Bereich unterhalb der EU-Schwellenwerte werden Pflichten zur offenen
Ausschreibung häufig nicht eingehalten und Vergabeentscheidungen können
nur schwer gerichtlich überprüft werden. Notwendig zur Bekämpfung von Kor-
ruption ist die Einführung der Möglichkeit für Bieter, gegen Vergabeentschei-
dungen zu klagen (Primärrechtsschutz), wie dies heute schon im Bereich ober-
halb der EU-Schwellenwerte gewährleistet ist.

Notwendig ist es, eine Mindestbearbeitungszeit von 14 Tagen für die Erstellung
von Angeboten zwischen Bekanntmachung und Abgabefrist einzuführen. Eine
kurze Angebotsfrist gekoppelt mit hohen Anforderungen an die Gestaltung des

Angebotes und der informellen Vorabinformation einzelner Bieter ermöglicht

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Korruption und erschwert kleinen und mittleren Unternehmen die Teilnahme an
der Ausschreibung.

Bei der Vergabe von sozialen Dienstleistungen und Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt, vor allem durch die Bundesagentur für Arbeit, müssen die beson-
deren Bedingungen stärker Berücksichtigung finden. Die Vergabe dringlicher
Aufträge und von Nachbestellungen muss vereinfacht werden. Es ist notwendig,
Möglichkeiten für flexible und kurzfristige Vergaben zu schaffen. Langfristige
Investitionen in Einrichtungen und qualifiziertes Personal müssen in den Verga-
beverfahren stärker Berücksichtigung finden, als dies derzeit der Fall ist.

Das Verfahren des wettbewerblichen Dialogs ermöglicht die gezielte Förderung
von Innovationen. Technische Lösungsmöglichkeiten zwischen vergebenden
Stellen und Bietern werden schrittweise konkretisiert. Das Verfahren sollte auch
unterhalb der EU- Schwellenwerte zugelassen werden.

In der Bundesrepublik Deutschland besteht erhebliche Rechtsunsicherheit da-
rüber, inwieweit soziale Kriterien zum Gegenstand von Vergabeentscheidungen
sein können. Das liegt insbesondere daran, dass die Bestimmungen des euro-
päischen Rechts noch nicht umgesetzt worden sind. Notwendig ist es aber, dass
das Kriterium der Förderung der Gleichstellung von Frauen zum Kriterium für
Vergabeentscheidungen gemacht wird, auch bei der Beschaffung durch den
Bund.

Auch für eine gerechtere Globalisierung können wichtige Impulse durch die Ge-
staltung öffentlicher Aufträge gegeben werden. Viele Menschen achten beim
Kauf von Waren und Dienstleistungen auf die Herstellungsbedingungen. Sie
wollen nichts erwerben, das etwa mit ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt
wurde und achten beim Kauf von handgeknüpften Teppichen z. B. auf das Sie-
gel „Rugmark“.

In vielen Kommunen sind Beschlüsse zur Berücksichtigung sozialer Ziele im
Vergaberecht gefällt worden. Beispielsweise haben einzelne Kreistage bean-
tragt, ausbildende Betriebe bei der Vergabe zu bevorzugen, und eine Vielzahl
von Kommunen haben beschlossen, bei der Beschaffung von Steinen aus insbe-
sondere indischen Steinbrüchen den Ausschluss von Kinderarbeit in die Aus-
schreibungen aufzunehmen. Dies wurde ihnen aber von der Verwaltung mit Hin-
weis auf die fehlende bundesrechtliche Grundlage verwehrt. Bisher ist es im
deutschen Vergaberecht, anders als im europäischen Recht, nur sehr begrenzt
möglich, soziale Ziele zu Kriterien von Vergabeentscheidungen zu machen. Not-
wendig ist es daher, die Spielräume der EU-Richtlinie voll auszuschöpfen. Die
Formulierung in Artikel 26 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren
zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsauf-
träge sollte daher in das GWB, das Haushaltsgrundsätzegesetz und die Bundes-
haushaltsordnung übernommen werden: „Die öffentlichen Auftraggeber können
zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorschreiben, sofern
diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung
oder in den Verdingungsunterlagen angegeben werden. Die Bedingungen für die
Ausführung eines Auftrags können insbesondere soziale und umweltbezogene
Aspekte betreffen.“

Die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Kriterien ist Aufgabe der jeweiligen
vergebenden Gebietskörperschaft. Die Parlamente, Kreistage und Räte haben zu
entscheiden, welche Kriterien, die über das geltende Recht hinausgehen, jeweils
angewandt werden sollen.

Klargestellt werden muss auch, dass Unternehmen dann ausgeschlossen werden
können, wenn ein Unternehmen in der Zulieferkette gegen geltendes Recht ver-

stößt. Damit könnten z. B. Unternehmen, deren Zulieferer die ILO-Kernarbeits-

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normen und andere rechtlich verbindliche internationale Konventionen nicht be-
rücksichtigen, ausgeschlossen werden.

Solange die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland nicht zuverlässig
durch Mindestlöhne vor Lohndumping geschützt sind, kommt dem Bund außer-
dem eine besondere Verantwortung dafür zu, bei der Vergabe öffentlicher Auf-
träge des Bundes nur solche Unternehmen zuzulassen, die ihre Arbeitnehmer bei
der Ausführung der Leistung mindestens nach den relevanten tariflichen Lohn-
und Gehaltstarifen bezahlen und die tarifliche Arbeitszeit anwenden.

Notwendig ist es, mehr Transparenz und Einheitlichkeit bei ökologischen und
sozialen Produktsiegeln zu schaffen. Bei ökologischen Kriterien hat die Bundes-
regierung bereits vor mehreren Jahren dafür gesorgt, dass die Produktsiegel
übersichtlicher geworden sind. Bei sozialen Dienstleistungen sollte die Bundes-
regierung einen Prozess der Vereinheitlichung moderieren.

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