Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.06.2017, Az. B 10 ÜG 30/16 B

10. Senat | REWIS RS 2017, 10059

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Gerichtsgebühren bei Klagen auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer - Recht auf Zugang zum Gericht - Justizgewährungsanspruch - Sozialstaatsprinzip - Europäische Menschenrechtskonvention - Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Verfahrensfehler - Zurückweisung eines Befangenheitsantrags - Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags - Willkür - Rechtsschutzgleichheit - rechtliches Gehör - Fehlen von Entscheidungsgründen - Rechtsprechungsdivergenz - Darlegungsanforderungen


Leitsatz

Die Erhebung von Gerichtsgebühren für Entschädigungsverfahren wegen überlanger Dauer von Gerichtsverfahren verletzt weder den Justizgewährleistungsanspruch und das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes noch die Europäische Menschenrechtskonvention.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2015 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 6425,43 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Kläger verlangt vom beklagten Freistaat Schadensersatz wegen eines überlangen Verfah-rens der Kostenfestsetzung.

2

Diesem vorausgegangen war ein sozialgerichtliches Hauptsacheverfahren über Beiträge zur privaten Krankenversicherung, das von 1989 bis zum [X.] gedauert hatte. Darin wurde der beklagte Arbeitgeber verurteilt, dem Kläger für den Monat Juli 1988 einen Krankenversicherungszuschuss von 47,06 [X.] zu bezahlen. Im Übrigen wies das [X.] die Berufung zurück und verpflichtete den Kläger zur Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beklagten. Das Kostenfestsetzungsverfahren wurde vom Rechtsanwalt des Arbeitgebers betrieben und dauerte vom 16.1.2006 bis zum 11.1.2011. Der resultierende Kostenfestsetzungsbeschluss lautete auf 540,62 [X.] für den gesamten Rechtsweg (Beschluss vom 12.10.2010 - [X.] KR 593/93).

3

Auf die [X.] des [X.] hat das [X.] als Entschädigungsgericht mit dem [X.] Urteil festgestellt, die Dauer des Kostenfestsetzungsverfahrens vor dem [X.] sei unangemessen gewesen. Es hat dem Kläger dafür 157,71 [X.] als materiellen Schadensersatz zugesprochen, die auf eine höhere Entschädigung gerichtete Klage aber abgewiesen. Mit mehr als vier Jahren sei das Kostenfestsetzungsverfahren offensichtlich überlang gewesen. Durch die Verzögerung sei die Zinslast des [X.] aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss um den ausgeurteilten Betrag höher ausgefallen. Ansonsten, hinsichtlich des immateriellen Schadens, reiche die Wiedergutmachung in sonstiger Weise durch Feststellung der Überlänge aber aus. Im Kostenfestsetzungsverfahren sei es nur noch um die Höhe der Gebühren des gegnerischen Anwalts gegangen, deren grober Rahmen bereits festgestanden habe. Es sei daher nicht ersichtlich, dass die Verzögerung dem Kläger einen immateriellen Nachteil mit der erforderlichen Schwere zugefügt habe. Auch das B[X.] messe dem Verfahren der Kostenfestsetzung regelmäßig untergeordnete Bedeutung zu (Urteil vom 16.12.2015).

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum B[X.] eingelegt. Er macht geltend, das [X.] habe Verfahrensrecht verletzt, sei von der Rechtsprechung des B[X.] abgewichen und habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete Verfahrensmangel (1.), noch eine Di-vergenz (2.) oder eine grundsätzliche Bedeutung (3.) ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 [X.]G).

6

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] 3 Halbs 1 [X.]G), so müssen bei der Bezeichnung dieses [X.] (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]G) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden. Schon daran fehlt es hier.

7

a) Einen vom Revisionsgericht zu berücksichtigenden Verfahrensmangel im Zusammenhang mit der erfolglosen Ablehnung des Senatsvorsitzenden und Berichterstatters am [X.] hat die Beschwerde nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

8

Soweit der Kläger sich gegen die Zurückweisung seines Ablehnungsgesuchs (§ 60 Abs 1 [X.]G iVm § 42 Abs 2 ZPO) wendet, bezeichnet er keinen Verfahrensmangel in Gestalt eines Versto-ßes gegen [X.] (Art 101 Abs 1 S 2 GG). Die dem Endurteil vorausgehen-den Entscheidungen binden das Revisionsgericht, wenn sie - wie hier - unanfechtbar sind (vgl B[X.] Beschluss vom 13.11.2014 - [X.] SB 8/14 S). Eine Ausnahme greift für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nur, wenn sie auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht oder wenn die Zurückweisung darauf hindeutet, dass das Gericht Bedeutung und [X.] der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 S 2 GG grundlegend verkannt hat; die lediglich unrichtige Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch genügt nicht (vgl B[X.] Beschluss vom 24.5.2013 - [X.] KR 50/12 B - Juris Rd[X.] 5 mwN). Willkürlich ist die Entscheidung eines Gerichts, wenn sie sich so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie unter keinem Gesichtspunkt mehr zu rechtferti-gen ist (vgl B[X.] [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.] 9 mwN).

9

Für eine solche willkürliche oder sonst die Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 S 2 GG ver-kennende Entscheidung ist der Beschwerde nichts zu entnehmen. Sie schildert bereits die Gründe des Zurückweisungsbeschlusses vom [X.] lediglich bruchstückhaft aus wertender Sicht des [X.]. Entgegen ihrer Ankündigung hat die Beschwerde auch eine Rügeschrift vom 8.3.2013 mit Vortrag zum Zurückweisungsbeschluss nicht vorgelegt; das der Beschwerde beigefügte Schreiben vom [X.] behandelt Fragen der [X.]. Den Vorwurf, das [X.] habe die von ihm vorgebrachten Ablehnungsgründe nicht geprüft, sondern verfassungswidrig entstellt und modifiziert, kann der Senat deshalb nicht näher überprüfen. Soweit sich die Kritik des [X.] an der Ablehnung seines Befangenheitsgesuchs durch das [X.] auf der Grundlage des unsubstantiierten [X.] überhaupt nachvollziehen lässt, lässt sie in keiner Weise auf willkürliches Handeln des [X.] schließen. Wenn das Berufungsgericht insbesondere, wie die Beschwerde angibt, die Berechtigung einer Richterablehnung aus der Sicht einer vernünftig und ruhig denkenden Partei beurteilt hat, wollte es ersichtlich den von der Rechtsprechung anerkannten Maßstab der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei anlegen (vgl B[X.] vom 24.11.2005 - [X.]a [X.] = [X.] 4-1500 § 60 [X.] 2).

b) Soweit der Kläger sinngemäß eine Verletzung seines Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit (Art 3 Abs 1 iVm Art 20 GG) rügt, weil das [X.] seine wiederholten Anträge auf [X.] zu Unrecht abgelehnt habe, hat er auch insoweit einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Grundsätzlich ist die Rüge gegen die unanfechtbare Ablehnung einer [X.] ebenfalls ausgeschlossen (§ 202 [X.]G iVm § 557 Abs 2 ZPO; B[X.] [X.] 1500 § 160 [X.]). Daher kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde als Verfahrensmangel nicht die rechtswidrige Ablehnung von [X.] als solche geltend gemacht werden, sondern nur eine Ablehnung, die verfassungsrechtlich fundierte prozessuale Gewährleistungen verletzt, weil sie auf Willkür beruht und damit gegen Art 3 Abs 1 GG und das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von [X.] und [X.]n verstößt. Willkürlich ist ein Richterspruch erst dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein begründet noch keinen Verstoß gegen das aus Art 3 Abs 1 GG folgende Willkürverbot, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl B[X.] [X.] 4-1500 § 160 [X.] Rd[X.] 9, 10 mwN). Soweit hat die Beschwerde wiederum zunächst den genauen Inhalt der angegriffenen [X.]-Beschlüsse nicht wiedergegeben. Allein der von ihr kritisierte Umstand, dass das [X.] nach ihrem Vortrag seine Rechtsansicht zur Zulässigkeit der Klage im Verlauf des Verfahrens - zu seinen Gunsten - geändert hat, ohne diesen Sinneswandel vorab offenzulegen, deutet nicht auf eine willkürliche Verfahrensweise hin.

c) Soweit der Kläger als Verfahrensmangel rügt, dass das [X.] seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 [X.]G; Art 103 Abs 1 GG) verletzt habe, entsprechen seine Ausführungen gleichfalls nicht den [X.]. Denn dieser Anspruch soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 [X.]G; vgl B[X.] [X.] 3-1500 § 62 [X.]2; [X.] 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird ([X.] 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist daher nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt ([X.] aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt (vgl [X.] 22, 267, 274), oder wenn das Gericht auf [X.] des [X.] zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist ([X.] 86, 133, 146). Art 103 Abs 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt ([X.] 64, 1, 12; 76, 93, 98).

Danach hat die Beschwerde eine Gehörsverletzung nicht substantiiert dargetan. Die vom Kläger geltend gemachten Argumente für eine weitergehende Entschädigungspflicht des Beklagten hat das [X.] in seinem Urteil (auf Seite 14) entgegen der Behauptung der Beschwerde ausdrücklich abgehandelt. Soweit die Beschwerde darüber hinaus rügt, das Urteil sei in sich widersprüchlich, widerspreche der Rechtsprechung des [X.], beruhe auf falschen Tatsachenfeststellungen und einer unrichtigen Rechtsanwendung, so legt sie daher keine Gehörsverletzung dar. Dasselbe gilt für die Behauptung der Beschwerde, die Urteilsgründe würden sich auf einen entstellten Sachverhalt beziehen, entsprächen nicht dem Akteninhalt und seien in sich widersprüchlich. Allein eine vermeintlich unzutreffende Rechtsanwendung des [X.] kann nicht mit Erfolg als Revisionszulassungsgrund gerügt werden (vgl hierzu B[X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 10).

Soweit die Beschwerde im Übrigen meint, nach Hinweis des Berufungsgerichts auf seine geänderte Rechtsauffassung zur Zulässigkeit der Klage und anschließende Beiordnung eines Rechtsanwalts im Berufungsverfahren hätte die Klage durch dessen weiteren Vortrag Erfolg gehabt, legt sie nicht dar, welche zusätzlichen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte der Kläger noch hätte vortragen können, die seinem Entschädigungsbegehren zum Erfolg verholfen hätten. Die Beschwerde führt lediglich an, ein rechtzeitig beigeordneter Rechtsanwalt hätte die Gründe für die überlange Dauer des beanstandeten Kostenfestsetzungsverfahren dargelegt und auf das Urteil des [X.] vom 7.7.2015 ([X.] ua gegen [X.]) hingewiesen. Die Beschwerde legt indes nicht substantiiert dar, warum das [X.] dem Kläger eine Entschädigung in Geld wegen immateriellen Schadens hätte zusprechen sollen, obwohl das Berufungsgericht eine untergeordnete Bedeutung des Verfahrens für den Kläger festgestellt hat. Soweit die Beschwerde dagegen argumentiert, der ursprüngliche Kostenfestsetzungsantrag vom 16.1.2006 sei unzulässig gewesen, da der antragstellende Rechtsanwalt seine Vertretungsmacht nicht nachgewiesen habe, erschließt sich bereits nicht der Zusammenhang mit der Frage eines immateriellen Schadens durch die Länge des Verfahrens. Das von der Beschwerde insoweit zitierte [X.]-Urteil kritisiert die Spruchpraxis der [X.] Gerichte bis zum [X.], bei [X.] nur ausgewählte Teile des Gerichtsverfahrens heranzuziehen. Den inhaltlichen Bezug zum Verfahren des [X.] stellt die Beschwerde nicht nachvollziehbar her. Zudem widerspricht die Behauptung fehlender Verfügungsmacht den für den Senat nach § 163 [X.]G bindenden Feststellungen des [X.], das den antragstellenden Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten des Arbeitgebers angesehen hat.

d) Ebenfalls nicht substantiiert dargelegt ist das behauptete Fehlen von Entscheidungsgründen. Ein - abweisendes - Urteil enthält die in § 136 Abs 1 [X.] [X.]G geforderten Entscheidungsgründe, wenn mindestens die angewandte Rechtsnorm bezeichnet und angegeben ist, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen ein Tatbestandsmerkmal dieser Norm nicht vorliegt (vgl B[X.] Urteil vom 15.11.1988 - 4/11a RA 20/87 - [X.] 1500 § 136 [X.]0). Die Begründungspflicht ist selbst dann nicht verletzt, wenn die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und zum tatsächlichen Geschehen falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sind. Auch braucht ein Gericht nicht zu Fragen Stellung zu nehmen, auf die es nach seiner Auffassung nicht ankommt (B[X.] Beschluss vom [X.] - 7 [X.]/84 - Juris Rd[X.]1). Nicht mit Entscheidungsgründen versehen ist ein Urteil erst dann, wenn die angeführten Gründe objektiv unverständlich oder verworren sind oder nur nichtssagende Redensarten enthalten oder zu einer von einem Beteiligten aufgeworfenen, eingehend begründeten und - nach der Auffassung des Gerichts - für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nur ausgeführt wird, dass die Auffassung nicht zutreffe (vgl B[X.] [X.] [X.] 9 zu § 136 [X.]G; B[X.] [X.] 1500 § 136 [X.] 8). Hierfür hat der Kläger mit seinem Hinweis auf vermeintliche Widersprüche des [X.]-Urteils nichts dargetan.

2. Ebenso wenig dargetan hat die Beschwerde die angebliche grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G).

Soweit sie fragt,

        

ob die Erhebung von Gerichtsgebühren gemäß § 183 [X.], § 197 Abs 1 Halbs 1, [X.] 2 [X.]G mit Art 13 [X.]päische Menschenrechtskonvention ([X.]) bzw Art 19 Abs 4 GG vereinbar ist,

fehlt es an der Darlegung der grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit dieser Frage. Eine Rechtsfrage ist klärungsbedürftig, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher mit Wortlaut, Kontext und ggf der Entstehungsgeschichte des fraglichen Gesetzes sowie der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen. Wer eine Verfassungsverletzung geltend macht, darf sich dabei nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des [X.] und ggf des B[X.] zu den gerügten Verfassungsnormen in substantieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll ([X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 2014, § 160a Rd[X.] 50, 58 mwN).

Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerde. Sie hat nicht substantiiert dargelegt, warum die Kostenpflichtigkeit von [X.] Art 19 Abs 4 GG, das Sozialstaatsprinzip oder Art 13 [X.] verletzen sollte. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ist es mit dem Justizgewährungsanspruch vereinbar, für die Inanspruchnahme der Gerichte Gebühren in Anknüpfung an den Streit- oder Gegenstandswert zu erheben, solange das Kostenrisiko nicht in einem derartigen Missverhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert des Verfahrens steht, dass eine Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint und damit die Beschreitung des Rechtswegs sich zumindest für [X.] als praktisch unmöglich darstellt ([X.] Beschluss vom 12.2.1992 - 1 BvL 1/89 -, [X.] 85, 337; [X.] Nichtannahmebeschluss vom 19.3.2014 - 1 BvR 2169/13 - Juris mwN). Dass dies beim Kläger der Fall gewesen wäre, zeigt die Beschwerde nicht auf.

Ebenso wenig setzt sich die Beschwerde trotz ihrer Behauptung, die Kostenpflichtigkeit von [X.] verletze Konventionsrecht, ausreichend mit dem Inhalt der [X.] und der dazu ergangenen Rechtsprechung des [X.] auseinander. Danach ist das Recht auf ein Gericht nach Art 6 Abs 1 S 1 [X.] kein absolutes Recht, sondern kann Einschränkungen unterliegen, wenn diese ein legitimes Ziel verfolgen und verhältnismäßig sind ([X.] Urteil vom [X.] - Juris Rd[X.] 37). Die Erhebung von Gerichtsgebühren ist daher nicht grundsätzlich konventionswidrig (vgl [X.] Urteil vom [X.] - 19508/07 - Juris), solange sie keine unverhältnismäßige Höhe erreichen (vgl [X.] Urteil vom 2.12.2011 - 24768/06 - Beschwerdesache [X.] gegen [X.]). Im Übrigen hat der [X.] im Kontext mit Art 13 [X.], der der effektiven Durchsetzung der Gewährleistung von Art 6 [X.] dient, in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 198 GVG die Kostenpflichtigkeit von [X.] in [X.] nicht beanstandet und noch nicht einmal erwähnt. Vielmehr hat der Gerichtshof ausgeführt, es bestehe kein Grund zur Annahme, der neue Rechtsbehelf werde nicht die Möglichkeit angemessener und hinreichender Entschädigung eröffnen (vgl [X.] Entscheidung vom [X.] - 19488/09 - Juris Rd[X.] 47). Zu alledem verhält sich die Beschwerde ebenfalls nicht ausreichend.

Ebenso wenig substantiiert ausgeführt hat die Beschwerde, warum sich die von ihr aufgeworfene Frage einer Verletzung von Art 3 Abs 1 GG durch die aus § 183 [X.], § 197a [X.]G resultierende Kostenpflicht stellen sollte. Auch insoweit fehlt es an der substantiellen Argumentation zur angeblichen Verfassungsverletzung. Die kostenrechtliche Privilegierung von Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren ist ursprünglich mit sozialstaatlichen Erwägungen begründet, indes aber zunehmend diskutiert und kritisiert worden. Der aktuellen Gesetzesfassung liegt ein Kompromiss zugrunde zwischen dem traditionellen Verständnis der besonderen Schutzbedürftigkeit des [X.] im [X.]G-Verfahren und dem Wunsch nach Anpassung an die geänderten wirtschaftlichen und [X.] Verhältnisse in [X.] (vgl [X.], [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, Vor § 183 Rd[X.] 2 f). Die Beschwerde geht insoweit weder auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beim Erlass sozialrechtlicher Normen ein (vgl etwa B[X.] Urteil vom [X.] - [X.]0 EG 13/13 R - [X.] 4-7837 § 2 [X.] 29 mwN), noch auf die unterschiedlich hohe Schutzbedürftigkeit einerseits von Klägern, die unmittelbar etwa Leistungen der Sozialversicherung oder der [X.] Grundsicherung einklagen und andererseits von Klägern, die vor Gericht wegen eines überlangen sozialgerichtlichen Verfahrens eine Geldentschädigung verlangen, die als solche nicht an eine besondere [X.] Schutzbedürftigkeit geknüpft ist. Ebenso wenig setzt sie sich damit auseinander, dass die Erhebung von Gerichtsgebühren, wie ausgeführt, nach der Rechtsprechung des [X.] keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, solange sie verhältnismäßig ist und [X.] nicht benachteiligt.

Soweit die Beschwerde schließlich fragt,

        

ob ein nationales Gericht in Verfahren nach dem ÜGG bzw § 202 S 2 [X.]G iVm §§ 198 f GVG von der Rechtsprechung des [X.] zu Art 6, 13, 41 [X.] zum Nachteil des Klägers in einem wegen überlanger Verfahrensdauer geführten Verfahren abweichen darf,

setzt sie sich nicht mit der Rechtsprechung des [X.] zum Verhältnis der [X.]-Rechtsprechung zum nationalen Recht auseinander. Danach müssen die nationalen Gerichte diese Rechtsprechung zumindest zur Kenntnis nehmen und in ihren Willensbildungsprozess einfließen lassen ([X.] Beschluss vom 19.10.2011 - 2 BvR 754/10, Juris Rd[X.]6). Die Beschwerde legt nicht dar, welcher grundsätzliche Klärungsbedarf darüber hinaus noch bestehen sollte. Schließlich fehlt es auch an der substantiierten Darlegung, wo und welche Rechtssätze der [X.] zur Kostenpflicht in Entschädigungsverfahren aufgestellt haben sollte.

3. Ebenso wenig dargelegt hat die Beschwerde die behauptete Abweichung des [X.] von der Rechtsprechung des Senats.

Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des B[X.], des [X.] oder des [X.] andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB B[X.] Beschluss vom [X.] KR 31/09 B - Rd[X.] 4; B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] KR 26/10 B - Rd[X.] 4; B[X.] Beschluss vom 22.12.2010 - [X.] KR 100/10 B - Juris Rd[X.] 4 mwN). Erforderlich ist, dass das [X.] nicht lediglich im Einzelfall fehlerhaft einen bestehenden Rechtssatz angewendet, sondern mit Bedacht einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat, der auch für andere Fälle Geltung beansprucht (vgl zB B[X.] Beschluss vom 15.1.2007 - [X.] KR 149/06 B - Rd[X.] 4; B[X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.] 26 S 44 f mwN). Die Beschwerde hat bereits keinen Rechtssatz des Senats herausgearbeitet und aufgezeigt, wo dieser zu finden wäre. Ihre versuchte Inhaltsangabe des von ihr in Bezug genommenen Senatsurteils (vom 10.7.2014 - [X.]0 ÜG 8/13 R - [X.] 4-1720 § 198 [X.] 2), das B[X.] habe das Kostenfestsetzungsverfahren wie ein übliches Erkenntnisverfahren behandelt, genügt dafür nicht. Vor allem aber geht die Beschwerde auch nicht auf die Tatsache ein, dass das [X.] sich bei der Bestimmung der Bedeutung des Kostenfestsetzungsverfahrens zutreffend und ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Senats berufen hat; danach hat das Kostenfestsetzungsverfahren im Allgemeinen nur eine untergeordnete Bedeutung ([X.] des Berufungsurteils; vgl Senat aaO Rd[X.] 31).

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 [X.]G).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]G). Insbesondere kommt eine Zurückverweisung - wie vom Kläger mit seinem Hilfsantrag angestrebt - nur im Rahmen eines erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens in Betracht.

4. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 S 1 [X.]G iVm § 154 Abs 2, § 161 Abs 1 VwGO.

5. Die Festsetzung des Streitwerts für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde folgt aus § 197a Abs 1 S 1 [X.]G iVm § 47 Abs 2 und 3, § 52 Abs 3 S 1, § 63 Abs 2 S 1 GKG und ergibt sich aus der Beschwer des [X.] im Vergleich zu seinem beim [X.] gestellten Antrag.

Meta

B 10 ÜG 30/16 B

01.06.2017

Bundessozialgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend SG München, 23. Januar 1997, Az: S 18 KR 593/93, Urteil

§ 197a Abs 1 Halbs 1 Alt 2 SGG, § 183 S 6 SGG, Art 6 Abs 1 S 1 MRK, Art 13 MRK, Art 41 MRK, Art 19 Abs 4 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 198 GVG, § 42 Abs 2 ZPO, § 127 Abs 2 ZPO, § 557 Abs 2 ZPO, § 60 Abs 1 SGG, § 62 SGG, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 202 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.06.2017, Az. B 10 ÜG 30/16 B (REWIS RS 2017, 10059)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10059

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