Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.03.2017, Az. III ZB 43/16

3. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 13111

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Fehler bei der Briefbeförderung durch die Post; gerichtliches Verfahren bei Zweifeln an einer eidesstattlichen Versicherung


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 2 wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des [X.] vom 19. Mai 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 4.200 €

Gründe

I.

1

Die [X.] zu 2 (im Folgenden nur: [X.]) wendet sich gegen die unter Versagung der Wiedereinsetzung erfolgte Verwerfung ihrer Berufung wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist.

2

Das Teilurteil des [X.] vom 29. Januar 2016 ist dem Prozessbevollmächtigten der [X.]n zusammen mit zwei Urteilen in Parallelverfahren am 8. Februar 2016 zugestellt worden. In dem Verfahren 5 [X.]/16 ist die Berufungsschrift vom 16. Februar 2016 rechtzeitig beim [X.] eingegangen. Im hiesigen Verfahren (5 U 511/16) und im Rechtsstreit 5 U 512/16 ([X.]/16) hat der Prozessbevollmächtigte der [X.]n mit Schriftsatz vom 8. April 2016 Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zugleich Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Wiedereinsetzung hat er im Wesentlichen darauf verwiesen, dass er am 16. Februar 2016 insgesamt drei Berufungsschriften in den drei Parallelverfahren verfasst und alle drei Schriftsätze durch eine Mitarbeiterin per Post an das [X.] versandt habe. Dort sei aber nur eine Berufung eingegangen. Die [X.] habe sich auf die Zuverlässigkeit der Post verlassen dürfen.

3

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das [X.] - unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung - die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der [X.]n.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das [X.].

5

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, nach § 233 Satz 1 ZPO komme eine Wiedereinsetzung nur in Betracht, wenn die [X.] ohne ihr Verschulden gehindert gewesen sei, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung liege jedoch nicht vor. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Versäumung auf einem Organisationsverschulden - unzureichende [X.] - des Prozessbevollmächtigten der [X.]n beruhe, das sich die [X.] nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Die Kausalität dieses Verschuldens könne nicht deswegen verneint werden, weil der Prozessbevollmächtigte vorgetragen habe, alle drei Berufungen seien durch eine Mitarbeiterin in den Briefkasten eingeworfen worden. Die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen seien ungeeignet, einen tatsächlichen Einwurf glaubhaft zu machen. Die Mitarbeiterin habe in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 18. April 2016 erklärt, sie habe die drei Berufungsschriften am 16. Februar 2016 nach Unterzeichnung durch den Prozessbevollmächtigten in Kuverts verpackt, ausreichend frankiert und persönlich in den Briefkasten eingeworfen. Hieran könne sie sich noch erinnern, da sie an diesem Tag für den Postdienst eingeteilt gewesen sei. Diese Angaben stünden jedoch in Widerspruch zur eidesstattlichen Versicherung vom 8. April 2016. Denn dort habe die Mitarbeiterin erklärt, nicht mehr genau sagen zu können, ob für den Versand ein einheitlicher großer Briefumschlag oder drei getrennte Briefumschläge verwendet worden seien. Wenn die Mitarbeiterin aber tatsächlich eine so spezifische Erinnerung an den Einwurf der Berufungsschriften in den Briefkasten hätte, müsste sie auch wissen, ob diese in einem einheitlichen, großen Umschlag oder drei getrennten Umschlägen von ihr persönlich in den Briefkasten eingeworfen worden seien.

6

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

7

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Kausalität des anwaltlichen Organisationsverschuldens beruhen auf einem Verfahrensfehler und verletzen die [X.] in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG). Das Rechtsmittel ist auch begründet.

8

a) Zu Unrecht beanstandet die [X.] allerdings, dass das [X.] von der Versäumung der Berufungsfrist ausgegangen ist und in verfassungswidriger Weise "die naheliegende Möglichkeit, dass die Berufungsschrift abgesandt und beim Berufungsgericht eingegangen ist, nicht ernsthaft erwogen hat, obwohl der unterbreitete [X.] dazu jeden Anlass bot". Insoweit kommt es nicht darauf an, dass - siehe die Ausführungen zu b) - dem [X.], das den Einwurf der Berufungsschrift in den Briefkasten als nicht glaubhaft gemacht angesehen hat, bei der diesbezüglichen Würdigung ein Verfahrensfehler unterlaufen ist. Denn es konnte, selbst wenn man den Vortrag der [X.]n als wahr unterstellen würde, rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass die Berufungsfrist nicht gewahrt worden ist.

9

Die [X.] hat in ihren Schriftsätzen vom 8. und 19. April 2016 durchgängig vorgetragen, die Berufungsschrift sei nicht beim [X.] eingegangen. Sie hat insoweit eine eidesstattliche Versicherung einer anwaltlichen Mitarbeiterin vorgelegt, in der diese erklärt hat, sie habe am 7. April 2016 beim Berufungsgericht angerufen. Sowohl die Geschäftsstelle des [X.] als auch die Registratur des [X.]s hätten ihr bestätigt, dass lediglich in einem der drei Verfahren eine Berufungsschrift eingegangen sei. In der Akte 5 [X.]/16 befände sich auch nur die Berufungsschrift zu diesem Verfahren, nicht etwa seien versehentlich die fehlenden Berufungen in 5 U 511/16 und 512/16 zu dieser Akte gelangt. Mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat die [X.] insoweit geltend gemacht, sie habe sich auf die Zuverlässigkeit der Post verlassen dürfen.

Vor diesem Hintergrund hatte das Berufungsgericht, auch wenn die Zulässigkeit einer Berufung von Amts wegen zu prüfen ist und die [X.]en insoweit keine Dispositionsbefugnis haben, keine Veranlassung, die Versäumung der Berufungsfrist in Frage zu stellen. Insbesondere musste das [X.] nicht weiter prüfen, ob entgegen der Auskunft der Geschäftsstelle und der Registratur der Schriftsatz eventuell doch beim [X.] eingegangen und dort verloren gegangen ist. Die [X.] trägt die Beweislast dafür, dass sie rechtzeitig Berufung eingelegt hat (vgl. nur [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2013 - [X.], NJW-RR 2014, 179 Rn. 10 mwN). Nach ihrem eigenen Vortrag bleibt aber die Möglichkeit, dass der Schriftsatz auf dem Postweg verloren gegangen ist. Das geht im Rahmen der Prüfung der Rechtzeitigkeit der Berufung zu ihren Lasten.

b) Das [X.] hat jedoch, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, den Wiedereinsetzungsantrag verfahrensfehlerhaft zurückgewiesen.

Der [X.]n wäre Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die anwaltliche Mitarbeiterin die drei Berufungsschriften in den Briefkasten eingeworfen hätte. Denn einem Rechtsmittelführer können Fehler bei der Briefbeförderung durch die Post nicht als Verschulden zugerechnet werden (vgl. nur [X.], Beschluss vom 24. Februar 2010 - [X.] 129/09, [X.], 726 Rn. 8 mwN). Im Verantwortungsbereich der [X.] liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Bei rechtzeitigem Einwurf käme es deshalb nicht auf die Organisation der [X.] im Büro des Prozessbevollmächtigten der [X.]n und insoweit darauf an, dass es hierzu nach der - von der Rechtsbeschwerde zu Recht nicht in Frage gestellten - Auffassung des Berufungsgerichts an ausreichendem Vortrag fehlt. Denn etwaige Mängel bei der [X.] wären dann nicht kausal (vgl. dazu auch Senat, Beschluss vom 10. September 2015 - [X.]/14, NJW 2015, 3517 Rn. 17).

Wenn ein Gericht einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenken will, muss es die [X.] zuvor darauf hinweisen und ihr Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Februar 2010 - [X.] 129/09, [X.], 726 Rn. 10; siehe auch Beschluss vom 17. Januar 2012 - [X.], [X.], 157 Rn. 8; [X.] in [X.]/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 236 Rn. 8). Ein Hinweis auf die für das [X.] nach dem angefochtenen Beschluss insoweit maßgeblichen Umstände ist jedoch nicht erfolgt. Unabhängig davon hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob in der Vorlage der eidesstattlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung der Mitarbeiterin als Zeugin liegt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 24. Februar 2010 aaO Rn. 11 und vom 17. Januar 2012 aaO; siehe auch Beschluss vom 11. November 2009 - [X.] 174/08, [X.], 122 Rn. 9). Dann liefe die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Februar 2010 aaO).

Herrmann     

       

Seiters     

       

Reiter

       

Liebert     

       

Arend     

       

Meta

III ZB 43/16

30.03.2017

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Dresden, 19. Mai 2016, Az: 5 U 511/16

§ 233 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.03.2017, Az. III ZB 43/16 (REWIS RS 2017, 13111)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 13111

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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