Bundessozialgericht, Beschluss vom 13.04.2022, Az. B 5 R 291/21 B

5. Senat | REWIS RS 2022, 2502

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Rechtsprechungsabweichung - Verfahrensfehler - Analogie


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 28. September 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Streitig ist die Gewährung einer höheren Altersrente unter Berücksichtigung von Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung für die [X.] von September 1969 bis September 1970.

2

Der 1952 geborene Kläger bezog zunächst seit 1.11.1984 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer. Mit Bescheid vom 6.6.2017 gewährte ihm die Beklagte ab 1.8.2017 eine Regelaltersrente. Hiergegen erhob er Widerspruch. Der [X.]raum von September 1969 bis September 1970 sei als weitere rentenrechtliche [X.] zu berücksichtigen. Er habe sich in dieser [X.] in einem Heim aufgrund einer Unterbringungsanordnung des zuständigen [X.] aufgehalten. Während des Aufenthalts habe er für den Heimträger Arbeit verrichten müssen, ohne Arbeitsentgelt zu erhalten. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.10.2017).

3

Die dagegen erhobene Klage des [X.] hat das [X.] abgewiesen (Gerichtsbescheid vom [X.]). Das L[X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Altersrente unter Berücksichtigung der geltend gemachten [X.]en. Für ihn seien im streitigen [X.]raum keine Beiträge gezahlt worden. Eine Fiktion der Beitragszahlung sei gesetzlich nicht vorgesehen. Auch habe der Kläger weder eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt, die nach damaligen Recht versicherungspflichtig gewesen sei, noch eine Beitragszahlung glaubhaft gemacht.

4

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des L[X.] hat der Kläger Beschwerde zum B[X.] erhoben. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend und rügt zudem eine Rechtsprechungsabweichung sowie einen Verfahrensmangel.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die Beschwerdebegründung legt einen Revisionszulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 [X.]G nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G gebotenen Weise dar. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 [X.]G zu verwerfen.

6

1. Eine grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G ist in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G dargetan.

7

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 [X.]G stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] KR 95/18 B - juris Rd[X.] 3 mwN; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 RE 6/21 B - juris Rd[X.]).

8

Der Kläger bezeichnet folgende Rechtsfrage als grundsätzlich bedeutsam:

        

"Sind [X.]en des [X.] mit einem grundsätzlichen vollschichtigen Arbeitszwang mit lediglich sehr geringem Spielraum über die Frage des 'ob' und des 'wie' der Arbeit und einem eher geringen Arbeitsentgelt - ohne pädagogische Betreuung und ohne ausgebildetes pädagogisches Personal im Heim - bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen, auch wenn der jeweilige Heimträger keine Beiträge für diese 'Beschäftigungszeiten' an die Rentenversicherung abgeführt hat?"

9

Er trägt dazu vor, es sei - gerade aufgrund der diesbezüglichen Untersuchungsberichte - allgemein bekannt, dass die Bezeichnung der erzwungenen Arbeit als vermeintliche Erziehungs- und Fürsorgemaßnahme ein reiner Etikettenschwindel sei und ein Ausgleich durch rentenrechtliche Anerkennung genauso wie bei der Ghettozwangsarbeit verfassungsrechtlich gemäß Art 3 GG iVm Art 12 Abs 2 und 3 GG (Verbot des Arbeitszwangs und der Zwangsarbeit) iVm dem Sozialstaatsgebot gemäß Art 20 Abs 1 GG geboten sei. Dasselbe ergebe sich aus Art 4 [X.]. Damit sei eine adäquate rentenrechtliche Berücksichtigung dieser Beschäftigungszeiten der Jugendlichen in Heimen schon von [X.] wegen geboten.

Der Kläger hat hiermit schon keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 [X.]G) mit höherrangigem Recht formuliert. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Merkmale der Grundsatzrüge prüfen kann. Eine Rechtsfrage ist so konkret zu formulieren, dass sie als Grundlage für die Darlegung der weiteren Merkmale der grundsätzlichen Bedeutung (Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit, Breitenwirkung) geeignet ist. Aus der vom Kläger formulierten Frage geht schon nicht hervor, in welcher Form der Heimaufenthalt innerhalb der Rentenformel "bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen" sein soll. Soweit er im Weiteren von "Beschäftigungszeiten" spricht und in der Beschwerdebegründung zudem ausführt, er habe einen "Anspruch auf Feststellung der vorliegend streitigen [X.]en als Beitragszeit (oder zumindest als sonstige rentenrechtliche [X.] iS des § 54 [X.]B VI), bleibt unklar, aus welcher rentenrechtlichen Rechtsnorm er eine Berücksichtigung solcher [X.]en im Einzelnen ableitet. Indem er schließlich einen Vergleich zieht zu (fiktiven) Beitragszeiten nach dem [X.] und einen Gleichheitsverstoß geltend macht, genügt es nicht, nach der Vereinbarkeit mit [X.]recht an sich zu fragen. Vielmehr muss eine Rechtsfrage derart klar formuliert sein, dass deutlich wird, welche konkrete Regelung des einfachen Rechts als mit der Verfassung nicht in Einklang stehend erachtet wird (B[X.] Beschluss vom [X.] KR 95/18 B - juris Rd[X.] 4 mwN).

Des Weiteren ist unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des [X.], aber auch des B[X.] - im Einzelnen aufzuzeigen, woraus sich im konkreten Fall die [X.]widrigkeit ergeben soll (B[X.] Beschluss vom [X.] KR 95/18 B - juris Rd[X.] 5 mwN; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 282/18 B - juris Rd[X.]3 mwN). Auch daran fehlt es hier. Der Kläger setzt sich insoweit zunächst nicht mit dem vom L[X.] zitierten Urteil des B[X.] vom [X.] (B[X.]E 18, 246 = [X.] zu § 165 RVO) auseinander. In dieser Entscheidung hat das B[X.] eine Versicherungspflicht für Jugendliche in staatlichen Erziehungsheimen, die als Lehrlinge in einem Ausbildungsberuf beschäftigt wurden, bejaht. Diejenigen Jugendlichen, die aus arbeitstherapeutischen Gründen beschäftigt wurden und bei denen allgemein erzieherische Belange im Vordergrund standen, wurden hiervon jedoch nicht erfasst (B[X.]E 18, 246 = [X.] zu § 165 RVO; vgl auch B[X.] Urteil vom 4.9.2018 - B 12 KR 18/17 R - [X.] 4-2400 § 7 [X.] Rd[X.]0 ff).

Soweit der Kläger meint, im Falle der zur Arbeit herangezogenen Heimkinder liege eine (planwidrige) Regelungslücke vor und es sei die Rechtsprechung des B[X.] zur Beschäftigung in einem Ghetto (s zuletzt B[X.] Urteil vom [X.] R 9/19 R - B[X.]E 130, 171 = [X.] 4-5075 § 1 [X.]0) übertragbar, wird auch dieser Vortrag den Begründungsanforderungen nicht gerecht. Der Kläger setzt sich weder mit den im [X.]B VI einschlägigen Vorschriften zu den Voraussetzungen von Beitragszeiten iS des § 55 Abs 1 [X.]B VI sowie einer Glaubhaftmachung von Beitragszeiten gemäß § 286 Abs 5 [X.]B VI noch mit dem Anwendungsbereich des [X.], zu dem die von ihm zitierte Rechtsprechung des B[X.] ergangen ist, auseinander. Insofern fehlt es an jeder substantiierten Darlegung dazu, inwiefern die besonderen tatsächlichen und rechtlichen Hintergründe, die zu einer Anerkennung von [X.] geführt haben, eine Heranziehung der Grundsätze des [X.] hier erlauben könnten. Für eine Analogie ist eine planwidrige Regelungslücke im Übrigen nicht bereits dann gegeben, wenn eine erwünschte Ausnahmeregelung fehlt oder eine gesetzliche Regelung aus sozial- oder rechtspolitischen Erwägungen als unbefriedigend empfunden wird (vgl B[X.] Urteil vom [X.] - B 2 U 11/11 R - B[X.]E 112, 43 = [X.] 4-2700 § 90 [X.], Rd[X.] 38 mwN und zur gesetzlichen Rentenversicherung B[X.] Urteil vom [X.] - B 5 R 2/16 R - B[X.]E 123, 205 = [X.] 4-2600 § 48 [X.], Rd[X.]5). Eine Lücke liegt vielmehr nur dort vor, wo das Gesetz eine Regelung weder ausdrücklich noch konkludent getroffen hat und es deshalb nach dem zugrunde liegenden Konzept, dem "[X.]", unvollständig und damit ergänzungsbedürftig ist (stRspr; B[X.] aaO mwN). Eine solche Konstellation zeigt die Beschwerdebegründung hier nicht auf. Darüber hinaus fehlt es an hinreichenden Ausführungen zur Klärungsfähigkeit. Dafür reicht die Behauptung, der Kläger habe den geltend gemachten Anspruch, wenn die Frage bejaht werde, nicht aus. Dies gilt umso mehr, als das L[X.] seine Entscheidung auf mehrere Gründe gestützt hat.

Dass der Kläger die L[X.]-Entscheidung aus sozialpolitischen Gründen für falsch hält und eine Berücksichtigung der während einer Heimunterbringung geleisteten Arbeit im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung fordert, ist für das [X.] unerheblich (vgl B[X.] Beschluss vom 30.12.2015 - [X.] R 345/15 B - juris Rd[X.]4).

2. Den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) hat der Kläger ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet.

Divergenz iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das L[X.] einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des B[X.], des [X.] oder des [X.] aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des L[X.] nicht den Kriterien entspricht, die das B[X.] aufgestellt hat, sondern erst, wenn das L[X.] diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des L[X.] enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 296/20 B - juris Rd[X.] 9 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger trägt vor, das L[X.] stelle den abstrakten Rechtssatz auf, "dass eine Beschäftigung schon dann nicht als freiwillig anzusehen ist, wenn der Beschäftigte diese - subjektiv - als zwangsweise empfindet". Dagegen könne nach der Rechtsprechung des B[X.] zu den [X.] eine Beschäftigung auch dann aufgrund freien Willensentschlusses zustande kommen, wenn ein allgemeiner Arbeitszwang bestand, ohne dass es auf die subjektive Bezeichnung ankomme. Die vom Kläger sodann wiedergegebene Passage aus dem Urteil des L[X.] ist indes nicht geeignet, eine entscheidungstragende Divergenz zu belegen. Das L[X.] erwägt dort lediglich eine Heranziehung der Rechtsprechung des B[X.] zu den [X.] ("ließe sich ….vertreten"). Ob dies tatsächlich in Betracht gezogen werden kann, ist hier nicht zu entscheiden. Jedenfalls nennt das L[X.] anschließend den Umstand, dass der Kläger selbst von "Zwangsarbeit" spricht, lediglich als ein Argument ("spricht aber, dass auch der Kläger selbst…") gegen seine Arbeitnehmereigenschaft. Dass das L[X.] damit einen von der Rechtsprechung des B[X.] - auf die ausdrücklich Bezug genommen wird - abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt und selbst rechtliche Maßstäbe entwickelt hat, die von denjenigen des B[X.] abweichen, ist mit der Beschwerdebegründung nicht dargetan. Soweit der Kläger die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht rügt, ist dies als bloße Subsumtionsrüge nicht ausreichend (vgl dazu B[X.] Beschluss vom 7.12.2020 - [X.] [X.] 22/20 B - juris Rd[X.]9 mwN). Nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 296/20 B - juris Rd[X.]1 mwN). Auf die vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung kann die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl nur B[X.], aaO, mwN).

3. Der Kläger hat auch einen Verfahrensmangel nicht formgerecht bezeichnet.

Zur Bezeichnung eines [X.] müssen die tatsächlichen Umstände, die den geltend gemachten [X.] begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann. Ein Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G gestützt werden (§ 160 Abs 2 [X.] 3 Teilsatz 2 [X.]G). Die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 [X.]G ist nur statthaft, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 [X.] 3 Teilsatz 3 [X.]G).

Der Kläger macht die Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]G) geltend. Das L[X.] habe im angegriffenen Urteil ohne vorherigen Hinweis erstmals Zweifel geäußert, ob er in der fraglichen [X.] überhaupt im Heim untergebracht gewesen sei. Wäre ein gerichtlicher Hinweis erfolgt, hätte er die Zweifel durch Vorlage von aussagekräftigen Bescheinigungen, wie [X.], ausgeräumt. Auch sei er in der mündlichen Verhandlung vor dem L[X.] hierzu nicht angehört worden. Er hätte zu seinem Aufenthalt und auch im Einzelnen zu seiner Beschäftigung noch mündlich vortragen können.

Damit hat der Kläger eine Gehörsverletzung aufgrund einer Überraschungsentscheidung sowie einer Verletzung der richterlichen Hinweispflichten entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G nicht hinreichend schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Eine allgemeine Verpflichtung des Gerichts, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Tatsachen- und Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern, gibt es nicht. Sie wird weder durch den allgemeinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus § 62 [X.]G bzw Art 103 Abs 1 GG noch durch die Regelungen zu richterlichen Hinweispflichten (§ 106 Abs 1 bzw § 112 Abs 2 Satz 2 [X.]G) begründet, denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] R 74/18 B - juris Rd[X.]4 mwN).

Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB [X.] Beschluss vom 3.5.2021 - 2 BvR 1176/20 - juris Rd[X.]1 mwN). Der Verfahrensmangel einer Überraschungsentscheidung ist deshalb nur dann schlüssig bezeichnet, wenn im Einzelnen vorgetragen wird, aus welchen Gründen auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht damit rechnen musste, dass das Gericht seine Entscheidung auf einen bestimmten Gesichtspunkt stützt. Daran fehlt es hier. Der Kläger hat nicht aufgezeigt, weshalb er angesichts des bisherigen [X.] nicht mit der vom L[X.] vorgenommenen Bewertung rechnen musste. Nach den Feststellungen des L[X.] hat er selbst im Rahmen seines Antrags auf Erwerbsunfähigkeitsrente im Jahre 1984 angegeben, sich von 1969 bis 1970 - und damit im streitigen [X.]raum - in [X.] aufgehalten und in einem Kibbuz gearbeitet zu haben. Erst nach Bewilligung der Altersrente zum 1.8.2017 gab er an, von September 1969 bis September 1970 in einem Heim untergebracht gewesen zu sein. Im Laufe des Verfahrens sind daher weitere Ermittlungen ua durch Anfragen beim Jugendhilfeträger angestellt worden, ohne dass von dort noch Unterlagen zu erhalten waren. Warum dennoch für einen verständigen Prozessbeteiligten überraschend sein sollte, dass das L[X.] einen tatsächlichen Aufenthalt in der Einrichtung im streitbefangenen [X.]raum als nicht glaubhaft gemacht ansieht, ist nicht nachvollziehbar dargelegt.

Ungeachtet dessen können Verfahrensfehler nach § 160 Abs 2 [X.] 3 Teilsatz 1 [X.]G nur dann zur Zulassung der Revision oder nach § 160a Abs 5 [X.]G zur Zurückverweisung der Sache an das L[X.] führen, wenn die angefochtene Entscheidung auf ihnen beruhen kann. Dies ist in der Beschwerdebegründung nachvollziehbar darzustellen. Auch daran fehlt es. Der Kläger trägt insoweit lediglich vor, "weil das Gericht dies mit zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat", beruhe die Entscheidung auch auf diesen Verfahrensfehlern. Diese pauschale und formelhafte Angabe reicht nicht aus, zumal im [X.] ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G (Grundsatz der freien Beweiswürdigung) gestützt werden kann. Nähere Ausführungen wären schon deshalb angezeigt gewesen, weil das L[X.] einen Anspruch des [X.] auf Gewährung einer höheren Altersrente unter Berücksichtigung der streitigen [X.]en als Beitragszeiten auch unabhängig von einer nicht ausreichenden Glaubhaftmachung des Aufenthalts des [X.] im Heim verneint hat.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

4. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

                [X.]

Meta

B 5 R 291/21 B

13.04.2022

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Frankfurt, 4. Juli 2018, Az: S 6 R 592/17, Gerichtsbescheid

§ 62 SGG, § 106 Abs 1 SGG, § 112 Abs 2 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 13.04.2022, Az. B 5 R 291/21 B (REWIS RS 2022, 2502)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2502

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 5 R 11/22 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - gerügter Besetzungsfehler - Geschäftsverteilungsplan - Divergenz - grundsätzliche …


B 13 R 277/16 B (Bundessozialgericht)


B 13 R 67/20 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - eigene Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BSG …


B 13 R 273/16 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - klare Trennung der Voraussetzungen einer Grundsatz- und Divergenzrüge - grundsätzliche …


B 5 R 101/18 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verstoß gegen § 123 SGG)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 BvR 1176/20

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.