Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 16.02.2023, Az. 1 BvR 1883/22

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2023, 1257

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 S 2 GG) durch zwar fachrechtlich bedenkliche, jedoch nicht willkürliche Behandlung eines Ablehnungsgesuchs im familiengerichtlichen Verfahren


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die [X.]ablehnung in einem Verfahren über Kindesunterhalt.

I.

2

Der [X.]eschwerdeführer ist der Vater einer im Oktober 2014 geborenen Tochter. Die nicht miteinander verheirateten, zunächst gemeinsam sorgeberechtigten Eltern trennten sich rund ein Jahr nach der Geburt des Kindes. Seitdem führten und führen sie vor mehreren Gerichten eine größere Anzahl von familiengerichtlichen Verfahren, vor allem die elterliche Sorge für die und den Umgang mit der Tochter betreffend.

3

1. In einem einstweiligen Anordnungsverfahren zum Sorgerecht hatte das Familiengericht mit Entscheidungen aus dem September und bestätigend aus dem Oktober 2020 das Sorgerecht vorläufig auf den [X.]eschwerdeführer allein mit der Maßgabe übertragen, dass die Tochter ihren Aufenthalt bei den Eltern des [X.]eschwerdeführers nehmen solle. Dies erfolgte am 11. September 2020.

4

Dagegen legte die Mutter [X.]eschwerde ein. Das [X.]eschwerdeverfahren wurde bei dem zuständigen [X.] durch den 6. Zivilsenat unter dem Aktenzeichen 6 UF 153/20 geführt. Auf das Rechtsmittel der Mutter hin änderte das [X.] auf der Grundlage von § 64 Abs. 3 FamFG durch einstweilige Anordnung mit [X.]eschluss vom 9. November 2020 ohne vorherige Anhörung der [X.]eteiligten die familiengerichtlichen Entscheidungen dahingehend ab, dass bei [X.]eibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts im Übrigen das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge auf die Mutter übertragen wurde. Das [X.] begründete die Eilbedürftigkeit unter anderem damit, dass die [X.]eschwerde der Mutter voraussichtlich Erfolg haben werde und es deshalb nicht sinnvoll sei, den Aufenthalt der Tochter bei den Großeltern väterlicherseits weiter zu verfestigen, zumal diese durch die Anmeldung des Kindes in einem [X.] Kindergarten Maßnahmen vorgenommen hätten, um die Tochter beziehungsweise Enkeltochter in ihr anglo-deutsches familiäres Umfeld einzubinden und so den Verbleib des Kindes bei dem [X.]eschwerdeführer zu verfestigen.

5

Gegen diese Entscheidung erhob der [X.]eschwerdeführer eine mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde. Den Antrag lehnte das [X.] mit [X.]eschluss vom 29. Dezember 2020 nach Maßgabe einer Folgenabwägung ab, führte aber aus, dass die Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unbegründet sei, und legte dar, dass die Gestaltung des Verfahrens durch das [X.] sowie dessen Sachverhaltsfeststellungen Zweifel an der Vereinbarkeit der getroffenen Entscheidung mit dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) des [X.]eschwerdeführers weckten (vgl. [X.], [X.]eschluss der [X.] des [X.] vom 29. Dezember 2020 - 1 [X.]vR 2652/20 -, Rn. 11). Zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Sache ist es nicht mehr gekommen, weil der [X.]eschwerdeführer diese für erledigt erklärt und mitgeteilt hat, darüber keine Entscheidung mehr zu begehren. Daraufhin ist das Verfassungsbeschwerdeverfahren eingestellt worden (vgl. [X.], [X.]eschluss der [X.] des [X.] vom 31. August 2021 - 1 [X.]vR 2652/20 -).

6

2. In einem weiteren, Teile des Sorgerechts betreffenden einstweiligen Anordnungsverfahren hatte das Familiengericht mit [X.]eschluss vom 24. November 2021 dem [X.]eschwerdeführer das Recht zur alleinigen Entscheidung über die Schweigepflichtsentbindung näher bezeichneter Personen über die Tochter betreffende Gesundheitsumstände übertragen. Dagegen legte die Mutter [X.]eschwerde ein. Das [X.]eschwerdeverfahren wurde bei dem [X.] wiederum durch den 6. Zivilsenat unter dem Aktenzeichen 6 UF 167/21 geführt. Der [X.]eschwerdeführer lehnte zwei [X.]innen und zwei [X.] des [X.]s wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit ab. Dabei stützte er sich für zwei abgelehnte [X.]innen und einen abgelehnten [X.] auf deren [X.]eteiligung in dem [X.]eschwerdeverfahren 6 UF 153/20. Das [X.] wies den Antrag ohne Mitwirkung der abgelehnten [X.]innen und [X.] mit [X.]eschluss vom 11. Februar 2022 hinsichtlich der im hier zugrundeliegenden Ausgangsverfahren erneut abgelehnten Mitglieder des [X.] als unbegründet zurück.

7

Nachfolgend änderte der 6. Zivilsenat nun unter Mitwirkung seiner erfolglos abgelehnten Mitglieder die familiengerichtliche Entscheidung über die die Schweigepflichtsentbindung betreffende elterliche Sorge ab und wies den Antrag des [X.]eschwerdeführers zurück. Mittlerweile hat das Familiengericht insoweit eine [X.] bestellt.

8

3. In dem hier gegenständlichen Ausgangsverfahren beantragte die für die Tochter handelnde Mutter im Rahmen eines Kindesunterhaltsverfahrens unter anderem, den [X.]eschwerdeführer zur Erteilung von Auskunft über sein Vermögen zu verurteilen. Dem Antrag gab das Familiengericht mit [X.]eschluss vom 15. Dezember 2021 weitgehend statt. Dagegen wandte sich der [X.]eschwerdeführer mit einer [X.]eschwerde, für die wie in den Verfahren 6 UF 153/20 und 6 UF 167/21 wiederum der 6. Zivilsenat des [X.]s zuständig ist.

9

a) Der [X.]eschwerdeführer lehnte die bereits in den beiden vorgenannten Verfahren beteiligten Mitglieder des Senats wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit ab und begründete dies ausschließlich mit der Verfahrensweise des Senats, insbesondere des abgelehnten [X.]s, in dem Verfahren 6 UF 153/20 sowie mit der in mehrfacher Hinsicht Fehlerhaftigkeit der dort ergangenen einstweiligen Anordnung über das Sorgerecht. Vor allem beanstandete er, dass ohne Anhörung der [X.]eteiligten und vor Ablauf einer von der früheren Vorsitzenden des [X.] gesetzten Stellungnahmefrist entschieden worden sei, obwohl keine besondere Dringlichkeit bestanden habe. Entsprechend sei die Entscheidung in Fachzeitschriften kritisch besprochen worden. Zudem sei das Abstellen auf die Anmeldung der Tochter in einem [X.] Kindergarten und die Einbindung in ein anglo-deutsches familiäres Umfeld diskriminierend und sachwidrig. Die Entscheidung des [X.] vom 9. November 2020 im Verfahren 6 UF 153/20 weise darüber hinaus eine auffällige Häufung von Unrichtigkeiten im Tatbestand auf. Außerdem ergebe sich aus den Verfahrensakten, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Mutter mit den abgelehnten Mitgliedern des Senats kommuniziert habe, ohne dass die Gesprächsinhalte festgehalten worden seien.

b) Nach Einholung dienstlicher Erklärungen der abgelehnten Mitglieder des [X.] erklärte das [X.] ohne deren Mitwirkung mit angegriffenem [X.]eschluss von 30. Juni 2022 die [X.] für unbegründet. Es liege kein Fall einer offensichtlich sachfremden oder willkürlichen Verfahrensweise vor. Eine solche folge insbesondere nicht aus dem Ergehen der einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung der [X.]eteiligten und vor Ablauf der von der früheren Senatsvorsitzenden gesetzten Stellungnahmefrist. Es fehle an Anhaltspunkten dafür, "dass die abgelehnten Mitglieder des Senats die gesetzte Frist im [X.]lick gehabt und bewusst nicht abgewartet hätten, um eine Stellungnahme des Antragsgegners nicht mehr zur Kenntnis nehmen und bei der Entscheidung berücksichtigen zu müssen." Soweit der [X.]eschwerdeführer ihm nachteilige Rechtsauffassungen in dem [X.]eschluss vom 9. November 2020 beanstande, sei dies von vornherein nicht geeignet, die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit zu begründen. Das Ablehnungsrecht sei kein Instrument der Überprüfung von [X.] und eine Konstellation offensichtlicher Unhaltbarkeit der zugrunde gelegten Rechtsauffassungen sei nicht gegeben.

c) In seiner dagegen gerichteten Anhörungsrüge wiederholte der [X.]eschwerdeführer weitgehend sein Vorbringen aus dem [X.]efangenheitsantrag. Das [X.] habe sich nicht mit dem Vorwurf der fehlenden Dringlichkeit des [X.]eschlusses vom 9. November 2020, mit der nicht dokumentierten Kommunikation der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter und dem 6. Zivilsenat, dem von ihm eingereichten Privatgutachten zu diskriminierenden Äußerungen sowie der in Fachzeitschriften geäußerten Kritik an der Entscheidung vom 9. November 2020 auseinandergesetzt. Mit ebenfalls angegriffenem [X.]eschluss vom 22. September 2022 verwarf das [X.] die Anhörungsrüge mit näherer [X.]egründung als unbegründet.

4. Der [X.]eschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG. Seine [X.]egründung stimmt weitgehend mit dem Vortrag zu dem [X.]efangenheitsgesuch und zu seiner Anhörungsrüge überein. Er stützt sich für das Vorliegen der [X.]esorgnis der [X.]efangenheit wiederum auf das Ergehen des [X.]eschlusses vom 9. November 2020 ohne vorherige Anhörung der [X.]eteiligten und vor Ablauf der Stellungnahmefrist sowie die aus seiner Sicht unzureichende [X.]efassung des für die Ablehnungsentscheidung zuständigen Senats des [X.]s mit einem von ihm zur Frage der Diskriminierung eingereichten Rechtsgutachten. Das [X.] habe sich auch nicht hinreichend mit der am [X.]eschluss vom 9. November 2020 geäußerten Kritik und der auffälligen Fehlerhäufigkeit im Tatbestand dieser Entscheidung als Anzeichen von [X.]efangenheit befasst.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. [X.] nach § 93a Abs. 2 [X.]G liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg. Die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs des [X.]eschwerdeführers im angegriffenen [X.]eschluss vom 30. Juni 2022 hält der verfassungsrechtlichen Prüfung noch stand.

1. a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet den Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen [X.] und garantiert damit auch, dass Rechtsuchende im Einzelfall vor [X.]n stehen, die unabhängig und unparteilich sind und die [X.] und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bieten (vgl. [X.]E 133, 168 <202 Rn. 62> m.w.N.; siehe auch [X.], [X.]eschluss der [X.] des [X.] vom 21. November 2018 - 1 [X.]vR 436/17 -, Rn. 17; [X.]eschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 1. Juli 2021 - 2 [X.]vR 890/20 -, Rn. 14). Um dies zu gewährleisten, muss der Gesetzgeber in materieller Hinsicht dafür Vorsorge treffen, dass die [X.]bank im Einzelfall nicht mit [X.]n besetzt ist, die dem zur Entscheidung anstehenden Streitfall nicht mit der professionellen Distanz eines Unbeteiligten und Neutralen gegenüberstehen. Er muss daher Regelungen vorsehen, die es ermöglichen, [X.]n, die im Einzelfall nicht die Gewähr der Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit bieten, von der Ausübung des Amtes auszuschließen (vgl. [X.]E 21, 139 <145 f.>; 89, 28 <36>; stRspr).

Dem ist der Gesetzgeber mit den §§ 41 ff. ZPO nachgekommen, die in der hier gegenständlichen Kindesunterhaltssache (vgl. § 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG) unmittelbar gelten (vgl. § 112 Nr. 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG).

b) Eine "Entziehung" des gesetzlichen [X.]s im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aufgrund der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen über die [X.]ablehnung kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß gelten. Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind erst überschritten, wenn die Auslegung und Anwendung des maßgeblichen einfachen Rechts willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung [X.]edeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. [X.]E 82, 286 <299>, 87, 282 <284 f.>; stRspr). Das gilt auch, wenn ein Ablehnungsgesuch infolge fehlerhafter Anwendung des einfachen Rechts zurückgewiesen wird (vgl. [X.], [X.]eschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 1. Juli 2021 - 2 [X.]vR 890/20 -, Rn. 15 m.w.N.). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts, beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht die [X.]edeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat, kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. [X.], [X.]eschluss der [X.] des [X.] vom 21. November 2018 - 1 [X.]vR 436/17 -, Rn. 19; [X.]eschluss der [X.] des [X.] vom 5. Mai 2021 - 1 [X.]vR 526/19 -, Rn. 22 jeweils m.w.N.).

2. An diesem - zurückgenommenen - Maßstab gemessen verletzt der [X.]eschluss des [X.]s vom 30. Juni 2022 den [X.]eschwerdeführer nicht in seinem Anspruch auf den gesetzlichen [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, auch wenn die Anwendung des Fachrechts nicht in jeder Hinsicht unbedenklich ist.

a) Das [X.] hat im rechtlichen Ausgangspunkt verfassungsrechtlich beanstandungsfrei § 42 Abs. 2 ZPO dahingehend ausgelegt, dass die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit dann vorliegt, wenn ein objektiver Grund vorliegt, der die ablehnende Partei bei vernünftiger [X.]etrachtung befürchten lassen muss, die abgelehnten [X.] werden nicht unparteiisch entscheiden. Ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht hat es für maßgeblich gehalten, ob vom Standpunkt des [X.] aus genügende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger [X.]etrachtung die [X.]efürchtung wecken können, die [X.] stünden der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Zutreffend hat es angenommen, dass es nicht darauf ankomme, ob die abgelehnten [X.] sich selbst für befangen halten. Die Auslegung des [X.]s, sachlich fehlerhafte Entscheidungen oder der ablehnenden Partei ungünstige Rechtsauffassungen oder [X.] seien für sich genommen nicht für das Vorliegen einer [X.]efangenheit bedeutsam, hält ebenfalls verfassungsrechtlicher Prüfung stand. Gleiches gilt für die nahezu in der gesamten Zivilrechtsprechung geteilte Auffassung, die Grenze zur [X.]esorgnis der [X.]efangenheit sei erst dort erreicht, wo das Vorgehen der abgelehnten [X.] rechtliche Vorgaben in einer Weise überschritten, die den Eindruck einer sachwidrigen [X.]enachteiligung vermittelten (vgl. dazu [X.], [X.]eschluss vom 22. Juni 2021 - [X.] ([X.]) 3/20 -, Rn. 7 m.w.N.). Das könne der Fall sein, wenn die Handhabung der Verfahrensweise der [X.] einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage entbehre, sodass sich der betroffenen Partei der Eindruck aufdränge, die Fehlerhaftigkeit beruhe auf einer unsachlichen Einstellung gegenüber der betroffenen Partei oder auf Willkür. Mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht es in Einklang, dass das [X.] eine derart fehlerhafte Handhabung des Verfahrens dann annehmen will, wenn es zu einer Häufung von [X.]n oder anderen Verhaltensweisen der abgelehnten [X.] kommt, die in ihrer Gesamtheit einen Grund für die [X.]esorgnis der [X.]efangenheit bilden können, was vor allem bei schweren Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör oder auf ein faires Verfahren in Frage komme.

b) Die Anwendung von § 42 Abs. 2 ZPO auf das [X.]efangenheitsgesuch des [X.]eschwerdeführers im angegriffenen [X.]eschluss ist zwar nicht gänzlich frei von [X.]edenken. Sie erweist sich aber nicht als willkürlich. Auch hat das [X.] die [X.]edeutung und die Tragweite der Garantie des gesetzlichen [X.]s im Ergebnis nicht grundlegend verkannt.

aa) Soweit das [X.] eine offensichtlich sachfremde oder willkürliche Vorgehensweise durch den Erlass der einstweiligen Anordnung vom 9. November 2020 ohne Abwarten der Stellungnahmefrist mit der [X.]egründung verneint hat, es fehle an Anhaltspunkten für ein bewusstes Außerachtlassen der Frist, könnte dabei aus dem [X.]lick geraten sein, dass es für die [X.]eurteilung der [X.]esorgnis der [X.]efangenheit nicht auf die Sicht der abgelehnten [X.]in und des abgelehnten [X.]s ankommt. Unter [X.]erücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Gründe des [X.]eschlusses vom 30. Juni 2022 lässt sich daraus aber nicht ableiten, dass das [X.] den zuvor zutreffend bestimmten Maßstab des § 42 Abs. 2 ZPO (dazu Rn. 18) aus dem [X.]lick verloren hätte. Die fehlenden Anhaltspunkte für eine bewusste Missachtung der Frist hat das [X.] noch erkennbar als Gesichtspunkt für das Gewicht des Verfahrensfehlers gewertet. Ausgehend von der beanstandungsfreien Rechtsauffassung des [X.]s, dass es auf eine offensichtlich sachfremde oder willkürliche Verfahrensweise ankommt, bedeutet die [X.]erücksichtigung in diesem Sinne noch keine grundlegende Verkennung der [X.]edeutung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Entsprechendes gilt auch insoweit, als das [X.] eine [X.]esorgnis der [X.]efangenheit nicht auf die Annahme besonderer Eilbedürftigkeit und die getroffene Sachentscheidung vom 9. November 2020, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Mutter zu übertragen, gestützt hat. Zwar hat der 6. Zivilsenat unter Mitwirkung seiner im hier gegenständlichen Unterhaltsverfahren abgelehnten Mitglieder gegen die Empfehlungen der im einstweiligen Sorgerechtsverfahren fachlich [X.]eteiligten entschieden. Schon daraus folgten Zweifel an der Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht (vgl. [X.], [X.]eschluss der [X.] des [X.] vom 29. Dezember 2020 - 1 [X.]vR 2562/20 -, Rn. 11). Das [X.] hat aber nach den für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch anzuwenden Maßstäben in noch vertretbarer Weise angenommen, dass angesichts des vom 6. Zivilsenat zu Grunde gelegten wahrscheinlichen Erfolges der im einstweiligen Sorgerechtsverfahren erhobenen [X.]eschwerde der Mutter ein längerer Verbleib der Tochter bei den Großeltern väterlicherseits und in einem - offenbar - bilingualen Kindergarten deren Rückkehr in den mütterlichen Haushalt erschwert hätte. Für [X.] an vorhandene [X.]indungen oder ein drohendes Abbrechen von [X.]indungen sowie die daraus resultierenden Auswirkungen auf das betroffene Kind anzuknüpfen, ist im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zu beanstanden (vgl. [X.], [X.]eschluss der [X.] des [X.] vom 15. November 2022 - 1 [X.]vR 1667/22 -, Rn. 21). Ob die vom 6. Zivilsenat getroffene vorläufige Sorgerechtsentscheidung einer Prüfung an dem Elternrecht des [X.]eschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Stand gehalten hätte, konnte wegen der Erledigungserklärung des [X.]eschwerdeführers (Rn. 5) nicht mehr geprüft werden. Jedenfalls lässt die - vom [X.] im Zusammenhang mit der [X.]edeutung einer möglichen Diskriminierung des [X.]eschwerdeführers getroffene - Wertung, das Abstellen auf mögliche Auswirkungen eines längeren Verbleibs der Tochter im Haushalt der Großeltern sei "nachvollziehbar", angesichts der bei [X.] an sich sachgerechten Anknüpfung an die [X.]indungen des Kindes nicht den Schluss zu, es habe § 42 Abs. 2 ZPO insoweit in einer die [X.]edeutung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Weise angewendet.

bb) Das [X.] hat den Anspruch des [X.]eschwerdeführers auf den gesetzlichen [X.] auch nicht dadurch verletzt, dass es entgegen der [X.]ewertung durch diesen selbst und in einem von ihm vorgelegten Rechtsgutachten eine Diskriminierung (vgl. Art. 3 Abs. 3 GG) sowie eine darauf gestützte [X.]esorgnis der [X.]efangenheit verneint hat. [X.]ei Anwendung des hier geltenden zurückgenommenen [X.] (dazu Rn. 16) konnte das [X.] ohne Willkür und ohne die [X.]edeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend zu verkennen, annehmen, dass mit den vom [X.]eschwerdeführer als diskriminierend erachteten Ausführungen des [X.] über die Anmeldung der Tochter in einem [X.] Kindergarten sowie deren Einbindung in ein "anglo-deutsch geprägtes familiäres Umfeld" in der Sache auf die Auswirkungen mehrfacher Veränderungen im Lebensumfeld und in den [X.]indungen der Tochter abgestellt werden sollte. Diese Deutung entfernt sich nicht derart weit von einem möglichen Verständnis des [X.]eschlusses des [X.], dass damit eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einherginge. Durfte das [X.] ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht einen diskriminierenden Charakter der beanstandeten Passage verneinen, konnte sich daraus insoweit auch kein ausreichender Anhaltspunkt für eine [X.]esorgnis der [X.]efangenheit ergeben. Ob die Entscheidung des [X.] vom 9. November 2020 den [X.]eschwerdeführer in seinem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzte, wofür Anhaltspunkte bestehen (vgl. [X.], [X.]eschluss der [X.] des [X.] vom 15. November 2022 - 1 [X.]vR 1667/22 -, Rn. 21), ist nicht Gegenstand des hier vorliegenden Verfahrens.

cc) [X.]ei Anlegen des zurückgenommenen [X.] liegt eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht darin, dass das [X.] auch das gegen den abgelehnten [X.] gerichtete Gesuch für unbegründet erklärt hat. Dem [X.]eschwerdeführer ist zuzugeben, dass vor allem das Veranlassen einer einstweiligen Anordnung bereits vor Ablauf der von der früheren Vorsitzenden gewährten Stellungnahmefrist und kurz nach der vorübergehenden Übernahme des Vorsitzes durch den abgelehnten [X.] im Hinblick auf die gebotene Unvoreingenommenheit nicht ohne [X.]edenken sind. Gleiches gilt für ein möglicherweise durch ihn zu verantwortendes Fehlen einer Dokumentation von Kommunikation mit der Verfahrensbevollmächtigten der Mutter im Verfahren 6 UF 153/20 im November 2020. Angesichts der völlig unterschiedlichen [X.] und der nicht völlig identischen [X.]eteiligten in dem vorgenannten Sorgerechtsverfahren einerseits sowie dem hier gegenständlichen Unterhaltsverfahren andererseits ist es jedoch noch nicht willkürlich, dass das [X.] angenommen hat, es sei dem vorbefassten [X.] grundsätzlich zuzutrauen, den neuen Fall ausschließlich nach sachlichen Kriterien zu lösen. Das entspricht im fachrechtlichen Ausgangspunkt der Rechtsprechung des [X.]undesgerichtshofs zu § 42 Abs. 2 ZPO (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 18. Dezember 2014 - IX Z[X.] 65/13 -, Rn. 11 f.; [X.]eschluss vom 20. September 2016 - [X.] ([X.]rfg) 61/15 u.a. -, Rn. 8 und 13). Die Anwendung dieses Maßstabs durch das [X.] geht hier trotz des nicht unbedenklichen Verhaltens des abgelehnten [X.]s nicht mit einer grundlegenden Verkennung der [X.]edeutung des Anspruchs auf den gesetzlichen [X.] einher.

3. Soweit der [X.]eschwerdeführer sich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowohl durch den [X.]eschluss vom 30. Juni 2022 als auch den vom 22. September 2022 verletzt sieht, zeigt er die Möglichkeit einer solchen Verletzung nicht in einer den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]G genügenden Weise auf. Letztlich beanstandet er insoweit, dass das [X.] die zahlreichen von ihm für eine [X.]esorgnis der [X.]efangenheit vorgebrachten Umstände anders als er rechtlich gewürdigt hat. Das betrifft aber nicht das durch Art. 103 Abs. 1 GG Gewährleistete.

4. Von einer weiteren [X.]egründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]G abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1883/22

16.02.2023

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, 30. Juni 2022, Az: 5 AR 3/22, Beschluss

Art 101 Abs 1 S 2 GG, §§ 41ff ZPO, § 41 ZPO, § 42 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 16.02.2023, Az. 1 BvR 1883/22 (REWIS RS 2023, 1257)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1257

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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