Bundessozialgericht, Urteil vom 17.09.2020, Az. B 11 AL 1/20 R

11. Senat | REWIS RS 2020, 2303

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Bemessung des Arbeitslosengeldes - Berücksichtigung der zuletzt kurzen Beschäftigung im Inland trotz Abrechnung des Arbeitsentgelts erst nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses - Nichtberücksichtigung des höheren Verdienstes der vorangegangenen Auslandsbeschäftigung - Europarechtskonformität - Verfassungsmäßigkeit


Leitsatz

1. Auch bei einer nur kurzen Beschäftigung im Inland im Anschluss an Zeiten einer Auslandsbeschäftigung ist nach den europarechtlichen Regelungen zur Bemessung der Arbeitslosenunterstützung das erzielte Entgelt zugrunde zu legen, selbst wenn es beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis noch nicht abgerechnet war und auch kein Zeitraum von 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erreicht wird.

2. Es ist mit höherrangigem EU-Recht vereinbar, dass das koordinierende Sozialrecht bei der Bemessung der Arbeitslosenunterstützung ausschließlich an das zuletzt erzielte Entgelt einer Inlandsbeschäftigung anknüpft und ggf höhere Verdienste einer vorangegangenen Auslandsbeschäftigung außer Betracht bleiben.

Tenor

Die Revisionen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des [X.] vom 16. März 2017 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch für das Revisionsverfahren ein Zehntel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe des [X.] vom 25.11.2014 bis 30.6.2015.

2

Der 1956 geborene Kläger war vom 1.7.1990 bis 31.10.2014 bei einem Arbeitgeber in der [X.] als Werkzeugvoreinsteller/Fräser tätig. Während dieser [X.] pendelte er täglich von seinem Wohnort in [X.] zu seinem Arbeitsplatz. Als Arbeitseinkommen erzielte er im Jahre 2012 einen Betrag in Höhe von 80 645,45 [X.], im Jahre 2013 in Höhe von 72 800 [X.] und vom 1.1.2014 bis 31.10.2014 in Höhe von 83 086,20 [X.]. Die im [X.] am 1.11.2014 in [X.] begonnene Tätigkeit als Werkzeugvoreinsteller beendete der Arbeitgeber durch Kündigung am 10.11.2014 mit Wirkung zum 24.11.2014 und mit sofortiger Freistellung des [X.] von der Arbeitsleistung. Das Arbeitsentgelt für November 2014 in Höhe von 2232,77 Euro wurde am 11.12.2014 abgerechnet und ausgezahlt.

3

Die Beklagte bewilligte ab 25.11.2014 [X.] in Höhe von täglich 29,48 Euro nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 73,73 Euro täglich. Hierbei ging sie davon aus, dass eine Bemessung nach [X.] Recht und - nach Maßgabe des § 152 [X.] - eine fiktive Bemessung nach der Qualifikationsgruppe 3 (Beschäftigungen, die eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erforderten) erfolgen müsse (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 16.1.2015).

4

Das [X.] hat die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.1.2015 verurteilt, [X.] nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 93,03 Euro zu erbringen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Maßgebend für die Höhe des [X.] sei allein das während der letzten Beschäftigung in [X.] erzielte Entgelt. Das L[X.] hat die Berufungen der beiden Beteiligten zurückgewiesen. Es hat zugrunde gelegt, dass der Berechnung des [X.] nach den Regelungen zur [X.] Sozialrechtskoordinierung in Art 62 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 iVm Art 62 Abs 2 [X.] ([X.]) 883/2004 allein das in der letzten Beschäftigung in [X.] erzielte Entgelt, nicht jedoch dasjenige der Tätigkeit in der [X.] zugrunde zu legen sei. Eine fiktive Bemessung sei nicht möglich, weil die nationalen Vorschriften zur Bestimmung des Bemessungsentgelts durch Art 62 [X.] ([X.]) 883/2004 überlagert würden. Nach dieser Vorschrift sei es ausreichend, wenn der Betroffene - wie vorliegend der Kläger - einen Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt habe und dieses Entgelt erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit zufließe. Ein Anspruch auf [X.] unter Berücksichtigung des in der [X.] erzielten Entgelts bestehe nicht.

5

Gegen dieses Urteil haben beide Beteiligte die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Die Beklagte rügt eine Verletzung von § 152 [X.] und von Art 62 [X.] ([X.]) 883/2004. Art 62 [X.] ([X.]) 883/2004 verdränge die Bemessung nach nationalem Recht nicht soweit, dass auch nicht abgerechnetes Arbeitsentgelt berücksichtigt werden könne. Da das Arbeitsentgelt vorliegend nach [X.] Recht gar nicht einbezogen werden könne, sei eine fiktive Bemessung möglich.

6

Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des [X.] vom 16. März 2017 und des [X.] vom 16. Januar 2016 abzuändern und die Klage abzuweisen und die Revision des [X.] zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen sowie diese unter Änderung der Urteile des [X.] vom 16. März 2017 und des [X.] vom 19. Januar 2016 sowie unter Änderung des Bescheids vom 2. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Januar 2015 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld vom 25. November 2014 bis 30. Juni 2015 unter Berücksichtigung des in der [X.] erzielten Einkommens zu leisten.

8

Der Kläger rügt eine Verletzung von § 150 Abs 3 Nr 3 [X.], von Art 62 [X.] ([X.]) 883/2004 sowie von Vorschriften des [X.]. Zwar unterliege eine erwerbstätige Person, die sich innerhalb der [X.] in einen anderen Staat begebe, der Sozialversicherung nur eines Mitgliedstaats. Bei nur kurzer Beschäftigungsdauer führe die Beschränkung des Anspruchs auf inländische Bezugsgrößen aber zu sachlich nicht zu rechtfertigenden, mobile gegenüber immobilen Arbeitnehmern diskriminierenden Ergebnissen. Wegen seiner Beiträge zur [X.] Arbeitslosenversicherung werde er in seiner Eigentumsgarantie beeinträchtigt. Gegenüber Grenzgängern, die sich unmittelbar nach Ende ihrer Auslandsbeschäftigung arbeitslos gemeldet hätten und bei denen die ausländischen Arbeitsentgelte berücksichtigt würden, werde er in nicht gerechtfertigter Weise benachteiligt.

9

Mit Beschluss vom 23.10.2018 ([X.] AL 9/17 R) hat der Senat dem Gerichtshof der [X.] ([X.]) nach Art 267 Fragen zur Auslegung des Art 62 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 iVm Art 62 Abs 2 [X.] ([X.]) 883/2004 vorgelegt. Der [X.] hat mit Urteil vom 23.1.2020 ([X.]/19) für Recht erkannt, dass Art 62 Abs 1 und 2 [X.] ([X.]) 883/2004 dahin auszulegen ist, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die zwar vorsehen, dass der Berechnung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit die Höhe des früheren Entgelts zugrunde zu legen ist. Die Vorschrift lässt es jedoch für den Fall, dass die Bezugsdauer des Entgelts, das der betreffenden Person im Rahmen ihrer letzten Beschäftigung nach diesen Rechtsvorschriften gezahlt wurde, geringer ist als der in diesen Rechtsvorschriften vorgesehene Bezugszeitraum für die Bestimmung des der Berechnung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit zugrunde liegenden Entgelts, nicht zu, das Entgelt zu berücksichtigen, das die betreffende Person während dieser Beschäftigung erhalten hat. Zur weiteren Vorlagefrage hat der [X.] entschieden, dass Art 62 Abs 1 und 2 der [X.] ([X.]) 883/2004 dahin auszulegen ist, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die zwar vorsehen, dass der Berechnung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit die Höhe des früheren Entgelts zugrunde zu legen ist, es jedoch für den Fall, dass das Entgelt, das die betreffende Person für ihre letzte Beschäftigung nach diesen Rechtsvorschriften erhalten hat, erst nach dem Ausscheiden aus ihrem Beschäftigungsverhältnis abgerechnet und ausgezahlt wurde, nicht zulassen, das Entgelt zu berücksichtigen, das die betreffende Person während dieser Beschäftigung erhalten hat.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Revisionen der Beklagten und des [X.], über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs 2 [X.]G, § 153 Abs 1, § 165 [X.]G), sind nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Das [X.] hat deren Berufungen gegen das Urteil des [X.] zu Recht zurückgewiesen. In dem streitigen [X.]raum vom 25.11.2014 bis 30.6.2015 hat der Kläger Anspruch auf [X.] nach einem [X.] in Höhe von 93,03 [X.], nicht jedoch auf höheres [X.].

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist - neben den vorinstanzlichen Entscheidungen - der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.1.2015. Einbezogen in das Verfahren nach § 96 Abs 1 [X.]G ist weiter der Bescheid vom 5.6.2015, mit dem die Bewilligung von [X.] ab 1.7.2015 wegen der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung durch den Kläger aufgehoben worden ist (vgl zur Einbeziehung von Aufhebungsbescheiden B[X.] vom 21.6.2018 - [X.] [X.] 8/17 R - [X.] 4-4300 § 150 [X.] Rd[X.]0). Gegen die höhenmäßige Begrenzung des [X.] wendet sich der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 [X.]G), die auch ohne exakte Bezifferung der Höhe der begehrten Leistungen zulässig ist (vgl B[X.] vom 11.3.2014 - [X.] [X.] 10/13 R - [X.] 4-4300 § 133 [X.] Rd[X.]4). Zwar enthält der Tenor des Urteils des [X.] mit dem ausgewiesenen [X.] in Höhe von 93,03 [X.] lediglich ein Berechnungselement für höhere Leistungen und weist die (korrigierte) Gesamthöhe des [X.] nicht aus. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des [X.] ist die sich unter Berücksichtigung des Arbeitseinkommens in [X.] ergebende Leistungshöhe indes berechenbar.

2. Von Amts wegen zu beachtende [X.], die einer Sachentscheidung des Senats entgegenstehen, liegen nicht vor. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] war gemäß § 143 [X.]G, § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G statthaft, weil der Wert des [X.] - worauf die Beklagte hingewiesen hat - für den streitigen [X.]raum einen Betrag in Höhe von 1315,44 [X.] erreicht. Auch die gleichfalls fristgerecht eingelegte Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.], mit der er eine über die Zurückweisung durch das [X.] hinausgehende Verurteilung der Beklagten zu seinen Gunsten erstrebt hat, war ausgehend von dem in [X.] deutlich höheren Arbeitsentgelt statthaft.

3. Im Ergebnis hat der Kläger einen Anspruch auf [X.] unter Berücksichtigung des Arbeitsentgelts, das er in der [X.] vom 1.11.2014 bis 24.11.2014 während seiner Beschäftigung in [X.] iS des Art 62 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 nach seinem Ausscheiden aus diesem Arbeitsverhältnis erhalten hat.

a) Die Anspruchsvoraussetzungen für [X.], ohne deren Vorliegen auch eine Klage auf höhere Leistungen keinen Erfolg haben kann (stRspr; vgl nur B[X.] vom 9.12.2004 - B 7 [X.] 24/04 R - B[X.]E 94, 109 = [X.] 4-4220 § 3 [X.], Rd[X.]2), liegen nach dem Gesamtzusammenhang der für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) vor. Der Kläger hat sich mit Wirkung zum 25.11.2014 persönlich arbeitslos gemeldet (§ 137 Abs 1 [X.] 2 [X.]B III iVm § 141 [X.]B III: sämtliche Vorschriften jeweils in den ab 1.4.2012 geltenden Normfassungen des [X.] der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, [X.]) und war auch arbeitslos (§ 137 Abs 1 [X.] [X.]B III, § 138 Abs 1 [X.]B III). Unter Berücksichtigung der nach [X.] Rechtsvorschriften vom 1.7.1990 bis 31.10.2014 zurückgelegten Beitragszeiten hatte er auch die Anwartschaftszeit erfüllt, weil er innerhalb der Rahmenfrist von zwei Jahren beginnend mit dem [X.] aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf [X.], dh im [X.]raum vom 25.11.2012 bis 24.11.2014, mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (vgl § 142 Abs 1 [X.]B III, § 143 Abs 1 [X.]B III).

Die Berücksichtigung der Regelungen der [X.] ([X.]) 883/2004 und damit auch derjenigen des Art 61 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 zur Zusammenrechnung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und [X.]en einer selbständigen Erwerbstätigkeit bei Sachverhalten in mehreren Mitgliedstaaten durch den zuständigen [X.], also [X.], folgt aus dem Abkommen zwischen der [X.]päischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und [X.]erischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit ([X.], [X.] S 6, im Folgenden: [X.]), das am [X.] in [X.] unterzeichnet und durch [X.] ([X.] 2001, 810) ratifiziert wurde. Es ist insoweit am [X.] in [X.] getreten ([X.] 2002, 1692). Zur Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit, insbesondere zur Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften und zur Zahlung der Leistungen an Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten haben, verweist Art 8 [X.] auf den [X.] dieses Abkommens in der Fassung durch den Beschluss [X.]/2012 des im Rahmen des [X.] eingesetzten [X.] vom [X.] ([X.], [X.] S 51) und damit die Anwendbarkeit der [X.] ([X.]) 883/2004 (vgl [X.] vom 21.3.2018 - [X.]/16 juris Rd[X.] 28; [X.] vom 23.1.2020 - [X.]/19 - [X.] 2020, 371 ff, juris Rd[X.] 23).

b) Zur Höhe des [X.] des kinderlosen [X.] bestimmt § 149 Abs 1 [X.] 2 [X.]B III, dass das [X.] 60 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt) beträgt, das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat ([X.]). Gemäß § 150 Abs 1 Satz 1 [X.]B III umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Nach Maßgabe von § 150 Abs 2 2. Halbsatz [X.]B III bleiben bei der Ermittlung des [X.] bestimmte [X.]en außer Betracht. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten [X.] vor der Entstehung des Anspruchs (§ 150 Abs 1 Satz 2 2. Halbsatz [X.]B III). Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 150 Abs 3 Satz 1 [X.] [X.]B III) oder wenn es mit Rücksicht auf das [X.] im erweiterten Bemessungsrahmen unbillig hart wäre, von dem [X.] im Bemessungszeitraum auszugehen, wenn die oder der Arbeitslose dies verlangt und die zur Bemessung erforderlichen Unterlagen vorlegt (§ 150 Abs 3 Satz 1 [X.], Satz 2 [X.]B III). Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten [X.] nicht festgestellt werden, ist als [X.] ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 152 Abs 1 Satz 1 [X.]B III).

Nach diesen nationalen Regelungen wäre auf eine fiktive Bemessung zurückzugreifen, weil ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten [X.] nicht festgestellt werden kann und das Entgelt aus der Tätigkeit in [X.] der Bemessung nach nationalem Recht zudem deshalb nicht zugrunde gelegt werden kann, weil es - anders als dies § 150 Abs 1 Satz 1 [X.]B III verlangt (vgl nur B[X.] vom [X.] - [X.] [X.] 12/12 R - B[X.]E 113, 100 = [X.] 4-4300 § 132 [X.], Rd[X.] 20) - nicht bereits mit dem Ausscheiden des [X.] abgerechnet war.

c) Einer Berechnung des [X.] unter Heranziehung eines fiktiven Entgelts nach § 152 [X.]B III steht jedoch Art 62 [X.] ([X.]) 883/2004 entgegen. Aufgrund der nach dem Urteil des [X.] nunmehr in mehrfacher Hinsicht nur modifiziert anwendbaren Berechnungsvorschriften des [X.]B III legt der Senat der Bemessung des [X.] allein das für den [X.]raum vom 1.11.2014 bis 24.11.2014 geleistete sowie nachträglich abgerechnete und zugeflossene Arbeitsentgelt zugrunde (vgl zum Rückgriff auf das Entgelt der letzten Beschäftigung bei einem Bemessungszeitraum von weniger als 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt bereits B[X.] vom 17.3.2015 - [X.] [X.] 12/14 R - [X.] 4-4300 § 131 [X.]).

Nach Art 62 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften bei der Berechnung der Leistungen die Höhe des früheren Entgelts oder Erwerbseinkommens zugrunde zu legen ist, hier also die Beklagte, ausschließlich das Entgelt oder Erwerbseinkommen, das die betreffende Person während ihrer letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit nach diesen Rechtsvorschriften erhalten hat. Nach Art 62 Abs 2 [X.] ([X.]) 883/2004 findet Art 62 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 auch Anwendung, wenn nach den für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften ein bestimmter Bezugszeitraum für die Ermittlung des als Berechnungsgrundlage für die Leistungen heranzuziehenden Entgelts vorgesehen ist und die betreffende Person während dieses [X.]raums oder eines Teils davon den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats unterlag.

Im Einzelnen hat der [X.] ausgeführt, dass unbesehen der Voraussetzungen des "abgerechneten Arbeitsentgelts" und eines [X.] von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt im nationalen Recht eine fiktive Bemessung nicht möglich sei. Art 62 Abs 1 und 2 [X.] ([X.]) 883/2004 stehe einer Anwendung dieser Rechtsnormen unabhängig von den Besonderheiten des nationalen Rechts ausnahmslos entgegen ([X.] vom 23.1.2020 - [X.]/19 - [X.] 2020, 371 f, juris Rd[X.] 28f). Für die vorliegende Konstellation einer Beschäftigung im [X.] von weniger als vier Wochen habe die vormalige Regelung zur Sozialrechtskoordinierung in Art 68 Abs 1 Satz 2 [X.] ([X.]) 1408/71 eine Regelung zur Berechnung der Arbeitslosenunterstützung enthalten, wonach dasjenige Entgelt zugrunde zu legen sei, das am Wohnort oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen für eine Beschäftigung üblich sei, die der Beschäftigung, die er zuletzt im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausgeübt habe, gleichwertig oder vergleichbar sei. Diese Regelung sei jedoch nicht in Art 62 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 übernommen worden ([X.] aaO Rd[X.] 28). Für Regelungen von Mitgliedstaaten, in denen ein Bezugszeitraum für die Ermittlung des als Berechnungsgrundlage heranzuziehenden Entgelts vorgesehen sei und festgelegt werde, folge aus Art 62 Abs 2 [X.] ([X.]) 883/2004, dass dieser Bezugszeitraum sowohl die nach diesen Rechtsvorschriften als auch die nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegten Beschäftigungszeiten umfasse ([X.] aaO Rd[X.] 29). Diese Auslegung stehe im Einklang mit den Zielen der Verordnung und deren Zweck. Ein Staatsangehöriger eines Vertragsstaats dürfe in seinem Herkunftsstaat nicht allein deshalb einen Nachteil erleiden, weil er sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt habe ([X.] aaO Rd[X.]4). Das Erfordernis des Art 62 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 stelle daher nicht nur eine Grundregel dar, neben der eine nach nationalen Rechtsvorschriften mögliche fiktive Bemessung stattfinden könne. Gleichfalls unter Berücksichtigung des Wortlauts des Art 62 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 und des Zwecks der Vorschrift, die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu garantieren, könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass Art 62 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 die Berücksichtigung des Entgelts für die letzte Beschäftigung davon abhängig mache, dass das Entgelt spätestens am letzten Tag der Ausübung dieser Beschäftigung abgerechnet und ausgezahlt worden sei.

4. Auch die Revision des [X.] ist nicht begründet.

a) Aus der für Grenzgänger geltenden Regelung des Art 62 Abs 3 [X.] ([X.]) 883/2004 ergibt sich kein höheres [X.]. Hiernach berücksichtigt der Träger des Wohnortes - abweichend von Art 62 Abs 1 und 2 [X.] ([X.]) 883/2004 - im Fall von Arbeitslosen, auf die Art 65 Abs 5 Buchst a) [X.] ([X.]) 883/2004 anzuwenden ist (sog Grenzgänger), nach Maßgabe der Durchführungs[X.] ([X.]) 987/2009 das Entgelt oder Erwerbseinkommen, das die betreffende Person in dem Mitgliedstaat erhalten hat, dessen Rechtsvorschriften für sie während ihrer letzten Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit galten. Unter diesen Personenkreis fällt der Kläger nicht, weil er die Eigenschaft eines Grenzgängers mit Aufnahme der Beschäftigung im Inland verloren hat und damit der [X.] zum [X.]punkt des Eintritts der Arbeitslosigkeit nicht mehr auseinander fielen (vgl zuletzt B[X.] vom 12.12.2017 - [X.] [X.] 21/16 R - B[X.]E 125, 38 ff = [X.] 4-6065 Art 65 [X.], Rd[X.]6 mwN). Da auch das im [X.]punkt des Ausscheidens noch nicht abgerechnete Entgelt nach der Rechtsprechung des [X.] zur Auslegung des Art 62 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 einzubeziehen ist (vgl [X.] vom 23.1.2020 - [X.]/19 - [X.] 2020, 371 ff, juris Rd[X.]6), kommt schon aus diesem Grund auch eine entsprechende Anwendung des Art 62 Abs 3 [X.] ([X.]) 883/2004 nicht in Betracht. Das von dem Kläger zur Begründung seiner Revision herangezogene Urteil des [X.] vom 28.2.1980 ([X.] - [X.]/79 - [X.] 6050 Art 68 [X.]) ist vorliegend nicht relevant, weil es allein die besonderen Regelungen für Grenzgänger betrifft.

b) Die Anknüpfung der Berechnung des [X.] nach Art 62 Abs 1 [X.] ([X.]) 883/2004 ausschließlich an das letzte Entgelt im zuständigen [X.] sowie die Anwendbarkeit des Art 62 Abs 3 [X.] ([X.]) 883/2004 ausschließlich auf Grenzgänger sind entgegen der Auffassung des [X.] auch mit höherrangigem EU-Recht vereinbar.

Art 48 Satz 1 Buchst a AEUV zur Sicherstellung der Ansprüche und Leistungen auf dem Gebiet der Sozialen Sicherheit bestimmt, dass eine Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten [X.]en für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen erfolgen soll. Eine "Zusammenrechnung" auch bei der Berechnung der Arbeitslosenunterstützung findet dadurch statt, dass bei dem [X.] des "Bezugszeitraums" die entsprechenden Tätigkeitszeiten im vormaligen Beschäftigungsstaat einfließen, also unterstellt wird, dass das in einem ggf nur kurzem Beschäftigungsverhältnis im letzten Mitgliedstaat erzielte Entgelt in entsprechender Höhe während des gesamten [X.] erreicht wurde. Entgegen der Ansicht des [X.] fließen insofern auch die Beitragszeiten zur [X.] Arbeitslosenversicherung ein. Zwar kann die ausnahmslose Heranziehung des letzten Entgelts einer Beschäftigung im [X.] in Fallgestaltungen zu ungünstigen Ergebnissen führen, in denen der Betroffene - wie vorliegend - zuvor in einem anderen [X.] wesentlich mehr verdient hat als im danach zuständigen Mitgliedstaat (vgl zur Kritik an der Regelung nur [X.] in [X.], [X.]päisches Sozialrecht, 7. Aufl 2018, Art 62 Rd[X.] 2). Je nach Verdienstmöglichkeiten im Beschäftigungs- und [X.] sind aber auch gegenteilige Ergebnisse möglich.

Insofern bewegt sich die Regelung des Art 62 [X.] ([X.]) [X.] 883/2004 im weiten Ermessensspielraum des [X.] bei der Ausgestaltung des Freizügigkeitsrechts (vgl allg [X.] vom 31.5.2001 - [X.]/99 Slg 2001, I 4265, juris 29). Es ist legitimes Interesse der Mitgliedstaaten, die Höhe der Leistungen bei Arbeitslosigkeit orientiert an den erzielten Entgelten im jeweiligen Mitgliedstaat festzusetzen. Zudem kann sich die Regelung des Art 62 [X.] ([X.]) 883/2004 auf Gesichtspunkte der Praktikabilität stützen, weil der Verwaltungsaufwand im Verhältnis zu einer dem Zweck nach begrenzten Dauer der Leistungen bei Arbeitslosigkeit gering gehalten werden soll (so auch [X.] in [X.], Kommentar zum zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrecht, 6. Aufl 2019, Art 62 Rd[X.]; [X.] in [X.], [X.]B III, [X.] ([X.]) 883/2004 Art 62 Rd[X.] 8, Stand August 2017; [X.]/[X.], EU-Sozialrecht, [X.] [X.] ([X.]) 883/2004 Rd[X.] 2, Stand Juli 2015; [X.] [X.]b 1998, 291, 292; Waltermann in [X.]/Preis, [X.], Stand Februar 2006, Rd[X.] 25; [X.]/[X.], [X.]/[X.]b 2011, 507 ff, 509 f). Mit seiner Entscheidung vom 23.1.2020 ([X.]/19 - [X.] 2020, 371) hat der [X.] zum Ausdruck gebracht, dass die alleinige Anknüpfung an das ggf nur in einem kurzen [X.]raum zuletzt erzielte Entgelt im Herkunftsland bzw [X.] das durch das [X.] garantierte Recht auf Freizügigkeit gewährleistet. Zudem hat er betont, dass speziell die Leistungen bei Arbeitslosigkeit darauf abzielten, die Mobilität der Arbeitslosen zu erleichtern, indem sichergestellt werde, dass die Betroffenen Leistungen erhielten, bei denen soweit wie möglich den Beschäftigungsbedingungen und insbesondere dem Entgelt Rechnung getragen werde, das sie nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats ihrer letzten Beschäftigung erzielt hätten ([X.] aaO Rd[X.]5). Vor diesem Hintergrund kann die Ausgestaltung des Art 62 [X.] ([X.]) 883/2004, obgleich es sich nicht lediglich um eine Maßnahme zur Koordinierung der nationalen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Arbeitslosenunterstützung, sondern zugleich um eine Ausnahmeregelung zum innerstaatlichen Recht handelt, nicht als eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit angesehen werden. Unterschiede ergeben sich aus der fehlenden Harmonisierung des einschlägigen Unionsrechts (vgl [X.] vom 11.4.2013 - [X.]/11 , juris Rd[X.]3 ff).

c) Soweit der Kläger einwendet, er werde durch die Regelungen der [X.] ([X.]) 883/2004 in seinen durch das [X.] verbürgten Rechten (Verweis auf Art 1 Abs 1 Satz 1 [X.] iVm dem Sozialstaatsprinzip nach Art 20 Abs 3 [X.], Art 3 Abs 1 [X.], Art 14 Abs 1 Satz 1 [X.], Art 28 Abs 1 Satz 1 [X.]) verletzt, ist zunächst darauf zu verweisen, dass die Beitragszeiten nach dem [X.]B III uneingeschränkt berücksichtigt wurden. Sein Hinweis, die Beiträge zur [X.] Arbeitslosenversicherung müssten erhöhend einfließen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Umstand, dass vorliegend keine Arbeitslosenunterstützung nach den in [X.] zurückgelegten [X.]en erbracht werden konnte, ist - unbesehen deren möglicher Höhe - unmittelbare Folge des nur eingeschränkt möglichen Leistungsexports im Koordinierungsrecht der Arbeitslosenunterstützung (kritisch hierzu Eichenhofer, [X.] 2020, 77 ff, 79), das aber Beitragszeiten zur Sozialversicherung in anderen Mitgliedstaaten einbezieht. Wie der Senat mit Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des [X.] betont hat, können verbindliches Unionsrecht und damit auch der Inhalt des [X.] in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene nicht garantieren, dass die Verlagerung einer beruflichen Tätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der Sozialen Sicherheit stets neutral ist (vgl ausführlich hierzu Senatsurteil vom 12.12.2017 - [X.] [X.] 21/16 R - B[X.]E 125, 38 ff = [X.] 4-6065 Art 65 [X.], Rd[X.] 20).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 11 AL 1/20 R

17.09.2020

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Konstanz, 19. Januar 2016, Az: S 2 AL 215/15, Urteil

§ 150 Abs 1 S 1 SGB 3, § 152 Abs 1 S 1 SGB 3, Art 48 S 1 Buchst a AEUV, Art 62 Abs 1 EGV 883/2004, Art 62 Abs 2 EGV 883/2004, Art 62 Abs 3 EGV 883/2004, Art 8 EGFreizügAbk CHE, GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.09.2020, Az. B 11 AL 1/20 R (REWIS RS 2020, 2303)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2303

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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