Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 11.10.2017, Az. 2 BvR 1758/17

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2017, 4128

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer eA sowie PKH-Ablehnung: Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten gem § 104 Abs 13 S 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) - strenger Prüfungsmaßstab bei faktischer Außervollzugsetzung eines Gesetzes - geringeres Schutzbedürfnis bzgl eines Familiennachzugs für unmittelbar vor Volljährigkeitseintritt stehende Minderjährige


Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin K…, wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

1. Die Beschwerdeführer begehren die vorläufige Erteilung von [[X.].] zum Familiennachzug zu einem minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten, hilfsweise die Erteilung von [[X.].] aus humanitären Gründen. Sie wenden sich mittelbar gegen die Regelung des § 104 Abs. 13 [[X.].], mit der der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten für zwei Jahre ausgesetzt wurde.

2

Die Regelung des § 104 Abs. 13 [[X.].] wurde mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 ([[X.].]) als Teil des sogenannten "[[X.].]" in das [[X.].] eingefügt. Sie lautet:

Bis zum 16. März 2018 wird ein Familiennachzug zu Personen, denen nach dem 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative erteilt worden ist, nicht gewährt. Für Ausländer, denen nach dem 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative erteilt wurde, beginnt die Frist des § 29 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 ab dem 16. März 2018 zu laufen. Die §§ 22, 23 bleiben unberührt.

3

Mit dieser Regelung wurde der Familiennachzug zu Personen, denen subsidiärer Schutz im Sinne des § 4 Abs. 1 [[X.].] zuerkannt worden ist, vorübergehend ausgesetzt. Die Regelung des Familiennachzugs zu anerkannten Flüchtlingen blieb unverändert.

4

2. Die Beschwerdeführer sind syrische Staatsangehörige. Der Beschwerdeführer zu 1., der am 13. Oktober 2017 sein 18. Lebensjahr vollenden wird, reiste im September 2015 als unbegleiteter Minderjähriger in die [[X.].] ein und stellte einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 1. August 2016 wurde ihm subsidiärer Schutz zuerkannt. Über seine Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist noch nicht entschieden worden. Bei den übrigen Beschwerdeführern handelt es sich um die in [[X.].] verbliebenen Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers zu 1. Nachdem diese für ihre [[X.].] nicht zeitnah eine positive Bescheidung erwirken konnten, beantragten die Beschwerdeführer vorläufigen Rechtsschutz. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag ab; die Beschwerde gegen die Entscheidung blieb erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht verwies darauf, dass der Anspruch auf Familiennachzug kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Die Voraussetzungen für eine Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf eine etwaige Verfassungswidrigkeit der Regelung lägen nicht vor. Durch eine Einreise der Beschwerdeführer zu 2. bis 6. würden vollendete Tatsachen geschaffen; das Interesse der Beschwerdeführer, vor Eintritt der Volljährigkeit des Beschwerdeführers zu 1. einen Familiennachzug zu erreichen, trete demgegenüber zurück. Die Bedenken der Beschwerdeführer gegen die Verfassungsmäßigkeit der Regelung in § 104 Abs. 13 Satz 1 [[X.].] im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG sowie die Bestimmungen der [[X.].] und der [[X.].] würden nicht geteilt. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums aus humanitären Gründen gemäß § 22 Satz 1 [[X.].] seien nicht glaubhaft gemacht.

5

3. Die Beschwerdeführer haben Verfassungsbeschwerde erhoben und beantragt, ihnen im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufige [[X.].] zur Einreise in die [[X.].] zu erteilen. Ferner begehren sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

6

Sie machen geltend, der Ausschluss des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG zum einen im Vergleich zu Personen, für die ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 [[X.].] festgestellt worden sei, zum anderen im Vergleich zu anerkannten Flüchtlingen. Insbesondere verletze die Regelung Art. 6 Abs. 1 GG. Der Zweck der Zuwanderungsbegrenzung stehe außer Verhältnis zu dem bewirkten Grundrechtseingriff. Der Familiennachzug sei das einzige Mittel, die [[X.].] wiederherzustellen, weil die familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsland nicht mehr gelebt werden könne. Die Dauer der tatsächlichen Trennung der Familien sei unangemessen lang. Die Aussetzungsregelung treffe diejenigen Minderjährigen besonders hart, die vor dem 16. März 2018 volljährig würden, weil für sie der Familiennachzug dauerhaft ausgeschlossen sei. Auch nach Art. 8 [[X.].], Art. 7 [[X.].] und den Bestimmungen der [[X.].] müsse das Kindeswohl sowohl für die Behörden als auch für den Gesetzgeber Leitlinie und maßgeblicher Gesichtspunkt sein. Dies sei derzeit nicht gewährleistet, weil für Minderjährige keine Ausnahmen vorgesehen und den Behörden kein Ermessen eingeräumt sei. Die derzeitige Handhabung des § 22 [[X.].] ermögliche nicht, Härtefällen hinreichend Rechnung zu tragen. Der Ausschluss des Familiennachzugs sei auch - wie im Einzelnen näher begründet wird - konkret im Falle der Beschwerdeführer unverhältnismäßig. Die Entscheidungen der Fachgerichte verletzten die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, weil der Beschwerdeführer zu 1. psychisch beeinträchtigt und dringend behandlungsbedürftig sei. Ferner liege ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG vor. Die Fachgerichte hätten ihre Vorlagepflichten zum [[X.].] und zum [[X.].] verkannt und die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Unrecht abgelehnt.

7

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet.

8

1. Nach § 32 Abs. 1 [[X.].] kann das [[X.].] einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [[X.].] gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [[X.].] 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>; 132, 195 <232 Rn. 86>).

9

Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiesen sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [[X.].] 89, 38 <44>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das [[X.].] die Folgen abwägen, die eintreten würden, einerseits wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, und andererseits wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [[X.].] 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158 <168>; 129, 284 <298>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).

2. Die Verfassungsbeschwerde stellt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt, soweit die Beschwerdeführer die Erteilung von [[X.].] zum Familiennachzug begehren, weder als unzulässig noch als offensichtlich unbegründet dar. Soweit die geltend gemachten Ansprüche auf § 22 [[X.].] gestützt sind, ist sie hingegen unzulässig.

a) Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht der Grundsatz der Subsidiarität entsprechend § 90 Abs. 2 Satz 1 [[X.].] entgegen. Die Beschwerdeführer können nicht auf das Verfahren in der Hauptsache verwiesen werden, weil sie gerade die Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes rügen und das Hauptsacheverfahren insoweit keine Abhilfemöglichkeit bietet. Zudem steht, bezogen auf den geltend gemachten Anspruch auf Familiennachzug, eine Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache kurz bevor, da der Beschwerdeführer zu 1. am 13. Oktober 2017 sein 18. Lebensjahr vollendet und nach diesem Zeitpunkt [[X.].] zum Familiennachzug auf der Grundlage des § 36 Abs. 1 [[X.].] nicht mehr erteilt werden können (vgl. BVerwGE 146, 189 <194 ff.>).

b) Soweit es um die Erteilung von [[X.].] zum Familiennachzug gemäß § 36 [[X.].] geht, ist die Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unbegründet. In der Hauptsache wäre voraussichtlich zu klären, ob die Regelung des § 104 Abs. 13 [[X.].], nach der ein Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten bis zum 16. März 2018 nicht gewährt wird, mit Art. 6 Abs. 1 GG in Einklang steht (vgl. einerseits [[X.].], NVwZ 2016, S. 409 <414>; andererseits [[X.].], [[X.].] 2017, S. 125 <127 ff.>). In diesem Rahmen kann auch von Bedeutung sein, inwieweit Härtefällen durch die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 22 Satz 1 [[X.].] Rechnung zu tragen ist, insbesondere auch dann, wenn die besondere Härte durch Umstände in der Person des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird.

c) Soweit es um die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 22 Satz 1 [[X.].] im vorliegenden Einzelfall geht, ist die Verfassungsbeschwerde allerdings mangels ausreichender Begründung unzulässig (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [[X.].]) beziehungsweise offensichtlich unbegründet. Ein Härtefall ist nicht dargelegt. Das Oberverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung die vorgetragenen Einzelfallgesichtspunkte gewürdigt; hierzu haben die Beschwerdeführer nicht Stellung genommen. Zu den Umständen der Ausreise des Beschwerdeführers zu 1. aus [[X.].] und der Einreise in die [[X.].] haben sie nicht vorgetragen; sie sind unter anderem nicht auf die Frage eingegangen, ob der Beschwerdeführer zu 1. von vornherein zusammen mit seinem Onkel und dessen Familie nach [[X.].] gekommen ist. Der Vortrag, der Beschwerdeführer zu 1. sei von den [[X.].] Behörden nicht in Obhut genommen worden, sondern lebe in einem Wohnheim beziehungsweise einer Wohnung für Erwachsene, wo keinerlei jugendschützende Betreuung möglich sei, ist unplausibel, da der Beschwerdeführer zu 1. nach den angegebenen [[X.].] offenbar mit dem Onkel und seiner Familie in einem Haus wohnt. Zu den konkreten Lebensumständen, insbesondere dem gelebten Kontakt zur Familie des Onkels und den Beziehungen zu den einzelnen Familienmitgliedern, fehlt allerdings eine Darstellung. Die vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 10. Dezember 2016 ist nicht hinreichend aktuell. Zu der Frage, inwieweit sich die in dieser Stellungnahme geäußerten Befürchtungen (Verstärkung einer depressiven Symptomatik; Gewichtsverlust) bewahrheitet haben, fehlt jeglicher Vortrag, obwohl Angaben hierzu für das behauptete Vorliegen eines Härtefalles erforderlich gewesen wären. Auch zur weiteren Entwicklung des Gesundheitszustandes des Onkels und Vormunds des Beschwerdeführers zu 1. seit dessen Entlassung aus der stationären Behandlung am 2. Juni 2017 ist nicht weiter vorgetragen worden. Auf dieser Grundlage ist die fachgerichtliche Bewertung, dringende humanitäre Gründe lägen nicht vor, nicht zu beanstanden. Die Situation der Beschwerdeführer unterscheidet sich nicht maßgeblich von der Situation anderer Familien, die durch die Ausreise eines (noch) minderjährigen Kindes und dessen Aufnahme in der [[X.].] getrennt sind.

3. Auf Grund der vorzunehmenden Folgenabwägung ist die einstweilige Anordnung nicht zu erlassen.

a) Wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, das Begehren des Familiennachzugs aber in der Hauptsache Erfolg hätte, würde der Anspruch auf Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in der [[X.].] für den Zeitraum bis zum 13. Oktober 2017 endgültig vereitelt. Dies könnte nicht mehr rückgängig gemacht oder ausgeglichen werden.

Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, durch die unmittelbar bevorstehende Volljährigkeit des Beschwerdeführers zu 1. werde der Familiennachzug auf Dauer vereitelt, liegt dem die unzutreffende Vorstellung zu Grunde, dass durch den Familiennachzug die familiäre Lebensgemeinschaft auf Dauer in [[X.].] hergestellt werden könnte. Dabei berücksichtigen die Beschwerdeführer nicht, dass dem Nachzug von Eltern zu ihrem minderjährigen Kind nach der gesetzlichen Ausgestaltung in den Vorschriften des [[X.].]es gemäß ihrem - von den Beschwerdeführern nicht angegriffenen - Verständnis durch die Fachgerichte von vornherein die Begrenzung auf den Zeitraum bis zur Volljährigkeit des Kindes immanent ist. Danach wandelt sich auch eine den Eltern rechtzeitig erteilte Aufenthaltserlaubnis nicht in ein eigenständiges Aufenthaltsrecht um. Der Rechtsgrund für den Aufenthalt der Eltern endet mit Ablauf der Befristung einer nach § 36 Abs. 1 [[X.].] erteilten Aufenthaltserlaubnis; eine Verlängerung auf dieser Grundlage ist nicht möglich. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht im Hinblick auf eine eingetretene Aufenthaltsverfestigung, wie es für Ehegatten in § 31 [[X.].] geregelt ist, sieht das Gesetz nicht vor (vgl. BVerwGE 146, 189 <194 ff.>). Soweit die Argumentation der Beschwerdeführer darauf abzielt, dass ihnen nach einer Einreise in die [[X.].] eine Rückkehr nach [[X.].] nicht mehr zugemutet werden kann, liegt der unter diesem Gesichtspunkt erstrebte längerfristige Aufenthalt außerhalb des Schutzzwecks der Vorschriften über den Familiennachzug und kann deshalb zur Begründung eines Aufenthaltstitels unter diesem Aspekt nicht berücksichtigt werden. Allgemein sieht das Gesetz die Erteilung von [[X.].] zum Zweck der Anbringung eines Schutzersuchens nicht vor (vgl. für das Unionsrecht kürzlich [[X.].], Urteil vom 7. März 2017 - [[X.].]/16 PPU - [X.] und [X.], [X.], S. 1293).

Das Gewicht des Nachteils, dass die familiäre Lebensgemeinschaft für den [X.] endgültig vereitelt wird, ist im konkreten Fall dadurch reduziert, dass dieser Zeitraum am 13. Oktober 2017 endet und auch von vornherein kurz bemessen war. Die [[X.].]anträge wurden am 13. Februar 2017 gestellt; [X.] an der [X.] in [X.] waren den Beschwerdeführern zu 2. bis 6. für den 16. Februar und den 19. Juni 2017 eingeräumt. Bei Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung im fachgerichtlichen Verfahren stand bis zur Volljährigkeit des Beschwerdeführers zu 1. noch ein Zeitraum von etwa drei Monaten in Rede. Ferner ist zu berücksichtigen, dass fast Volljährige im Allgemeinen weniger auf ihre Eltern angewiesen sind als jüngere Minderjährige. Der Zeitraum unmittelbar vor der Volljährigkeit ist deshalb generell nicht geeignet, eine besondere Schutzbedürftigkeit zu begründen. Zur besonderen Schutzbedürftigkeit aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles ist nicht hinreichend vorgetragen worden.

b) Erginge hingegen die einstweilige Anordnung, obwohl das Begehren des Familiennachzugs in der Hauptsache unbegründet wäre, so würde den Beschwerdeführern zu 2. bis 6. die Einreise in die [[X.].] erlaubt, was ebenfalls nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte. Würde zudem die einstweilige Anordnung, was hier allein in Betracht kommt, mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung des § 104 Abs. 13 [[X.].] begründet, so müsste dies für alle anderen Fälle des Familiennachzugs zu minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen mit subsidiärem Schutzstatus ebenso gelten, was im Ergebnis der Aussetzung des Vollzugs der gesetzlichen Regelung gleichkäme.

Gilt aber für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [[X.].] bereits ohnehin ein strenger Maßstab, so erhöht sich diese Hürde noch, wenn der Vollzug eines Gesetzes ausgesetzt werden soll (vgl. [[X.].] 3, 41 <44>; 6, 1 <4>; 7, 367 <371>; 64, 67 <69>; 81, 53 <54>; 117, 126 <135>). Das [[X.].] darf von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, weil dies einen erheblichen Eingriff in die originäre Zuständigkeit des Gesetzgebers darstellt (vgl. [[X.].] 104, 23 <27>; 104, 51 <55>; 112, 216 <220>; 112, 284 <292>; 122, 342 <361>; 131, 47 <61>; 140, 99 <106 f.>; 140, 211 <219>; stRspr). Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie im Fall der begehrten Außervollzugsetzung eines Gesetzes darüber hinaus besonderes Gewicht haben (vgl. [[X.].] 82, 310 <313>; 104, 23 <27 f.>; 117, 126 <135>; 122, 342 <361 f.>; 140, 99 <107>; 140, 211 <219>; stRspr). Auch wenn die jeweiligen Nachteile der abzuwägenden Folgenkonstellationen einander in etwa gleichgewichtig gegenüberstehen, verbietet es die mit Blick auf die Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) notwendige Zurückhaltung des [[X.].]s, das angegriffene Gesetz auszusetzen, bevor geklärt ist, ob es vor der Verfassung Bestand hat (vgl. [[X.].] 104, 51 <60>; 106, 369 <376>; 108, 45 <51>; 140, 99 <107>).

Eine Suspendierung der gesetzlichen Regelung des § 104 Abs. 13 [[X.].] würde den verbleibenden Zeitraum bis zum 16. März 2018 betreffen, für den sie Geltung beansprucht, da eine frühere Entscheidung in der Hauptsache nicht zu erwarten ist. Das Ziel des Gesetzgebers, "im Interesse der [X.]" (vgl. BTDrucks 18/7538 S. 1) Einreisen der Familienangehörigen von subsidiär Schutzberechtigten in diesem Zeitraum gerade nicht zu ermöglichen, würde dadurch insoweit vollständig vereitelt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1758/17

11.10.2017

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 10. September 2017, Az: OVG 3 M 93.17, Beschluss

Art 6 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 4 Abs 1 AsylVfG 1992, § 22 S 1 AufenthG 2004, § 25 Abs 2 S 1 AufenthG 2004, § 36 Abs 1 AufenthG 2004, § 104 Abs 13 S 1 AufenthG 2004

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 11.10.2017, Az. 2 BvR 1758/17 (REWIS RS 2017, 4128)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4128

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 C 59/20 (Bundesverwaltungsgericht)


1 C 56/20 (Bundesverwaltungsgericht)


Referenzen
Wird zitiert von

1 C 8/21, 1 C 8/21 (1 B 15/21)

2 BvR 2801/17

Au 6 K 18.1938

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