Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.09.2015, Az. IX ZR 263/13

9. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 5259

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Gegenstand

Voraussetzungen eines Grundurteils im Anwaltshaftungsprozess


Leitsatz

1. Im Anwaltshaftungsprozess gehört dann, wenn dem Anwalt vorgeworfen wird, seine Vertragspflichten bei der Durchsetzung eines Anspruchs verletzt zu haben, die Frage, ob jener Anspruch überhaupt bestand, zum Grund des Anspruchs (Anschluss an BGH, 13. Mai 1980, VI ZR 276/78, VersR 1980, 867).

2. Bei einem Klagebegehren, das sich aus mehreren Teilansprüchen zusammensetzt, kann ein einheitliches Grundurteil nur ergehen, wenn feststeht, dass jeder der Teilansprüche dem Grunde nach gerechtfertigt ist.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des [X.] vom 25. Oktober 2013 zugelassen.

Auf die Revision der Beklagten wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 101.588,13 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger schloss mit der L.              (künftig: Versicherer) einen Unfallversicherungsvertrag unter Zugrundelegung der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen ([X.]); seine berufstätige Ehefrau war mitversichert. Diese stürzte am 11. Mai 2004 auf dem Weg zu einer dienstlichen Beschäftigung; nach dem Sturz wurden bei ihr ein Herzinfarkt und ein Schlaganfall festgestellt. Der Kläger meldete das Unfallereignis u[X.]erzüglich an den Versicherer; dieser lehnte am 15. Juli 2004 die Übernahme von Versicherungsschutz ab, weil der stationäre Aufenthalt der Ehefrau des [X.] nicht auf ein Unfallereignis zurückzuführen sei. Die Berufsgenossenschaft lehnte am 25. Februar 2005 Entschädigungsleistungen ebenfalls ab, weil kein Arbeitsunfall vorliege, sondern der Sturz mit Wahrscheinlichkeit ohne äußere Ursache auf den erlittenen Herzinfarkt zurückzuführen sei. Daraufhin beauftragte die Ehefrau des [X.] die beklagten Rechtsanwälte, ihre Ansprüche gegenüber der Berufsgenossenschaft geltend zu machen. Ob sie oder der Kläger die Beklagten gleichzeitig beauftragten, etwaige Ansprüche gegen den Versicherer geltend zu machen, und ob die Eheleute die Beklagten über das Bestehen der Unfallversicherung bei dem Erstgespräch in Kenntnis setzten oder diese durch Einsicht in die diesen Sturz betreffenden Ermittlungsakten von der Unfallversicherung erfuhren, ist zwischen den [X.]en streitig. Im April 2007 wurde die Berufsgenossenschaft verurteilt, Entschädigungsleistungen nach den gesetzlichen Vorschriften zu erbringen, wobei das Sozialgericht nach Beweisaufnahme von einem Arbeitsunfall ausging und Herzinfarkt und Schlaganfall als dessen Folge ansah.

2

Spätestens im Oktober 2007 beauftragte der Kläger die Beklagten mit der Geltendmachung der Versicherungsansprüche gegen den Versicherer. Dieser lehnte eine Leistung ab, weil ein unfallbedingter Dauerschaden entgegen § 7 I (1) [X.] nicht innerhalb eines Jahres eingetreten und nicht innerhalb weiterer drei Monate ärztlich festgestellt und ihm nachgewiesen worden sei. Er erklärte sich jedoch bereit, die Ansprüche auf freiwilliger Basis zu prüfen. Mit Schreiben vom 27. Februar 2008 lehnte er Versicherungsleistungen endgültig ab, weil nach einem von ihm eingeholten Gutachten der bei der Ehefrau des [X.] aufgetretene Herzinfarkt nicht auf ein Unfallgeschehen rückführbar sei.

3

Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz wegen falscher anwaltlicher Beratung. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] das landgerichtliche Urteil aufgehoben, den [X.] dem Grunde nach festgestellt und die Sache an das [X.] zurückverwiesen. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie die Zulassung der Revision und die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen möchten.

II.

4

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Urteil ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

5

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagten hätten mit ihrem Anspruchsschreiben vom 23. Oktober 2007 die Fristen nach § 7 I (1) [X.] nicht versäumt. Denn nach § 7 I (1d) der Versicherungsbedingungen könne sich der Versicherer auf diese Fristen nicht berufen, wenn der Versicherungsnehmer den Unfall rechtzeitig gemeldet habe und nicht schriftlich auf die Fristen hingewiesen worden sei. Keine der [X.]en habe einen solchen Hinweis durch den Versicherer behauptet. [X.] sei der Anspruch des [X.] auf die Versicherungsleistungen noch nicht verjährt gewesen. Der Leistungsanspruch des [X.] gegen den Versicherer sei frühestens im Jahr 2005 fällig geworden und deswegen nach § 12 [X.] aF frühestens Ende des Jahres 2007 verjährt. Die Beklagten seien unstreitig jedenfalls im Oktober 2007 beauftragt worden, die Versicherungsansprüche geltend zu machen. Sie hätten deswegen den Kläger auf die Notwendigkeit einer Leistungsklage gegen den Versicherer noch im [X.] hinweisen müssen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger diesen Rat befolgt und den Klageauftrag erteilt hätte, zumal er rechtsschutzversichert gewesen sei. Deswegen sei ihm ein Schaden in Höhe seines berechtigten Leistungsanspruchs gegen den Versicherer entstanden, den er durch das Fehlverhalten der Beklagten nicht habe realisieren können. Auch der Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten sei nicht verjährt. Der Kläger habe erst im Jahr 2010 Kenntnis von der Falschberatung durch die Beklagten erhalten, so dass ein Anspruch nach § 199 Abs. 1 BGB zum Zeitpunkt der [X.] noch nicht verjährt gewesen sei.

6

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht die Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) durch das Berufungsgericht, das seine Hinweispflicht aus § 139 ZPO verletzt hat.

7

a) Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der [X.]en auf rechtliches Gehör ([X.], Beschluss vom 23. April 2009 - [X.], [X.], 1028 Rn. 5; [X.] 84, 188, 189 f). Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Verfahrensbeteiligten, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Ein Gericht verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Februar 2005 - [X.], [X.]-Report 2005, 936 mwN; vom 15. März 2006 - [X.], [X.], 225 Rn. 4 mwN; [X.], NJW 2003, 2524; [X.] 84, 188, 190; 86, 133, 144 f). Die grundrechtliche Gewährleistung des rechtlichen Gehörs vor Gericht schützt auch das Vertrauen der in erster Instanz siegreichen [X.] darauf, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Vorinstanz nicht folgen will und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Sachvortrags erforderlich sein kann ([X.], Beschluss vom 15. März 2006 - [X.], [X.], 225 Rn. 4 mwN; vom 26. Juni 2008 - [X.], [X.] Rn. 5; vom 23. April 2009, aaO).

8

b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung des [X.] die Klage gegen die in erster Instanz obsiegenden Beklagten dem Grunde nach für berechtigt erklärt und hat dabei auf rechtliche Gesichtspunkte abgestellt, die bis dahin von den [X.]en und dem erstinstanzlichen Gericht nicht beachtet worden waren. Der Kläger hat Klage und Berufung im Wesentlichen damit begründet, die Beklagten seien noch vor Ablauf der 15 Monate des § 7 I (1) [X.] beauftragt worden, die Ansprüche insbesondere auf I[X.]aliditätsleistung gegen den Versicherer geltend zu machen, und hat sich zum Beweis auf die Aussage seiner Ehefrau und seine Angaben als [X.] berufen. Zwar hat er ebenfalls geltend gemacht, die Beklagten hätten nach dem ablehnenden Schreiben des Versicherers vom 29. November 2007 nicht alle Unterlagen vorgelegt und nach dem ablehnenden Schreiben des Versicherers vom 27. Februar 2008 nicht zur Klageerhebung geraten, diese Vorwürfe standen aber nicht im [X.] des klägerischen Vorbringens und wurden vom [X.] unter Hinweis auf die Fristen des § 7 I (1) [X.] entsprechend der von den [X.]en geteilten Rechtsauffassung zurückgewiesen. Zwischen den [X.]en bestand Einigkeit, dass die Fristen des § 7 I (1) [X.] nicht eingehalten waren und hätten eingehalten werden müssen. Demgegenüber hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf § 7 I (1d) der Vertragsbedingungen darauf abgestellt, dass sich der Versicherer mangels einer entsprechenden Belehrung auf die Frist nicht hätte berufen dürfen. Es hätte deswegen die Beklagten auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt nach § 139 ZPO hinweisen müssen. Denn es hätte mit einem Vortrag der Beklagten zu den vom Kläger geltend gemachten versicherungsrechtlichen Ansprüchen rechnen müssen. Einen entsprechenden Hinweis hat das Berufungsgericht nicht erteilt (vgl. § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO).

9

3. Das angefochtene Urteil beruht auf der dargestellten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Dies ist bereits dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei [X.] Vorgehen anders entschieden hätte ([X.], Beschluss vom 24. Oktober 2013 - [X.], NJW-RR 2014, 172 Rn. 8 mwN; vom 3. Juli 2014 - [X.], [X.], 1679 Rn. 15). So verhält es sich im Streitfall. Denn das Berufungsgericht hat die Pflichtwidrigkeit der Beklagten darin gesehen, diese hätten Ansprüche des [X.] gegen den Versicherer auf Zahlung von Krankenhaustagegeld und I[X.]aliditätsleistung verjähren lassen, die zum Zeitpunkt ihrer unstreitigen Beauftragung im [X.] noch nicht verjährt gewesen seien. Eine Pflichtwidrigkeit der Beklagten liegt aber nur dann vor, wenn die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche gegen den Versicherer bestanden und die Klage deswegen Aussicht auf Erfolg hatte. Nur dann mussten die Beklagten dem Kläger zur Klageerhebung raten. Es kann deswegen nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht anders entschieden hätte, wenn die Beklagten nach Erteilung des geschuldeten Hinweises dazu vorgetragen hätten, der Kläger habe bislang die geltend gemachten Versicherungsansprüche nicht schlüssig dargelegt, weil er weder die Voraussetzungen eines Unfallereignisses im Sinne der Versicherungsbedingungen noch die weiteren Voraussetzungen der I[X.]aliditätsleistung nach § 7 I (1a) der Versicherungsbedingungen dargelegt habe.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass im Anwaltshaftungsprozess jedenfalls dann, wenn dem Anwalt wie hier vorgeworfen wird, seine Vertragspflichten bei der Durchsetzung eines Anspruchs - sei es in einem Prozess oder außergerichtlich - verletzt zu haben, die Frage, ob jener Anspruch überhaupt bestand, zu dem gehört, was für den Erlass eines Grundurteils nach § 304 ZPO feststehen muss. Eine andere Beurteilung würde zu einer ungerechtfertigten Verzögerung und Verteuerung des Regressprozesses führen ([X.], Urteil vom 13. Mai 1980 - [X.], [X.], 867, 868). Deswegen muss das Berufungsgericht vor erneutem Erlass eines Grundurteils prüfen, ob dem Kläger aus dem Versicherungsvertrag Leistungsansprüche auf Krankenhaustagegeld und auf I[X.]aliditätsentschädigung zustanden. Das gilt vorliegend umso mehr, als das Berufungsgericht die Pflichtwidrigkeit der Beklagten darin sieht, den Kläger im [X.] nicht zur Erhebung einer Klage gegen den Versicherer geraten zu haben.

Das Berufungsgericht wird weiter zu berücksichtigen haben, dass die jeweiligen Leistungsansprüche aus der Unfallversicherung eigenständig und unabhängig voneinander sind (vgl. [X.]/[X.], Handbuch Versicherungsrecht, 6. Aufl., § 16 Rn. 168). Das hat auch Folgen für die Zulässigkeit eines Grundurteils. Denn nach der Rechtsprechung des [X.] kann bei einem Klagebegehren, das sich aus mehreren [X.] zusammensetzt, ein einheitliches Grundurteil nur ergehen, wenn feststeht, dass jeder der Teilansprüche dem Grunde nach gerechtfertigt ist ([X.], Urteil vom 29. Juli 2003 - [X.], [X.], 1884, 1888). Deswegen muss für alle geltend gemachten Ansprüche feststehen, dass im Betragsverfahren voraussichtlich etwas übrig bleibt, das dem Kläger zugesprochen wird (vgl. [X.], ZPO, 7. Aufl., § 304 Rn. 8). Daher muss nicht nur wegen des [X.], sondern auch wegen der I[X.]aliditätsleistung eine Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Anspruch des [X.] in irgendeiner Höhe besteht.

Kayser                          Gehrlein                          Pape

                  Grupp                           Möhring

Meta

IX ZR 263/13

17.09.2015

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 25. Oktober 2013, Az: 10 U 1530/12

§ 304 Abs 1 ZPO, § 276 BGB, § 280 BGB, § 670 BGB, §§ 670ff BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.09.2015, Az. IX ZR 263/13 (REWIS RS 2015, 5259)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 3453 WM 2016, 534 REWIS RS 2015, 5259

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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