Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.10.2017, Az. IV ZR 188/16

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 3722

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2017:181017UIVZR188.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
IV ZR
188/16
Verkündet am:

18. Oktober 2017

Heinekamp

Amtsinspektor

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja

[X.]Z: nein

[X.]R:

ja

[X.] Nr. 10.3

Die Regelung in [X.] (hier: Nr.
10.3 [X.]), wonach der Vertrag durch den Versicherungsnehmer oder den Versicherer durch Kündigung beendet werden kann, wenn der Versicherer eine Leistung erbracht hat, ist dahin auszulegen, dass das Kündigungsrecht mit der ersten Leistung beginnt.

[X.], Urteil vom 18. Oktober 2017 -
IV ZR 188/16 -
OLG Celle

[X.]

-
2
-

Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch die
Vorsitzende Richterin [X.], [X.], Dr.
Karczewski, die Richterin Dr.
Brockmöller und den Richter Dr.
Götz
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2017

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8.
Zi-vilsenats des [X.] vom 7.
Juli 2016 unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
das [X.] die Beklagte verurteilt hat, an den Kläger [X.] über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.
September
2010
zu zahlen.
Im Umfang der Aufhe-bung wird
die Sache zur neuen Verhandlung und Ent-scheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte

soweit noch für das Revisionsver-fahren von Belang

auf Leistungen aus einer Unfallversicherung wegen zweier Unfälle vom 8.
Oktober 2009 und 2.
März 2010 seiner mitversi-cherten und inzwischen verstorbenen Ehefrau in Anspruch.
Dem
Versi-cherungsvertrag zwischen den Parteien
liegen die Allgemeinen Unfall-1
-
3
-

versicherungs-Bedingungen
der
Beklagten
(im Folgenden: [X.]
2000)
zugrunde. In diesen heißt es unter anderem:

"2.1 Invaliditätsleistung

2.1.1 Voraussetzungen
für die Leistung

2.1.1.1
Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähig-keit beeinträchtigt (Invalidität).

Die Invalidität ist
-
innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall

eingetreten

2.1.2 Art und Höhe der Leistung

2.1.2.2.1 Bei Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane [X.] ausschließlich die folgenden
Invaliditätsgrade:

a) Arm

70%

Bein bis zur Mitte des Oberschenkels
60%

2.1.2.2.2 Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale [X.] oder geistige Leistungsfähigkeit
insgesamt beein-trächtigt ist. Dabei sind ausschließlich medizinische Ge-sichtspunkte zu berücksichtigen.

2.1.2.2.3 Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd be-einträchtigt, wird der Invaliditätsgrad um die Vorinvalidität gemindert. Diese ist nach Ziffer
2.1.2.2.1 und Zif-fer
2.1.2.2.2 zu bemessen.

-
4
-

9. Wann sind die Leistungen fällig?

9.4 Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall,
er-

10.
Wann beginnt und wann endet der Vertrag?

10.3 Kündigung nach Versicherungsfall

Den Vertrag können Sie oder wir durch Kündigung been-den, wenn wir eine Leistung erbracht oder Sie gegen uns Klage auf Leistung erhoben haben.
Die Kündigung muss Ihnen oder uns spätestens einen
Mo-nat nach Leistung oder -
im Falle eines Rechtsstreits
-
nach Klagerücknahme, Anerkenntnis, Vergleich oder Rechtskraft des Urteils zugegangen sein.

Am 23.
April 2008 erlitt die mitversicherte Ehefrau bei einem Sturz eine Schenkelhalsfraktur links, die mit einem künstlichen Hüftgelenk ver-sorgt wurde. Aufgrund dieses Unfalles
zahlte die Beklagte gemäß Schreiben vom 9.
Juli 2008 Krankenhaustagegeld, vom 19.
Mai 2009 ei-nen
Invaliditätsvorschuss sowie gemäß Abfindungserklärung vom 21.
Juli 2009 einen Endbetrag. Mit Schreiben vom 13.
August 2009
kündigte die Beklagte die Unfallversicherung gemäß Ziff.
10.3 [X.]
2000 unter Be-zugnahme auf den Unfall vom 23.
April 2008.

Am 8.
Oktober 2009 stürzte die Ehefrau auf die linke Schulter und erlitt eine [X.]kopffraktur. In einem für die Beklagte erstatteten [X.] vom 8.
November 2010 stellte der Sachverständige Dr.
P.

als Folge dieses Unfalles eine drastische Einschränkung der [X.] fest und bemaß die Funktions-2
3
-
5
-

minderung mit 10/20
Armwert.
Ferner stürzte die Ehefrau am 2.
März 2010 und zog sich eine Tibiakopffraktur am linken Knie zu.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Krankenhaustagegeld
sowie Invali-ditätsentschädigung für die beiden Unfälle vom 8.
Oktober 2009 und 2.
März 2010 in Anspruch. Das [X.] hat der Klage in Höhe von
72.317

eiliger Zinsen teilweise stattgegeben. Auf die wech-selseitigen Rechtsmittel der Parteien hat das [X.] die Be-rufung der Beklagten zurückgewiesen und unter Zurückweisung des [X.] Rechtsmittels des [X.] die Beklagte
verurteilt, an den Kläger insgesamt 89.717

vom [X.] zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiter eine Ab-weisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten hat teilweise Erfolg. In diesem Umfang führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache
an das Berufungsgericht.

[X.] Dieses
ist

nach ergänzender Beweisaufnahme durch weitere Gutachten des schon in erster Instanz tätigen Sachverständigen Dr. M.

zu dem Ergebnis gelangt, dem Kläger stünden Ansprüche aus dem Unfall seiner Ehefrau vom 8.
Oktober 2009 wegen der erlittenen Ober-armkopffraktur zu. Zum Zeitpunkt des Unfalles habe die Versicherung noch bestanden. Die von der Beklagten erklärte Kündigung vom 13.
Au-gust 2009 sei nicht wirksam, da die Kündigungsfrist nicht gewahrt sei. Diese habe mit der Leistung des [X.] gemäß Schrei-4
5
-
6
-

ben vom 9.
Juli 2009 begonnen. Das Kündigungsrecht entstehe nach Ziff.
10.3 [X.], wenn der Versicherer eine von mehreren unfallbe-dingt geschuldeten Leistungen oder eine dem Grund und der Höhe nach festgestellte Teilleistung erbracht habe. Der durchschnittliche Versiche-rungsnehmer könne der Klausel nicht entnehmen, dass dem Versicherer nach jeder weiteren Leistung ein neues, selbständiges Kündigungsrecht zustehen solle. Jedenfalls greife zugunsten des Versicherungsnehmers die Unklarheitenregelung des §
305c Abs.
2 BGB ein.

Infolge des Unfalles
stehe dem Kläger neben dem Krankenhausta-gegeld von 11.417

in der vom [X.] zuerkannten Höhe von 60.900

zu. Durch den Unfall sei ei-ne dauerhafte Funktionseinschränkung an dem Schultergelenk eingetre-ten. Diese führe zu
einem
Invaliditätsgrad von 35%. Maßgeblicher Zeit-punkt für die Invaliditätsbemessung sei die [X.], da der Kläger noch vor Ablauf der [X.]sfrist klageweise Invaliditätsansprü-che geltend gemacht habe. Ausgehend von dem Ablauf der [X.] am 8.
Januar 2011 sei von einem [X.] von 10/20 Armwert auszugehen. Die Beklagte sei dafür beweis-pflichtig, dass innerhalb der [X.] bis zum 8.
Oktober 2012 et-waige Veränderungen eingetreten seien. Diesen Beweis habe sie nicht geführt. Zwar habe der Sachverständige zum Zeitpunkt der [X.] am 20.
November 2013 festgestellt, dass keine "frozen shoulder" mehr vorgelegen habe. Es lasse sich jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass diese Verbesserung bereits am 8.
Oktober 2012 eingetreten sei. Ließe man hingegen für eine Reduzierung der In-validitätsleistung im Rahmen der [X.] genügen, dass bei Ab-lauf der [X.] noch mit einer zukünftigen Verbesserung zu [X.]
-
7
-

nen sei, müsse jedenfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine solche Prognose verlangt werden. Daran fehle es hier.

Hinsichtlich
des
Unfalles
vom 2.
März 2010 habe der Kläger einen
Anspruch auf Invaliditätsentschädigung in Höhe von 17.400

e-frau habe durch den Unfall eine Tibiakopffraktur des linken Knies erlitten. Unter Berücksichtigung der
Vorinvalidität des Knies betrage der [X.] rechnerisch 11,25% (1/4 von 60% =
15%, abzüglich anteiliger Vorinvalidität von einem Viertel). Die Vorinvalidität des Hüftgelenks sei dem Bein nicht zuzuordnen, so dass insoweit kein weiterer Abzug in [X.] komme.

I[X.] Das hält rechtlicher Nachprüfung überwiegend nicht stand.

1.
Unfall vom 8.
Oktober 2009

a) Entgegen der Auffassung der Revision bestand der
Unfallversi-cherungsvertrag
zwischen den Parteien zum Zeitpunkt des Unfalles vom 8.
Oktober 2009 ([X.]kopffraktur) allerdings noch. Die von der [X.] erklärte
Kündigung war nicht wirksam, da die Kündigungsfrist gemäß Ziff.
10.3 Satz
2
[X.] nicht eingehalten wurde. Die einmo-natige Kündigungsfrist begann mit der Zahlung des [X.] durch die Beklagte gemäß Schreiben vom 9.
Juli 2008 und war zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung am 13.
August 2009 abgelaufen.

aa) Die Frage, wie die Kündigungsfrist in Ziff.
10.3 [X.], die den in der
Unfallversicherung verwendeten Standardbedingungen ent-spricht
(vgl. etwa Ziff. 10.3 [X.], abgedruckt bei [X.]/[X.], 7
8
9
10
11
-
8
-

[X.] 29. Aufl. S.
2778), zu berechnen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Nach überwiegender Auffassung entsteht das Kündigungsrecht für jede Vertragspartei, sobald eine Leistung aus dem Versicherungsvertrag er-bracht wurde, mithin mit der ersten Leistung (vgl. LG München
I VersR 1981, 249; HK-[X.]/[X.], 3.
Aufl. Ziff.
10 [X.] Rn.
5; [X.], Un-fallversicherung
5.
Aufl. Ziff.
10 [X.] Rn.
20, 26; [X.]/[X.], 2.
Aufl.
§
178 Rn.
10; [X.], Ziff.
10 [X.] Rn.
6; [X.] in [X.], [X.]. [X.] Ziff. 10 Rn. 46; Mangen in
Beckmann/[X.], Versicherungsrechts-Hand-buch
3. Aufl.
§ 47 Rn. 123; vgl. auch [X.] in [X.]/[X.], [X.] Ziff. 10 [X.] Rn. 22). Nach der Gegenauffassung wird
das Kündigungsrecht demgegenüber mit jeder Teilleistung neu [X.] (so insbesondere [X.], Unfallversicherung [X.] 2014 2.
Aufl. Ziff.
10 Rn.
6; vgl. zur Problematik ferner [X.] in [X.]/[X.], [X.] 29.
Aufl. Ziff.
10 [X.] Rn.
6).

[X.]) Die überwiegende Auffassung trifft zu. Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Klausel. Danach kann der Vertrag durch jede Vertrags-partei beendet werden, wenn der Versicherer "eine Leistung erbracht" hat. Bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen kommt es nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s darauf an, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismög-lichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit -
auch -
auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom [X.] auszugehen. Der mit dem [X.] verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang sind zusätzlich zu be-rücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind
12
-
9
-

([X.]surteil vom 1.
April 2015 -
[X.], [X.], 617 Rn.
13 m.w.[X.]). Auf dieser Grundlage wird ein durchschnittlicher Versiche-rungsnehmer die Klausel dahin verstehen, dass das Kündigungsrecht einsetzt, sobald eine Leistung seitens des Versicherers erbracht worden ist. Dem [X.] lässt sich an keiner Stelle entnehmen, dass das Kündigungsrecht mit weiteren Leistungen jeweils neu entsteht. [X.] hätte dies zur Folge, dass dem Versicherer je nach Anzahl der von ihm erbrachten Teilleistungen eine für den Versicherungsnehmer unab-sehbare Zahl von [X.] zustünde. Ebenso wenig ist der Klausel zu entnehmen, dass das Kündigungsrecht und damit der Fristlauf erst mit der Abschlussleistung des Versicherers einsetzt, durch die die Gesamtentschädigung geleistet wird. Dies wird dem Versicherungsneh-mer im Wortlaut der Klausel, die unterschiedslos auf "eine Leistung" [X.], nicht verdeutlicht.

Auch aus dem dem Versicherungsnehmer erkennbaren Sinn und Zweck der Klausel erschließt sich ihm nicht, dass dem [X.] ein neues Kündigungsrecht für den gesamten Vertrag zusteht, [X.] er eine Teilleistung erbracht hat. Das Sonderkündigungsrecht nach Eintritt des Versicherungsfalles und Leistung des Versicherers soll [X.] dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit geben, sich vom Vertrag lösen zu können, wenn er mit der Regulierungspraxis des Versicherers nicht zufrieden ist, sowie umgekehrt dem Versicherer, wenn er Anlass hat, an der Redlichkeit des Versicherungsnehmers zu zweifeln, oder für die Zukunft weitere Schadenfälle erwartet (vgl. [X.]/[X.], 2.
Aufl. §
178 Rn.
10; [X.] in [X.], [X.] 9.
Aufl. Ziff.
10 [X.] Rn.
5). Angesichts dieses auch für den Versicherungsnehmer ersichtlichen
Zwecks
der Klausel erhellt
sich ihm nicht, weshalb dem Versicherer immer neue Kündigungsrechte zustehen sollen, wenn er ein-13
-
10
-

zelne Teilleistungen erbracht hat. Vielmehr
muss sich der Versicherer, sobald er eine Teilleistung aus einem einheitlichen Unfallversicherungs-vertrag erbracht hat, selbst darüber Klarheit verschaffen, ob er am [X.] festhalten will oder nicht.

Zwar sind in der Unfallversicherung -
wie auch hier
-
häufig mehre-re Leistungsarten vereinbart, insbesondere Krankenhaustagegeld und Invaliditätsleistung. In diesen Fällen kann es dazu kommen, dass die Leistungspflicht des Versicherers etwa für [X.] bereits feststeht, bevor abschließende Ermittlungen zu Grund und Höhe der Invaliditätsleistung getroffen wurden. Dies bedeutet aber
nicht, dass dem Versicherer zumindest ein isoliertes Kündigungsrecht für die verschiedenen Leistungsarten zusteht, sobald für diese jeweils eine Leis-tung erbracht wurde (in diese Richtung etwa
[X.] in [X.]/[X.], Private Unfallversicherung Ziff.
10
[X.] Rn.
18). Für eine der-artige Differenzierung nach [X.] für einzelne Leistungsarten ergibt sich aus der hier vereinbarten
Klausel nichts.

[X.] eine Kündigung der Beklagten mithin bereits wegen Ver-fristung aus, so kann die weitere Frage, ob das in Ziff.
10.3 [X.] vereinbarte Sonderkündigungsrecht einer materiellen Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB standhält, offen bleiben.

b) Aus der Unwirksamkeit der Kündigung der Beklagten folgt zu-gleich die Berechtigung der Forderung des [X.] bezüglich des [X.] in Höhe von 11.417

Insoweit bleibt die Revision ohne Erfolg.

14
15
16
-
11
-

Mit Erfolg wendet sie sich demgegenüber gegen die dem Kläger vom Berufungsgericht zugesprochene
Invaliditätsleistung in Höhe von 60.900

Berufungsgericht ist rechtsfehlerhaft unter Verstoß gegen §
180 [X.], der hier gemäß
Art. 1 Abs. 1 und 2 EG[X.]
Anwendung [X.], sowie Ziff.
2.1.1.1 [X.]
von einer dauerhaften Funktionsein-schränkung des Schultergelenks der Ehefrau mit einem Invaliditätsgrad von 10/20 Armwert (= 35%) ausgegangen.

aa)
[X.] nimmt das Berufungsgericht an, die Beklagte sei beweispflichtig für eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der mitversicherten Ehefrau zum Stichtag des 8.
Oktober 2012. Nach ständi-ger Rechtsprechung des [X.]s ist im Recht der Unfallversicherung zwi-schen der Erstbemessung der Invalidität und ihrer [X.] zu un-terscheiden ([X.]surteil vom 18.
November 2015 -
IV ZR 124/15, [X.]Z 208, 9 Rn.
10
m.w.[X.]). Entscheidender Zeitpunkt für die -
entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung
hier maßgebliche -
Erstbemessung der Invalidität ist der Zeitpunkt des Ablaufs der in den [X.] vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist (aaO Rn.
12, 19). Dies ist hier bei der
vereinbarten 15-monatigen Invaliditätseintritts-frist der 8.
Januar 2011. Auf die [X.] kommt es demgegenüber ausnahmsweise an, wenn der Versicherungsnehmer noch vor Ablauf die-ser
[X.]sfrist klageweise Invaliditätsansprüche geltend macht.
In einem solchen Fall gehen die Prozessbeteiligten typischer-weise davon aus, dass der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf einge-leiteten Prozess ausgetragen werden soll einschließlich etwaiger weite-rer Invaliditätsfeststellungen ([X.]surteile vom 18.
November 2015 aaO Rn.
14; vom 4.
Mai 1994 -
IV ZR 192/93, [X.], 971 unter 3 c). So liegt der Fall hier, da die Klage innerhalb der für die [X.] [X.]den [X.], die am 8.
Oktober 2012 ablief, erhoben wurde. In 17
18
-
12
-

einem solchen Fall ist
von einem beidseitigen Einverständnis der [X.] zur Invaliditätsfeststellung zum Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfalltag auszugehen ([X.]surteil vom 4.
Mai 1994 aaO).

Hieraus folgt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts [X.] nicht,
dass in einem derartigen Fall eine gestufte Ermittlung des [X.] in der Weise
zu erfolgen hätte, dass dieser zunächst auf der Grundlage der 15-monatigen Invaliditätseintrittsfrist sowie anschlie-ßend nach Maßgabe der [X.] für die Neufestsetzung [X.] wäre,
und zwar mit
einer Beweislast des Versicherungsnehmers für
den
Invaliditätsgrad
zum
Zeitpunkt
des
Ablaufs
der
15-monatigen In-validitätseintrittsfrist sowie einer
Beweislast des Versicherers für Verän-derungen zum Ende
der [X.]. Insoweit
wird übersehen, dass es in derartigen Fällen nicht um die Neufestsetzung der Invalidität, son-dern weiterhin um deren Erstfestsetzung geht, für die nur deshalb nicht auf die vertraglich vereinbarte Invaliditätseintrittsfrist von 15 Monaten abzustellen ist, weil der Versicherungsnehmer noch innerhalb der für die [X.] maßgeblichen [X.] Klage erhoben hat. Dies ändert indessen nichts daran, dass es sich auch in solchen
Fällen ein-heitlich um die Erstfestsetzung
der Invalidität mit einer den Versiche-rungsnehmer treffenden Beweislast handelt. Dies verkennt das [X.], wenn es ausführt, es könne für die Beweislast keinen [X.] machen, ob der Versicherer eine ordnungsgemäße Erstbemes-sung vorgenommen habe und deshalb nur über die
von ihm verlangte [X.] gestritten werde,
oder er bereits die Erstbemessung verweigert habe.

[X.]) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht ferner angenom-men, nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr.
M.

sei nicht
19
20
-
13
-

davon auszugehen, dass innerhalb der [X.] eine Verbesserung des Gesundheitszustandes eingetreten sei, die eine [X.] der Invalidität rechtfertige. Hierbei verkennt das Berufungsgericht, dass nach §
180 Satz
1 [X.] der Versicherer die für den Fall der Invalidität verspro-chenen Leistungen im vereinbarten Umfang schuldet, wenn die körperli-che oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person unfallbe-dingt dauerhaft beeinträchtigt ist
(ebenso Ziff.
2.1.1.1 [X.]). Eine Beeinträchtigung ist gemäß
§ 180 Satz 2 [X.], der weitgehend die bishe-rige Rechtslage
kodifiziert (BT-Drucks. 16/3945 S. 108; [X.] in [X.]/[X.],
[X.] 29. Aufl. § 180 Rn. 5;
HK-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 180 Rn.
2; kritisch
PK-VersR/Brömmelmeyer,
3.
Aufl. § 180 [X.] Rn. 4; [X.], § 180 [X.] Rn. 4),
dauerhaft, wenn sie vo-raussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung die-ses Zustandes nicht erwartet werden kann. Hieraus folgt, dass bei der Beurteilung der Dauerhaftigkeit auf den drei Jahre nach dem Unfall vor-liegenden und zu diesem Zeitpunkt erkennbaren, d.h. hinreichend prog-nostizierbaren, Dauerzustand abzustellen ist ([X.]surteile vom 20.
April 2005 -
IV ZR 237/03, [X.], 927 unter [X.]; vom 28.
Februar 1990

[X.], [X.], 478 unter 3; vom 13.
April 1988 -
IVa ZR 303/86, [X.], 798; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 29.
Aufl. §
180 Rn.
5; [X.] in [X.], [X.]. §
180 Rn.
23). [X.] der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es mithin nicht ab-schließend auf den Ist-Zustand nach Ablauf der [X.] an, son-dern darauf, ob auf der Grundlage des nach Ablauf der [X.] bestehenden Zustandes ein hinreichend prognostizierbarer Dauerzu-stand zu erwarten ist
oder nicht. Außer Betracht zu bleiben haben ledig-lich spätere Veränderungen, die bei Ablauf der [X.]

seien sie positiv oder negativ nicht vorauszusehen waren (vgl. [X.]surteil vom 20.
April 2005 aaO unter [X.], 3).
-
14
-

[X.] ist ferner die Hilfserwägung
des Berufungsgerichts, es müsse für einen Wegfall der Invaliditätsleistung jedenfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Prognose bezüglich der zukünftigen Verbes-serung des Gesundheitszustandes bestehen. Aus der Regelung in §
180 Satz
2 [X.] ergibt sich vielmehr
im Gegenteil, dass mit Ablauf der Drei-jahresfrist mit Wahrscheinlichkeit von einem Dauerzustand auszugehen sein muss
(vgl. [X.] in [X.] aaO).
Insoweit legt das [X.] erneut eine unzutreffende Verteilung der Darlegungs-
und Beweislast zugrunde, weil es verkennt, dass es hier um die [X.] geht.

2.
Unfall vom 2.
März 2010

Soweit das Berufungsgericht wegen des Unfalles
der Ehefrau des [X.] vom 2.
März 2010 hinsichtlich der Tibiakopffraktur des linken Knies bezogen auf den in der Gliedertaxe vereinbarten Wert für das "Bein bis zur Mitte des Oberschenkels"
von 60% keinen Abzug wegen der Vorinvalidität des Hüftgelenks vorgenommen hat, ist dies -
jedenfalls ohne weitere Sachverhaltsaufklärung

rechtsfehlerhaft. Gemäß Ziff.
2.1.2.2.3 [X.]
wird der Invaliditätsgrad um die Vorinvalidität gemindert, wenn betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt waren. Die [X.] hat eine derartige
Vorinvalidität infolge einer durch das vorge-schädigte Hüftgelenk hervorgerufenen Funktionseinschränkung des [X.] behauptet.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich aus dem [X.]surteil
vom 1.
April 2015 nicht, dass eine solche
Vorinvalidität hier nicht zu berücksichtigen wäre. In dieser Entscheidung hat der [X.] 21
22
23
24
-
15
-

klargestellt, dass der Invaliditätsgrad bei einer Gebrauchsminderung der Schulter nicht nach der Gliedertaxe, sondern den Regeln zur [X.] für andere Körperteile zu ermitteln ist, wenn das [X.] in den Bestimmungen der Gliedertaxe über Verlust oder Funk-tionsunfähigkeit
eines Armes keine Erwähnung findet ([X.], [X.], 617 Rn.
12, 16
f.). Diese Ausführungen beziehen sich allein auf die Feststellung der Invalidität nach der Gliedertaxe im Sinne von Ziff.
2.1.2.2.1 bzw. für andere Körperteile und Sinnesorgane im Sinne von Ziff.
2.1.2.2.2 [X.]. Hier geht es demgegenüber um die Be-rücksichtigung der Vorinvalidität, die in Ziff.
2.1.2.2.3 [X.] geregelt ist. In dem der Entscheidung des [X.]s vom 1.
April 2015 zugrunde lie-genden Sachverhalt betraf die Vorschädigung aus einem früheren Unfall nach der Behauptung des Versicherers den linken Arm infolge einer Teil-durchtrennung der Trizepssehne im Bereich des [X.]. Der [X.] hat hierzu ausgeführt, es bedürfe, wenn man nach richtiger Auslegung der Gliedertaxe die nach dem zweiten Unfall erlittene Dauerschädigung nicht dem Arm, sondern dem linken Schultergürtel zuordne, besonderer Darlegungen, dass die Vorschädigung am [X.] dem von der [X.] "betroffenen Körperteil" im Sinne der Klausel zuzuordnen sei (aaO Rn.
25).

Anders als das Berufungsgericht meint, muss die Vorinvalidität mithin nicht im betroffenen Körperteil selbst vorhanden sein, sondern kann sich auch durch Beeinträchtigungen der Funktionen des [X.] Körperteils infolge der Invalidität eines anderen Körperteils ergeben. Das Berufungsgericht wird nach Zurückverweisung der Sache Gelegen-

25
-
16
-

heit haben, auch die erforderlichen Feststellungen hinsichtlich einer möglichen Vorinvalidität
infolge der Schädigung des Hüftgelenks
zu tref-fen.

[X.] [X.] Dr.
Karczewski

Dr. Brockmöller

Dr. Götz

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 09.12.2014 -
3 O 121/11 -

OLG Celle, Entscheidung vom 07.07.2016 -
8 U 6/15 -

Meta

IV ZR 188/16

18.10.2017

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.10.2017, Az. IV ZR 188/16 (REWIS RS 2017, 3722)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 3722

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IV ZR 188/16 (Bundesgerichtshof)

Private Unfallversicherung: Auslegung der Klausel über die Kündigung des Vertrages nach Erbringung der Leistung


IV ZR 104/13 (Bundesgerichtshof)


IV ZR 104/13 (Bundesgerichtshof)

Private Unfallversicherung: Bemessung der Invaliditätsleistung bei einer Verletzung des Schultergelenks mit dauerhafter Funktionsbeeinträchtigung eines Arms; …


IV ZR 24/10 (Bundesgerichtshof)


IV ZR 124/15 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IV ZR 188/16

IV ZR 104/13

IV ZR 124/15

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.