Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.09.2011, Az. 2 BvR 2228/09

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2011, 3596

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Mindestgröße für Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung einer kreisfreien Stadt gem § 32 Abs 1 S 3 KomVerf BB - fehlende Beschwerdefähigkeit kommunaler Mandatsträger hinsichtlich aus dem Mandat folgender, mithin nicht „jedermann“ zustehender Rechte - Wahlgleichheit vermittelt im Kommunalverfassungsbereich kein mit der Verfassungsbeschwerde rügefähiges subjektives Recht


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine landesgesetzliche Bestimmung der Kommunalverfassung des [X.], die eine Mindestgröße für Fraktionen in Gemeindevertretungen vorsieht.

2

Die Beschwerdeführer wurden am 28. September 2008 in die Stadtverordnetenversammlung der kreisfreien [X.] an [X.] im [X.] gewählt. Ihre Wahl erfolgte auf den Wahlvorschlag der [X.], auf den insgesamt drei Mandatsträger in die Stadtverordnetenversammlung gewählt wurden.

3

Nach § 32 Abs. 1 Satz 3 der Kommunalverfassung des [X.] vom 18. Dezember 2007 (BbgKVerf - [X.]), in [X.] seit 28. September 2008, muss eine Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung einer kreisfreien Stadt eine Mindestgröße von vier Mitgliedern haben. Nach der bis zum 27. September 2008 geltenden Rechtslage reichten gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung für das [X.] ([X.] - [X.]) für die Bildung einer Fraktion bereits zwei Mitglieder aus.

4

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen § 32 Abs. 1 Satz 3 BbgKVerf. Sie [X.], die Norm verletze sie als Kommunalmandatare in ihrem Recht auf formale Gleichheit bei der Ausübung ihres Mandats, welches sich aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG ergebe. Darüber hinaus verletze die angefochtene Vorschrift das Selbstorganisationsrecht der Gebietskörperschaft, wonach diese ihren Geschäftsgang nach den eigenen Erfahrungen und den Vorgaben der Verfassung gestalten dürfe.

5

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist ihre Annahme - mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg - zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Rechte der Beschwerdeführer nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

6

1. Soweit die Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung durch die angefochtene Regelung geltend machen, fehlt es ihnen an der Beschwerdefähigkeit gemäß § 90 Abs. 1 [X.]. Die mit der Verfassungsbeschwerde angefochtene Regelung betrifft die Beschwerdeführer nicht als "jedermann" gemäß § 90 Abs. 1 [X.], sondern als Träger eines Mandats. Belastende Wirkungen ergeben sich für die Beschwerdeführer nur insofern, als ihnen § 32 Abs. 1 Satz 3 BbgKVerf die Möglichkeit nimmt, sich in der Stadtverordnetenversammlung zu einer Fraktion zusammenzuschließen. Damit betrifft die angefochtene Regelung die Beschwerdeführer allein in ihrer Eigenschaft als Kommunalmandatare, mithin als Inhaber eines öffentlichen Amtes (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 2. Juli 1993 - 2 BvR 1130/93 -, Rn. 4, juris).

7

Die Verfassungsbeschwerde ist der spezifische Rechtsbehelf des Bürgers gegen den Staat. Sie ist "jedermann" gegeben, wenn die öffentliche Gewalt in die Sphäre des Bürgers eingreift, die durch Grundrechte oder grundrechtsgleiche Gewährleistungen gegenüber dem Staat gesichert ist. Dagegen sind Streitigkeiten zwischen Staatsorganen nicht in dieser Verfahrensart, sondern in den dafür vorgesehenen [X.]verfahren auszutragen (vgl. [X.]E 15, 298 <302>; 43, 142 <148>), soweit diese eröffnet sind. Dies gilt auch, wenn Abgeordnete geltend machen, in mit ihrem Status verbundenen Rechten verletzt zu sein (vgl. [X.]E 62, 1 <32> m.w.N.).

8

2. Soweit die Beschwerdeführer als Kommunalmandatare eine Verletzung von [X.] in einer kommunalen Vertretungskörperschaft - hier einem Recht auf formale Gleichheit bei der Ausübung des [X.] - geltend machen, fehlt ihnen die Beschwerdebefugnis gemäß § 90 Abs. 1 [X.]. Denn ein rügefähiges subjektives Recht ist nicht ersichtlich. Anders als die Beschwerdeführer meinen, kann das objektivrechtliche Verfassungsgebot des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG nicht, auch nicht in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG, als subjektives Recht eingefordert werden ([X.]E 99, 1 <7 ff.>; [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 3. Juli 2009 - 2 BvR 1291/09 -, juris, und vom 11. Mai 2010 - 2 BvR 511/10 -, juris).

9

a) Für die Rechtsstellung des gewählten [X.] fehlt eine dem Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG entsprechende Vorschrift. Für die Wahlen zum [X.] zählt Art. 38 Abs. 1 GG die [X.] auf, wozu auch die Gleichheit der Wahl zählt. Die [X.] muss auch bei der Entfaltung demokratischer Willensbildung, das heißt im Status und der Tätigkeit des [X.] fortwirken. Sie darf nicht nach dem Wahlakt wieder verloren gehen. Zum Status des parlamentarischen [X.] gehört daher auch das in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Recht auf gleiche Teilhabe am Prozess der parlamentarischen Willensbildung ([X.]E 112, 118 <134>). Dieses verfassungsrechtlich vorgesehene Recht kann ein Bundestagsabgeordneter im [X.] geltend machen (vgl. [X.]E 62, 1 <31 f.>).

b) Auf Landtags- oder Kommunalwahlen ist die Vorschrift nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar (vgl. [X.]E 6, 376 <384>; 99, 1 <7>). Auf [X.] werden die [X.] - somit auch der Grundsatz der Gleichheit der Wahl - durch das Grundgesetz nicht subjektivrechtlich gewährleistet (stRspr, vgl. grundlegend [X.]E 99, 1 <7 ff.>). Sie können daher nicht mit der Verfassungsbeschwerde verteidigt werden ([X.]E 99, 1 <8>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 16. März 2005 - 2 BvR 315/05 -, juris). Das gilt auch, wenn Mitglieder kommunaler Vertretungen Verletzungen ihrer Mitwirkungsrechte geltend machen, die nur aus der Wahl zu dieser Vertretung folgen können ([X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 3. Juli 2009 - 2 BvR 1291/09 -, juris).

Zwar verlangt Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, dass die Grundsätze der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl auch bei politischen Wahlen in den Ländern gelten. Die Länder haben diesem Verfassungsgebot bei der Regelung des Wahlrechts zu ihren Länderparlamenten und auf [X.] zu genügen. Insoweit ermöglicht das Grundgesetz auch eine Kontrolle der Einhaltung dieser Grundsätze durch das [X.], nämlich im Wege der abstrakten Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG oder im Wege der konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ([X.]E 99, 1 <12>). Dabei handelt es sich um Verfahren, in denen zu klären ist, ob der Gesetzgeber den objektivrechtlichen Vorgaben der Verfassung genügt hat (vgl. [X.]E 20, 350 <351>; 46, 34 <36>; 83, 37 <49>).

Allerdings genießen die Länder im Rahmen ihrer Bindung an die Grundsätze des Art. 28 GG im staatsorganisatorischen Bereich Autonomie. Daher ist es ihnen überlassen, das Wahlsystem und Wahlrecht zu ihren Parlamenten und den kommunalen Vertretungen des Volkes selbst zu regeln (vgl. [X.]E 99, 1 <11>). Dazu gehört auch, dass die Länder den [X.] Schutz des Wahlrechts bei politischen Wahlen in ihrem Verfassungsraum allein und abschließend gewährleisten (vgl. [X.]E 99, 1 <12, 17>; [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 16. März 2005 - 2 BvR 315/05 -, juris, vom 9. März 2009 - 2 BvR 120/09 -, juris, vom 3. Juli 2009 - 2 BvR 1291/09 -, juris, und vom 11. Mai 2010 - 2 BvR 511/10 -, [X.] ist es für die Frage nach einer subjektiv-rechtlichen Rügemöglichkeit der formalen [X.] auf [X.] auch ohne Bedeutung, ob die Stadtverordnetenversammlung ein Parlament im staatsrechtlichen Sinne darstellt oder als Organ der Verwaltung anzusehen ist, dem in erster Linie verwaltende Tätigkeiten anvertraut sind (so [X.]E 120, 82 <112>, stRspr).

c) Unerheblich ist es auch, dass die Beschwerdeführer möglicherweise in der Lage sind, ihre Rechte im Wege einer verwaltungsgerichtlichen (negativen) Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO geltend zu machen. Denn hier steht nicht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde in Frage, sondern die Beschwerdebefugnis kommunaler Mandatsträger bei Streitigkeiten, die ihren Status betreffen. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgt schon deshalb nichts anderes, da die Vorschrift keine Gewährleistung der Rechte von Organteilen kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften begründet ([X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 2. Juli 1993 - 2 BvR 1130/93 -, juris). Vielmehr setzt sie stets eine im Interesse des Bürgers gewährte Rechtsposition voraus ([X.]E 83, 182 <194>).

3. Schließlich können die Beschwerdeführer nicht [X.], die angefochtene Regelung verletze das Selbstverwaltungsrecht der [X.]. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgt das Recht der kommunalen Selbstverwaltung. Zur Geltendmachung dieses Rechts wären die Beschwerdeführer nur berechtigt, wenn ihnen im Wege einer Prozessstandschaft die Befugnis zur Geltendmachung der Rechte der Institution, der sie kraft Mandates angehören, eingeräumt worden wäre (vgl. [X.]E 78, 344 <347>). Das ist aber weder vorgetragen noch ersichtlich.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2228/09

05.09.2011

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

Art 28 Abs 1 S 2 GG, Art 38 Abs 1 S 2 GG, Art 3 Abs 1 GG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 32 Abs 1 S 3 KomVerf BB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 05.09.2011, Az. 2 BvR 2228/09 (REWIS RS 2011, 3596)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3596

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