Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.11.2017, Az. I ZR 110/16

1. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 2637

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Gegenstand

Verletzung einer Unionsmarke: Einrede des Inhabers eines älteren Rechts nach Änderung der Unionsmarkenverordnung; Regelung des zeitlichen Rangverhältnisses durch den Prioritätsgrundsatz - form-strip II


Leitsatz

form-strip II

1. Die Neufassung des Art. 127 Abs. 3 UMV, die - anders als Art. 99 Abs. 3 Fall 2 GMV - nicht mehr die Einrede des Inhabers des älteren Rechts vorsieht, hat nichts daran geändert, dass ein älteres Recht der Inanspruchnahme aus der Unionsmarke im Wege der Einrede entgegengesetzt werden kann. Dies folgt aus der Neufassung des Art. 9 Abs. 2 UMV, die durch die ausdrückliche Erwähnung des Prioritätsprinzips klarstellt, dass der Markeninhaber (weiterhin) sein Recht aus der Unionsmarke nicht mit Erfolg gegen die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens geltend machen kann, das Gegenstand eines älteren Rechts ist.

2. Der Prioritätsgrundsatz regelt, wie im Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 UMV zum Ausdruck kommt, das zeitliche Rangverhältnis von Rechten. Einer tatsächlichen Benutzungsform kann mangels Rechtscharakters kein Vorrang im Sinne des Art. 9 Abs. 2 UMV zukommen.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des [X.] vom 28. April 2016 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin und die Beklagte zu 1 stellen Sportartikel her. Die Beklagte zu 2 ist die in [X.] ansässige Tochtergesellschaft der [X.] zu 1, die die Produkte ihrer Muttergesellschaft über das Internet vertreibt.

2

Die Klägerin ist Inhaberin folgender Marken:

- Unions-Bildmarke Nr. 3517646, die am 3. November 2003 angemeldet und am 26. Januar 2006 für Schuhwaren eingetragen wurde und die folgendermaßen beschrieben ist:

Die Marke besteht aus drei gleich großen und gleich breiten, parallel laufenden Streifen, die auf [X.] angebracht sind; die Streifen sind auf der Oberseite des Schuhs auf der Fläche zwischen [X.] und Sohle angebracht:

Abbildung

- [X.] Nr. 39950559, die am 14. Dezember 1999 für "Schuhwaren einschließlich Sport- und Freizeitschuhe" eingetragen worden ist:

Abbildung

- [X.] Nr. 2094933, die am 19. April 1995 für "Sport- und Freizeitschuhe" eingetragen worden ist:

Abbildung

- [X.] Nr. 944623, die am 18. Mai 1976 für "Sport- und Freizeitschuhe" eingetragen worden ist:

Abbildung

- [X.] Nr. 720836, die am 8. Januar 1959 für "Schuhwaren" eingetragen worden ist:

Abbildung

3

Die Beklagte zu 1 ist Inhaberin folgender Marken:

- Unions-Bildmarke Nr. 3513694 mit einer Priorität vom 31. Oktober 2003, eingetragen am 7. Januar 2009 für Waren der Klassen 18, 25 (u.a. Schuhwaren) sowie der Klasse 28:

Abbildung

- [X.] Nr. 968937 mit einer Priorität vom 4. November 1975, eingetragen am 16. März 1978 für Schuhwaren:

Abbildung

- [X.] Nr. 30660586 (sog. "kickback") mit einer Priorität vom 30. September 2006, eingetragen am 7. November 2006 für Waren der Klassen [X.], 25 (u.a. Schuhwaren) und 28:

Abbildung

- Wort-Bild-Marke Nr. 730270 mit einer Priorität vom 7. Februar 1958, eingetragen am 23. Oktober 1959 für Waren der Klasse [X.]:

Abbildung

4

Die [X.] bewarben im Jahr 2013 in ihren Online-Stores folgende Laufschuhe des Typs "[X.]":

Abbildung

Abbildung

5

Die Klägerin hält diese Verwendungsformen der Laufschuhe der [X.] für marken- und wettbewerbswidrig. Sie stützt ihre Ansprüche in erster Linie auf ihre Unionsmarke (Klagemarke 1), hilfsweise auf eine [X.] Benutzungsmarke (§ 4 Nr. 2 [X.]), weiter hilfsweise auf ihre eingetragenen [X.]n Marken in der oben dargestellten Reihenfolge, auf eine notorisch bekannte Marke (§ 4 Nr. 3 [X.]) sowie auf Verstöße gegen das [X.] und die Grundsätze des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes.

6

Die Klägerin hat beantragt,

der [X.] unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verbieten, in der [X.] im geschäftlichen Verkehr Schuhe gemäß nachstehenden Abbildungen anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder zu den genannten Zwecken zu besitzen und/oder einzuführen und/oder auszuführen und/oder zu bewerben, die mit einer Streifen-Kennzeichnung gemäß den nachstehenden Abbildungen versehen sind

[es folgen die oben gezeigten Abbildungen der Schuhmodelle].

7

Die Klägerin hat ferner Ansprüche auf Auskunft und Schadensersatzfeststellung geltend gemacht.

8

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben, nachdem die Klägerin ihre Annexanträge auf das Gebiet der [X.] beschränkt hatte. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgen die [X.] ihren auf Abweisung der Klage gerichteten Antrag weiter.

Entscheidungsgründe

9

I. Das Berufungsgericht hat die geltend gemachten Ansprüche als begründet angesehen und hierzu ausgeführt:

Die angegriffenen Verwendungsformen verletzten die Unionsmarke der Klägerin. Dieser komme eine Kennzeichnungskraft von besonders hoher Intensität zu, so dass bei [X.] die geringe Zeichenähnlichkeit zwischen der [X.] und den angegriffenen Verwendungsformen ausreiche, um eine Verwechslungsgefahr zu begründen. Entgegen der Ansicht des [X.] folge eine normative Beschränkung des Schutzbereichs der [X.] nicht aus dem Umstand, dass die angegriffene Kennzeichnung eine rechtserhaltende Benutzung der prioritätsälteren Unionsmarke Nr. 3513694 der [X.] darstelle. Der Schutzbereich einer Marke sei weder nach der Unionsmarkenverordnung noch nach der zuvor geltenden Gemeinschaftsmarkenverordnung mit Blick auf prioritätsältere Marken Dritter zu bemessen. Nach der Regelung im früher geltenden Art. 99 Abs. 3 Fall 2 [X.] habe der Beklagte gegenüber der Inanspruchnahme aus einer Gemeinschaftsmarke einwenden können, dass die [X.] wegen eines älteren Rechts des [X.] für nichtig erklärt werden könne. Dass die Beklagte im Streitfall die Nichtigerklärung der [X.] erreichen könne, mache sie selbst nicht geltend. Nach neuer Rechtslage regele Art. 99 Abs. 3 [X.] nur noch den Einwand mangelnder ernsthafter Benutzung der [X.]. Der vom [X.] konstruierte Einwand habe keinen Eingang in die Unionsmarkenverordnung gefunden.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg. Die Klage ist zulässig (dazu nachfolgend [X.]). Das Berufungsgericht hat die [X.] zu Recht wegen der Verletzung der Unionsmarke Nr. 3517646 als zur Unterlassung (dazu nachfolgend [X.]) sowie zur Auskunft und zum Schadensersatz (dazu nachfolgend [X.]) verpflichtet angesehen.

1. Die internationale Zuständigkeit [X.] Gerichte, die auch unter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 30. März 2006 - [X.], [X.]Z 167, 91 Rn. 20 - Arzneimittelwerbung im [X.]; Urteil vom 19. März 2015 - [X.], [X.], 1129 Rn. 12 = [X.], 1326 - Hotelbewertungsportal), ergibt sich für die im Inland ansässige Beklagte zu 1 aus Art. 97 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke (nachfolgend: [X.]) und für die in [X.] ansässige Beklagte zu 2 mit Blick auf den inländischen Sitz der Klägerin aus Art. 97 Abs. 2 [X.].

2. Die [X.] sind gem. Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b [X.] sowie Art. 9 Abs. 2 Buchst. b [X.] zur Unterlassung der angegriffenen [X.] verpflichtet.

a) Im Zeitpunkt der behaupteten [X.] galt Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b [X.], der wie folgt lautete:

Art. 9 [X.] Rechte aus der Gemeinschaftsmarke

(1) Die Gemeinschaftsmarke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr

(…)

b) ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder Ähnlichkeit des Zeichens mit der Gemeinschaftsmarke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Gemeinschaftsmarke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird (…).

Art. 99 Abs. 3 [X.] regelte den Einwand des Verfalls und der Nichtigkeit gegen die in Art. 96 Buchst. a [X.] vorgesehene Verletzungsklage:

Art. 99 [X.] Vermutung der Rechtsgültigkeit; Einreden

(…)

(3) Gegen Klagen gemäß Artikel [X.] ist der Einwand des Verfalls oder der Nichtigkeit der Gemeinschaftsmarke, der nicht im Wege der Widerklage erhoben wird, insoweit zulässig, als sich der Beklagte darauf beruft, dass die Gemeinschaftsmarke wegen mangelnder Benutzung für verfallen oder wegen eines älteren Rechts des [X.] für nichtig erklärt werden könnte.

Durch Art. 1 Nummer 11 der am 23. März 2016 in [X.] getretenen Verordnung ([X.]) 2015/2424 vom 16. Dezember 2015 zur Änderung der Verordnung ([X.]) Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke und der Verordnung ([X.]) [X.] zur Durchführung der Verordnung ([X.]) Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 2869/95 über die an das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) zu entrichtenden Gebühren ([X.]. L 341 vom 24.12.2015, [X.]; nachfolgend: [X.] aF) ist an die Stelle des Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b [X.] die Vorschrift des Art. 9 Abs. 2 Buchst. b getreten, der folgenden Wortlaut hat:

Art. 9 [X.] Ausführungsform Rechte aus der Unionsmarke

(1) Mit der Eintragung einer Unionsmarke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr.

(2) Der Inhaber dieser Unionsmarke hat unbeschadet der von Markeninhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem [X.] der Unionsmarke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn

(…)

b) das Zeichen mit der Unionsmarke identisch oder ihr ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist, und für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird (…)

Art. 99 Abs. 3 [X.] erhielt durch Art. 1 Nr. 92 der Verordnung ([X.]) Nr. 2015/2424 folgende Fassung:

Art. 99 [X.] aF

(…)

(3) Gegen Klagen gemäß Artikel [X.] ist der Einwand des Verfalls der Unionsmarke, der nicht im Wege der Widerklage erhoben wird, insoweit zulässig, als sich der Beklagte darauf beruft, dass die Unionsmarke wegen mangelnder ernsthafter Benutzung zum Zeitpunkt der Verletzungsklage für verfallen erklärt werden könnte.

Mit Wirkung vom 1. Oktober 2017 sind nunmehr die mit Art. 9 und 99 [X.] aF wortgleichen Bestimmungen der Art. 9 und 127 der Verordnung ([X.]) Nr. 2017/1001 vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke ([X.]. Nr. L 154 vom 16. Juni 2017, [X.]; nachfolgend: [X.]) maßgeblich.

b) Die Revision wendet sich nicht gegen die Feststellungen des Berufungsgerichts, die [X.] der [X.] erfolge im geschäftlichen Verkehr und sei markenmäßig. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich. Die vorstehend dargestellten Rechtsänderungen haben auf diese Voraussetzungen des Verletzungstatbestands keine Auswirkungen (vgl. [X.], Urteil vom 28. April 2016 - [X.], [X.], 810 Rn. 18 = [X.], 1252 - profitbricks.es; Teilurteil vom 3. November 2016 - [X.], [X.], 520 Rn. 23 = [X.], 555 - MICRO COTTON).

c) [X.] der Revision, es bestehe keine Verwechslungsgefahr zwischen der [X.] 1 und der angegriffenen [X.], hat keinen Erfolg.

aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, der [X.] 1 komme eine Kennzeichnungskraft von besonders hoher Intensität zu. Sie genieße eine durch umfangreiche Benutzung für Sportschuhe und Sportbekleidung im [X.] und europäischen Spitzensport in ganz [X.] eine außerordentlich hohe Bekanntheit. Zwischen den Waren, für die die [X.] 1 geschützt sei, und den in der angegriffenen Weise gekennzeichneten Waren bestehe [X.]. Es bestehe eine jedenfalls geringe Zeichenähnlichkeit. Die [X.] der Klägerin zeige drei parallel verlaufende, gleich breite und gleich große, auf der Oberfläche des Schuhs zwischen Sohle und Schnürsenkel angebrachte, zur Schuhoberfläche farblich kontrastierende Streifen, die leicht schräg in Richtung der Schuhspitze gekippt seien und deren Zwischenraum im Vergleich zur [X.] etwas dünner sei. Die angegriffene Kennzeichnung bestehe aus drei parallel geschwungenen, anfangs in etwa gleich breiten Streifen, die an der Außenseite des Schuhs von der Mitte der Sohle bis zur Schnürung nach oben verliefen. Sie verjüngten sich zunächst nur wenig und seien nur leicht in Richtung der Ferse gekippt, kippten dann jedoch scharf kurvenartig nach hinten in Richtung der Ferse, wobei sie sich gleichzeitig schlagartig auf einen Bruchteil des Durchmessers im [X.] verjüngten, um dann nur leicht nach oben ansteigend und parallel bei gleichbleibendem Durchmesser bis zum [X.] zu verlaufen. Der Verkehr nehme sowohl die [X.] als auch die angegriffene Kennzeichnung als drei Streifen wahr, die in der Mitte der [X.] von der Sohle in Richtung der Schnürung vertikal parallel verliefen und durch den deutlich wahrnehmbaren Abstand der relativ breiten Streifen zueinander mit der Schuhoberfläche farblich kontrastierten. Aufgrund der besonders hohen Kennzeichnungskraft der [X.] 1 reiche bei [X.] die geringe Zeichenähnlichkeit aus, um eine Verwechslungsgefahr zu begründen.

bb) Die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Kennzeichnungskraft und [X.] greift die Revision nicht an. Auch im Übrigen vermag die Revision Rechtsfehler in der Beurteilung des Berufungsgerichts nicht aufzuzeigen.

Die Frage, ob eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen den in Betracht zu ziehenden Faktoren, insbesondere der Identität oder der Ähnlichkeit der Zeichen und der Identität oder der Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der älteren Marke, so dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Zeichen oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 28. April 2016 - I ZR 254/14, [X.], 1301 Rn. 44 = [X.], 1510 - Kinderstube; Urteil vom 2. März 2017 - [X.], [X.], 914 Rn. 13 = [X.], 1104 - [X.]/[X.], mwN). Die Prüfung der Verwechslungsgefahr als Rechtsfrage erfordert eine Beurteilung des Gesamteindrucks der Zeichen aus der Sicht der angesprochenen Verkehrskreise, die - etwa im Hinblick auf die Kennzeichnungskraft des Klagezeichens und die Zeichenähnlichkeit - im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegt (st. Rspr.; vgl. [X.], [X.], 914 Rn. 43 - [X.]/[X.], mwN). Diese Beurteilung kann daher im Revisionsverfahren nur darauf überprüft werden, ob der Tatrichter einen zutreffenden Rechtsbegriff zugrunde gelegt und entsprechend den Denkgesetzen und der allgemeinen Lebenserfahrung geurteilt hat und das gewonnene Ergebnis von den getroffenen Feststellungen getragen wird (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 28. April 2016 - I ZR 254/14, [X.], 1301 Rn. 46 = [X.], 1510 - Kinderstube, mwN).

Solche Rechtsfehler zeigt die Revision weder mit Blick auf die einzelnen Voraussetzungen der Verwechslungsgefahr noch hinsichtlich der Gesamtwürdigung auf. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht wegen des hohen Grades der Kennzeichnungskraft der [X.] 1 bei [X.] nur geringe Anforderungen an die Zeichenähnlichkeit gestellt hat.

d) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die angegriffene [X.] stelle als rechtserhaltende Benutzung der Unionsmarke Nr. 3513694 der [X.] zu 1 eine erlaubte [X.] dar, die das Markenrecht der Klägerin normativ begrenze.

aa) Zuzustimmen ist der Revision allerdings darin, dass die Streichung der Einrede des Inhabers des älteren Rechts nach Art. 99 Abs. 3 Fall 2 [X.] keine Rechtsänderung bewirkt hat, weil der Markeninhaber nach der Neufassung des Art. 9 Abs. 2 [X.] sein Recht aus der Unionsmarke gegen die Benutzung eines identischen oder ähnlichen Zeichens, das Gegenstand des älteren Rechts ist, nicht mit Erfolg geltend machen kann.

Der [X.] hat schon für die Gemeinschaftsmarkenverordnung ausgesprochen, dass die Bestimmungen dieser Verordnung im Licht des [X.]s auszulegen sind, dem zufolge die ältere Gemeinschaftsmarke Vorrang vor der jüngeren Gemeinschaftsmarke hat (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2013 - [X.]/11, [X.]. 2013, 337 Rn. 39 = [X.], 614 - FCI/[X.]; zur Verordnung [[X.]] Nr. 6/2002 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster [X.], Urteil vom 16. Februar 2012 - [X.]/10, [X.], 510 Rn. 39 - Celaya Emparanza y Galdos Internacional).

Nach dem Erwägungsgrund 12 der Verordnung ([X.]) 2017/1001 dient die nunmehr geschaffene ausdrückliche Regelung, wonach die Durchsetzung einer Unionsmarke die vor dem Anmelde- oder [X.] der Unionsmarke erworbenen Rechte anderer Inhaber nicht beeinträchtigt, der Gewährleistung der Rechtssicherheit und der vollständigen Übereinstimmung mit dem [X.].

Erwägungsgrund 12 der Verordnung ([X.]) 2017/1001

Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit und der vollständigen Übereinstimmung mit dem [X.], dem zufolge eine eingetragene ältere Marke Vorrang vor einer später eingetragenen Marke genießt, muss vorgesehen werden, dass die Durchsetzung von Rechten aus einer Unionsmarke die Rechte, die Inhaber vor dem Anmelde- oder [X.] der Unionsmarke erworben haben, nicht beeinträchtigt. Dies steht in Einklang mit Artikel 16 Absatz 1 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums vom 15. April 1994.

Die Vorschrift des Art. 9 Abs. 2 [X.], der zufolge das Verbietungsrecht des Inhabers einer Unionsmarke "unbeschadet" der von Markeninhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem [X.] der Unionsmarke erworbenen Rechte besteht, ist mithin dahingehend zu verstehen, dass eine Verletzung der Unionsmarke nicht vorliegt, wenn ihr ältere Rechte Dritter entgegenstehen. Der Anspruch des Verletzungsklägers reicht nur so weit, wie er auf prioritätsältere Rechte verweisen kann (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl., Art. 99 Rn. 1, die allerdings den Einwand relativer Nichtigkeitsgründe nach der Neufassung des Art. 99 Abs. 3 [X.] für ausgeschlossen halten [aaO Rn. 3]).

Zwar haben die Unionsmarkengerichte gemäß Art. 99 Abs. 1 [X.] in der Fassung der Verordnung ([X.]) Nr. 2015/2424 (jetzt: Art. 127 Abs. 1 [X.]) von der Rechtsgültigkeit der Unionsmarke auszugehen, sofern diese nicht durch den [X.] mit einer Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit gemäß Art. 58 bis 60 [X.] angefochten wird. Hiernach ist den [X.] eine Prüfung der Rechtsgültigkeit der Unionsmarke von Amts wegen verwehrt (vgl. [X.], Urteil vom 24. November 2011 - [X.], [X.], 618 Rn. 15 = [X.], 813 - [X.]; [X.], [X.]. 2005, 945, 947). Die Streichung der Einrede des relativen Nichtigkeitsgrundes in Art. 99 Abs. 3 [X.] in der Fassung der Verordnung ([X.]) Nr. 2015/2424 ist jedoch im Zusammenhang mit der Neufassung des Verletzungstatbestands in Art. 9 Abs. 2 [X.] zu sehen. Es entspricht dem im Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 [X.] und dem 12. Erwägungsgrund dieser Verordnung zum Ausdruck kommenden Willen des [X.], dem [X.] bereits im Rahmen des Verletzungstatbestands Geltung zu verschaffen. Auch nach der Neufassung der [X.] ist es daher möglich, der Inanspruchnahme aus dem jüngeren Recht allein durch die Berufung auf das ältere Recht entgegenzutreten, ohne dessen Löschung zu betreiben (aA [X.]/[X.] in [X.]/[X.] aaO Art. 99 Rn. 3; [X.] [X.]/[X.], [X.]. 1. Juni 2017, Art. 99 VO ([X.]) 207/2009 Rn. 13.1).

bb) Ohne Erfolg macht die Revision jedoch geltend, der Inanspruchnahme aus der Unionsmarke der Klägerin stehe im Streitfall der Umstand entgegen, dass es sich bei der angegriffenen [X.] um eine rechtserhaltende Benutzung der Unionsmarke Nr. 3513694 der [X.] zu 1 handelt.

(1) Das Berufungsgericht hat die Frage offengelassen, ob die angegriffene Verwendungsform eine rechtserhaltende Benutzung der Unionsmarke Nr. 3513694 im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a [X.] (jetzt: Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a [X.]) darstellt. Auch wenn hieran in der Sache Zweifel bestehen, weil die angegriffene Zeichennutzung - anders als die Unionsmarke der [X.] zu 1 - eher als drei Einzelstreifen denn als einheitlicher "form strip" erscheinen, ist dies in der Revisionsinstanz zugunsten der [X.] zu unterstellen.

(2) Unter der Geltung des Art. 99 Abs. 3 [X.] war anerkannt, dass der [X.] nur zum Erfolg führte, wenn das ältere Recht des [X.] die [X.] wegen Eingreifens eines relativen Nichtigkeitsgrundes gem. Art. 53 Abs. 1 und 2 [X.] zu Fall bringen konnte (vgl. [X.], [X.]. 2009, 74, 77; [X.] [X.]/[X.], [X.]. 15. Juni 2015, Art. 99 Rn. 26; [X.] [X.]/[X.], [X.]. 1. Februar 2015, Art. 99 [X.] Rn. 11). Voraussetzung des [X.]s war mithin, dass die jüngere Marke und ihr Schutzbereich mit der älteren Marke und deren Schutzbereich identisch waren (Art. 8 Abs. 1 Buchst. a [X.]), Verwechslungsgefahr zwischen jüngerer und älterer Marke bestand (Art. 8 Abs. 1 Buchst. b [X.]), die jüngere Marke den Bekanntheitsschutz der älteren Marke verletzte (Art. 8 Abs. 5 [X.]) oder dass ein älteres sonstiges Kennzeichenrecht der Benutzung der jüngeren Marke entgegenstand (Art. 8 Abs. 4 [X.]).

Die mit der Verordnung ([X.]) Nr. 2015/2424 vorgenommene Änderung des Art. 99 Abs. 3 [X.] hat am Vorrang älterer Rechte gegenüber jüngeren Marken nichts geändert (s. Rn. 26 [[X.] d aa]). Der in Art. 9 Abs. 2 [X.] ausdrücklich erwähnte Vorrang der vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem [X.] der Unionsmarke erworbenen Rechte besteht, wenn - wie in Art. 8 Abs. 1, 4 und 5 [X.] geregelt - die jüngere Marke das ältere Recht verletzt oder das ältere Recht der Benutzung der jüngeren Marke entgegensteht und folglich der Inhaber des älteren Rechts Löschung der jüngeren Marke verlangen kann.

(3) Nach der Beurteilung des Berufungsgerichts kann die Beklagte zu 1 aufgrund ihrer Unionsmarke Nr. 3513694 nicht die Nichtigerklärung der [X.] 1 verlangen. Gegen diese Beurteilung, die Rechtsfehler nicht erkennen lässt, erhebt die Revision keine [X.]. Sie macht auch nicht geltend, die Beklagte zu 1 könne aufgrund der weiteren von ihr gehaltenen Marken die Nichtigerklärung der [X.] 1 erreichen. Es fehlt hinsichtlich der [X.] 1 mithin an einer Kollisionslage, die Voraussetzung einer Prioritätsbetrachtung ist.

Eine Kollisionslage besteht entgegen der Auffassung der Revision auch nicht mit Blick auf die tatsächliche Zeichennutzung der [X.] zu 1, die in der Revisionsinstanz als rechtserhaltende Benutzung ihrer Unionsmarke anzusehen ist. Der [X.] regelt, wie im Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 [X.] zum Ausdruck kommt, das zeitliche Rangverhältnis von Rechten. Einer tatsächlichen Benutzungsform für sich genommen kann mangels Rechtscharakters kein Vorrang im Sinne des Art. 9 Abs. 2 [X.] zukommen. Diese Sichtweise entspricht der zum harmonisierten Markenrecht ergangenen Senatsrechtsprechung, in der Priorität allein Zeichenrechten zugebilligt worden ist (vgl. [X.], Urteil vom 12. Juli 2007 - I ZR 148/04, [X.], 160 Rn. 15 = [X.], 226 - [X.]; Urteil vom 5. Februar 2009 - I ZR 167/06, [X.], 484 Rn. 43 = [X.], 616 - [X.]; Urteil vom 14. Mai 2009 - I ZR 231/06, [X.], 1055 Rn. 52 = [X.], 1533 - airdsl). Die Verwechslungsgefahr ist mit Blick auf das Verhältnis zwischen [X.] und beanstandeter Benutzung zu beurteilen, während die Relevanz prioritätsälterer Gegenrechte allein mit Blick auf das Verhältnis zwischen [X.] und Gegenrecht zu prüfen ist. Die Revisionserwiderung verweist zu Recht darauf, dass tatsächliche Benutzungsformen für den Schutzbereich der [X.] allein im Sonderfall der Schwächung der [X.] eine Rolle spielen können (vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2012 - [X.], [X.], 930 Rn. 40 = [X.], 1234 - [X.]/[X.] B).

Nichts anderes kann auch der von der Revision angeführten Senatsentscheidung "[X.]" entnommen werden (Urteil vom 19. Februar 1998 - I ZR 138/95, [X.], 1034 = [X.], 978). In der dortigen Konstellation war die Beklagte zur Benutzung einer mit dem [X.] identischen Benutzung berechtigt. Hieraus hat der Senat abgeleitet, dass der Angegriffene sich auf das Gegenrecht auch zur Abwehr einer hiermit nur verwechslungsfähigen Bezeichnung stützen könne. Wenn der Angreifer sich schon nicht mit Erfolg gegen eine identische Bezeichnung durchsetzen könne, könne er dieses erst recht nicht gegen eine nur verwechselbare Bezeichnung ([X.], [X.], 1034, 1036 - [X.]). Mithin greift auch in dieser Konstellation die [X.] in den Schutzbereich des älteren Gegenrechts ein. Hieran fehlt es aber im Streitfall, weil die als Gegenrecht angeführten Marken der [X.] zu 1 weder identisch noch verwechslungsfähig mit der [X.] sind.

3. Nach dem Vorstehenden hat das Berufungsgericht auch den Anträgen auf Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht zu Recht stattgegeben.

4. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den [X.] nach Art. 267 Abs. 3 A[X.]V ist nicht veranlasst (vgl. [X.], Urteil vom 6. Oktober 1982 - 287/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 16 = NJW 1983, 1257 - [X.]). Die sich im Streitfall stellenden Fragen zur Auslegung der [X.] sind durch eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] geklärt oder zweifelsfrei zu beantworten.

III. Danach ist die Revision der [X.] mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Büscher     

      

Schaffert     

      

[X.]

      

Koch     

      

Feddersen     

      

Meta

I ZR 110/16

09.11.2017

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 28. April 2016, Az: 6 U 1576/15, Urteil

Art 9 Abs 1 S 2 Buchst b EGV 207/2009, Art 97 EGV 207/2009, Art 99 Abs 3 Alt 2 EGV 207/2009, Art 1 Nr 11 EUV 2015/2424, Art 1 Nr 92 EUV 2015/2424, Art 9 Abs 2 Buchst b EUV 2017/1001, Art 127 Abs 3 EUV 2017/1001

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.11.2017, Az. I ZR 110/16 (REWIS RS 2017, 2637)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 686-687 REWIS RS 2017, 2637


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. I ZR 110/16

Bundesgerichtshof, I ZR 110/16, 09.05.2018.

Bundesgerichtshof, I ZR 110/16, 09.11.2017.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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