Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18.06.2012, Az. 1 BvR 774/10

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2012, 5570

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

SOZIALRECHT FAMILIENRECHT KINDER UNTERHALT

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) durch Zurechnung fiktiven Einkommens bei der Unterhaltsberechnung - Zu den Voraussetzungen für eine Obliegenheit des Unterhaltspflichtigen zur Einkommenserzielung aus zusätzlicher Nebentätigkeit - hier: unzureichende fachgerichtliche Begründung für Erzielbarkeit eines monatlichen Bruttoverdienstes von ca 1740 € durch eine ungelernte Kraft - Grundrechtsverletzung durch Anrechnung eines Entgelts aus fiktiver Nebentätigkeit nicht hinreichend dargelegt - Festsetzung des Gegenstandswertes auf 8000 Euro


Leitsatz

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Februar 2010 - II-4 UF 248/09 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Februar 2010 - II-4 UF 248/09 - wird aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

2. ...

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurechnung fiktiver Einkünfte.

I.

2

1. Der 1964 geborene Beschwerdeführer stammt aus [X.]. Er lebt seit geraumer Zeit in [X.], ist der [X.] jedoch nur unzureichend mächtig. Er ist Vater zweier 1989 und 1997 geborener, in [X.] lebender Töchter sowie eines im Januar 2006 in [X.] geborenen [X.], des [X.] des Ausgangsverfahrens. Der Beschwerdeführer arbeitet seit September 2007 als Küchenhelfer und verdient rund 1.027 € netto im Monat. Er zahlt seinem [X.] monatlich 125 € Unterhalt; diesen Betrag hat er im Ausgangsverfahren anerkannt.

3

a) Das Amtsgericht verurteilte ihn, seinem [X.] ab Juni 2009 den Mindestunterhalt der jeweiligen Altersstufe zu zahlen, dem damals ein Zahlbetrag von 199 € im Monat entsprach.

4

Der Beschwerdeführer sei dem minderjährigen Kläger gemäß § 1603 Abs. 2 BGB gesteigert unterhaltspflichtig. Er trage die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er zur Zahlung des [X.] nicht in der Lage sei. Danach reiche es nicht aus, wenn er vorbringe, als Küchenhelfer bei einer 40-Stunden-Woche lediglich 1.431 € brutto beziehungsweise 1.027 € netto im Monat zu erzielen.

5

Er sei gehalten, alles in seiner Macht stehende zu unternehmen, um eine besser bezahlte Tätigkeit zu finden, mit der er den Mindestunterhalt sicherstellen könne. Es sei davon auszugehen, dass er als ungelernte Arbeitskraft bei entsprechenden Bemühungen eine Erwerbstätigkeit finden könne, welche mit einem Bruttostundenlohn von 10 € vergütet sei. Mit einer derartigen Erwerbstätigkeit könne er im Monat brutto 1.739 € beziehungsweise netto 1.198 € erzielen (Lohnsteuerklasse I, 1,0 Kinderfreibeträge). [X.]man hiervon den seitens des Beschwerdeführers selbst für angemessen erachteten Unterhalt für sein in [X.] lebendes, minderjähriges Kind in Höhe von 122 € im Monat ab, so könne er vom verbleibenden Einkommen in Höhe von 1.076 € unter Berücksichtigung seines Selbstbehalts in Höhe von 900 € den Mindestunterhalt des [X.] in Höhe von 176 € im Monat decken. Den zum Mindestunterhalt verbleibenden Fehlbetrag von 23 € müsse er mit einer Nebentätigkeit erwirtschaften.

6

b) In seiner Berufung verwies der Beschwerdeführer insbesondere darauf, dass er keinen Bruttostundenlohn von 10 € erzielen könne. Mit seinem eigenen Bruttostundenlohn von 8,37 € liege er bereits über dem mit seinen Qualifikationen grundsätzlich erzielbaren Einkommen. Die Aufnahme einer Nebentätigkeit sei ihm nicht zumutbar, da er 40 Stunden die Woche und täglich von 6.00 Uhr bis 15.30 Uhr arbeite. Auch lasse sich an Samstagen keine entsprechende Nebentätigkeit finden.

7

c) Das [X.] wies die Berufung mit der Begründung zurück, das Amtsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nicht dargetan beziehungsweise nachgewiesen habe, sich in dem nach § 1603 Abs. 2 BGB erforderlichen Maße um die Sicherung des [X.] bemüht zu haben. [X.] könne bei gehörigen Bemühungen einen [X.]von 10 € erzielen. Das Berufungsvorbringen habe keine Gründe genannt, die eine Abweichung von diesem Erfahrungswert zuließen. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer bei entsprechenden, hier nicht gegebenen Bemühungen keine Chance auf eine entsprechende Vergütung habe. Überdies sei ihm zuzumuten, zur Sicherung des [X.] am Wochenende eine geringfügige Nebentätigkeit auszuüben.

8

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG.

9

Das [X.] habe seine persönliche Situation nicht berücksichtigt, sondern ihm ohne weitere Begründung fiktiv ein für ihn persönlich nicht erzielbares Einkommen angerechnet. Die Annahme des [X.]s, er könne als [X.] bei entsprechenden Bemühungen einen Bruttostundenlohn von 10 € erzielen und damit ein Einkommen erwirtschaften, welches die Leistung des titulierten Unterhalts im Wesentlichen zulasse, überschreite die Grenze des [X.]. Außerdem habe das [X.] es unzulässigerweise unterlassen, von dem fiktiv angerechneten Einkommen zumindest fiktive pauschale berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von 5 % des Nettoeinkommens abzusetzen.

Es sei unzumutbar, ihm neben seiner Vollzeitbeschäftigung die Aufnahme einer Nebentätigkeit am Wochenende aufzubürden. Die allgemeine Arbeitszeit sei bei gleichzeitiger Intensivierung der Arbeitsleistung auf eine [X.] reduziert worden, so dass eine Nebentätigkeit am Samstag unzumutbar sei.

3. Dem [X.] haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen. Die [X.] Landesregierung und der Kläger des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers geboten ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]. Zur Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das [X.] bereits entschieden sind und die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 [X.]).

1. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Grundrecht auf wirtschaftliche Handlungsfreiheit, soweit ihm fiktive und überdies nicht um fiktive berufsbedingte Aufwendungen bereinigte Einkünfte aus einer besser entlohnten [X.] zugerechnet worden sind.

a) Die Zurechnung eines [X.], welches die Zahlung des ausgeurteilten Kindesunterhalts bis auf den seitens des [X.]festgestellten Fehlbetrag von 23 € im Monat ermöglichen würde, führt zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Beschwerdeführers. Das [X.] hat seine Annahme, der Beschwerdeführer sei bei einem Wechsel seiner Anstellung in der Lage, einen [X.]von 10 € zu erzielen, nicht tragfähig begründet.

aa) Die Auferlegung von Unterhaltsleistungen schränkt den Verpflichteten in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheit ein. Diese ist jedoch nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet, zu der auch das Unterhaltsrecht gehört, soweit es mit Art. 6 Abs. 1 GG in Einklang steht (vgl. [X.] 57, 361 <378>). Der ausgeurteilte Unterhalt darf nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Unterhaltspflichtigen führen (vgl. [X.] 57, 361 <388>). Wird die Grenze des [X.] eines Unterhaltsanspruchs überschritten, ist die Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Verpflichteten im finanziellen Bereich als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann vor Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen (stRspr; vgl. [X.] 57, 361 <381>; [X.]K 6, 25 <28>; 7, 135 <138>; 9, 437 <440>; 10, 84 <87>).

Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht ist § 1603 Abs. 1 BGB. Danach ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Eltern, die sich in dieser Lage befinden, sind gemäß § 1603 Abs. 2 BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Hieraus sowie aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt ihre Verpflichtung zum Einsatz ihrer Arbeitskraft. Daher ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese "bei gutem Willen" aus-üben könnte (vgl. [X.] 68, 256 <270>). Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen wird also nicht allein durch sein tatsächlich vorhandenes Einkommen bestimmt, sondern auch durch seine Erwerbsfähigkeit und seine Erwerbsmöglichkeiten (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 15. Februar 2010 - 1 BvR 2236/09 -, juris Rn. 17; [X.], Urteil vom 9. Juli 2003 - [X.]/00 -, juris Rn. 22; Urteil vom 3. Dezember 2008 - [X.]/06 -, juris Rn. 20).

Gleichwohl bleibt Grundvoraussetzung eines jeden Unterhaltsanspruchs die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten. Das Unterhaltsrecht ermöglicht es den Gerichten, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen. Auch im Rahmen der gegenüber minderjährigen Kindern gesteigerten Erwerbsobliegenheit darf von dem Unterhaltspflichtigen nach § 1603 Abs. 2 BGB nichts Unmögliches verlangt werden. Die Gerichte haben daher im Einzelfall zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige in der Lage ist, den beanspruchten Unterhalt zu zahlen oder ob dieser seine finanzielle Leistungsfähigkeit übersteigt (vgl. [X.], Urteil vom 3. Dezember 2008 - [X.]/06 -, juris Rn. 20).

bb) Diesen Maßstäben hält die Feststellung des [X.]s nicht stand, dem Beschwerdeführer sei es bei einem Arbeitsplatzwechsel möglich, einen Bruttostundenlohn von 10 € zu erzielen.

(1) Die Zurechnung fiktiver Einkünfte, welche die Leistungsfähigkeit begründen sollen, setzt zweierlei voraus. Zum einen muss feststehen, dass subjektiv Erwerbsbemühungen des [X.] fehlen. Zum anderen müssen die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten objektiv erzielbar sein, was von seinen persönlichen Voraussetzungen wie beispielsweise Alter, beruflicher Qualifikation, Erwerbsbiographie und Gesundheitszustand und dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen abhängt (vgl. [X.]K 7, 135 <139>; 9, 437 <440>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 29. Oktober 2009 - 1 BvR 443/09 -, juris Rn. 15; Beschluss der [X.] des [X.] vom 15. Februar 2010 - 1 BvR 2236/09 -, juris Rn. 17; [X.], Urteil vom 30. Juli 2008 - [X.]/06 -, juris Rn. 22; Urteil vom 3. Dezember 2008 - [X.]/06 -, juris Rn. 20).

(2) Es kann dahinstehen, ob der Beschwerdeführer berechtigt gewesen ist, seine bereits länger als zwei Jahre ausgeübte Arbeit und damit seinen relativ sicheren Arbeitsplatz beizubehalten, oder aber unterhaltsrechtlich gehalten war, sich um eine andere, gegebenenfalls besser bezahlte Stelle zu bemühen. Denn das [X.] ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer sich um eine andere Vollzeittätigkeit nicht bemüht habe. Doch hat es nicht tragfähig begründet, dass der Beschwerdeführer mittels eines Arbeitsplatzwechsels objektiv und ihm zumutbar in der Lage wäre, ein Einkommen in der vom [X.] angenommenen und zur Zahlung des titulierten Unterhalts im Wesentlichen ausreichenden Höhe zu erwirtschaften.

Das [X.] hat keine Feststellung dazu getroffen, auf welcher Grundlage es zu der Auffassung gelangt ist, der Beschwerdeführer könne einen Bruttostundenlohn von 10 € und damit das seiner Verurteilung zugrunde liegende Einkommen erzielen. Es ist aus der angegriffenen Entscheidung nicht zu erkennen, dass das [X.] sich an den persönlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten des Beschwerdeführers und an den tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt orientiert hat. Das [X.] musste davon ausgehen, dass den Fähigkeiten des unausgebildeten Beschwerdeführers nur eine Tätigkeit als [X.] entsprach. Zur Höhe eines als [X.] erzielbaren Einkommens hat das [X.] keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Es hat sich insbesondere nicht mit dem derzeit für eine [X.] erzielbaren Lohn beziehungsweise den aktuellen Mindestlöhnen der verschiedenen Branchen auseinandergesetzt. Es hat vielmehr ohne nähere Begründung und ohne seine eigene Sachkunde näher darzulegen festgestellt, [X.] sei es möglich, einen Bruttostundenlohn von 10 € zu erzielen. Angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers und angesichts aktueller Mindestlöhne in [X.] hätte das [X.] jedoch näher begründen müssen, weshalb der Beschwerdeführer seiner Ansicht nach als ungelernter Arbeiter einen [X.]von 10 € erzielen könne (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 15. Februar 2010 - 1 BvR 2236/09 -, juris Rn. 22; Beschluss der [X.] des [X.] vom 11. März 2010 - 1 BvR 3031/08 -, juris Rn. 18). Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdeführer bereits seit September 2007 lediglich einen Bruttostundenlohn von 8,37 € erzielt.

b) Überdies hätte das [X.] von dem fiktiv angerechneten Nettoeinkommen in Höhe von 1.198 € im Monat zumindest fiktive berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von 5 %, also in Höhe von rund 60 € im Monat absetzen müssen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 15. Februar 2010 - 1 BvR 2236/09 -, juris Rn. 21; Beschluss der [X.] des [X.] vom 11. März 2010 - 1 BvR 3031/08 -, juris Rn. 18).

2. Soweit sich der Beschwerdeführer zusätzlich gegen die Anrechnung fiktiver Einkünfte aus einer geringfügigen Nebentätigkeit in Höhe von 23 € im Monat wendet, hat er dagegen eine Verletzung seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit nicht dargetan.

a) Eine über die tatsächliche Vollzeiterwerbstätigkeit hinausgehende Obliegenheit des Unterhaltspflichtigen zur Erzielung von Einkommen, das ihm sodann bei der Unterhaltsberechnung fiktiv zugerechnet wird, kann nur angenommen werden, wenn und soweit ihm die Aufnahme einer weiteren Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist und ihn nicht unverhältnismäßig belastet (vgl. [X.] 68, 256 <267>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 5. März 2003 - 1 BvR 752/02 -, juris Rn. 10). Sollen einem Unterhaltspflichtigen fiktive Nebenverdienste angerechnet werden, ist am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen, ob ihm die zeitliche und physische Belastung durch die zusätzliche Arbeit unter Berücksichtigung auch der Bestimmungen, die die Rechtsordnung zum Schutz der Arbeitskraft vorgibt, abverlangt werden kann (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 5. März 2003 - 1 BvR 752/02 -, juris Rn. 11). Danach ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang es ihm unter Abwägung seiner von ihm [X.] besonderen Lebens- und Arbeitssituation sowie seiner gesundheitlichen Belastung mit der Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten zugemutet werden kann, eine Nebentätigkeit auszuüben (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 5. März 2003 - 1 BvR 752/02 -, juris Rn. 11; [X.], Urteil vom 3. Dezember 2008 - [X.]/06 -, juris Rn. 24). Ferner ist zu prüfen, ob der Arbeitsmarkt entsprechende Nebentätigkeiten für den Betreffenden bietet, wobei auch insoweit die Darlegungs- und Beweislast beim Unterhaltsverpflichteten liegt (vgl. [X.] 68, 256 <270>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 5. März 2003 - 1 BvR 752/02 -, juris Rn. 12).

b) Der Beschwerdeführer hat nicht substantiiert dargetan, dass er an der Aufnahme einer Nebentätigkeit in dem seitens des [X.]s für erforderlich gehaltenen Umfang durch arbeitsrechtliche Bestimmungen, insbesondere §§ 3, 6, 9 [X.], gehindert wäre. Er hat des Weiteren nicht gehaltvoll dargelegt, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine für ihn geeignete Nebentätigkeit vorhanden ist. Schließlich hat er nicht substantiiert dargetan, dass und aus welchen Gründen ihm die Aufnahme einer Nebentätigkeit unter Abwägung seiner besonderen Lebens- und Arbeitssituation sowie seiner Gesundheit nicht zuzumuten ist. Er hat sich auf die Äußerung beschränkt, mit der allgemeinen Arbeitszeitverkürzung sei generell eine Intensivierung der Arbeitsleistung verbunden. Damit hat er jedoch besondere, in seiner Person liegende, der Ausübung einer Nebentätigkeit entgegenstehende Gründe nicht vorgebracht.

3. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem dargestellten Verfassungsverstoß. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 [X.] ist bezüglich der angegriffenen Entscheidung die Grundrechtsverletzung festzustellen, der Beschluss des [X.]s aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Das [X.] wird aufgrund der Rückverweisung Gelegenheit haben, die Zumutbarkeit einer im Umfang über das vom [X.] bislang angenommene Maß hinausgehenden, zur Deckung des [X.] des [X.] im Hinblick auf das dem Beschwerdeführer aus einer Haupttätigkeit anzurechnende Einkommen hinausgehenden Nebentätigkeit neu zu prüfen.

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 [X.]. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Meta

1 BvR 774/10

18.06.2012

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Düsseldorf, 18. Februar 2010, Az: II-4 UF 248/09, Beschluss

Art 2 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 3 ArbZG, § 6 ArbZG, § 9 ArbZG, § 1603 Abs 1 BGB, § 1603 Abs 2 S 1 BGB, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18.06.2012, Az. 1 BvR 774/10 (REWIS RS 2012, 5570)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5570

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