Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.06.2020, Az. VIII R 4/20 (VIII R 49/11), VIII R 4/20, VIII R 49/11

8. Senat | REWIS RS 2020, 3342

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Gegenstand

(Kein Abzug von Aufwendungen für ein Erststudium, das eine Erstausbildung vermittelt, als Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 9 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG)


Leitsatz

1. § 4 Abs. 9 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG erfasst Aufwendungen für ein Erststudium, das eine Erstausbildung vermittelt, auch dann, wenn das Studium objektiv und subjektiv der Förderung einer konkreten späteren Erwerbstätigkeit dient.

2. § 4 Abs. 9 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG ist im Hinblick auf die übertragbaren Ausführungen zu § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG im BVerfG-Beschluss vom 19.11.2019 - 2 BvL 22-27/14 (DStR 2020, 93) mit Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 12 GG und dem Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar.

3. Die rückwirkende Anwendung der Regelung des § 4 Abs. 9 EStG i.V.m. § 52 Abs. 12 Satz 11 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG für die Veranlagungszeiträume ab 2004 ist verfassungsgemäß (s. bereits Senatsurteil vom 05.11.2013 - VIII R 22/12, BFHE 243, 486, BStBl II 2014, 165).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 03.11.2011 - 11 K 467/09 aufgehoben.

Der Einkommensteuerbescheid 2004 vom 19.10.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.02.2007 wird dergestalt geändert, dass weitere Aufwendungen der Kläger für haushaltsnahe Dienstleistungen in Höhe von 132,12 € berücksichtigt werden.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten über den [X.]bzug von [X.]ufwendungen für ein Studium der Klägerin und [X.] (Klägerin) im Streitjahr 2004.

2

Die Klägerin und der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) werden für das Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

3

Die Klägerin war im Streitjahr 19 Jahre alt. Sie besuchte vor dem Zuzug in die [X.] ([X.]) bei ihrem Vater in [X.] ([X.] --[X.]eißrussland--) drei Jahre eine Kunstschule, anschließend studierte sie in [X.]eißrussland an der [X.] Pädagogik. [X.]eder die künstlerische [X.]usbildung beim Vater noch das Studium in [X.]eißrussland beendete die Klägerin durch [X.]bschlussprüfungen. Sie begann im Streitjahr 2004 an der [X.] in [X.] ein Studium der Slawistik und Kunstpädagogik. Dieses Studium schloss sie 2010 mit der Magisterprüfung erfolgreich ab.

4

Bereits während der [X.]usbildung in [X.]eißrussland arbeitete die Klägerin als Künstlerin und Buchillustratorin. Sie erzielte aus dieser Tätigkeit in [X.]eißrussland Einnahmen und führte diese Tätigkeit in [X.] fort.

5

Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --F[X.]--) die Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 19.10.2006 geschätzt hatte, erhoben die Kläger Einspruch. Die Klägerin machte einen Verlust aus ihrer künstlerischen Tätigkeit bei den Einkünften aus selbständiger [X.]rbeit geltend, den sie im Rahmen einer Einnahmen-Überschussrechnung ermittelte. Von den Betriebseinnahmen in Höhe von 120 € zog sie Betriebsausgaben für das im Streitjahr aufgenommene Studium in [X.] ab. Sie trug im Streitjahr studienbezogene [X.]ufwendungen, die auf [X.]rbeitsmittel, Immatrikulationskosten, [X.]ufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung und Fahrtkosten entfielen, in Höhe von 9.043,39 €.

6

Das F[X.] berücksichtigte bei den Einkünften der Klägerin aus selbständiger Tätigkeit die erklärten Betriebseinnahmen abzüglich pauschal geschätzter Betriebsausgaben in Höhe von 25 % und setzte Einkünfte aus selbständiger [X.]rbeit in Höhe von 90 € an. Die [X.]ufwendungen für das Studium berücksichtigte das F[X.] als Sonderausgaben in Höhe von 4.000 € gemäß § 10 [X.]bs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr zunächst geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung der [X.]bgabenordnung und weiterer Gesetze vom 21.07.2004 ([X.], 1753). Es setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr im Rahmen der Einspruchsentscheidung vom 06.02.2007 entsprechend fest.

7

Das Finanzgericht ([X.]) gab der anschließend erhobenen Klage weitgehend statt. Es entschied den Streitfall nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des [X.] ([X.]) vom 07.12.2011 ([X.], 2592). Die Begründung des [X.] ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2012, 305 mitgeteilt.

8

Mit der Revision rügt das F[X.] die Verletzung materiellen Bundesrechts. Mit dem [X.] sei § 4 [X.]bs. 9 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung (EStG) neben § 9 [X.]bs. 6, § 12 Nr. 5 EStG mit Rückwirkung in das Gesetz eingefügt worden. [X.]ufwendungen für ein Erststudium, das eine Erstausbildung vermittle, seien danach keine Betriebsausgaben, sondern Sonderausgaben, die bis zu einem Höchstbetrag von 4.000 € abzugsfähig seien. Dies gelte auch für die [X.]ufwendungen der Klägerin für das Studium in [X.].

9

Das F[X.] beantragt sinngemäß,
das Urteil des Niedersächsischen [X.] vom 03.11.2011 - 11 K 467/09 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 19.10.2006 in Gestalt der Steuerfestsetzung durch die Einspruchsentscheidung vom 06.02.2007 dergestalt zu ändern, dass neben unstreitig noch anzusetzenden [X.]ufwendungen der Kläger für haushaltsnahe Dienstleistungen in Höhe von 132,12 € die [X.]ufwendungen der Klägerin für das Studium --wie bereits geschehen-- in Höhe von 4.000 € als Sonderausgaben berücksichtigt werden.

Die Kläger haben sich im Revisionsverfahren zwar geäußert, waren jedoch nicht gemäß § 62 [X.]bs. 4 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten.

Das unter dem früheren [X.]ktenzeichen VIII R 49/11 geführte Verfahren wurde durch Beschluss des Senats vom 08.12.2014 bis zum Ergehen einer Entscheidung des [X.] ([X.]) im Verfahren 2 BvL 24/14 ausgesetzt. Mit Veröffentlichung des [X.]-Beschlusses vom 19.11.2019 - 2 BvL 22/14, 2 BvL 23/14, 2 BvL 24/14, 2 BvL 25/14, 2 BvL 26/14, 2 BvL 27/14 ([X.] Steuerrecht --DStR-- 2020, 93) endete die [X.]ussetzung des Revisionsverfahrens, welches nunmehr das [X.]ktenzeichen VIII R 4/20 erhalten hat.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist begründet.

Das [X.] hat die [X.]ufwendungen der Klägerin für das Studium in [X.] zu Unrecht als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger [X.]rbeit abgezogen (s. unter [X.] und II.2.). Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif (s. unter II.3.). Die Klage ist in geringem Umfang begründet und im Übrigen abzuweisen (§ 126 [X.]bs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O).

1. Das [X.]-Urteil verletzt Bundesrecht i.S. des § 118 [X.]bs. 1 [X.]O, da die [X.]ufwendungen der Klägerin für das Studium in [X.] keine Betriebsausgaben im Rahmen der Einkünfte aus selbständiger [X.]rbeit sind. Das Studium der Klägerin ist ein Erststudium, das eine Erstausbildung vermittelt, i.S. des § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.] (zur rückwirkenden [X.]nwendung der Regelungen für die Veranlagungszeiträume ab 2004 s. [X.]rt. 2 Nr. 34 Buchst. c, d und g [X.] und § 52 [X.]bs. 12 Satz 11 EStG i.d.[X.]. Die [X.]ufwendungen sind im Streitjahr gemäß § 10 [X.]bs. 1 Nr. 7 EStG als Sonderausgaben bis zum Höchstbetrag von 4.000 € abzugsfähig.

a) Zwar konnte das [X.] die mit Rückwirkung für das Streitjahr in das Gesetz eingefügten Regelungen in § 4 [X.]bs. 9 und § 12 Nr. 5 EStG i.d.[X.] bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen, denn diese Vorschriften sind erst nach Erlass des [X.]-Urteils in [X.] getreten. Eine Gesetzesänderung, die erst nach Erlass des vorinstanzlichen Urteils wirksam geworden ist und eine echte Rückwirkung für den Streitzeitraum beinhaltet, ist jedoch vom [X.] ([X.]) als Revisionsgericht zu beachten. Ein vor Erlass des geänderten Gesetzes ergangenes [X.]-Urteil verletzt danach Bundesrecht, wenn es --wie hier-- im Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] nicht mit dem für das Streitjahr geltenden Recht in Einklang steht (vgl. [X.]-Urteile vom 14.04.1986 - IV R 260/84, [X.]E 146, 411, [X.] 1986, 518; vom 06.11.1973 - [X.]I R 128/71, [X.]E 110, 484, [X.] 1974, 110).

b) Die Voraussetzungen des § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.] sind erfüllt. Die [X.]ufwendungen der Klägerin für das Studium in [X.] sind [X.]ufwendungen für ein Erststudium, das eine Erstausbildung vermittelt, und damit keine Betriebsausgaben.

aa) § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.] konkretisiert wie § 9 [X.]bs. 6 EStG i.d.[X.] für den [X.] den Begriff des [X.] dahingehend, dass die [X.]ufwendungen des Steuerpflichtigen für ein Erststudium, das eine Erstausbildung vermittelt, nicht beruflich veranlasst und damit weder unbeschränkt abzugsfähig sind (§ 2 [X.]bs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 4 [X.]bs. 4 EStG) noch als negative Einkünfte in andere Veranlagungszeiträume zurück- oder vorgetragen werden können (§ 10d EStG).

bb) Mit dem Merkmal des "Erststudiums, das eine Erstausbildung vermittelt" in § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.] grenzt der Gesetzgeber gemischt veranlasste [X.]ufwendungen für ein Erststudium, die nicht unter den [X.] fallen, von [X.]ufwendungen für ein Erststudium ab, die beruflich veranlasst sind. §§ 4 [X.]bs. 9, 9 [X.]bs. 6, 10 [X.]bs. 1 Nr. 7, 12 Nr. 5 EStG i.d.[X.] verdeutlichen die Grundentscheidung des Gesetzgebers, dass eine Erstausbildung auch in Form eines Erststudiums generell der privaten Lebensführung zuzuordnen ist ([X.]surteil vom 05.11.2013 - [X.]II R 22/12, [X.]E 243, 486, [X.] 2014, 165, Rz 16). Da der berufliche [X.] zwischen einer Erstausbildung und der späteren Berufstätigkeit typischerweise nicht hinreichend konkret ist, weist der Gesetzgeber [X.]ufwendungen für eine solche Erstausbildung dem Sonderausgabenabzug und nicht dem Bereich der Einkünfteermittlung zu (vgl. BTDrucks 17/7524, S. 10).

cc) Unter den Begriff des Erststudiums, das eine Erstausbildung i.S. des § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.] vermittelt, fallen somit insbesondere Erststudien, die nach dem Schulabschluss aufgenommen werden ([X.]-Beschluss in [X.], 93, Rz 126). Die Vorschrift erfasst ein Erststudium, das eine Erstausbildung darstellt, jedoch auch, wenn das Studium im Hinblick auf eine bestimmte spätere Erwerbstätigkeit zielgerichtet aufgenommen wird und damit einen konkreten [X.] zu dieser Erwerbstätigkeit aufweist (vgl. [X.]surteil in [X.]E 243, 486, [X.] 2014, 165, für das Jurastudium nach dem [X.]bitur mit dem Ziel einer späteren anwaltlichen Tätigkeit; anders zur früheren Rechtslage noch [X.]-Urteil vom 28.07.2011 - [X.] R 7/10, [X.]E 234, 271, [X.] 2012, 557). Denn auch bei der [X.]usrichtung des Studiums auf eine objektiv und subjektiv angestrebte konkrete Erwerbstätigkeit ist typisierend von gemischten untrennbaren Veranlassungsbeiträgen auszugehen, bei denen der private Beitrag der [X.]ufwandstragung nicht völlig unbedeutend ist (vgl. [X.]-Beschluss in [X.], 93, Rz 131 bis 134).

dd) [X.]uf Grundlage des vom [X.] bindend festgestellten Sachverhalts (§ 118 [X.]bs. 2 [X.]O) und der vorstehenden Grundsätze handelt es sich bei den [X.]ufwendungen der Klägerin für das Studium in [X.] danach um [X.]ufwendungen i.S. des § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.] für ein Erststudium, das eine Erstausbildung vermittelt.

aaa) Das Studium in [X.] war für die Klägerin ein Erststudium. Sie hatte ihr vorheriges Studium der Pädagogik in [X.] nicht durch eine [X.]bschlussprüfung beendet.

bbb) Ferner diente das Studium der Slawistik und Kunstpädagogik in [X.] bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise auch der Erstausbildung der Klägerin. Sie nahm das Studium im Streitjahr im [X.]lter von 19 Jahren auf und betrieb es in Vollzeit, um Kenntnisse zu erwerben, die der angestrebten späteren Vollzeittätigkeit als Künstlerin und Buchillustratorin dienen sollten. Die Klägerin wollte nach ihrem eigenen Vortrag und den Feststellungen des [X.] durch das Studium die Grundlagen für die künstlerische Tätigkeit schaffen. Das Studium förderte danach sowohl die Persönlichkeitsentwicklung als auch die Erwerbstätigkeit der Klägerin. Es liegen untrennbar gemischte Veranlassungszusammenhänge vor, bei denen der private Beitrag der [X.]ufwandstragung nicht völlig unbedeutend ist. Solche [X.]ufwendungen sind nach dem Willen des Gesetzgebers gemäß § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.] vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen und dem Bereich der Sonderausgaben gemäß § 10 [X.]bs. 1 Nr. 7 EStG zugewiesen.

ccc) Etwas anderes gilt auch nicht unter Berücksichtigung der bereits im Streitjahr ausgeübten künstlerischen Tätigkeit der Klägerin.

Die Klägerin war bei [X.]ufnahme des Studiums unter [X.]nwendung des in der Kunstschule und an der [X.] in [X.] Gelernten bereits als Kunstschaffende tätig. Für die Einkünfteerzielung aus einer künstlerischen Tätigkeit ist keine Vorbildung oder förmlich abgeschlossene [X.]usbildung notwendig, weil es für die [X.]nnahme einer künstlerischen Tätigkeit auf die künstlerische Qualität des geschaffenen Werks ankommt (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 18 EStG Rz 102; zur [X.]bgrenzung künstlerischer und nicht künstlerischer Betätigung bei Buchillustrationen Urteil des [X.] Hamburg vom 12.07.1990 - I 294/86, E[X.] 1991, 124). Der [X.] verkennt ferner nicht, dass die Tätigkeit eines Künstlers etwa im Umgang mit Materialien und Techniken in der Regel ganz oder in größerem Umfang auch auf einer autodidaktischen Eigenausbildung beruht und nicht den formalen [X.]bschluss von Bildungsmaßnahmen voraussetzt.

Dennoch verliert ein Erststudium, das eine schon ausgeübte künstlerische Tätigkeit fördern soll, nicht den Charakter einer "Erstausbildung" i.S. des § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.], wenn es objektiv --wie hier-- sowohl der Persönlichkeitsentwicklung als auch der Entwicklung der künstlerischen Fähigkeiten des Steuerpflichtigen dient. Das Studium der Klägerin in [X.] hatte auch unter Berücksichtigung des in [X.] Gelernten, ihrer künstlerischen Eigenausbildung und der schon begonnenen künstlerischen Erwerbstätigkeit nicht den Charakter eines rein beruflich veranlassten berufsbegleitenden Studiums oder einer Zweitausbildung (s. zur Konkretisierung eines überwiegend beruflich veranlassten Studiums auch den [X.]-Beschluss in [X.], 93, Rz 135, 136).

ee) Die [X.]ufwendungen der Klägerin für das Studium in [X.] mindern damit als Sonderausgaben gemäß § 10 [X.]bs. 1 Nr. 7 EStG bis zur Höhe von 4.000 € das zu versteuernde Einkommen im Streitjahr. Das [X.] hat einen Sonderausgabenabzug in dieser Höhe in der angefochtenen Steuerfestsetzung bereits berücksichtigt.

2. Die Regelung des § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.] ist hinsichtlich der Grundentscheidung des Gesetzgebers, gemischt veranlasste [X.]ufwendungen für ein Erststudium, das eine Erstausbildung vermittelt, vom Betriebsausgabenabzug auszuschließen als auch hinsichtlich der [X.]bgrenzung solcher [X.]ufwendungen zu den rein beruflich veranlassten [X.]ufwendungen für eine Zweitausbildung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des [X.]rt. 3 [X.]bs. 1 des Grundgesetzes (GG) und dem Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß [X.]rt. 12 GG vereinbar. Zwar verhält sich der [X.]-Beschluss in [X.], 93 nur zu § 9 [X.]bs. 6 EStG i.d.[X.] und entfaltet auch nur insoweit gemäß § 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes Gesetzeskraft. Der [X.] ist jedoch angesichts der [X.]usführungen in den Entscheidungsgründen des [X.], 93 (Rz 94 ff.), auf die Bezug genommen wird, (weiterhin) von der Verfassungsmäßigkeit des gleichlautenden § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.] überzeugt (vgl. bereits [X.]surteil in [X.]E 243, 486, [X.] 2014, 165, Rz 22; s.a. [X.], [X.], 681, 686).

3. Die steuerliche Berücksichtigung von [X.]ufwendungen für ein Erststudium, das eine Erstausbildung vermittelt, als Sonderausgaben bis zu einem Höchstbetrag von 4.000 € gemäß § 10 [X.]bs. 1 Nr. 7 EStG verletzt auch nicht das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums oder sonstige betroffene Grundrechte ([X.]rt. 1 [X.]bs. 1, [X.]rt. 20 [X.]bs. 1 und [X.]rt. 6 [X.]bs. 1 i.V.m. [X.]rt. 3 [X.]bs. 1 GG). Der [X.] nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf den [X.]-Beschluss in [X.], 93 (Rz 141 ff.) Bezug (s.a. [X.], [X.], 681, 685 f.).

4. Der [X.] ist schließlich (weiterhin) davon überzeugt, dass die rückwirkende Geltung der Vorschrift des § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.] i.V.m. der zeitlichen [X.]nwendungsbestimmung in § 52 [X.]bs. 12 Satz 11 EStG i.d.[X.] im Streitjahr die verfassungsrechtlich geschützten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht verletzt und auch insoweit verfassungsgemäß ist ([X.]surteil in [X.]E 243, 486, [X.] 2014, 165). Diese [X.]uffassung wird vom [X.]. [X.] des [X.] zum gleichlautenden § 9 [X.]bs. 6 EStG i.d.[X.] und der für diesen maßgeblichen [X.]nwendungsbestimmung in § 52 [X.]bs. 23d Satz 5 EStG i.d.[X.] geteilt (vgl. z.B. Vorlagebeschluss des [X.] vom 17.07.2014 - [X.] R 8/12, [X.]E 247, 64, Rz 54, 100 ff.). Das [X.] hat in dem Beschluss in [X.], 93 keine [X.]ussage zur rückwirkenden [X.]nwendung des § 9 [X.]bs. 6 EStG i.d.[X.] getroffen, da diese Frage vor dem [X.] nicht Verfahrensgegenstand war (Rz 92 des Beschlusses in [X.], 93).

5. Die Sache ist spruchreif. Die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr vom 19.10.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.02.2007 ist hinsichtlich der Behandlung der Studienaufwendungen rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 [X.]bs. 1 Satz 1 [X.]O). Die [X.]ufwendungen der Klägerin für das Studium in [X.] wurden vom [X.] zu Recht gemäß § 10 [X.]bs. 1 Nr. 7 EStG in Höhe von 4.000 € als Sonderausgaben in der angefochtenen Steuerfestsetzung berücksichtigt. Die Einkommensteuerfestsetzung ist lediglich hinsichtlich der noch nicht berücksichtigten [X.]ufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen in dem vom [X.] schon während der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] anerkannten Umfang (132,12 €) rechtswidrig. Insoweit ist die Klage begründet und die angefochtene Steuerfestsetzung zugunsten der Kläger zu ändern. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen. Die Berechnung der festzusetzenden Steuer wird dem [X.] übertragen (§ 100 [X.]bs. 2 Satz 2 [X.]O).

6. [X.] beruht auf § 135 [X.]bs. 1 [X.]O. Den Klägern sind trotz des geringfügigen Obsiegens die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Nichts anderes gilt aufgrund des Umstandes, dass über die Revision des [X.] aufgrund der rückwirkend anzuwenden Regelung in § 4 [X.]bs. 9 EStG i.d.[X.] zu Lasten der Klägerin zu entscheiden war. Eine rückwirkende Gesetzesänderung zugunsten des [X.], die erst im Revisionsverfahren zu berücksichtigen ist, hat keine Kostentragung des [X.] gemäß § 137 Satz 2 [X.]O zur Folge (vgl. [X.]-Beschluss vom 27.04.2009 - I R 55/05, juris).

Meta

VIII R 4/20 (VIII R 49/11), VIII R 4/20, VIII R 49/11

16.06.2020

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 3. November 2011, Az: 11 K 467/09, Urteil

§ 4 Abs 9 EStG 2009 vom 07.12.2011, § 10 Abs 1 Nr 7 EStG 2009 vom 07.12.2011, § 52 Abs 12 S 11 EStG 2009 vom 07.12.2011, Art 1 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, Art 12 GG, Art 20 Abs 1 GG, § 9 Abs 6 EStG 2009 vom 07.12.2011, § 12 Nr 5 EStG 2009 vom 07.12.2011, Art 2 Nr 34 BeitrRLUmsG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.06.2020, Az. VIII R 4/20 (VIII R 49/11), VIII R 4/20, VIII R 49/11 (REWIS RS 2020, 3342)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3342

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