Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.11.2013, Az. VIII R 22/12

8. Senat | REWIS RS 2013, 1474

STEUERRECHT STEUERN JURASTUDIUM SELBSTSTÄNDIGKEIT BUNDESFINANZHOF (BFH)

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Gegenstand

Kein Betriebsausgabenabzug für Aufwendungen für ein Studium, welches eine Erstausbildung vermittelt und nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet


Leitsatz

1. Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für ein Erststudium, welches zugleich eine Erstausbildung vermittelt und das nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattgefunden hat, sind nach § 12 Nr. 5 i.V.m. § 4 Abs. 9 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG keine (vorweggenommenen) Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit.

2. Die bereits für die Veranlagungszeiträume ab 2004 anzuwendenden gesetzlichen Neuregelungen in § 12 Nr. 5 und § 4 Abs. 9 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG sind verfassungsgemäß. Sie enthalten weder eine unzulässige verfassungsrechtliche Rückwirkung noch verstoßen sie gegen den Gleichheitssatz i.S. des Art. 3 Abs. 1 GG.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten um den [X.]bzug von [X.]ufwendungen für ein Erststudium als vorweggenommene Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger [X.]rbeit.

2

Der in der Wohnung seiner Eltern in [X.] mit Zweitwohnsitz gemeldete ledige Kläger und Revisionskläger (Kläger) absolvierte seit dem Sommersemester 2003 zunächst an der [X.] und später an der [X.] ein Jurastudium als Erststudium. [X.]m jeweiligen Studienort, an dem er jeweils mit Hauptwohnsitz gemeldet war, unterhielt er eine sog. "Studentenbude" von knapp 25 qm.

3

Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärungen und Erklärungen zur Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge für die Streitjahre 2004 und 2005 machte der Kläger [X.]ufwendungen in Höhe von 5.461 € (2004) bzw. 3.865 € (2005) als vorweggenommene Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger [X.]rbeit geltend. Hiervon entfielen 4.476 € (2004) bzw. 2.649 € (2005) auf Miete und Strom für die Wohnung am Studienort und 192 € (2004) bzw. 140 € (2005) auf Telefonkosten. Das zunächst zuständige Finanzamt [X.] erkannte die erklärten negativen Einkünfte aus selbständiger [X.]rbeit nicht an, setzte die Einkommensteuer für 2004 und 2005 auf 0 € fest und stellte --jeweils unter Fortschreibung des zum 31. Dezember 2003 festgestellten [X.] die verbleibenden Verlustvorträge zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2004 und 31. Dezember 2005 auf jeweils 1.661 € fest.

4

Im anschließenden beim [X.] [X.] geführten Klageverfahren erklärte der Kläger bisher nicht angegebene Einnahmen aus Kapitalvermögen von 2.085 € (2004) und 2.780 € (2005) sowie aus selbständiger [X.]rbeit von 1.000 € (2005) nach. Der inzwischen durch einen Wohnortwechsel des [X.] zuständig gewordene Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --F[X.]--) stellte daraufhin mit geänderten Bescheiden vom 2. November 2009 die verbleibenden Verlustvorträge zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2004 auf 997 € und auf den 31. Dezember 2005 auf 0 € fest. In diesen Bescheiden, die gemäß § 68 der [X.]sordnung ([X.]O) Gegenstand des Verfahrens geworden sind, blieben die Studienkosten weiterhin unberücksichtigt.

5

Mit der daraufhin an das [X.] ([X.]) verwiesenen Klage begehrte der Kläger, seine Studienkosten als vorweggenommene Betriebsausgaben abzuziehen. Das [X.] wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der [X.]e (E[X.]) 2012, 1433 veröffentlichten Urteil vom 18. [X.]pril 2012  10 K 4400/09 F ab.

6

Dagegen richtet sich die Revision. Der Kläger macht geltend, seine Studienkosten müssten als vorweggenommene Betriebsausgaben berücksichtigt werden, andernfalls werde gegen das Nettoprinzip verstoßen. Denn sein Studium der Rechtswissenschaften habe final im Zusammenhang mit seiner späteren, inzwischen ausgeübten Berufstätigkeit als Rechtsanwalt gestanden. Die in § 4 [X.]bs. 9, § 9 [X.]bs. 6 und § 12 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes i.d.[X.] sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften ([X.]) vom 7. Dezember 2011 ([X.], 2592) --EStG-- erfolgte angebliche "Klarstellung", dass [X.]ufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung bzw. ein Erststudium ohne vorangegangene Berufsausbildung keine Betriebsausgaben oder Werbungskosten seien, sei in seinem Fall schon deshalb nicht anzuwenden, weil die in § 52 [X.]bs. 12, [X.]bs. 23d und [X.]bs. 30a EStG angeordnete Geltung der vorgenannten Vorschriften ab dem Veranlagungszeitraum 2004 gegen das Rückwirkungsverbot verstoße und daher verfassungswidrig sei.

7

Der Kläger beantragt,
das [X.]-Urteil aufzuheben und die Bescheide vom 2. November 2009 über die Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge zum 31. Dezember 2004 bzw. zum 31. Dezember 2005 dahin zu ändern, dass der verbleibende Verlustvortrag gemäß § 10d [X.]bs. 4 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung unter Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben in Höhe von 5.461 € (für 2004) und in Höhe von 3.865 € (für 2005) festgestellt wird.

8

Das F[X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Das [X.] hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die angefochtenen Bescheide vom 2. November 2009 über die gesonderte Feststellung der verbleibenden Verlustvorträge zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 2004 und 31. Dezember 2005 rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen (§ 100 Abs. 1 [X.]O).

1. Zutreffend geht das [X.] davon aus, dass es sich bei den Aufwendungen des [X.] um solche für ein Erststudium handelt, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt und nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattgefunden hat. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Es handelt sich daher um Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung, die gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der für die Streitjahre 2004 und 2005 geltenden Fassung bis zu 4.000 € im Kalenderjahr als Sonderausgaben abzugsfähig sind. Zwar ist nach dem Einleitungssatz zu § 10 Abs. 1 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung der Abzug von Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben gegenüber dem Abzug von Aufwendungen als Sonderausgaben vorrangig (Urteile des [X.] --[X.]-- vom 28. Juli 2011 VI R 7/10, [X.], 271, [X.], 557, und VI R 38/10, [X.], 279, [X.], 561). Dass die hier streitigen Aufwendungen indes keine (vorweggenommenen) Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit sind, ordnet § 12 Nr. 5 i.V.m. § 4 Abs. 9 EStG ausdrücklich an. In § 4 Abs. 9 EStG heißt es dazu: "Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, sind keine Betriebsausgaben"; entsprechend ist auch § 12 Nr. 5 EStG formuliert.

§ 4 Abs. 9 und § 12 Nr. 5 EStG sind gemäß Art. 25 Abs. 4 [X.] am Tag nach der Verkündung des [X.], d.h. am 14. Dezember 2011, in [X.] getreten und gemäß § 52 Abs. 12 Satz 11 bzw. § 52 Abs. 30a EStG für Veranlagungszeiträume ab 2004 anzuwenden. Die Auffassung des [X.], bei den Aufwendungen des [X.] handele es sich um Sonderausgaben, ist revisionsrechtlich daher nicht zu beanstanden.

2. Entgegen der Auffassung des [X.] ist die gesetzliche Neuregelung betreffend Aufwendungen für ein Erststudium bzw. eine erstmalige Berufsausbildung außerhalb eines Dienstverhältnisses, die der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 9 und § 12 Nr. 5 EStG sowie § 52 Abs. 12 Satz 11 und Abs. 30a EStG geschaffen hat, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden (so auch Urteil des [X.] des Saarlandes vom 4. April 2012  2 K 1020/09, juris; Urteil des [X.] Münster vom 20. Dezember 2011  5 K 3975/09 F, E[X.] 2012, 612; Urteile des [X.] Köln vom 17. Juli 2013  14 K 3720/12, juris, und 14 K 587/13, E[X.] 2013, 1745; vom 22. Mai 2012  15 K 3413/09, E[X.] 2012, 1735; Urteil des [X.] Düsseldorf vom 14. Dezember 2011  14 K 4407/10 F, E[X.] 2012, 686; im Ergebnis ebenso [X.], [X.] Steuerrecht --DStR-- 2012, 486; [X.], [X.] --[X.]-- 2012, 501; [X.]. in E[X.] 2012, 614; [X.], [X.], [X.]. 1).

a) Die Neuregelungen verstoßen insbesondere nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Rückwirkungsverbot. Da die Rechtsfolgen der Neuregelungen mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten sollen --hier: Veranlagungszeiträume 2004 und 2005-- handelt es sich um einen Fall der sog. echten Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen). Eine solche ist grundsätzlich unzulässig, denn bis zum Zeitpunkt der Verkündung einer Norm, zumindest bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss, müssen die von einem Gesetz Betroffenen grundsätzlich darauf vertrauen können, dass ihre auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des [X.] vom 7. Juli 2010  2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, [X.] 127, 1, [X.], 76, m.w.N.).

b) Dieses Rückwirkungsverbot kann jedoch durchbrochen werden, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte, etwa weil die Rechtslage unklar und verworren war; auch ist es dem Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt, rückwirkend eine Rechtslage festzuschreiben, welche vor der Änderung einer Rechtsprechung einer einheitlichen Rechtspraxis und gefestigter Rechtsprechung entsprach ([X.], Nichtannahmebeschluss vom 15. Oktober 2008  1 BvR 1138/06, [X.], 187, m.w.N.; [X.]-Urteil vom 23. November 1999  1 [X.], [X.] 101, 239; [X.]-Entscheidung vom 19. Dezember 1961  2 BvL 6/59, [X.] 13, 261).

c) Im Streitfall hat der Gesetzgeber mit der Neufassung von § 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG lediglich seine bisherige Auffassung zum Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzugsverbot für Kosten der Erstausbildung, die er bereits in früheren Jahren vertreten und die er im Rahmen des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze ([X.]) vom 21. Juli 2004 ([X.], 1753) nochmals bestätigt hat, erneut bekräftigt. Mit dem [X.] hatte der Gesetzgeber Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung im neu gefassten § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG bis zur Höhe von 4.000 € im Kalenderjahr zum Sonderausgabenabzug zugelassen und gleichzeitig § 12 EStG durch eine neue Nr. 5 ergänzt, wonach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium als nichtabzugsfähige Ausgaben zu bewerten sind, es sei denn, diese Maßnahmen finden im Rahmen eines Dienstverhältnisses statt. Diese Regelung trat gemäß Art. 6 des [X.] mit Wirkung vom 1. Januar 2004 in [X.]. Diesem grundsätzlichen Abzugsverbot für Kosten der beruflichen Erstausbildung entsprach auch die langjährige Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.]-Urteile vom 17. April 1996 VI R 94/94, [X.]E 180, 341, [X.] 1996, 450, m.w.N.; vom 4. Dezember 2002 VI R 120/01, [X.]E 201, 156, [X.] 2003, 403; vom 17. Dezember 2002 VI R 137/01, [X.]E 201, 211, [X.] 2003, 407, und vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, [X.]E 202, 314, [X.] 2004, 884). Diese langjährige Rechtsanwendungspraxis hat der [X.] endgültig erst im Juli 2011 aufgegeben und entschieden, das seit 2004 geltende grundsätzliche Abzugsverbot für Kosten eines Studiums und einer Erstausbildung stehe der Abziehbarkeit beruflich veranlasster Kosten für eine Erstausbildung oder für ein Erststudium selbst dann nicht entgegen, wenn diese Maßnahmen unmittelbar im [X.] an die Schulausbildung durchgeführt werden ([X.]-Urteile vom 28. Juli 2011 VI R 5/10, [X.], 262, [X.], 553; VI R 8/09, [X.]/NV 2011, 2038; VI R 38/10, [X.], 279, [X.], 561; VI R 59/09, [X.]/NV 2012, 19; in [X.], 271, [X.], 557). Auf diese geänderte Rechtsprechung hat der Gesetzgeber reagiert und mit der Neufassung von § 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG lediglich seinen bereits 2004 zu Tage getretenen Willen verdeutlicht. Demgemäß sieht der Gesetzgeber die gesetzlichen Änderungen im [X.] auch lediglich als Klarstellung an (vgl. Bericht des Finanzausschusses vom 26. Oktober 2011 zum Gesetzentwurf, BTDrucks 17/7524, S. 10 f.).

Für den Kläger bestand daher kein schutzwürdiges Vertrauen in die durch die vorgenannten [X.]-Urteile vom 28. Juli 2011 geschaffene Rechtslage. Auch wenn der [X.] ab 2002 die Grenze zwischen den nur als Sonderausgaben abziehbaren Ausbildungskosten und den unter bestimmten Voraussetzungen als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehbaren Fortbildungskosten in Richtung Fortbildungskosten verschoben hat, hat der [X.] die grundsätzliche Abziehbarkeit von Aufwendungen für ein Erststudium, welches zugleich eine Erstausbildung vermittelt, erstmalig mit den vorstehend genannten Entscheidungen vom 28. Juli 2011, d.h. weit nach Ablauf der Streitjahre 2004 und 2005, bejaht. Zutreffend geht das [X.] deshalb davon aus, dass der Kläger aus der Rechtsprechung des [X.] aus den Jahren vor 2011 kein schutzwürdiges Vertrauen herleiten kann.

Nämliches gilt für die geänderte Rechtsprechung des [X.] aus dem Juli 2011. Für die Streitjahre 2004 und 2005 kann sie schon deshalb nicht vertrauensschaffend sein, da sie zum damaligen Zeitpunkt noch niemandem bekannt sein konnte. Ein Vertrauenstatbestand hätte sich deshalb erstmals ab Veröffentlichung der Urteile ab dem 17. August 2011 entwickeln können. Nicht zuletzt aufgrund der sofort aufgekommenen steuerpolitischen Diskussion (vgl. BTDrucks 17/6978 und 17/7259) konnte der Kläger auf den Fortbestand der durch die neuen [X.]-Urteile geschaffenen Rechtslage aber nicht vertrauen, zumal die Neuregelung der §§ 4, 9 und 12 EStG im Rahmen der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des [X.] zum [X.] vom 26. Oktober 2011 bereits weniger als drei Monate nach Veröffentlichung der geänderten [X.]-Rechtsprechung bekannt geworden ist (so auch Urteil des [X.] Münster in E[X.] 2012, 612; Urteile des [X.] Köln in E[X.] 2012, 1735; in E[X.] 2013, 1745; vom 17. Juli 2013  14 K 3720/12, juris; Urteil des [X.] Düsseldorf in E[X.] 2012, 686; Urteil des [X.] des Saarlandes vom 4. April 2012  2 K 1020/09, juris; [X.] in DStR 2012, 486; [X.] in [X.] 2012, 501; [X.] in [X.], [X.]. 1).

d) Die gesetzlichen Neuregelungen in § 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG sowie § 52 Abs. 12 Satz 11 bzw. § 52 Abs. 30a EStG verstoßen auch nicht gegen den Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes in dessen Ausprägung durch das Prinzip der Leistungsfähigkeit und das Gebot der Folgerichtigkeit.

aa) Zutreffend geht die Vorinstanz davon aus, dass der Gesetzgeber die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit nach dem objektiven und nach dem subjektiven Nettoprinzip bemisst. Unabhängig davon, ob dem Nettoprinzip Verfassungsrang zukommt oder nicht, zählt doch die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des Nettoprinzips zu den Grundentscheidungen des Gesetzgebers. Soweit es um die folgerichtige Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung geht, bedürfen Ausnahmen besonderer, sachlich begründeter Rechtfertigung. Als solche kommen insbesondere Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse in Betracht (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Beschluss vom 6. Juli 2010  2 BvL 13/09, [X.] 126, 268, [X.], 318, m.w.N.; [X.]-Urteil vom 9. Dezember 2008  2 BvL 1, 2/07, 2 BvL 1, 2/08, [X.] 122, 210). Eine Typisierung ist eine normative Zusammenfassung bestimmter in wesentlichen Elementen gleich gearteter Lebenssachverhalte. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen. Insbesondere darf der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss [X.] den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen ([X.]-Urteil in [X.] 122, 210).

bb) Auf eine solche Typisierung hat sich der Gesetzgeber mit den Neuregelungen von § 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG durch das [X.] bezogen; nämliches hatte er bereits mit der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG und mit der Neuschaffung des § 12 Nr. 5 EStG durch das [X.] im Jahr 2004 ausdrücklich getan (vgl. BTDrucks 15/3339, [X.]) und seine damalige Auffassung mit der Neufassung der Vorschriften durch das [X.] lediglich nochmals klargestellt (vgl. Bericht des Finanzausschusses zum Gesetzentwurf, BTDrucks 17/7524, S. 10 f.).

cc) Der Senat hat keine Bedenken, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung der Vorschriften [X.] den typischen Fall als Maßstab zu Grunde gelegt hat. Durch die Zuordnung der Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung bzw. für ein Erststudium zu den Sonderausgaben und damit die Beschränkung des Abzugs auf 4.000 [X.] (ab Veranlagungszeitraum 2012 6.000 €) dürfte sich in der überwiegenden Zahl der Fälle in Folge der Versagung des [X.] Betriebsausgabenabzugs keine relevante steuerliche Auswirkung ergeben, auch wenn der Sonderausgabenabzug bei fehlenden positiven Einkünften regelmäßig ins Leere läuft; auch sorgt die Typisierung für mehr Steuergerechtigkeit und vermeidet Wi[X.]prüche zu anderen gesetzlichen Regelungen (vgl. [X.] in [X.] 2012, 501; im Ergebnis ähnlich [X.] in DStR 2012, 486; [X.] in [X.], [X.]. 1; Urteil des [X.] Düsseldorf in E[X.] 2012, 686; Urteil des [X.] Münster in E[X.] 2012, 612; Urteile des [X.] Köln in E[X.] 2012, 1735; in E[X.] 2013, 1745; vom 17. Juli 2013  14 K 3720/12, juris, und Urteil des [X.] des Saarlandes vom 4. April 2012  2 K 1020/09, juris). Dafür spricht nicht zuletzt, dass Berufsausbildungskosten noch nicht im direkten Zusammenhang mit einer konkreten Einnahmenerzielung im Rahmen eines bereits zugesagten Dienstverhältnisses stehen, sondern losgelöst von einem späteren Anstellungsverhältnis zunächst primär der individuellen Bereicherung des Steuerpflichtigen durch die Erlangung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Sinne einer "Ausbildung" dienen (Urteil des [X.] Düsseldorf in E[X.] 2012, 686, m.w.N.). Es handelt sich damit um sog. gemischt veranlasste Aufwendungen, die nicht zwangsläufig dem objektiven Nettoprinzip unterfallen, weil ein unmittelbarer und direkter Anknüpfungspunkt an eine spätere Berufstätigkeit fehlt und möglicherweise auch private Interessen für die Aufwendungen eine Rolle spielen (Urteil des [X.] Münster in E[X.] 2012, 1433). Demgemäß steht es dem Gesetzgeber im Rahmen der ihm zustehenden Gestaltungsfreiheit grundsätzlich frei, ob er Aufwendungen für die berufliche Erstausbildung oder ein Erststudium wegen ihrer Veranlassung durch die Erwerbstätigkeit den Werbungskosten oder Betriebsausgaben zuordnet oder ob er die private (Mit-)Veranlassung systematisch in den Vordergrund stellt und demgemäß eine Zuordnung der Aufwendungen zu den Sonderausgaben vornimmt ([X.]-Beschluss vom 16. März 2005  2 BvL 7/00, [X.] 112, 268; in diesem Sinne auch [X.] in DStR 2012, 486). Die Entscheidung des Gesetzgebers, den mit einer Erstausbildung verbundenen Aufwendungen nur durch den Sonderausgabenabzug Rechnung zu tragen, ist daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und beinhaltet auch keinen Verstoß gegen das subjektive Nettoprinzip ([X.] in DStR 2012, 486; [X.] in [X.] 2012, 501).

Meta

VIII R 22/12

05.11.2013

Bundesfinanzhof 8. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 18. April 2012, Az: 10 K 4400/09 F, Urteil

§ 4 Abs 9 EStG 2009 vom 07.12.2011, § 12 Nr 5 EStG 2009 vom 07.12.2011, § 10 Abs 1 Nr 7 EStG 2009 vom 07.12.2011, Art 3 Abs 1 GG, § 52 Abs 12 S 11 EStG 2009 vom 07.12.2011, § 52 Abs 30a EStG 2009 vom 07.12.2011

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.11.2013, Az. VIII R 22/12 (REWIS RS 2013, 1474)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1474

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvL 22/14, 2 BvL 23/14, 2 BvL 24/14, 2 BvL 25/14, 2 BvL 26/14, 2 BvL 27/14

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