Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 06.12.2013, Az. 2 BvQ 55/13

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2013, 515

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

PARTEIEN BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) STAATSRECHT UND STAATSORGANISATIONSRECHT ABGEORDNETE KOALITIONSVERTRAG MITGLIEDERENTSCHEID

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Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung: Abstimmung der SPD-Mitglieder über Koalitionsvertrag - Unzulässigkeit eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens in der Hauptsache mangels statthaften Beschwerdegegenstandes


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Der Antragsteller beantragt bei verständiger Würdigung seines Begehrens, der [X.] ([X.]) im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, eine Abstimmung ihrer Mitglieder über das Zustandekommen einer Großen Koalition durchzuführen.

2

Zur Begründung seines Antrags trägt er vor, die geplante Abstimmung verstoße gegen Art. 38 Abs. 1 [X.], indem sie das Recht der freien Entscheidung der [X.] des [X.] in unzulässiger Weise einschränke. Sie verstoße außerdem gegen Art. 21 Abs. 1 [X.]. Da die [X.] der [X.] überwiegend von Nichtmitgliedern gewählt worden seien, verfälsche die geplante Abstimmung das Ergebnis der [X.], indem sie letztlich die [X.] von einer Entscheidung ausschließe und damit der [X.] einen zu weitgehenden Einfluss zuweise.

3

Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall - auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache (vgl. [X.] 11, 339 <442>; 27, 152 <156>; 92, 130 <133>) - einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat jedoch keinen Erfolg, wenn der Antrag in der Hauptsache unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. [X.] 71, 158 <161>; 111, 147 <152 f.>; stRspr).

4

Nach diesen Grundsätzen kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung hier nicht in Betracht. Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a [X.], § 90 Abs. 1 [X.] kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum [X.] erheben. Hier fehlt es bereits an einem im Verfahren der Verfassungsbeschwerde angreifbaren Beschwerdegegenstand, denn der Antrag richtet sich nicht gegen einen Akt öffentlicher Gewalt im Sinne dieser Vorschriften.

5

Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] wirken die [X.]en bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Sie erfüllen damit eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe (§ 1 Abs. 1 Satz 2 [X.]engesetz). Mit der Durchführung einer Abstimmung über einen Koalitionsvertrag unter ihren Mitgliedern in Erfüllung dieser öffentlichen Aufgabe übt die [X.] jedoch nicht zugleich auch öffentliche Gewalt im Sinne von Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a [X.], § 90 Abs. 1 [X.] aus. Öffentliche Gewalt ist vornehmlich der Staat in seiner Einheit, repräsentiert durch irgendein Organ (vgl. [X.] 4, 27 <30>; s. auch [X.] 22, 293 <295>; 58, 1 <27>).

6

[X.]en sind nicht Teil des Staates (vgl. [X.] 85, 264 <287 f.>; 107, 339 <361>; 121, 30 <53>). Zwar kommt ihnen aufgrund ihrer spezifischen verfassungsrechtlich abgesicherten Vermittlungsfunktion zwischen Staat und Gesellschaft eine besondere Stellung zu; sie wirken in den Bereich der Staatlichkeit aber lediglich hinein, ohne ihm anzugehören (vgl. [X.] 20, 56 <100 f.>; 73, 40 <85>; 85, 264 <287>; 121, 30 <53>).

7

Jedenfalls der Abschluss einer Koalitionsvereinbarung zwischen - im Übrigen grundrechtsberechtigten (vgl. [X.] 84, 290 <299>) - politischen [X.]en und die dem vorangehende oder nachfolgende parteiinterne Willensbildung wirken nicht unmittelbar und dergestalt in die staatliche Sphäre hinein, dass sie als - auch in einem weit verstandenen Sinn - staatliches Handeln qualifiziert werden könnten. [X.] bedürfen vielmehr weiterer und fortlaufender Umsetzung durch die regelmäßig in Fraktionen zusammengeschlossenen [X.] des [X.], die als Vertreter des ganzen Volkes jedoch an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

8

Diese Vorschrift gewährleistet für jeden der nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 [X.] gewählten [X.] sowohl die Freiheit in der Ausübung seines Mandats als auch die Gleichheit im Status der Vertreter des ganzen Volkes (vgl. [X.] 102, 224 <237 f.>; 112, 118 <134>). So setzt sich insbesondere die Gleichheit der Wahl in der gleichen [X.] aller [X.] fort und hält damit auch in den Verzweigungen [X.] die [X.] Quelle offen, die aus der ursprünglichen, im Wahlakt liegenden Willensbetätigung jedes einzelnen Bürgers fließt (vgl. [X.] 112, 118 <134>).

9

Die politische Einbindung des [X.] in [X.] und Fraktion in [X.] ist zwar verfassungsrechtlich erlaubt und gewollt: Das Grundgesetz weist den [X.]en eine besondere Rolle im Prozess der politischen Willensbildung zu (Art. 21 Abs. 1 [X.]), weil ohne die Formung des politischen Prozesses durch geeignete freie Organisationen eine stabile Demokratie in großen Gemeinschaften nicht gelingen kann (vgl. [X.] 112, 118 <135>; 118, 277 <328 f.>). Die von [X.] - in Ausübung des freien Mandats - gebildeten Fraktionen (vgl. [X.] 80, 188 <219 f.>) sind im Zeichen der Entwicklung zur [X.]endemokratie notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche Faktoren der politischen Willensbildung (vgl. [X.] 80, 188 <219 f.>; 112, 118 <135>).

Im organisatorischen Zusammenschluss geht die Freiheit und Gleichheit des [X.] jedoch nicht verloren. Sie bleibt innerhalb der Fraktion bei Abstimmungen und bei einzelnen Abweichungen von der Fraktionsdisziplin erhalten und setzt sich zudem im außengerichteten Anspruch der Fraktion auf proportionale Beteiligung an der parlamentarischen Willensbildung fort (vgl. [X.] 112, 118 <135>). Wie die politischen [X.]en diesen parlamentarischen Willensbildungsprozess innerparteilich vorbereiten, obliegt unter Beachtung der - jedenfalls hier - nicht verletzten Vorgaben aus Art. 21 und 38 [X.] sowie des [X.]engesetzes grundsätzlich ihrer autonomen Gestaltung.

Es ist nicht erkennbar, dass die vom Antragsteller beanstandete Abstimmung für die betroffenen [X.] Verpflichtungen begründen könnte, die über die mit der Fraktionsdisziplin verbundenen hinausginge. Wie diese kann sie nicht von jedermann mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden (§ 90 Abs. 1 [X.]).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvQ 55/13

06.12.2013

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

Art 21 Abs 1 GG, Art 38 Abs 1 S 1 GG, Art 38 Abs 1 S 2 GG, Art 93 Abs 1 Nr 4a GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 06.12.2013, Az. 2 BvQ 55/13 (REWIS RS 2013, 515)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 515

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M 7 E 18.68

2 BvL 1/13

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