Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.02.2023, Az. 6 StR 9/23

6. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1220

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Gegenstand

Berücksichtigung einer rechtsradikalen/nationalsozialistischen Tätergesinnung bei der Strafzumessung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. September 2022 aufgehoben

a) im gesamten Strafausspruch und

b) hinsichtlich der Einziehung von „110,265 g Koffein“; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis und die Einziehung sichergestellten Marihuanas und Koffeins angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Während der Schuldspruch sowie die Maßregelanordnungen auf die durch die Sachrüge veranlasste umfassende revisionsgerichtliche Überprüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben haben, unterliegt der Strafausspruch durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.

3

a) Das [X.] hat bei seiner Strafzumessung berücksichtigt, dass „es sich bei dem Angeklagten um einen [X.] handelt“, was deutlich mache, dass dieser „nicht nur im vorliegenden strafrechtlichen Kontext, sondern in komplexer Hinsicht dazu disponiert ist, sich über Normen hinwegzusetzen, die ein zivilisiertes Zusammenleben ermöglichen sollen; dies ist strafzumessungserheblich und hat sich zu seinen Lasten ausgewirkt“. Den Schluss auf diese Einstellung des bislang unbestraften Angeklagten hat es aus zahlreichen Gegenständen gezogen, die im Zuge einer Wohnungsdurchsuchung neben den zum Handel bestimmten Betäubungsmitteln sichergestellt werden konnten. Dabei handelte es sich etwa um „ein Buch mit der Aufschrift ‚Adolf Hitler‘“ und um auf einem Mobiltelefon gespeicherte Bilddateien mit [X.] und weiteren auch antisemitischen Inhalten.

4

b) Diese straferschwerende Bewertung hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.

5

aa) Grundlage der Strafzumessung sind die Bedeutung der Tat für die verletzte Rechtsordnung und der Grad der in ihr zutage tretenden persönlichen Schuld des Angeklagten (vgl. [X.], Urteile vom 30. September 1952 – 2 [X.], [X.]St 3, 179, 180; vom 24. Juni 1954 – 4 StR 893/53, NJW 1954, 1416; vom 4. August 1965 – 2 StR 282/65, [X.]St 20, 264, 266; Beschluss vom 20. Juni 2017 − 4 [X.], [X.], 577). Zwar kann auch die Gesinnung des [X.] bei der Strafbemessung berücksichtigt werden (§ 46 Abs. 2 StGB). Dies gilt aber nur, wenn diese aus der Tat spricht, mit ihr also in einem inneren Zusammenhang steht (vgl. [X.], Beschluss vom 21. März 1979 – 4 [X.], NJW 1979, 1835; LK/[X.], 13. Aufl., § 46 Rn. 88). Ein außerhalb der Tatausführung liegendes Verhalten und die Lebensführung des Angeklagten müssen – um eine strafschärfende Bewertung zu eröffnen – mit der Straftat zusammenhängen, auf diese Weise Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zulassen oder Einblick in die innere Einstellung des [X.] zu seiner Tat gewähren (vgl. [X.], Urteile vom 24. Juni 1954 – 4 StR 893/53, NJW 1954, 1416; vom 26. Juli 1983 – 1 [X.], [X.], 21).

6

Nichts anderes gilt für die mit den Gesetzen zur Umsetzung von Empfehlungen des [X.] des [X.] vom 12. Juni 2015 ([X.] I S. 925) und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30. März 2021 ([X.] I S. 441) in § 46 Abs. 2 StGB näher benannten rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründe und Ziele des [X.]. Zwar sollte die Bedeutung dieser Umstände für die gerichtliche Strafzumessung durch ihre gesetzliche Erwähnung stärker hervorgehoben werden und die Aufgabe des Strafrechts widerspiegeln, insbesondere zu Zwecken der positiven Generalprävention, für das Gemeinwesen grundlegende Wertungen zu dokumentieren und zu bekräftigen (vgl. BT-Drucks. 18/3007, [X.]; LK/[X.], aaO, Rn. 77 ff. [X.]; krit. – weil lediglich deklaratorischer Natur – etwa [X.]/[X.], 5. Aufl., § 46 Rn. 96; [X.]/Horn/[X.], 9. Aufl., § 46 Rn. 132). Der schon vom [X.] eingeforderte innere Zusammenhang zur Tat ist aber auch hier zwingend (vgl. LK/[X.], aaO, § 46 Rn. 80; [X.]/[X.]/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 46 Rn. 15c; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 46 Rn. 99).

7

bb) Die deshalb notwendige tatschulderhöhende Beziehung der Gesinnung des Angeklagten zur Tat hat das [X.] nicht dargelegt. Eine solche ergibt sich – anders als möglicherweise bei Aggressions- und Gewaltdelikten – auch nicht ohne Weiteres aus dem Tatbild des festgestellten Betäubungsmittel- bzw. Straßenverkehrsdelikts.

8

cc) Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die [X.] – zumindest auch – insoweit auf das Vorleben des Angeklagten (§ 46 Abs. 2 StGB) in [X.] Weise abgestellt hat.

9

(1) Zwar ist es zulässig, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte weitere nicht abgeurteilte Straftaten begangen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Juni 1981 – 3 [X.], [X.]St 30, 165). Voraussetzung dafür ist aber, dass diese prozessordnungsgemäß festgestellt (vgl. [X.]/[X.], Das Recht der Strafzumessung, 3. Aufl., Teil 4 Kapitel 14 Rn. 19; [X.]/[X.]/von Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 653, 666) und dadurch in ihrem wesentlichen Unwertgehalt abzuschätzen sind (vgl. [X.], Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13, Rn. 22; Beschluss vom 7. Januar 2015 – 2 StR 259/14, [X.], 450).

(2) Ob und mit welchem Ergebnis das [X.] die sichergestellten Gegenstände strafrechtlich bewertet hat, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen. Auch in ihrer Gesamtschau belegen diese nicht, dass der Angeklagte damit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zum Zwecke des Verbreitens (§ 86 StGB) vorrätig hielt (vgl. im Einzelnen MüKo-StGB/Anstötz, 4. Aufl., § 86 Rn. 32 [X.]).

(3) Vielmehr steht die Wertung, der Angeklagte weise eine „komplexe Disposition“ zum Normbruch auf, in einem durch das [X.] nicht aufgelösten Widerspruch zu seinem bisher straffreien Vorleben (vgl. [X.], Urteil vom 18. Oktober 1979 – 4 [X.], [X.], 335).

c) Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das [X.] ohne die beanstandete Erwägung auf niedrigere Strafen erkannt hätte (§ 337 Satz 1 StPO).

2. Auch die Einziehungsentscheidung ist nicht frei von [X.]. Soweit die [X.] neben dem beim Angeklagten sichergestellten Marihuana (§ 33 BtMG) auch 110,265 g Koffein eingezogen hat, tragen die Urteilsfeststellungen die Voraussetzungen des § 74 Satz 1 StGB nicht. Die [X.] hat konkrete Feststellungen zum Einsatz des Koffeins nicht getroffen, sondern lediglich mitgeteilt, dass dieses „mutmaßlich zur Streckung anderer Betäubungsmittel bestimmt war“. Den Urteilsgründen kann auch unter Berücksichtigung ihres Gesamtzusammenhangs kein zuverlässiger Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass dieser Einziehungsgegenstand zur Tatausführung bestimmt war.

3. Bei den hier vorliegenden Wertungsfehlern bedarf es keiner Aufhebung von Feststellungen. Das neue Tatgericht wird über die Strafe und den Umfang der Einziehung nach § 74 StGB auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen zu entscheiden haben, die freilich um solche ergänzt werden dürfen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.

[X.]     

  

Tiemann     

  

Wenske

  

Fritsche     

  

Arnoldi     

  

Meta

6 StR 9/23

07.02.2023

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Rostock, 20. September 2022, Az: 11 Kls 57/22 (2)

§ 46 Abs 1 StGB, § 46 Abs 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.02.2023, Az. 6 StR 9/23 (REWIS RS 2023, 1220)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1220

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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