Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.12.2022, Az. 4 StR 221/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2022, 8462

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Gegenstand

Voraussetzungen einer erweiterten Einziehung von aus nicht verfahrensgegenständlichen Taten erlangten Gegenständen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. Februar 2022 im Einziehungs-ausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die erweiterte Einziehung des bei dem Angeklagten sichergestellten Bargelds in Höhe von 1.950 € sowie in Höhe von 168.495 € angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in weiteren zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten verurteilt. Zudem hat das [X.] die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie Einziehungsentscheidungen getroffen.

2

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

3

1. Der Einziehungsausspruch ist rechtsfehlerhaft, soweit die [X.] gegen den Angeklagten über die Einziehung von [X.] und des Wertes von [X.] hinaus (§§ 73, 73c StGB) die erweiterte Einziehung sichergestellten Bargelds gemäß § 73a Abs. 1 StGB angeordnet hat.

4

a) Nach den Feststellungen stellten die Ermittlungsbehörden im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung bei dem Angeklagten am 1. Juni 2021 Bargeld im Wert von 228.495 € sicher; hiervon waren 60.000 € [X.] aus den abgeurteilten Betäubungsmitteldelikten. In deren Rahmen erwarb der Angeklagte zuletzt am 22. April 2020 33 Kilogramm Marihuana, die er gewinnbringend weiterverkaufte (Fall 7 der Anklage). Das übrige Bargeld sowie in seiner Jacke sichergestellte 1.950 € erlangte er infolge nicht konkretisierter „Betäubungsmittelverkäufe, die nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind“. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das [X.] zudem ausgeführt, der Angeklagte habe die 1.950 € aus weiteren Betäubungsmittelverkäufen erlöst, die zwischen dem 23. April 2020 und dem 1. Juni 2021 erfolgt seien.

5

b) Dies trägt die angeordnete erweiterte Einziehung sichergestellten Bargelds in Höhe von 1.950 € sowie von 168.495 € nicht.

6

aa) Die erweiterte Einziehung von aus nicht verfahrensgegenständlichen Taten erlangten Gegenständen (§ 73a Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass diese Vermögenswerte bei der Begehung der Anknüpfungstat im Vermögen des Angeklagten gegenständlich vorhanden waren (vgl. [X.], Urteil vom 22. September 2022 – 3 StR 238/21 Rn. 13; Beschluss vom 25. Mai 2022 – 4 [X.] Rn. 18; Beschluss vom 8. März 2022 – 3 StR 238/21 Rn. 14; Urteil vom 16. Dezember 2021 – 1 [X.] Rn. 12; Beschluss vom 21. September 2021 – 3 [X.] Rn. 13; Beschluss vom 19. August 2021 – 5 StR 238/21 Rn. 4; Beschluss vom 4. März 2021 – 5 [X.] Rn. 10; jew. zur erweiterten Wertersatzeinziehung, die gemäß § 73c Satz 1 StGB an die Stelle der erweiterten gegenständlichen Einziehung treten kann). Ein solcher zeitlicher Zusammenhang zwischen der urteilsgegenständlichen Tat und den abzuschöpfenden Erträgen aus anderen Delikten war bereits im Rahmen des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB aF erforderlich (vgl. BT-Drucks. 11/6623, [X.]; [X.], Beschluss vom 23. Mai 2012 – 4 [X.] Rn. 6). Daran hat sich durch das Gesetz zur Reform der Vermögensabschöpfung nichts geändert (vgl. [X.], Beschluss vom 21. September 2021 – 3 [X.] Rn. 13 mwN). [X.] werden kann im Wege der erweiterten Einziehung von [X.] nur dasjenige illegal Erlangte, das der Angeklagte zur Tatzeit der abgeurteilten Delikte in seiner Verfügungsgewalt hatte. Das später Erlangte unterfällt § 73a Abs. 1 StGB hingegen nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 8. März 2022 – 3 StR 238/21 Rn. 14; Beschluss vom 4. März 2021 – 5 [X.] Rn. 10).

7

bb) Das [X.] hat diese Maßgaben aus dem Blick verloren und nicht geprüft, ob die nach § 73a Abs. 1 StGB eingezogenen Geldmittel zumindest während der zuletzt begangenen abgeurteilten Tat schon im Vermögen des Angeklagten vorhanden waren (vgl. auch [X.], Beschluss vom 19. August 2021 – 5 StR 238/21 Rn. 4; s. zudem zur Einziehung von Bargeld [X.], Urteil vom 14. Juli 1993 – 3 StR 251/93 Rn. 7). Die Ausführungen der [X.] im Rahmen der Beweiswürdigung weisen vielmehr dahin, dass der Angeklagte erst zu einem späteren Zeitpunkt die Erträge aus anderen rechtswidrigen Taten vereinnahmte. Selbst wenn das letzte abgeurteilte Delikt (Fall 7 der Anklage) mit Blick auf einen noch durchzuführenden Absatz der Betäubungsmittel nicht schon am Tag ihres Erwerbs im April 2020 beendet gewesen sein sollte (vgl. allgemein [X.] in [X.]/[X.]/[X.], BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 630), könnte der Angeklagte die mehr als 13 Monate später sichergestellten weiteren Geldmittel erst nach der Begehung (Beendigung) dieser Tat erlangt haben.

8

c) Die erweiterte Einziehung kann sich auch nicht auf die gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellte und in den Urteilsgründen festgestellte Tat im Fall 10 der Anklage als Anknüpfungstat stützen. Danach besaß der Angeklagte zum Zeitpunkt der Durchsuchung am 1. Juni 2021 Betäubungsmittel in nicht geringer Menge zum Eigenkonsum (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Durch die Verfahrenseinstellung besteht insoweit jedoch das Verfahrenshindernis fehlender Anhängigkeit, weshalb diese Tat keine die (erweiterte) Einziehung im Strafverfahren tragende Anknüpfungstat sein kann (vgl. allgemein [X.], Beschluss vom 21. Juni 2022 – 4 [X.] Rn. 8; Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 1 [X.] Rn. 13 mwN). Auch § 73a Abs. 1 StGB gestattet selbst kein objektives Verfahren [X.], StGB, 69. Aufl., § 73a Rn. 9). Vielmehr hätte es insoweit eines Antrags der Staatsanwaltschaft nach § 435 StPO bedurft, die erweiterte Einziehung aufgrund der eingestellten Tat als Anknüpfungstat im selbständigen Verfahren gemäß § 76a Abs. 1 und 3 StGB anzuordnen (vgl. zu dessen Anwendbarkeit auf die erweiterte Einziehung [X.] in [X.], 13. Aufl., § 73a Rn. 18; s. zudem bereits BT-Drucks. 11/6623, [X.] zu § 73d StGB aF). Ein solcher Antrag ist nicht gestellt worden; die Erwähnung der [X.] in der Anklage und im Schlussantrag der Staatsanwaltschaft genügt dazu nicht (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 6. Januar 2021 – 5 [X.] Rn. 2; Beschluss vom 8. November 2018 – 4 [X.] Rn. 11; Beschluss vom 12. Dezember 2017 – 3 [X.] Rn. 4).

9

d) Der Senat kann die erweiterte Einziehung nach § 73a Abs. 1 StGB nicht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO entfallen lassen. Denn er vermag nicht auszuschließen, dass ein neues Tatgericht noch Feststellungen treffen kann, die eine erweiterte Einziehung sichergestellten Bargelds auch im subjektiven Verfahren rechtfertigen.

2. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

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Meta

4 StR 221/22

20.12.2022

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Siegen, 8. Februar 2022, Az: 21 KLs 59/21

§ 73 StGB, § 73a Abs 1 StGB, § 73c StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.12.2022, Az. 4 StR 221/22 (REWIS RS 2022, 8462)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8462

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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