Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.05.2012, Az. IV ZR 224/10

4. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 6154

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Gegenstand

Verletzung des rechtlichen Gehörs: Fehlender Protokollhinweis auf Verhandlung der Parteien zum Beweisergebnis


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 3. September 2010 zugelassen.

Das vorgenannte Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 95.000 €

Gründe

1

I. Die Parteien streiten darüber, ob die Rentenleistungspflicht aus der von der Klägerin bei der [X.] gehaltenen [X.] zum 1. Februar 2010 geendet hat. Die derzeit berufsunfähige Klägerin meint, die Beklagte müsse ihr - längstens bis zum 1. Februar 2033 - weiterhin die vereinbarte Rente von jährlich 30.677,51 € (entsprechend ursprünglich vereinbarter 60.000 DM) zahlen. Dazu hat sie sich zum einen auf die Auslegung des Versicherungsvertrages, zum anderen darauf berufen, der Versicherungsagent der [X.] habe ihr sowohl anlässlich der hier maßgeblichen Vertragsänderung im Jahre 1986 als auch später wiederholt zugesagt, eine etwaige Berufsunfähigkeitsrente werde bis zum Jahr 2033 gezahlt.

2

Das Berufungsgericht hat die letztgenannten Behauptungen der Klägerin für entscheidungserheblich erachtet, nachdem es der von ihr vertretenen Vertragsauslegung nicht gefolgt ist. Es hat deshalb im Termin vom 3. September 2010 vier Zeugen vernommen. Das Sitzungsprotokoll weist nicht aus, dass die Parteien im [X.] an die Zeugenvernehmungen über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt haben.

3

Auf die Berufung der [X.] hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

5

1. Nach §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO ist über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln und der Sach- und Streitstand erneut mit den Parteien zu erörtern. Findet sich im Protokoll kein Hinweis darauf, dass die Parteien zum Beweisergebnis verhandelt haben, steht infolge der Beweiskraft gemäß §§ 165, 160 Abs. 2 ZPO ein Verstoß gegen die §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO und mithin ein Verfahrensfehler fest, der in der Regel das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. Senatsurteil vom 24. Januar 2001 - IV ZR 264/99, [X.], 830; [X.], Urteil vom 26. April 1989 - I ZR 220/87, NJW 1990, 121, 122 unter II 2 a; [X.], Beschlüsse vom 25. September 2007 - VI ZR 162/06, [X.], 141; vom 20. Dezember 2005 - [X.], [X.]-Report 2006, 529 unter II).

6

2. Ein solcher Verstoß liegt hier vor. Im Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 3. September 2010 findet sich kein Hinweis darauf, dass die Parteien nach Vernehmung der vier Zeugen zum Beweisergebnis verhandelt haben.

7

Darin liegt zugleich eine Verletzung des [X.] auf rechtliches Gehör. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Parteien ein Recht darauf, dass sie Gelegenheit erhalten, im Verfahren zu Wort zu kommen und dass das Gericht nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse verwerten darf, zu denen die Parteien Stellung nehmen konnten (vgl. [X.] NJW 1994, 1210 unter [X.]). Dieses Recht hat das Berufungsgericht verletzt. Es hat die mündliche Verhandlung geschlossen, ohne mit den Parteien über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln.

8

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf dem dargelegten Verstoß beruht. Dafür genügt die Möglichkeit, dass eine Stellungnahme der Klägerin zum Beweisergebnis zu einer ihr günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. [X.] aaO S. 1211). Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Nichtzulassungsbeschwerde unter anderem dargelegt, dass sie im Falle einer ordnungsgemäßen Verhandlung zum Beweisergebnis auf zahlreiche Gesichtspunkte hingewiesen hätte, die möglicherweise zu einem anderen Verständnis und/oder einer anderen Bewertung der Zeugenaussagen geführt hätten.

9

III. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Sollte die Beweisaufnahme die Behauptungen der Klägerin nicht bestätigen, wird das Berufungsgericht für die Frage, wann die Leistungspflicht aus der [X.] endet, klären müssen, welche Versicherungsbedingungen dem im Jahre 1986 geschlossenen Vertrag zugrunde liegen.

1. Der Senat teilt nicht die Auffassung, der normale Sprachgebrauch gehe dahin, dass mit dem Ende der [X.] auch alle daraus herzuleitenden Ansprüche auf Rente und Beitragsfreiheit beendet sein sollten (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 2010 - IV ZR 226/07, [X.]Z 186, 171 ff. Rn. 21 unter Hinweis auf: [X.], 780, 782; [X.] VersR 1995, 1341; Rixecker in Beckmann/[X.], [X.] 2. Aufl. § 46 Rn. 90; Bruck/[X.], [X.]. VI Anm. D 16; Terno, r+s 2008, 361, 367; [X.]/[X.], [X.] 2005 § 8 Rn. 137 f.).

2. Selbst wenn man mit dem Berufungsgericht die Versicherungspolice dahin auslegt, dass die [X.] zum 31. Januar 2010 ablaufen sollte, finden sich unterschiedliche Regelungen über die Leistungszeit, insbesondere das Ende der Versicherungsleistungen, erst in § 1 Nr. 4 der Versicherungsbedingungen ([X.] 1975), die die Klägerin (als Anlage 4) eingereicht hat, und in § 1 Nr. 3 der [X.] 4/85, die die Beklagte (als Anlage [X.]) vorgelegt hat. Gegen die in § 1 Nr. 4 [X.] 1975 getroffene Regelung bestehen schon wegen des Widerspruchs zu § 9 Nr. 8 [X.] 1975 rechtliche Bedenken.

[X.]                                               Wendt                                                   Felsch

                    Harsdorf-Gebhardt                                        Karczewski

Meta

IV ZR 224/10

23.05.2012

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 3. September 2010, Az: I-20 U 11/10, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 160 Abs 2 ZPO, § 165 ZPO, § 279 Abs 3 ZPO, § 285 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.05.2012, Az. IV ZR 224/10 (REWIS RS 2012, 6154)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6154

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