Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.11.2016, Az. VI ZB 16/16

6. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 1690

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Gegenstand

Anforderungen an die anwaltliche Unterzeichnung einer Berufungsschrift


Leitsatz

Zu den Anforderungen an eine Unterschrift im Sinne des § 130 Nr. 6 ZPO (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 3. März 2015, VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 14. Zivilsenats des [X.] vom 1. Februar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

[X.]: 12.500,00 €

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Vertragsstrafe und Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Anspruch. Das überwiegend klagabweisende Urteil des [X.] wurde dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 27. Juli 2015 zugestellt. Mit Telefax vom 24. August 2015 legte dieser dagegen Berufung ein, die er mit Telefax vom 28. September 2015 (einem Montag) begründete. In der [X.] rügte die Beklagte, die Berufung sei nicht form- und fristgerecht eingelegt worden, da sowohl Berufungs- als auch [X.] nicht ordnungsgemäß unterschrieben seien.

2

Mit Verfügung vom 2. Dezember 2015 hat das Berufungsgericht unter Bezug darauf Zweifel an der Zulässigkeit der Berufung geäußert. Der Kläger hat mit Telefax vom 22. Dezember 2015 vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des [X.] zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen, weil der Schriftzug unter der Berufungsschrift keine individuellen charakteristischen Merkmale aufweise, die ihn als Wiedergabe eines Namens darstellten. Gegen beides richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.], mit der er in erster Linie die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts über die Verwerfung der Berufung erstrebt.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

4

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die auf der unzutreffenden Annahme einer nicht ordnungsgemäß unterzeichneten Berufungsschrift beruhende Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2014 - [X.], [X.], 384 Rn. 5; [X.] 69, 381, 385; [X.], NJW-RR 2002, 1004, jeweils mwN).

5

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

6

Das Berufungsgericht durfte die Berufung des [X.] nicht gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO mit der Begründung verwerfen, die Berufungsschrift sei nicht ordnungsgemäß unterzeichnet und die Berufung damit nicht form- und fristgerecht eingelegt.

7

a) Die Berufungsschrift muss als bestimmender Schriftsatz im Anwaltsprozess grundsätzlich von einem Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein (§ 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4 ZPO). Eine den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO genügende Unterschrift setzt nach der Rechtsprechung des [X.] einen die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzug voraus, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, der sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und der die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug - anders als eine dem äußeren Erscheinungsbild nach bewusste und gewollte Namensabkürzung (vgl. [X.], Beschluss vom 11. April 2013 - [X.] 43/12, [X.], 1966 Rn. 8; Urteil vom 10. Juli 1997 - [X.], [X.], 340, jeweils mwN) - als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt (Senatsbeschluss vom 3. März 2015 - [X.], [X.], 1045 Rn. 8 mwN; [X.], Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - [X.], NJW 2015, 3104 Rn. 7; vom 16. Juli 2013 - [X.]/12, NJW-RR 2013, 1395 Rn. 11, jeweils mwN).

8

In Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, ist jedenfalls bei gesicherter Urheberschaft bei den an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen ein großzügiger Maßstab anzulegen (Senatsbeschluss vom 3. März 2015 - [X.], [X.], 1045 Rn. 8 mwN; [X.], Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - [X.], NJW 2015, 3104 Rn. 7; vom 16. Juli 2013 - [X.]/12, NJW-RR 2013, 1395 Rn. 12). Denn die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (Senatsbeschluss vom 3. März 2015 - [X.], [X.], 1045 Rn. 7; [X.], Beschlüsse vom 26. April 2012 - [X.] 36/10, NJW-RR 2012, 1140 Rn. 7 mwN; vom 26. Oktober 2011 - [X.], juris Rn. 6 mwN). Beides ist gewährleistet, wenn feststeht, dass die Unterschrift von dem Anwalt stammt ([X.], Beschlüsse vom 16. Juli 2013 - [X.]/12, NJW-RR 2013, 1395 Rn. 12; vom 27. September 2005 - [X.] 105/04, [X.], 1661 Rn. 8; vgl. auch Senatsbeschluss vom 22. November 2005 - [X.], [X.], 387 Rn. 5 mwN).

9

b) Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Schriftzug auf der Berufungsschrift um eine Unterschrift im Sinne des § 130 Nr. 6 ZPO. Das Berufungsgericht ist zwar von zutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgegangen; es hat jedoch die Anforderungen an die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des [X.] auf der Berufungsschrift überspannt.

aa) Ob die Berufungsschrift der Prozessordnung gemäß unterzeichnet ist, hat der [X.] wegen zu prüfen. Die Zulässigkeit der Berufung ist eine Prozessvoraussetzung, von der das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung in seiner Gültigkeit und Rechtswirksamkeit abhängt (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 1952 - [X.], [X.]Z 6, 369, 370). Die hierfür erforderlichen Feststellungen trifft der Senat selbständig ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts (Senatsbeschluss vom 3. März 2015 - [X.], [X.], 1045 Rn. 10 mwN; [X.], Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - [X.], NJW 2015, 3104 Rn. 8; vom 26. April 2012 - [X.] 36/10, NJW-RR 2012, 1140 Rn. 9).

bb) Bei dem vom Prozessbevollmächtigten des [X.] bei der Unterzeichnung der Berufungsschrift verwendeten Schriftzug handelt es sich um eine formgültige, einfach strukturierte, gleichwohl aber vollständige Namensunterschrift.

(1) Dem Berufungsgericht ist zwar darin zu folgen, dass diese Unterschrift - anders als jene Unterschrift, mit der der Prozessbevollmächtigte des [X.] die Klageschrift und auch weitere gegenüber dem [X.] abgegebene Schriftsätze unterzeichnet hat - keinen lesbaren Namenszug erkennen lässt. Es hat aber nicht hinreichend beachtet, dass für die Frage, ob eine formgültige Unterschrift vorliegt, nicht die Lesbarkeit oder die Ähnlichkeit des handschriftlichen Gebildes mit den Namensbuchstaben entscheidend ist, sondern es darauf ankommt, ob der Name vollständig, wenn auch nicht unbedingt lesbar, wiedergegeben wird (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 3. März 2015 - [X.], [X.], 1045 Rn. 11; [X.], Beschluss vom 9. Februar 2010 - [X.] 67/09, juris Rn. 11, jeweils mwN).

(2) Das ist der Fall. Der Schriftzug auf der Berufungsschrift, der vor allem aus einem in die Länge gezogenen, nach oben offenen Halbkreis mit jeweils nach innen weisenden kurzen Schnörkeln besteht, lässt die Absicht erkennen, eine volle Unterschrift zu leisten und den Schriftsatz nicht lediglich mit einer Paraphe oder Abkürzung abzuzeichnen. Die die Länge und Grundform betreffende Grundstruktur dieses Schriftzuges hat unverkennbar erhebliche Ähnlichkeiten mit jenem Schriftzug, den der Prozessbevollmächtigte des [X.] zu Beginn des Verfahrens verwendet hat. Er ist zwar einfach strukturiert und einem starken Abschleifungsprozess unterlegen, aber dennoch entgegen dem Berufungsgericht hinreichend individuell ausgeführt, so dass ihm insgesamt der Charakter einer Unterschrift nicht abgesprochen werden kann (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. September 2005 - [X.] 105/04, [X.], 1661 Rn. 9; vom 9. Juli 2015 - [X.], NJW 2015, 3104 Rn. 10 f.).

(3) Entscheidend tritt hinzu, dass entgegen dem Berufungsgericht Zweifel an der Urheberschaft des Prozessbevollmächtigten des [X.] nicht bestehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16. Juli 2013 - [X.]/12, NJW-RR 2013, 1395 Rn. 13; vom 26. April 2012 - [X.] 36/10, NJW-RR 2012, 1140 Rn. 13), so dass - wie dargelegt - eine großzügige Betrachtungsweise geboten ist. Für seine Urheberschaft spricht nicht nur die maschinenschriftliche Namenswiedergabe nebst Berufsbezeichnung (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 3. März 2015 - [X.], [X.], 1045 Rn. 13; [X.], Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - [X.], NJW 2015, 3104 Rn. 8; vom 27. September 2005 - [X.] 105/04, [X.], 1661 Rn. 9). Vor allem hat der Prozessbevollmächtigte des [X.] bereits im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens seine Unterschrift umgestellt und mehrfach wie später in der Berufungs- und in der [X.] unterschrieben. Der auf der Berufungsschrift verwendete Schriftzug findet sich - vor der Rüge der Ordnungsgemäßheit des Schriftzuges durch die Beklagte vom 27. November 2015 - erstmals im Schriftsatz vom 8. Juni 2015, danach im Schriftsatz vom 6. Juli 2015, im [X.] vom 27. Juli 2015, mit dem der Prozessbevollmächtigte des [X.] den Zugang des erstinstanzlichen Urteils bestätigt hat, im Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung vom 27. August 2015 sowie im Schriftsatz vom 9. September 2015. Für eine Unterzeichnung durch eine andere Person als den als Einzelanwalt tätigen Prozessbevollmächtigten des [X.] oder eine Fälschung der Unterschrift fehlt damit jeder Anhaltspunkt (vgl. [X.], Beschluss vom 17. November 2009 - [X.], NJW-RR 2010, 358 Rn. 15). Dem Sinn und Zweck des [X.] aus § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO, die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung zu ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck zu bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen, ist mit dieser Unterzeichnung der Berufungsschrift durch den Prozessbevollmächtigten des [X.] Genüge getan.

3. Die Berufung des [X.] ist daher rechtzeitig und formgerecht eingelegt worden. Zwar hat das Berufungsgericht offen gelassen, ob die [X.] ordnungsgemäß unterzeichnet ist. Jedoch bestehen nach den dargelegten Grundsätzen auch insoweit keine berechtigten Bedenken. Das Berufungsgericht hätte demnach die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Der Beschluss ist aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Einer Entscheidung über den von dem Kläger wegen Versäumung der Berufungsfrist gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es nicht. Insoweit ist der Beschluss des Berufungsgerichts gegenstandslos.

Galke      

        

Wellner      

        

Oehler

        

[X.]      

        

Klein      

        

Meta

VI ZB 16/16

29.11.2016

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Frankfurt, 1. Februar 2016, Az: 14 U 124/15

§ 85 Abs 2 ZPO, § 130 Nr 6 ZPO, § 519 Abs 4 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.11.2016, Az. VI ZB 16/16 (REWIS RS 2016, 1690)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1690

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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