Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 21.02.2018, Az. 1 BvR 606/14

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2018, 13584

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unzureichende Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde bzgl der Teilrückforderung eines Sterbequartalsvorschusses gem § 118 Abs 4 S 1 Alt 1 SGB VIjuris: SGB 6


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft unmittelbar das Urteil des [X.] vom 24. Oktober 2013 - [X.] R 35/12 R - und mittelbar den Erstattungsanspruch gegen den Empfänger einer einmaligen Zahlung aus einer Rente nach § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 [X.] ([X.]) in der Fassung des Art. 8 Nr. 6 des Gesetzes zur Einführung einer kapitalgedeckten [X.] Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze ([X.] - [X.]) vom 21. Juni 2002 ([X.] 2167 <2181>).

2

1. Der Beschwerdeführer ist Inhaber mehrerer Bestattungshäuser. Er war im Rahmen eines Bestattungsvertrags zivilrechtlicher Vertragspartner des verstorbenen [X.]n. Der Verstorbene hatte bereits für den Zeitraum nach seinem Tod als [X.] für den Tod seiner kurz zuvor verstorbenen Ehefrau Rentenzahlungen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Wahrnehmung von Aufgaben der Träger der Rentenversicherung und anderer Sozialversicherungsträger durch den Renten Service der [X.]) erhalten. Die Tochter des Verstorbenen beglich nach dem Tod ihres [X.] die dem Beschwerdeführer noch zustehende Restforderung in Höhe von 862,16 Euro aus dem Bankguthaben des Verstorbenen mittels Banküberweisung. Infolge dieser Überweisung und Gutschrift auf seinem Bankkonto sah sich der Beschwerdeführer einer Erstattungsforderung des [X.]s gemäß § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 [X.] ausgesetzt.

3

2. Im fachgerichtlichen Verfahren obsiegte der Beschwerdeführer erst- und zweitinstanzlich. Das Sozialgericht führte im Urteil vom 29. Juli 2010 - [X.] R 132/07 - aus, die Rentenzahlung sei nicht zu Unrecht im Sinne des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 [X.] erbracht worden, weil - auch wenn es sich bei der Rentenzahlung um eine Vorschusszahlung für einen Zeitraum handelte, in dem der [X.] bereits verstorben war - im Auszahlungszeitpunkt der [X.] noch lebte. Der [X.] sei auch keine laufende Geldleistung nach § 118 Abs. 1 Satz 1 [X.], sondern eine Vorschusszahlung nach § 42 Abs. 1 Sozialgesetzbuch [X.] ([X.]), für deren Rückforderung § 42 Abs. 2 [X.] die speziellere Norm sei. Eine Inanspruchnahme des Beschwerdeführers nach § 42 Abs. 2 [X.] sei jedoch nicht möglich. Der [X.] könne insofern nur gegen die Erben des [X.]n einen Erstattungsanspruch geltend machen.

4

Nach Ansicht des [X.] im Urteil vom 22. Mai 2012 - L 18 R 806/10 - waren die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 [X.] nicht erfüllt, weil der Beschwerdeführer keinen der Rentenüberzahlung entsprechenden Betrag im Sinne des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 [X.] erhalten habe. Für die Inanspruchnahme eines völlig unbeteiligten und deshalb schutzwürdigen Zahlungsempfängers sei es nicht ausreichend, dass der Betrag von einem Konto überwiesen wurde, auf das unter anderem auch die zu Unrecht gezahlte Rente des verstorbenen [X.]n überwiesen wurde. Zusätzlich müsse ein enger Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Identität zwischen der Bereicherung des Empfängers und dem Wert der zu Unrecht überwiesenen Rente bestehen. Eine solche wirtschaftliche Identität sei im vorliegenden Verfahren nicht gegeben gewesen. Das Konto des Verstorbenen habe zum Zeitpunkt des Eingangs des [X.]es am 16. Juni 2006 ein Guthaben in Höhe von 492,71 Euro aufgewiesen. Bis zum 31. Juli 2006 seien noch weitere 1.018,96 Euro auf das Konto eingegangen und zwischen dem Eingang des [X.]es und der Zahlung an den Beschwerdeführer am 2. August 2006 sieben Abbuchungen in Höhe von insgesamt 2.444,83 Euro vorgenommen worden. Nur unter der Hypothese, dass Abflüsse vom Konto des Verstorbenen zuerst seinem rechtmäßigen Kontoguthaben und erst danach dem unrechtmäßigen Teil des [X.] zuzuordnen seien, hätte sich eine Identität des Zuflusses an den Beschwerdeführer mit dem unrechtmäßigen Teil des [X.] herstellen lassen. Es handle sich dann aber nicht mehr um die Gegenüberstellung von konkreten Beträgen.

5

3. Das [X.] hob mit Urteil vom 24. Oktober 2013 - [X.] R 35/12 R - die erst- und zweitinstanzlichen Urteile auf und wies die Klage des Beschwerdeführers ab. Entgegen der Ansicht des [X.] handele es sich bei dem Sterbegeld als Vorschuss um eine unter Vorbehalt erbrachte Geldleistung im Sinne des § 118 Abs. 3 Satz 1 [X.]. Es sei nichts anderes als die im Voraus für die ersten drei Monate nach dem Sterbemonat gezahlte Witwen- und Witwerrente. Dieser Sichtweise stehe auch nicht der Wortlaut des § 118 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 Satz 1 [X.] entgegen, denn dieser setze keine "laufenden Geldleistungen", sondern lediglich "Geldleistungen" voraus. Es greife demnach der durch § 118 Abs. 3 Satz 1 [X.] normierte Vorbehalt. Der Umstand, dass nach der [X.] überwiesenen Rente noch weitere Gutschriften auf dem Bankkonto des verstorbenen [X.]n eingegangen seien, sei unerheblich. Im Interesse einer einfachen und raschen Rückabwicklung der fehlerhaften Rentenleistung spiele die zeitliche Reihenfolge von Gutschriften im Verhältnis zur [X.]en Rentenüberweisung oder zu anderweitigen Verfügungen keine Rolle.

6

4. Der Beschwerdeführer rügt mit der am 28. Februar 2014 erhobenen Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und des Art. 3 Abs. 1 GG. Unter den Eigentumsbegriff des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fielen alle private vermögenswerte Rechte und Güter. Die von der Rentenversicherung gegenüber ihm geltend gemachte Erstattungsforderung greife in den Bestand seines Eigentums ein, weil der ihm von der Tochter des Verstorbenen überwiesene Geldbetrag bereits seinem Firmenkonto gutgeschrieben gewesen sei. § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 [X.] sei eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Dessen Auslegung durch das [X.] sei jedoch unverhältnismäßig. Infolge dieser Auslegung würde einseitig dem Interesse der Solidargemeinschaft an der Rückerlangung der fehlerhaften Rentenzahlung der Vorrang gegenüber seinem Interesse eingeräumt. Ein Ausgleich zwischen den gegenläufigen Interessen finde nicht statt. Der Beschwerdeführer ist im Weiteren der Ansicht, es werde der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, weil er als Empfänger der Rente gegenüber Geldinstituten ungleich behandelt werde. Beide Gruppen könnten unter dem Oberbegriff der Empfänger von fehlerhaften Rentenleistungen zusammengefasst werden. Nur die Geldinstitute könnten sich jedoch nach § 118 Abs. 3 Satz 3 [X.] gegenüber dem Erstattungsanspruch auf eine anderweitige Verfügung über die Rentenzahlung berufen.

7

1. Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung (§ 93a Abs. 2 [X.]) kommt nicht in Betracht. Es bleibt offen, ob der Erstattungsanspruch gegen den Empfänger einer einmaligen Zahlung aus einer Rente nach § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 [X.] in der Fassung des Art. 8 Nr. 6 [X.] vom 21. Juni 2002 ([X.] 2167 <2181>) mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist. Sie zeigt die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten nicht hinreichend auf (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]). Nach diesen Vorschriften ist ein Beschwerdeführer gehalten, innerhalb der Beschwerdefrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] die Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des verletzten Rechts und des die Verletzung enthaltenden Vorgangs substantiiert und schlüssig vorzutragen. Dabei hat er auch darzulegen, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. [X.] 99, 84 <87>) und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert (vgl. [X.] 108, 370 <386>). Die Verfassungsbeschwerde muss sich mit dem zugrunde liegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 4. Mai 2011 - 1 BvR 1502/08 - juris, Rn. 19).

8

2. Diesen Vorgaben genügt die vorliegende Verfassungsbeschwerde nicht. Das Vorbringen des Beschwerdeführers verhält sich zu mehreren entscheidungserheblichen Gesichtspunkten nicht:

9

a) Der Begründung der Verfassungsbeschwerde lässt sich nicht entnehmen, welche Auswirkung die aus der überzahlten Rente erfolgte Überweisung wegen des Vorbehalts nach § 118 Abs. 3 Satz 1 [X.] auf den zivilrechtlichen Zahlungsanspruch des Beschwerdeführers gegen den verstorbenen [X.]n und gegenüber dessen Erben hat. Es mangelt dem Vorbringen des Beschwerdeführers daher an Ausführungen, inwieweit dieser Zahlungsanspruch gegenüber den Erben weiterhin geltend gemacht werden kann und von diesen befriedigt werden muss.

b) Gemäß § 118 Abs. 4 [X.] besteht zugunsten des [X.]s ein gleichrangiger Erstattungsanspruch (vgl. BSG, Urteil vom 10. Juli 2012 - [X.] R 105/11 R - juris, Rn. 31 ff.) im Hinblick auf die überzahlte Rente gegenüber dem Empfänger der Rente (§ 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 und 2 [X.]), gegenüber dem über die Rente Verfügenden (§ 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 3 [X.]) und gegenüber dem Erben des verstorbenen [X.]n (§ 118 Abs. 4 Satz 4 [X.]). Der zuständige [X.] hat vorliegend dieses Wahlrecht zu Lasten des Beschwerdeführers ausgeübt. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde legt jedoch nicht dar, dass der [X.] bei der Ausübung des Wahlrechts eine sachlich nicht begründete Auswahlentscheidung getroffen habe.

c) Im Weiteren rügt der Beschwerdeführer zwar die Nichtwahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und die Versagung jeglichen Vertrauensschutzes infolge der Auslegung des § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 [X.] durch das [X.] in dem verfahrensgegenständlichen Urteil vom 24. Oktober 2013 - [X.] R 35/12 R -, wonach eine wirtschaftliche Identität zwischen der Bereicherung des Empfängers und dem Wert der zu Unrecht überwiesenen Rente nicht erforderlich sei. Die Verfassungsbeschwerde geht jedoch auf diese Gesichtspunkte nicht weiter ein. Sie erschöpft sich in dem Aufstellen pauschaler Thesen. Eine substantiierte und schlüssige Rüge der Verletzung spezifischer verfassungsrechtlicher Gewährleistungen lässt sich demnach der Verfassungsbeschwerde auch insoweit nicht entnehmen.

d) Zuletzt legt der Beschwerdeführer auch eine gleichheitswidrige Benachteiligung gegenüber dem kontoführenden Geldinstitut nicht hinreichend dar. In diesem Zusammenhang hätte eine Auseinandersetzung mit der Frage nahegelegen, ob die Möglichkeit des Geldinstituts gemäß § 118 Abs. 3 Satz 3 [X.], sich gegenüber dem Erstattungsanspruch des [X.]s auf eine anderweitige Verfügung über die Rente berufen zu können, lediglich der Funktion des Instituts geschuldet ist, bei der Abwicklung von Rechtsgeschäften als "Zahlstelle" ohne eigenen wirtschaftlichen Vorteil zu fungieren.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 606/14

21.02.2018

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 24. Oktober 2013, Az: B 13 R 35/12 R, Urteil

Art 2 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 S 1 GG, Art 14 Abs 1 S 2 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 118 Abs 3 S 1 SGB 6, § 118 Abs 4 S 1 Alt 2 SGB 6

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 21.02.2018, Az. 1 BvR 606/14 (REWIS RS 2018, 13584)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13584

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

B 13 R 4/18 R

B 5 R 21/19 R

Zitiert

1 BvR 1502/08

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