Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.01.2023, Az. 5 AZR 93/22

5. Senat | REWIS RS 2023, 1934

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Gegenstand

Darlegungslast bei Fortsetzungserkrankungen


Leitsatz

Die Abstufung der Darlegungslast beim Streit über das Vorliegen einer neuen Erkrankung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 EFZG, wonach der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen hat, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden, begegnet weder unions- noch verfassungsrechtlichen Bedenken. Dem steht nicht entgegen, dass der hiernach erforderliche Vortrag im Regelfall mit der Offenlegung der einzelnen zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen im maßgeblichen Zeitraum verbunden ist.

Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 14. Januar 2022 - 10 Sa 898/21 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

2

Der Kläger arbeitete bei der [X.]n seit dem 27. Januar 2012 in der Gepäckabfertigung. Die [X.] ist ein Unternehmen, das Bodendienstleistungen am [X.] erbringt. Der Stundenlohn des [X.] betrug 12,56 Euro. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des [X.] war der Kläger im Jahr 2019 in der [X.] ab dem 24. August 2019 an 68 Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt und im Jahr 2020 bis zum 18. August 2020 an weiteren 42 Kalendertagen, wobei die [X.] bis zum 13. August 2020 Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG leistete.

3

Mit seiner Klage hat der Kläger Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für zehn Arbeitstage (71,2 Stunden) aus dem [X.]raum vom 18. August 2020 bis zum 23. September 2020 geltend gemacht. Er hat hierbei mehrere Erstbescheinigungen vorgelegt und vorgetragen, welche ICD-10-Codes mit welchen korrespondierenden Diagnosen oder Symptomen in den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgeführt gewesen seien. Bezüglich etwaiger Vorerkrankungen hat er Angaben zu [X.] gemacht, die nach seiner Einschätzung auf denselben ICD-10-Codes bzw. Diagnosen oder Symptomen beruhten. Der Kläger hat gemeint, aus Datenschutzgründen sei er nicht verpflichtet, sämtliche Erkrankungen aus der davorliegenden [X.] offenzulegen. Zu vorhergehenden Atemwegsinfekten müsse er sich nicht äußern, weil insoweit nicht „dieselbe Erkrankung“ iSd. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG vorliegen könne. Hiervon ausgehend sei für keine der Erkrankungen aus dem streitgegenständlichen [X.]raum der Sechs-Wochen-[X.]raum nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ausgeschöpft.

4

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

        

die [X.] zu verurteilen, an ihn 894,27 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2020 zu zahlen.

5

Die [X.] hat Klageabweisung beantragt. Sie hat gemeint, sie sei ab dem 18. August 2020 nicht mehr verpflichtet, Entgeltfortzahlung zu leisten. Sie gehe davon aus, dass bezüglich der Erkrankungen im streitgegenständlichen [X.]raum anrechenbare Vorerkrankungen vorgelegen hätten, die eine Verpflichtung zur weiteren Entgeltfortzahlung ausschlössen.

6

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der [X.]n hat das [X.] das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während die [X.] die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat das Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht abgeändert und die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet.

8

I. Der Kläger hat für die streitgegenständlichen 71,2 Stunden aus dem Zeitraum vom 18. August 2020 bis zum 23. September 2020 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus § 3 Abs. 1 EFZG.

9

1. Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, sieht § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG im Hinblick auf die sozioökonomische Risikoverteilung im Arbeitsverhältnis (vgl. [X.] 2022, 65, 67) einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung vor. Dieser Anspruch, der von dem an sich nach den Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts iVm. § 614 BGB auch im Arbeitsverhältnis geltenden Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ (vgl. [X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 26, [X.]E 141, 330) abweicht, ist grundsätzlich auf die Dauer von sechs Wochen wegen einer Erkrankung begrenzt (vgl. [X.] 11. Dezember 2019 - 5 [X.] - Rn. 13, [X.]E 169, 117). Wird ein Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, verliert er nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Entgeltfortzahlungsanspruch für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nur dann nicht, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2). Vor Ablauf dieser Fristen entsteht ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen daher nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht. Diese Regelungen sollen die wirtschaftliche Belastung der Arbeitgeber durch die [X.] begrenzen. Es handelt sich um eine Einschränkung der Rechte des wiederholt erkrankten Arbeitnehmers, die auf einer besonderen Zumutbarkeitsregelung des Gesetzgebers beruht (vgl. [X.] 2006, 147, 148).

2. Ist der Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als sechs Wochen an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert, gilt eine abgestufte Darlegungslast (vgl. grundlegend [X.] 13. Juli 2005 - 5 [X.] - zu I 6 der Gründe, [X.]E 115, 206; ebenso 31. März 2021 - 5 [X.] - Rn. 26; 10. September 2014 - 10 [X.] - Rn. 27, [X.]E 149, 101). Zunächst muss der Arbeitnehmer - soweit sich aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dazu keine Angaben entnehmen lassen - darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung besteht. Hierzu kann er eine ärztliche Bescheinigung vorlegen. Bestreitet der Arbeitgeber, dass eine neue Erkrankung vorliegt, hat der Arbeitnehmer Tatsachen vorzutragen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung bestanden ([X.] 31. März 2021 - 5 [X.] - Rn. 26; 10. September 2014 - 10 [X.] - Rn. 27, aaO; [X.]/[X.] 23. Aufl. EFZG § 3 Rn. 44; [X.]/[X.] 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 87; [X.]/[X.] Stand 1. Dezember 2022 EFZG § 3 Rn. 73; [X.] 2006, 147, 151 f.). Er muss laienhaft bezogen auf den gesamten maßgeblichen Zeitraum schildern, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Denn erst ausgehend von diesem Vortrag ist regelmäßig dem Arbeitgeber substantiierter Sachvortrag möglich. Auf das Bestreiten des Arbeitgebers genügt die bloße Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nicht mehr. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die von einem anderen Arzt ausgestellt ist, kann sich auch als Erstbescheinigung ohnehin nicht zum (Nicht-)Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung verhalten. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung hat der Arbeitgeber zu tragen ([X.] 31. März 2021 - 5 [X.] - Rn. 26 [X.]).

3. Die Zuweisung der abgestuften Darlegungslast an den Arbeitnehmer nach Maßgabe der dargestellten Grundsätze begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Die grundrechtliche Prüfung der Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast ist auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlich geprägten Regelungen zum Datenschutz primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes vorzunehmen (vgl. [X.] 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 - [Recht auf Vergessen I] Rn. 42, [X.]E 152, 152; zu § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 iVm. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG vgl. [X.] 25. August 2022 - 2 [X.]/20 - Rn. 20). Beim Datenschutzrecht handelt es sich um unionsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht. Nach der Rechtsprechung des Gericht[X.]ofs der [X.] bestehen hinsichtlich datenschutzrechtlicher Regelungen und den diese ergänzenden arbeitsrechtlichen Regelungen „geteilte Zuständigkeiten“ der [X.] und der Mitgliedstaaten (vgl. [X.] 22. Juni 2022 - [X.]/20 - [[X.]] Rn. 30 ff.). Die DS-GVO enthält zahlreiche Öffnungsklauseln (ua. Art. 88 DS-GVO), mit denen sie die Normsetzungskompetenz ausdrücklich auf die Mitgliedstaaten überträgt, wodurch sie sich von einer klassischen Verordnung unterscheiden und in die Nähe einer Richtlinie rücken lässt (so ausdrücklich die Schlussanträge des Generalanwalts [X.] vom 27. Januar 2022 - [X.]/20 - [[X.]] [X.]. 28). Für solche Regelungen bleibt es nach der zitierten Rechtsprechung des [X.] ([X.] 6. November 2019 - 1 BvR 16/13 - [Recht auf Vergessen I] aaO) bei der Kontrolle primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes.

b) Aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts, insbesondere von § 138 Abs. 3 ZPO, können sich abweichende Anforderungen an die Darlegungslast wegen einer Verletzung des gemäß Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei ergeben ([X.] 27. Juli 2017 - 2 [X.] - Rn. 16, [X.]E 159, 380; 29. Juni 2017 - 2 [X.] - Rn. 21, [X.]E 159, 278). Dieses ist hier in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. dazu [X.] 4. November 2022 - 2 BvR 2202/19 - Rn. 25; 29. Juli 2022 - 2 [X.] - Rn. 28) betroffen. Wegen der nach Art. 1 Abs. 3 GG bestehenden Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung ([X.] 13. Februar 2007 - 1 [X.]/05 - Rn. 93, [X.]E 117, 202; 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 [X.] - zu [X.] 3 b der Gründe, [X.]E 106, 28; zum Einfluss des Rechtsstaatsprinzips [X.] 25. Juli 1979 - 2 BvR 878/74 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 52, 131) müssen die Gerichte prüfen, ob einer Partei eine Darlegung abverlangt wird, die mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, hier in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, nicht mehr vereinbar ist.

c) Soweit die abgestufte Darlegungs- und Beweislast bei Fortsetzungserkrankungen vom Arbeitnehmer die Offenlegung von Gesundheitsdaten verlangt, ist der damit verbundene Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG verhältnismäßig und damit gerechtfertigt.

aa) Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung schützt die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen ([X.] 4. November 2022 - 2 BvR 2202/19 - Rn. 25; 1. Dezember 2020 - 2 BvR 916/11, 2 [X.]/12 - Rn. 198 [X.], [X.]E 156, 63). Wenn der Arbeitnehmer zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im gerichtlichen Verfahren die seinen Arbeitsunfähigkeitszeiten zugrunde liegenden Erkrankungen mitteilen muss, liegt ein Eingriff vor.

bb) Dieser Grundrechtseingriff ist jedoch gerechtfertigt. Er dient dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten legitimen Zweck, eine materiell richtige Entscheidung anzustreben (vgl. [X.] 13. Februar 2007 - 1 [X.]/05 - Rn. 93, [X.]E 117, 202; 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 [X.] - zu [X.] 4 a aa der Gründe, [X.]E 106, 28) und ist zur Erreichung dieses Zwecks geeignet sowie erforderlich. Nach Offenlegung der den Arbeitsunfähigkeitszeiten zugrunde liegenden Beschwerden und Erkrankungen ist durch eine sachverständige Überprüfung feststellbar, ob der Arbeitnehmer an Fortsetzungserkrankungen iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG gelitten hat. Auf diese Art und Weise kann wirkungsvoller Rechtsschutz gewährt werden, wie es die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG bzw. die [X.] aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG erfordern (vgl. dazu [X.] 8. November 2022 - 2 BvR 2480/10 - Rn. 134). Zudem wird durch die Darlegung im Prozess das in Art. 103 Abs. 1 GG geschützte rechtliche Gehör der Gegenseite gesichert, die sich zu den dort mitgeteilten Tatsachen äußern kann.

cc) Der Eingriff ist erforderlich, weil keine gleich effektiven Mittel zur Verfügung stehen, die weniger stark in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen. Die vom Kläger aufgeführten Alternativen sind nicht in derselben Art und Weise geeignet, eine materiell richtige Entscheidung unter Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs ohne Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Gegenseite zu erreichen.

(1) Die Mitteilung der Krankenkasse zum ([X.] ermöglicht keine dem Justizgewährungsanspruch genügende Kontrolle (vgl. [X.] 10. September 2014 - 10 [X.] - Rn. 28, [X.]E 149, 101; 13. Juli 2005 - 5 [X.] - zu I 5 der Gründe, [X.]E 115, 206). § 69 Abs. 4 Halbs. 1 SGB X erlaubt den Krankenkassen die Mitteilung ihrer Einschätzung an den Arbeitgeber, bindet aber weder diesen noch die Gerichte für Arbeitssachen. Die Regelung wurde im Interesse des Arbeitgebers geschaffen, damit er ggf. schnell das Bestehen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung feststellen kann ([X.]. 12/5187 S. 39). Anders als es § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorsieht, entzieht das Gesetz dem Arbeitgeber aber auf die Mitteilung gemäß § 69 Abs. 4 Halbs. 1 SGB X nicht sein Leistungsverweigerungsrecht. Vor diesem Hintergrund hat die Mitteilung der Krankenkasse keinen mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vergleichbaren Beweiswert ([X.] 8. Juni 2016 - 4 [X.]/15 - zu I 2 c aa der Gründe). Dies gilt gerade mit Blick darauf, dass die Krankenkassen wegen ihrer unmittelbar betroffenen finanziellen Interessen nicht als unparteiische Dritte angesehen werden können. Muss der Arbeitgeber wegen des Nichtbestehens einer Fortsetzungserkrankung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG Entgeltfortzahlung leisten, ist die Krankenkasse nicht zur Zahlung von Krankengeld verpflichtet, § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V (vgl. [X.]/[X.] 23. Aufl. [X.] § 49 Rn. 3; BeckOK SozR/[X.] Stand 1. Dezember 2022 [X.] § 49 Rn. 5). Da der Arbeitgeber die Beurteilung der Krankenkasse nicht auf anderem Wege gerichtlich überprüfen lassen kann ([X.] 13. Juli 2005 - 5 [X.] - zu I 5 der Gründe, [X.]E 115, 206; [X.]/[X.] 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 87), ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren um Entgeltfortzahlung eine gerichtliche Kontrolle zu ermöglichen. Dies gilt erst recht, wenn Arbeitnehmer nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Hier hat der Arbeitgeber außerhalb des gerichtlichen Verfahrens keine Möglichkeit zu überprüfen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Eine Differenzierung der Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast nach der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht ist nicht sachlich zu rechtfertigen.

(2) Die weiteren vom Kläger erwogenen Möglichkeiten, ohne oder nur mit eingeschränkter Offenlegung der Ursachen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeitszeiten das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung zu beurteilen, stehen im Widerspruch zu elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen. Ein Sachvortrag nur gegenüber dem Gericht kommt ebenso wenig in Frage wie die vom Kläger in Betracht gezogene Variante, Krankheitsursachen nur einem Sachverständigen offenzulegen, der dem Gericht und der Gegenseite lediglich das - bindende - Ergebnis seiner Begutachtung mitteilt. Derart „geheime Verfahren“ verstoßen gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und entziehen dem Arbeitgeber sein Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die grundgesetzliche Gewährleistung rechtlichen Gehörs konkretisiert das Rechtsstaatsprinzip. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern vor Entscheidungen, die seine Rechte betreffen, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können. Die Parteien müssen sich zu dem Sachverhalt, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt wird, vor Erlass der Entscheidung äußern dürfen. Eine Art. 103 Abs. 1 GG genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die Verfahrensbeteiligten erkennen können, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann ([X.] 8. Juni 1993 - 1 BvR 878/90 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 89, 28; [X.][X.] Stand 15. August 2022 GG Art. 103 Rn. 8). Der Arbeitgeber muss daher die vom Kläger behaupteten Krankheitsursachen kennen, um die Aussagekraft eines eingeholten Sachverständigengutachtens ggf. unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen beurteilen und hierzu Stellung nehmen zu können.

dd) Die den Arbeitnehmer treffende [X.] ist angemessen und verhältnismäßig im engeren Sinne. Dies erfordert, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen. Hierzu sind die hinter der [X.] stehenden Interessen und der Schutz der betroffenen Grundrechte miteinander abzuwägen (vgl. [X.] 13. Februar 2007 - 1 [X.]/05 - Rn. 94, [X.]E 117, 202; 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 [X.] - zu [X.] 4 a der Gründe, [X.]E 106, 28; 25. Juli 1979 - 2 BvR 878/74 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 52, 131). Nach diesen Maßstäben muss das Recht des [X.] auf informationelle Selbstbestimmung hinter den Verfahrensgrundrechten und den Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG des Arbeitgebers zurücktreten. Am Schutz der den Gesundheitszustand betreffenden Informationen besteht zwar grundsätzlich ein hohes Interesse (vgl. auch die Wertung in Art. 9 Abs. 1 DS-GVO und [X.] 12. September 2006 - 9 [X.] - Rn. 29, [X.]E 119, 238 zum Schutz von Gesundheitsdaten in der Personalakte). Auf Seiten der Arbeitgeberin ist jedoch neben den Verfahrensgrundrechten die in § 3 Abs. 1 EFZG gesetzlich geregelte wirtschaftliche Zumutbarkeitsgrenze einer grundsätzlich auf sechs Wochen beschränkten Pflicht zur Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit zu berücksichtigen. Diese bewirkt eine Beschränkung der wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) durch die in der [X.] liegende Durchbrechung des im Arbeitsvertragsrecht geltenden Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“. Ohne entsprechenden Vortrag des Arbeitnehmers wird ein Berufen des Arbeitgebers auf die gesetzlich vorgesehene Zumutbarkeitsregelung regelmäßig ins Leere laufen, weil er ohne Kenntnis der Ursachen der Arbeitsunfähigkeit nicht in der Lage ist, deren Voraussetzungen einzuwenden. Ob die [X.] nach den gesetzlichen Regelungen wegen einer Fortsetzungserkrankung ausgeschlossen ist, muss zudem - wie ausgeführt - mit Blick auf den verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruch in einem rechtsstaatlichen Verfahren und unter Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) nachprüfbar sein.

4. Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zum Nachweis einer Fortsetzungserkrankung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG steht im Einklang mit [X.]srecht.

a) Die Datenverarbeitung besonders geschützter personenbezogener Daten richtet sich in Gerichtsverfahren nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. f DS-GVO. Hiernach ist - entgegen Art. 9 Abs. 1 DS-GVO - die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten, hier der Gesundheitsdaten einer natürlichen Person, zulässig, wenn sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist. Diese Norm dient der Sicherung des Justizgewährungsanspruchs: Das Datenschutzregime soll nicht so weit gehen, dass die legitime Durchsetzung von Rechten nicht mehr möglich ist ([X.] in [X.]/[X.] 3. Aufl. DS-GVO Art. 9 Rn. 37). Vor dem Hintergrund der Waffengleichheit und des effektiven Rechtsschutzes gilt entsprechendes auch für die Rechtsverteidigung bzw. die Abwehr von Ansprüchen (vgl. [X.] 19. Januar 2022 - 6 K 361/[X.] - Rn. 73).

b) Die Verarbeitung von Daten zu den Erkrankungen und gesundheitlichen Beschwerden, die in der Vergangenheit zu einer Arbeitsunfähigkeit des [X.] geführt haben, ist im gerichtlichen Verfahren über Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. f DS-GVO zulässig. Die Verarbeitung der entsprechenden sensiblen Daten ist für die justizielle Tätigkeit erforderlich, denn das Vorliegen von Fortsetzungserkrankungen iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG im jeweils maßgeblichen Zeitraum kann - ggf. mittels eines Sachverständigengutachtens - nur nach entsprechendem Vortrag des Arbeitnehmers zu den seiner Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegenden Erkrankungen ermittelt werden ([X.]. auch Rn. 16). Auch bei Abwägung der beiderseitigen Interessen (vgl. [X.] in [X.]/[X.] 3. Aufl. DS-GVO Art. 9 Rn. 86; aA - keine Interessenabwägung notwendig - [X.]/[X.]/[X.] 3. Aufl. DS-GVO Art. 9 Rn. 34) sind schutzwürdige Betroffeneninteressen nicht vorrangig, weil die Informationen für die gerichtliche Entscheidungsfindung notwendig und neben den Verfahrensgrundrechten auch materielle Rechte der Beklagten (Art. 12, 14 GG) für die Prüfung der gesetzlichen Zumutbarkeitsregelung des EFZG sprechen. In der mündlichen Verhandlung besteht zudem die Möglichkeit, erforderlichenfalls nach § 52 Satz 2 Halbs. 2 ArbGG iVm. § 171b Abs. 1 Satz 1 ZPO bei der Erörterung von Krankheitsursachen die Öffentlichkeit auszuschließen (vgl. MüKoZPO/[X.] 6. Aufl. [X.] § 171b Rn. 4 f.).

c) Ohne dass es vorliegend darauf ankam, ist ausgehend von obigen Grundsätzen auch eine vorprozessuale Datenverarbeitung beim Arbeitgeber gestützt auf § 26 Abs. 3 BDSG iVm. Art. 9 Abs. 2 Buchst. b DS-GVO (vgl. hierzu [X.] 1. Juni 2022 - 5 [X.] - Rn. 56 ff. [X.]) grundsätzlich möglich. Eine entsprechende Datenverarbeitung erfolgt in Ausübung von Rechten und zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis iSv. § 26 Abs. 3 BDSG, nämlich bei der Durchführung der in § 3 Abs. 1 EFZG geregelten [X.] im Rahmen dessen, was zur Prüfung ihrer Voraussetzungen arbeitgeberseits erforderlich ist.

5. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Annahme des [X.]s, die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des [X.] im streitgegenständlichen Zeitraum hätten keine weiteren Entgeltfortzahlungsansprüche begründet, rechtsfehlerfrei. Mangels substantiierten Vortrags des [X.] ist vom Vorliegen von Fortsetzungserkrankungen auszugehen, so dass ihm wegen des Überschreitens des Entgeltfortzahlungszeitraums von sechs Wochen kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 EFZG mehr zustand.

a) Der Kläger, der innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG länger als sechs Wochen an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert war, ist der ihn nach den oben dargestellten Grundsätzen treffenden abgestuften Darlegungslast ([X.]. Rn. 10) nicht nachgekommen.

aa) Nachdem die Beklagte, die in dem Jahr vor dem streitgegenständlichen Zeitraum für (deutlich) mehr als sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geleistet hatte, das Vorliegen jeweils „neuer“ Erkrankungen iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. Satz 2 EFZG bestritten hat, hätte der Kläger zum Nichtvorliegen von Fortsetzungserkrankungen umfassend vortragen müssen. Hierfür genügt - unabhängig von der von ihm getroffenen zeitlichen und inhaltlichen „[X.]“ - ein bloßer Verweis auf [X.] nach der [X.] Klassifikation nicht. Die Revision lässt außer [X.], dass eine Fortsetzungserkrankung nicht nur bei einem identischen Krankheitsbild vorliegt, sondern ebenso, wenn die Krankheitssymptome auf demselben Grundleiden beruhen ([X.] 26. Oktober 2016 - 5 [X.] - Rn. 52 [X.], [X.]E 157, 102; vgl. auch [X.]/[X.] Stand 1. Dezember 2022 EFZG § 3 Rn. 73; [X.]/[X.] 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 61 f.). Das Vorliegen „derselben Krankheit“ iSv. § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG ist auch bei ggf. immer wiederkehrenden (chronischen) Erkrankungen der Atemwege im maßgeblichen Zeitraum nicht von vornherein ausgeschlossen. Ohne einen konkreten Vortrag dazu, welche gesundheitlichen Einschränkungen und Beschwerden bestanden, lässt sich nicht beurteilen, ob eine Fortsetzungserkrankung in Betracht kommt. Nur nach entsprechenden Darlegungen des Arbeitnehmers ist dem beweisbelasteten Arbeitgeber ein weiterer Vortrag möglich. Der Vortrag des [X.], der - für einzelne Zeiträume - lediglich die [X.] nach der [X.] Klassifikation bzw. deren „Übersetzung“ in Krankheiten oder Symptome aufführt, genügt diesen Anforderungen nicht.

bb) Darüber hinaus müssen sich die Darlegungen des Arbeitnehmers zum Nichtvorliegen von Fortsetzungserkrankungen umfassend auf die Arbeitsunfähigkeitszeiten im maßgeblichen Vorzeitraum beziehen. Auch daran fehlte es hier aufgrund der vom Kläger getroffenen, für das Gericht und die Beklagte nicht nachprüfbaren „[X.]“ der aus seiner Sicht maßgeblichen Erkrankungen. Für etliche Arbeitsunfähigkeitszeiträume im jeweiligen zeitlichen Rahmen von § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG fehlt jeglicher Vortrag.

b) Dem Senat ist eine Endentscheidung möglich, ohne dass dem Kläger Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag zu geben war. Einen etwaigen Verstoß des Berufungsgerichts gegen Hinweispflichten (vgl. dazu [X.] 23. März 2016 - 5 [X.] - Rn. 41, [X.]E 154, 337) hinsichtlich der Erforderlichkeit weiteren Sachvortrags zu seinen Vorerkrankungen hat der Kläger nicht gerügt. Ein etwaiger derartiger Verstoß hätte innerhalb der [X.] zum Gegenstand der Revision gemacht werden können und müssen, was nicht geschehen ist.

II. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch des [X.] auf Zinsen.

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    [X.]    

        

    Biebl    

        

    Bubach     

        

        

        

    Raabe    

        

    Störring    

                 

Meta

5 AZR 93/22

18.01.2023

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Frankfurt, 9. Juni 2021, Az: 14 Ca 9427/20, Urteil

§ 3 Abs 1 S 1 EntgFG, § 3 Abs 1 S 2 EntgFG, Art 2 Abs 1 GG, Art 1 Abs 1 GG, § 69 Abs 4 Halbs 1 SGB 10, Art 20 Abs 3 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 9 Abs 2 Buchst f EUV 2016/679, Art 9 Abs 1 EUV 2016/679, § 26 Abs 3 BDSG 2018

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.01.2023, Az. 5 AZR 93/22 (REWIS RS 2023, 1934)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1934

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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