Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15.07.2010, Az. 2 BvR 1023/08

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2010, 4759

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung von Art 19 Abs 4 GG durch Zurückweisung einer Fortsetzungsfeststellungsklage bzgl der Umstände der Unterbringung während der Untersuchungshaft - hier: Unterbringung in Haftraum mit rassistischen Schmierereien


Tenor

1. Der Beschluss des [X.] vom 20. Februar 2008 - 23 [X.] - verletzt, soweit er den Fortsetzungsfeststellungsantrag des Beschwerdeführers als unzulässig zurückgewiesen hat, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird insoweit aufgehoben.

2. Der Beschluss des [X.] vom 22. April 2008 - 1 Ws 170/08 ([X.]), 1 [X.] ([X.]) - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

4. Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

5. ...

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen die kurzzeitige Unterbringung eines Strafgefangenen in einem mit gewaltverherrlichenden rassistischen Schmierereien versehenen Haftraum des [X.] einer [X.] Strafvollzugsanstalt.

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1. Der Beschwerdeführer war im Zuge seiner Verlegung von der [X.] in die [X.] für drei Tage im [X.] der [X.] untergebracht. Nach Beendigung dieser Unterbringung beantragte er gemäß §§ 109 ff. [X.],

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"1. festzustellen, dass die von der Antragsgegnerin veranlasste Verlegung des Antragstellers in die [X.], die mit einer Unterbringung des Antragstellers im [X.] IV der [X.] verbunden war, gegen Artikel 1 [X.] verstoßen hat.

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2. die Antragsgegnerin für Fälle der Besuchsverlegung bzw. des Aufenthaltes des Antragstellers aus anderen Gründen in der Anstalt der Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller zukünftig nur dann über ein [X.] einer anderen Anstalt zu transportieren, wenn die Antragsgegnerin zuvor sichergestellt hat, dass

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a) sich keine Hakenkreuze und/oder antisemitische und/oder andere menschenverachtende Texte an den Wänden der Hafträume befinden.

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b) Urin nicht in den Wänden der Hafträume hochzieht.

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c) die Wände nicht mit [X.] beschmiert sind."

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Zur Begründung trug er vor, Ende 2006 habe er sich anlässlich einer Zeugenaussage im [X.] der [X.] befunden. Der Transport sei von der Antragsgegnerin - der [X.] - organisiert gewesen. In dem [X.] hätten sich an den Wänden Hakenkreuze und rassistische Texte befunden, von denen er einige wiedergebe:

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"Hackt den [X.]n die Schwänze ab, damit sie keine weiteren [X.]n machen können."

"[X.] hat nur einen Fehler gemacht: Er hat nicht alle [X.]n vergast."

"Nur ein toter [X.] ist ein guter [X.]."

"[X.], reisst den [X.]nvotzen die Eierstöcke raus."

Als er im Mai 2007 zu einer weiteren Zeugenaussage geladen worden sei, habe er beantragt, nicht wieder über das fragliche Haus der [X.] transportiert zu werden, da die dortige Unterbringung gegen die Menschenwürde verstoße. Die Strafvollstreckungskammer habe den entsprechenden Antrag unter anderem mit der Begründung abgewiesen, dass Hakenkreuze an den Wänden keine menschenunwürdige Unterbringung ausmachten; auf die Texte an den Wänden sei sie nicht eingegangen. Der Transport sei dann wegen Terminabsetzung nicht zustandegekommen.

Vom 9. bis zum 11. Januar 2008 sei er im Zuge seiner Verlegung gegen seinen erklärten Willen aufgrund Transportanweisung der Antragsgegnerin erneut im [X.] der [X.] untergebracht gewesen. Dort hätten sich an den Wänden der Zelle 4205 Hakenkreuze und menschenverachtende Texte befunden. Nur beispielhaft gebe er [X.] wieder:

"[X.]iges Ausländerschwein. [X.] Stiefel werden Dich töten. Die animalische Grotte Deiner Mutter muss mit einem Lötkolben Bekanntschaft machen. Du abartiges Stück [X.]. Man muss Euch auf bestialische Art und Weise zeigen, dass man Euch in [X.] nicht will. [X.] und Eurer Sippenhaft. Sonst werden einige von Euch die Nachricht als lebende Fackel zu verkünden haben. Gleiches gilt für Sinti und Romaabfall. Ihr dreckiges Volk von Bettlern und Hausierern. Eure dreckige Brut muss ausgerottet werden. Ihr habt kein Land. Ihr gehört nicht auf diese Welt. Ihr Tiere. Tod den Sintis."

Darüber hinaus habe sich [X.] an den Wänden befunden.

Die Justizvollzugsanstalt habe unter anderem durch einen Antrag, den der Beschwerdeführer im Mai 2007 gestellt habe, um eine damals wegen erneuter Ladung als Zeuge anstehende erneute Verbringung über das fragliche [X.] abzuwenden, seit langem Kenntnis von den menschenwürdewidrigen dortigen Zuständen. Trotzdem ordne sie weitere derartige Unterbringungen an. Nach § 12 der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug ([X.]) seien die [X.] verpflichtet, für Ordnung und Sauberkeit in allen Räumen zu sorgen. Der rechtswidrige Sachverhalt sei nicht beendet, da neue Verlegungen möglich seien.

2. Das [X.] wies mit angegriffenem Beschluss den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig zurück. Die in der vorübergehenden Unterbringung im [X.] der [X.] liegende Beschwer sei durch Verlegung in die [X.] weggefallen. Ein [X.] gemäß § 115 Abs. 3 [X.] setze ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit voraus, das zu bejahen sei, wenn sich die angefochtene Maßnahme bei späteren Entscheidungen für den Antragsteller nachteilig auswirken könne oder eine Wiederholungsgefahr nicht auszuschließen sei. Eine solche Gefahr müsse sich konkret abzeichnen. Daran fehle es hier. Für eine Rückverlegung des Beschwerdeführers in absehbarer [X.] fehlten konkrete Anhaltspunkte. Der gestellte [X.] sei aus demselben Grund unzulässig und darüber hinaus unbegründet, da es an der Passivlegitimation der Antragsgegnerin fehle. Eine etwaige Rückverlegung falle in die Zuständigkeit der [X.]; diese und nicht die Antragsgegnerin habe daher auch über den Transportweg zu entscheiden.

3. Mit seiner am 18. März 2008 protokollierten Rechtsbeschwerde machte der Beschwerdeführer geltend, er habe aus Art. 1 [X.] und nach dem Strafvollzugsgesetz Anspruch darauf, nicht in der beschriebenen Weise mit antisemitischen Texten und Hakenkreuzen konfrontiert zu werden. Nach der Argumentation des [X.] könne er auf dem Transport auch im Schweinestall untergebracht werden, vorausgesetzt er werde danach in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt. Dieser Gedanke sei aberwitzig. Ob eine Wiederholungsgefahr bestehe, sei zunächst nicht von Bedeutung. Denn wenn eine Rechtswidrigkeit nur für den Fall einer Wiederholung festgestellt werden könnte, seien gerichtliche Entscheidungen gegen einmalige Rechtswidrigkeiten nicht möglich. Der Beschwerdeführer sei dann der Antragsgegnerin schutzlos ausgeliefert. Nachdem er schon einige Male im [X.] untergebracht war, könne zudem eine Wiederholungsgefahr nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere strebe er eine Zurückverlegung in die heimatnahe [X.] an, da sich ihm dort bessere Wiedereingliederungschancen böten. Somit bestehe die konkrete Gefahr, dass er auch in Zukunft mit den menschenunwürdigen Haftbedingungen im [X.] der [X.] konfrontiert werde.

4. Das [X.] verwarf durch Beschluss vom 22. April 2008 die Rechtsbeschwerde als unzulässig, weil die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten sei (§ 116 Abs. 1 [X.]).

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 [X.]) und seines Rechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 [X.]). Die Gerichte hätten die Unverletzlichkeit der Menschenwürde nicht berücksichtigt. Mit seiner Verlegung in die [X.] habe sich das Problem nicht erledigt.

2. Das [X.] hat wie folgt Stellung genommen: Nach Mitteilung des zuständigen Vollzugsabteilungsassistenten sei der betreffende Haftraum in der [X.] im Januar 2008, als der Beschwerdeführer dort untergebracht gewesen sei, tatsächlich erheblich mit Schmierereien, unter anderem auch mit Hakenkreuzen, verunstaltet gewesen. Ob eine Verschmutzung bereits im Jahr 2006 existiert habe, könne nicht mehr nachvollzogen werden, ebensowenig eine Verschmutzung der Zellwände mit Exkrementen. Grundsätzlich werde nach Auflösung eines Haftraums dieser gründlich gereinigt. Wenn dabei Schmierereien auffielen, würden diese in der Regel umgehend beseitigt. Im vorliegenden Fall seien sie am 30. Januar 2008 überstrichen worden. Aufgrund der hohen Fluktuation in der Transportabteilung und des fehlenden Verantwortungsbewusstseins der dort kurzzeitig untergebrachten Gefangenen sei eine vollständige Vermeidung zukünftiger Verunstaltungen jedoch nicht zu realisieren. Soweit der Beschwerdeführer ausführe, dass mit seiner Verlegung zu rechnen sei, weil in der [X.] keine Langzeitbesuche zugelassen seien, sei anzumerken, dass seit September 2008 in [X.] grundsätzlich möglich seien.

3. Der Beschwerdeführer hat hierauf erwidert, die Angaben zur gründlichen Reinigung der Hafträume seien unzutreffend; die Zustände hätten sich bis heute nicht geändert. Er legt eidesstattliche Versicherungen von zwei Mitgefangenen vor, wonach die eigenen und zahlreiche andere Hafträume zum [X.]punkt ihrer mehrtägigen Transportaufenthalte auf der betreffenden Station im April beziehungsweise Mai 2009 in völlig verdrecktem Zustand waren und sich an den Wänden Hakenkreuze und fremdenfeindliche Hetzparolen befanden. Der Beschwerdeführer trägt außerdem vor, Angehörige seiner Familie hätten in [X.] im Konzentrationslager gesessen. Die Tolerierung der Schmierereien durch die Bediensteten belaste ihn daher sehr.

4. [X.] des fachgerichtlichen Verfahrens haben dem [X.] vorgelegen.

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, sofern sie sich gegen den Beschluss des [X.] auch insoweit richtet, als damit der [X.] des Beschwerdeführers zurückgewiesen wurde. Insoweit wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] von einer Begründung abgesehen.

2. Im Übrigen nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]), und gibt ihr statt. Die Entscheidungskompetenz der Kammer ist gegeben (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]); die für die Entscheidung des Falles maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des [X.]s geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist danach zulässig und offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]. Die Beschlüsse des [X.] und des [X.]s verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 [X.].

a) Art. 19 Abs. 4 [X.] gewährt nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern garantiert auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Der Bürger hat einen substanziellen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. [X.] 35, 382 <401 f.>; 104, 220 <231 ff.>; stRspr). Der Zugang zu den staatlichen Gerichten darf nicht in einer Weise erschwert werden, die sich aus [X.] nicht rechtfertigen lässt. Art. 19 Abs. 4 [X.] gebietet daher den Gerichten, das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird (vgl. [X.] 96, 27 <39>).

Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es prinzipiell vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen. Daher ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses annehmen (vgl. [X.] 104, 220 <232>). Ausnahmsweise kann aber das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage auch noch nach Erledigung in besonderer Weise schutzwürdig sein (vgl. [X.], a.a.[X.], S. 232 ff.).

Dies betrifft nicht nur die vom [X.] angesprochenen Fälle der drohenden Wiederholungsgefahr (vgl. [X.] 81, 138 <140>; 117, 71 <122>; stRspr) und der fortbestehenden Beeinträchtigung (vgl. [X.] 81, 138 <140>; 110, 77 <85 f.>; stRspr). Unter anderem ist bei gewichtigen Eingriffen ein Feststellungsinteresse trotz zwischenzeitlicher Erledigung jedenfalls dann anzuerkennen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine [X.]spanne beschränkt, in welcher der Betroffene gerichtlichen Rechtsschutz kaum erlangen kann (vgl. [X.] 110, 77 <86>; 117, 71 <122 f.>; stRspr). Gewichtig im hier maßgeblichen Sinne sind insbesondere (vgl. [X.] 96, 27 <40>; 104, 220 <233>; 117, 244 <269>), aber keineswegs ausschließlich Grundrechtseingriffe, die das Grundgesetz unter Richtervorbehalt gestellt hat (vgl. nur [X.] 110, 77 <86>; [X.]K 11, 54 <59>; [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 15. März 2006 - 2 BvR 1419/05 -, juris, vom 28. September 1999 - 2 BvR 1897/95 u.a. -, [X.], [X.], und vom 14. Februar 1994 - 2 BvR 2091/93 -, juris).

Das Gewicht des geltend gemachten Grundrechtseingriffs kann auch unabhängig von der besonderen Konstellation der typischerweise vor Erreichbarkeit gerichtlichen Rechtsschutzes eintretenden Erledigung ein für die Beurteilung des Rechtsschutzinteresses zu berücksichtigender Gesichtspunkt sein (vgl. [X.] 81, 138 <140>; 104, 220 <232>; 116, 69 <79>). In Verfahren, die die [X.] eines Gefangenen betreffen, entfällt, sofern eine Verletzung der Menschenwürde durch die Art und Weise der Unterbringung in Frage steht, das Rechtsschutzinteresse nicht mit der Beendigung der beanstandeten Unterbringung (vgl. [X.]K 6, 344 <347 f.> m.w.N.). Eine Verletzung der Menschenwürde steht in Rede, wenn ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 [X.] substantiiert geltend gemacht wird, nach dem Sachvortrag des [X.] also nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ein Verstoß gegen die staatliche Pflicht zur Gewährleistung der materiellen Mindestvoraussetzungen menschenwürdiger Existenz (vgl. [X.] 40, 121 <133>; 82, 60 <80>; 91, 93 <111>; 110, 412 <445 f.>; 113, 88 <108 f.>) vorliegt, die dem Gefangenen auch in der Haft erhalten bleiben müssen (vgl. [X.] 45, 187 <228>; [X.]K 12, 410 <414 f.>).

Was den Zugang des [X.] zu einer höheren Instanz angeht, gewährleisten weder Art. 19 Abs. 4 [X.] noch andere Verfassungsbestimmungen einen Instanzenzug (vgl. [X.] 87, 48 <61>; 92, 365 <410>; stRspr). Sehen aber prozessrechtliche Vorschriften ein Rechtsmittel vor, so verbietet Art. 19 Abs. 4 [X.] den Gerichten eine Auslegung und Anwendung dieser Rechtsnormen, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (vgl. [X.] 54, 94 <96 f.>; 77, 275 <284>; 78, 88 <99>; 112, 185 <208>; stRspr). Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lassen (vgl. [X.] 78, 88 <99>; 96, 27 <39>; [X.]K 11, 262 <266>; 12, 402 <406>).

b) Diesen Maßstäben haben die Gerichte nicht Rechnung getragen.

aa) Das [X.] hat die verfassungsrechtlichen Maßstäbe verkannt, die sich aus Art. 19 Abs. 4 [X.] für das Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses nach Erledigung ergeben. Dabei kann offen bleiben, ob es eine Wiederholungsgefahr in vertretbarer Weise verneint hat. Denn jedenfalls hat es den Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz verletzt, indem es nicht berücksichtigte, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch dann zu bejahen ist, wenn die Feststellung eines gewichtigen Grundrechtseingriffs begehrt wird, gegen den nach dem typischen Ablauf wirksamer Rechtsschutz nicht vor Erledigung zu erlangen ist (vgl. [X.] 110, 77 <86>; 117, 71 <122 f.>), oder wenn eine gegen die Menschenwürde verstoßende [X.] in Rede steht (vgl. [X.]K 6, 344 <347 f.> m.w.N.).

Der Beschwerdeführer hatte einen Sachverhalt vorgetragen, nach dem weder eine gravierende Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 sowie - unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes - Art. 2 Abs. 2 Satz 1 [X.] noch die Möglichkeit einer Verletzung seiner Menschenwürde durch die Bedingungen der [X.] von der Hand zu weisen waren. Die von Art. 1 Abs. 1 [X.] geforderte Achtung der Würde, die jedem Menschen unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung, seinen Verdiensten oder der Schuld, die er auf sich geladen hat, allein aufgrund seines [X.] zukommt (vgl. [X.] 1, 97 <104>; 87, 209 <228>; 107, 275 <284>; 109, 279 <313>), verbietet es grundsätzlich, Gefangene grob unhygienischen und widerlichen Haftraumbedingungen auszusetzen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 16. März 1993 - 2 BvR 202/93 -, NJW 1993, [X.]). Dies gilt auch insoweit, als die Unerträglichkeit der Verhältnisse im Haftraum durch Verhaltensweisen anderer Gefangener bedingt ist, und betrifft auch mit physischem oder verbalem [X.] beschmierte Haftraumwände. Schutz vor solchen Widerwärtigkeiten, selbst strafbarer Art, mag, wie das [X.] geltend macht, im Haftvollzug nicht ausnahmslos und unter allen Umständen erreichbar sein. Die Frage, wann in der Beschaffenheit von [X.] eine Missachtung des von Art. 1 Abs. 1 [X.] gewährleisteten [X.] liegt, lässt sich nicht ohne Rücksicht auf die Umstände und auf Fragen der praktischen Realisierbarkeit beantworten (vgl. [X.]K 12, 422 <424> m.w.N.; zur Bedeutung der Vermeidbarkeit von mit der Haft verbundenen Leiden im Hinblick auf Art. 3 [X.] s. auch [X.], Urteil vom 15. Juli 2002 - Rs. 47095/99 -, [X.]/[X.], NVwZ 2005, S. 303 <304>). Was daraus für die Bestimmung der sachlichen und zeitlichen Grenzen des unter Umständen [X.] folgt, bedarf hier keiner näheren Klärung. Denn die Strafvollstreckungskammer hatte jedenfalls im vorliegenden Fall nicht den geringsten Anlass zu der Annahme, dass staatlicherseits alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden waren, um den vom Beschwerdeführer dargestellten Verhältnissen entgegenzuwirken oder zu vermeiden, dass er ihnen ausgesetzt wurde. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Zustände deuteten vielmehr auf das Gegenteil hin.

bb) Die Entscheidung des [X.]s verstößt gegen Art. 19 Abs. 4 [X.], weil sie das durch § 116 Abs. 1 [X.] eröffnete Rechtsmittel ineffektiv macht und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lässt (vgl. [X.] 78, 88 <99>; 96, 27 <39>). Die nicht weiter begründete Annahme des [X.]s, die Überprüfung des landgerichtlichen Beschlusses sei weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 116 Abs. 1 [X.]), ist nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer hatte fristgemäß eine entsprechend der Formvorschrift des § 118 Abs. 3 [X.] von der Rechtspflegerin protokollierte Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er unter anderem die Verfahrensrüge erhob und sich gegen die landgerichtliche Verneinung seines Fortsetzungsfeststellungsinteresses wandte. Zur Begründung hatte er geltend gemacht, es könne nicht sein, dass eine Rechtswidrigkeit nur bei Wiederholungsgefahr gerichtlich festgestellt werden könne, da anderenfalls die gerichtliche Überprüfung von (in der jeweiligen Art) einmaligen Rechtsverletzungen unmöglich sei und er daher solchen Rechtsverletzungen schutzlos ausgeliefert wäre. Genauer hätte er den Grund dafür, dass bei typischerweise vor Erreichbarkeit gerichtlichen Rechtsschutzes erledigten gewichtigen [X.] Art. 19 Abs. 4 [X.] die Anerkennung eines Rechtsschutzinteresses auch noch nach Erledigung gebietet (vgl. [X.] 110, 77 <86>; 117, 71 <122 f.>), nicht benennen können. Bereits damit war deutlicher, als vom Beschwerdeführer erwartet werden konnte, aufgezeigt, dass die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts nicht gerecht wurde.

Weshalb bei dieser Sachlage eine Überprüfung der landgerichtlichen Entscheidung zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (§ 116 Abs. 1, [X.]. [X.]) entbehrlich gewesen sein sollte, erschließt sich nicht. Das [X.] war von mit der Rechtsprechung des [X.]s (s.o. unter a) nicht vereinbaren Voraussetzungen für das Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses ausgegangen. Zwar ist anerkannt, dass es auch in Fällen, in denen die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung ausdrücklich oder implizit auf eine von der Rechtsprechung anderer Gerichte abweichende fehlerhafte Rechtsauffassung gestützt hat, an der Erforderlichkeit der Nachprüfung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung fehlen kann, weil nicht zu erwarten ist, dass der Rechtsfehler in weiteren Fällen Bedeutung erlangen wird (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Mai 2007 - 2 Vollz Ws 78/07 -, NStZ-RR 2007, [X.], und vom 10. Januar 2006 - 2 Vollz Ws 453/05 -, [X.] 2006, [X.]; [X.], Beschlüsse vom 30. Mai 1990 - 1 Ws 117/90 -, Bl[X.]Kunde 1992, [X.], [X.], und vom 14. Januar 1999 - 1 Ws 296/98 -, [X.] 1999, [X.]54 f.). Die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde kann danach insbesondere dann verneint werden, wenn die Strafvollstreckungskammer ihren Rechtsfehler nachträglich erkannt und dies aktenkundig gemacht oder wenn das [X.] in anderer Sache zu der Rechtsfrage Stellung genommen und sie anders beantwortet hat als die Strafvollstreckungskammer, diese das aber bei der Entscheidung noch nicht wissen konnte (vgl. [X.]/Volckart, in: [X.], [X.]-Kommentar, 5. Aufl. 2006, § 116 Rn. 7; s. außerdem für die Möglichkeit, dass der Rechtsfehler einer Wiederholung deshalb nicht zugänglich ist, weil er eine singuläre Fallgestaltung betrifft, [X.]/Müller-Dietz, [X.], 11. Aufl. 2008, § 116 Rn. 2). Im vorliegenden Fall bestanden aber für die Annahme, dass das [X.] seine mit der Rechtsprechung des [X.]s unvereinbare Rechtsauffassung nicht auch künftigen Entscheidungen zugrundelegen werde, keinerlei Anhaltspunkte. Wenn unter solchen Umständen die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde verneint wird, ist das Grundrecht des [X.] aus Art. 19 Abs. 4 [X.] verletzt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. April 2008 - 2 BvR 866/06 -, juris).

3. Die Entscheidung des [X.], soweit sie den [X.] des Beschwerdeführers betrifft, und die Entscheidung des [X.]s beruhen auf den festgestellten Grundrechtsverstößen. Sie sind daher - der landgerichtliche Beschluss: insoweit - aufzuheben (§ 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 [X.]). Die Sache wird gemäß § 95 Abs. 2 [X.] an das [X.] zurückverwiesen.

4. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 [X.].

Meta

2 BvR 1023/08

15.07.2010

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Celle, 22. April 2008, Az: 1 Ws 170/08 (StrVollz), Beschluss

Art 1 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 109 StVollzG, § 115 Abs 3 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15.07.2010, Az. 2 BvR 1023/08 (REWIS RS 2010, 4759)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4759

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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