Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 15.08.2018, Az. 2 AZN 269/18

2. Senat | REWIS RS 2018, 4776

AUFSÄTZE ELEKTRONISCHES EMPFANGSBEKENNTNIS ERV QUALIFIZIERTE ELEKTRONISCHE SIGNATUR SICHERER ÜBERMITTLUNGSWEG

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Übermittlung eines elektronischen Dokuments - EGVP


Leitsatz

Über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Bundesarbeitsgerichts kann eine Nichtzulassungsbeschwerde seit dem 1. Januar 2018 nur dann eingereicht werden, wenn die als elektronisches Dokument übermittelte Beschwerdeschrift mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) versehen ist. Die gesetzliche Form ist nicht mehr gewahrt, wenn die qeS nur an dem an das EGVP übermittelten Nachrichtencontainer angebracht ist.

Tenor

1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 9. November 2017 - 4 [X.]/16 - wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 24.327,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

A. Die [X.]en streiten über die Wirksamkeit zweier Kündigungen. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das [X.] hat in seinem am 9. November 2017 verkündeten Urteil die Revision nicht zugelassen. Das [X.]erufungsurteil ist dem Kläger am 29. März 2018 zugestellt worden. Die Nichtzulassungsbeschwerdeschrift ist am 9. April 2018 und die [X.] am 28. Mai 2018 jeweils als elektronisches Dokument über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) an das [X.] übermittelt worden. In beiden Fällen bezog sich die qualifizierte elektronische Signatur ([X.]) nach den Transfervermerken nicht auf das elektronische PDF-Dokument selbst, sondern auf den „[X.]“ (sog. [X.]).

2

[X.]. Die [X.]eschwerde ist unzulässig. Die [X.]eschwerdeschrift ist nicht innerhalb der in § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG bestimmten Frist formgerecht beim [X.] eingegangen. Jedenfalls genügt ihre [X.]egründung nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG).

3

I. Der Kläger hat die [X.]eschwerde nicht formgerecht innerhalb der [X.]eschwerdefrist eingelegt.

4

1. Nach § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG ist die [X.]eschwerde bei dem [X.] innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils schriftlich einzulegen. Sie kann auch als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 555 Abs. 1 Satz 1, § 130a Abs. 1 ZPO), wenn dieses für die [X.]earbeitung durch das Gericht geeignet ist (§ 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die für die Übermittlung und [X.]earbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen sind in der zum 1. Januar 2018 in [X.] getretenen Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische [X.]ehördenpostfach ( § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. der [X.] - [X.]) vom 24. November 2017 ([X.]I S. 3803) idF der Verordnung zur Änderung der [X.] vom 9. Februar 2018 ([X.]I S. 200) geregelt. Das elektronische Dokument muss mit einer [X.] der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 130a Abs. 3 und Abs. 4 ZPO). Ein elektronisches Dokument, das mit einer [X.] der verantwortenden Person versehen ist, darf nur auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) oder an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete EGVP übermittelt werden (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 [X.]). Mehrere elektronische Dokumente dürfen hingegen nicht mit einer gemeinsamen [X.] übermittelt werden (§ 4 Abs. 2 [X.]). Durch diese Einschränkung soll verhindert werden, dass nach der Trennung eines elektronischen Dokuments vom sog. [X.] die [X.] nicht mehr überprüft werden kann ([X.]R-Drs. 645/17 S. 15 zu § 4; zu § 65a [X.] 9. Mai 2018 - [X.] 26/18 [X.] - Rn. 4).

5

2. Die Einreichung der [X.]eschwerdeschrift genügt diesen normativen Vorgaben nicht. Die Übermittlung des entsprechenden elektronischen Dokuments an das [X.] erfüllt nicht die in § 130a Abs. 3 ZPO bestimmten Anforderungen.

6

a) Über das EGVP des [X.]s kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann eingereicht werden, wenn die als elektronisches Dokument übermittelte [X.]eschwerdeschrift mit einer [X.] versehen ist. Die Form des § 130a Abs. 3 ZPO ist nicht mehr gewahrt, wenn die [X.] nur an dem an das EGVP übermittelten [X.] angebracht ist. Diese umfasst dann nicht das einzelne elektronische Dokument, sondern die elektronische Sendung. Diese Übermittlungsform genügt seit dem 1. Januar 2018 nicht (mehr) den Anforderungen des § 130a Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 ZPO iVm. § 4 Abs. 1 Nr. 2 [X.]. Dies gilt auch dann, wenn dem Gericht lediglich ein einziges Dokument übermittelt wird. Ob die [X.] ein Dokument oder mehrere Dokumente signieren soll, ist aus dem beim Gericht erstellten Transfervermerk nicht zu ersehen. Genau diese Erschwerung bei der [X.]earbeitung elektronischer Dokumente durch das Gericht soll der neu gefasste § 4 Abs. 2 [X.] verhindern. Nach der Verordnungsbegründung zu § 4 Abs. 2 [X.] schließt die [X.]estimmung „es künftig aus, mehrere elektronische Dokumente mit einer einzigen qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen“ ([X.]R-Drs. 645/17 S. 15). Nach der [X.]egründung zu § 5 Abs. 1 Nr. 5 [X.] kann „die qualifizierte elektronische Signatur … entweder in die jeweilige Datei eingebettet (‚Inline-Signatur‘) oder … der Datei beigefügt werden ([X.])“. „Würde hingegen die Datei mit der qualifizierten elektronischen Signatur umhüllt (‚Container-‘ oder ‚Envelope-Signatur‘), könnte dies die Verarbeitung durch das Gericht erheblich erschweren“ (vgl. [X.]R-Drs. 645/17 S. 17). Dies spricht dafür, dass nach der Vorstellung des Verordnungsgebers die [X.] ab dem 1. Januar 2018 für die Übermittlung von Schriftsätzen generell nicht mehr verwandt werden kann. Das gilt auch dann, wenn sich die [X.] nur auf elektronische Dokumente bezieht, die sämtlich ein Verfahren betreffen und bei nicht elektronisch geführten Akten mit dem Ergebnis der Signaturprüfung auf Papier ausgedruckt würden (aA [X.]randenburgisches OLG 6. März 2018 - 13 [X.]/18 - Rn. 18 ff.; offengelassen zu § 65a SGG von [X.]SG 9. Mai 2018 - [X.] 26/18 [X.] - Rn. 6).

7

b) Die vorstehende Auslegung von § 130a Abs. 2 ZPO sowie § 4 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Justizgewährungsanspruch vereinbar, weil den Rechtssuchenden zumutbare andere Übermittlungswege zur Verfügung stehen. Insbesondere kann mit einer geeigneten Software das mit einer [X.] versehene elektronische Dokument auch über das EGVP übermittelt werden. Eine einschränkende Auslegung des § 4 Abs. 2 [X.] ist deshalb ebenso wenig geboten wie eine teleologische Reduktion von § 130a Abs. 3 ZPO.

8

3. Der Senat musste dem Kläger nicht nach § 130a Abs. 6 Satz 1 ZPO unverzüglich mitteilen, dass er bei der Übermittlung seiner als elektronisches Dokument eingereichten [X.]eschwerde die Formvorschriften nicht genügend beachtet hat.

9

a) Nach § 130a Abs. 6 Satz 1 ZPO ist es zwar dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen, wenn ein elektronisches Dokument für das Gericht zur [X.]earbeitung nicht geeignet ist. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur [X.]earbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt (§ 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO). Die Vorschriften betreffen jedoch bereits nach ihrem Wortlaut nicht die Art und Weise der Übermittlung eines elektronischen Dokuments. Vielmehr regelt § 130a Abs. 6 Satz 1 ZPO nur den Fall, dass ein elektronisches Dokument für das Gericht zur [X.]earbeitung nicht geeignet ist, und knüpft daran die Pflicht, dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen.

b) Danach findet die [X.] nur Anwendung auf Formatfehler, dh. Fehler, aufgrund derer ein elektronisches Dokument zur [X.]earbeitung durch das Gericht nicht geeignet ist (zu § 65a Abs. 6 [X.] 9. Mai 2018 - [X.] 26/18 [X.] - Rn. 8). Diese sollen nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht zum [X.] einer [X.] führen, um ihr den „Zugang zu den Gerichten durch Anforderungen des formellen Rechts, wie etwa [X.], nicht in unverhältnismäßiger Weise“ zu erschweren (vgl. [X.]T-Drs. 17/12634 S. 26 f., 37). Wird ein elektronisches Dokument unter Verstoß gegen § 130a Abs. 3 Alt. 1 ZPO an das Gericht übermittelt, liegt hingegen kein bloßer „Formatfehler“ vor. Das elektronische Dokument wahrt in diesem Fall schon nicht die „prozessuale Form“ und geht, jedenfalls soweit wie in § 72a Abs. 2 ArbGG Schriftform vorgeschrieben ist, schon nicht [X.] bei Gericht ein (vgl. [X.]T-Drs. 17/12634 S. 25).

4. Eine gerichtliche Hinweispflicht in [X.]ezug auf die nicht ausreichende Übermittlung einer Nichtzulassungsbeschwerde kann aber aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG folgen, die zugunsten der Verfahrensbeteiligten einen Anspruch auf ein faires gerichtliches Verfahren begründen. Die sich daraus ergebende prozessuale Fürsorgepflicht verpflichtet die Gerichte, eine [X.] auf einen offenkundigen Formmangel eines bestimmenden Schriftsatzes hinzuweisen. Ein solcher liegt bei der Übermittlung einer Nichtzulassungsbeschwerde durch ein elektronisches Dokument vor, wenn diese - wie vorliegend - mit einer [X.] im EGVP des [X.]s eingeht. Ein Verfahrensbeteiligter kann erwarten, dass dieser Vorgang in angemessener Zeit bemerkt wird und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden. Unterbleibt ein gebotener Hinweis, ist der [X.] Wiedereinsetzung zu bewilligen, wenn er bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang so rechtzeitig hätte erfolgen müssen, dass der [X.] noch die Fristwahrung möglich gewesen wäre (vgl. [X.]SG 9. Mai 2018 - [X.] 26/18 [X.] - Rn. 11). Kann der Hinweis im Rahmen ordnungsgemäßen Geschäftsgangs nicht mehr so rechtzeitig erteilt werden, dass die Frist durch die erneute Übermittlung des fristgebundenen Schriftsatzes noch gewahrt werden kann, oder geht trotz rechtzeitig erteilten Hinweises der formwahrende Schriftsatz erst nach Fristablauf ein, scheidet eine Wiedereinsetzung allein aus diesem Grund dagegen aus. Aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte folgt keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Formalien eines als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes. Dies enthöbe die Verfahrensbeteiligten und deren [X.]evollmächtigte ihrer eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Formalien und überspannte die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens ([X.]VerfG 17. Januar 2006 - 1 [X.]vR 2558/05 - Rn. 10, [X.]VerfGK 7, 198; [X.]AG 22. August 2017 - 10 AZ[X.] 46/17 - Rn. 16). Ob der Kläger vorliegend darauf hätte hingewiesen werden müssen, dass die [X.]eschwerdeschrift nicht [X.] übermittelt worden ist, kann indes dahinstehen.

II. Die [X.]eschwerde bliebe auch dann ohne Erfolg, wenn dem Kläger wegen der Versäumung der [X.]eschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre. Die auf den [X.] aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG gestützte [X.]eschwerde ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil ihre [X.]egründung nicht den in § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG bestimmten Anforderungen genügt. [X.]ei den von der [X.]eschwerde formulierten Fragestellungen handelt es sich nicht um Rechtsfragen iSd. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Sie könnten zudem nur eine einzelfallbezogene Klärung der Rechtslage herbeiführen. Von einer weiteren [X.]egründung wird nach § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen.

        

    Koch     

        

    Niemann    

        

    Rachor     

        

        

        

             

        

             

                 

Meta

2 AZN 269/18

15.08.2018

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG Schwerin, 18. August 2016, Az: 5 Ca 1844/15, Urteil

§ 72a Abs 2 S 1 ArbGG, § 72 Abs 5 ArbGG, § 130a Abs 1 ZPO, § 130a Abs 2 S 1 ZPO, § 130a Abs 2 S 2 ZPO, § 130a Abs 3 ZPO, § 130a Abs 4 ZPO, § 130a Abs 6 S 1 ZPO, § 4 Abs 1 Nr 2 ERVV, § 4 Abs 2 ERVV, § 5 Abs 1 Nr 5 ERVV, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 15.08.2018, Az. 2 AZN 269/18 (REWIS RS 2018, 4776)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 1519-1520 REWIS RS 2018, 4776

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 573/18 (Bundesgerichtshof)

Qualifizierte Container-Signatur nicht ausreichend bei Einlegung der Berufung


10 AZN 53/20 (Bundesarbeitsgericht)

Elektronischer Rechtsverkehr - sicherer Übermittlungsweg


B 12 KR 26/18 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Beschwerdefrist - elektronischer Rechtsverkehr - elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach - …


2 AZR 43/20 (Bundesarbeitsgericht)

Verhaltensbedingte Kündigung - Nachträgliche Klagezulassung


B 1 KR 7/18 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Verbot der Container-Signatur - Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 4 Abs 2 …


Referenzen
Wird zitiert von

B 1 KR 7/18 B

5 StR 432/19

2 K 483/18

3 Sa 213/18

23 ZB 19.2288

23 ZB 19.2287

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.