Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.11.2023, Az. B 9 V 8/23 B

9. Senat | REWIS RS 2023, 9142

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopferentschädigung - Anforderungen an die Erstellung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens - Klärungsbedürftigkeit - substantiierte Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung - Würdigung von aussagepsychologischen Gutachten - Beweiswürdigung - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - schriftliche Vernehmung von Zeugen - Bezeichnung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags - Geltendmachung der Befangenheit eines Richters oder einer Richterin - Darlegung eines ordnungsgemäßen Ablehnungsgesuchs im Berufungsverfahren und der Gründe für dessen Ablehnung - mögliche (ausnahmsweise) Statthaftigkeit eines Ablehnungsgesuchs nach Erlass des Urteils


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 8. März 2023 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Verfahren die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Leistungen der Opferentschädigung wegen schwerer, auch sexueller Misshandlungen in einem [X.] Kinderheim in den Jahren 1965 und 1966.

2

Das [X.] hat den Anspruch wie vor ihm das [X.] verneint, weil ihm in Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere der im Verfahren eingeholten aussagepsychologischen Gutachten und Stellungnahmen, die von der Klägerin beschriebenen Gewalt- und Missbrauchsszenen nicht glaubhaft erschienen (Urteil vom [X.]).

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum B[X.] eingelegt. Sie rügt Verfahrensmängel und meint, das [X.] habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behaupteten Verfahrensmängel noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G).

5

1. Die Klägerin hat die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht hinreichend bezeichnet.

6

a) Soweit sie die Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das [X.] rügt (allgemein zu den [X.] einer Sachaufklärungsrüge B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 24/22 B - juris Rd[X.] 5; B[X.] Beschluss vom 26.10.2022 - [X.] R 105/22 B - juris Rd[X.] 6, jeweils mwN), hat sie bereits keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet.

7

Gemäß § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 2 [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. [X.] die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen, muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das [X.] nicht gefolgt ist. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte Beweis erhoben werden sollte (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 403 bzw § 373 ZPO). Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Diese ist möglichst präzise und bestimmt zu behaupten. Zudem ist zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 [X.] 3 [X.]G ausreichend zu begründen. Unbestimmte oder unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] SB 46/22 B - juris Rd[X.] 6; B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 16/17 B - juris Rd[X.] 6).

8

Insoweit teilt die Beschwerde aber lediglich mit, das [X.] habe es unterlassen, eine Reihe von ihr benannter Zeugen zu hören oder persönlich statt schriftlich zu vernehmen. Einen prozessordnungsgemäßen und bis zuletzt vor dem [X.] in der mündlichen Verhandlung vom [X.] aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnet sie damit nicht.

9

b) Soweit die Klägerin offenbar der Meinung ist, das [X.] habe die im Verfahren erstellten aussagepsychologischen Gutachten und Stellungnahmen falsch gewürdigt, wendet sie sich gegen dessen Beweiswürdigung. Diese ist jedoch gemäß § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 2 [X.]G der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzogen. [X.] der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Regelung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G) mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 1.7.2020 - [X.] S[X.]/20 B - juris Rd[X.] 10 mwN).

c) Ebenso wenig genügt die Beschwerdebegründung den formellen Anforderungen an die Bezeichnung eines [X.], soweit die Klägerin mit ihrem Vortrag, sie halte [X.] des [X.] für befangen, eine Verletzung des Rechts auf [X.] (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) und einen Verstoß gegen § 202 Satz 1 [X.]G iVm § 547 [X.] 1 ZPO rügen wollte. Die im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Klägerin hat bereits nicht dargelegt, im Verfahren vor dem [X.] ein ordnungsgemäßes Ablehnungsgesuch angebracht zu haben. Ebenso wenig teilt sie mit, ob und mit welcher Begründung das Berufungsgericht dieses Gesuch abgelehnt hat. Ohne konkrete Angaben der Klägerin zur Begründung des [X.] für die Ablehnung eines etwaigen Ablehnungsgesuchs ist das B[X.] als Beschwerdegericht außerstande zu beurteilen, ob eine Entscheidung des [X.] über das Gesuch - wie für den Erfolg der Beschwerde notwendig - aus inhaltlichen Gründen auf [X.]kür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruhen könnte, oder ob die Entscheidung darauf hindeutet, dass das [X.] Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt habe (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 42/21 B - juris Rd[X.] 24 mwN). Ein erst nach Abschluss der Berufungsinstanz - etwa sinngemäß mit der Beschwerdeschrift - eingereichtes Ablehnungsgesuch wäre von vornherein unstatthaft, weil der vollständige Abschluss der Instanz den letzten möglichen Zeitpunkt für die Geltendmachung von [X.] bildet (vgl B[X.] Beschluss vom 13.7.2022 - [X.] [X.]/22 B - juris Rd[X.] 2; B[X.] Beschluss vom [X.] [X.]/19 B - juris Rd[X.] 6). Ob ausnahmsweise etwas anderes gelten kann, wenn sich erst aus den Entscheidungsgründen Hinweise auf die Befangenheit eines an der Entscheidung mitwirkenden Richters ergeben (vgl B[X.] Beschluss vom 13.7.2022 - [X.] [X.]/22 B - juris Rd[X.] 4), bedarf hier keiner weiteren Erörterung, weil dafür nichts [X.] vorgetragen worden ist.

2. Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat die Klägerin nicht dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] 1 [X.]G hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 5/20 B - juris Rd[X.] 6 mwN).

Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort weder von vornherein praktisch außer Zweifel steht, noch so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit der einschlägigen Rechtsprechung des B[X.] auseinandersetzen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 21.8.2017 - [X.] SB 11/17 B - juris Rd[X.] 8 mwN).

Diese Anforderungen an die Darlegung einer Grundsatzrüge verfehlt die Beschwerdebegründung. Die Klägerin formuliert schon keine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten, genau bezeichneten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 [X.]G) mit höherrangigem Recht (vgl hierzu B[X.] Beschluss vom [X.] - B 11 [X.] 30/22 B - juris Rd[X.] 3; B[X.] Beschluss vom 30.9.2021 - [X.] V 25/21 B - juris Rd[X.] 7). Es gehört nicht zu den Aufgaben des B[X.], aus dem Vorbringen der Klägerin selbst eine entsprechende Rechtsfrage herauszusuchen und zu benennen (vgl stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 8.3.2021 - [X.] [X.] 3/20 B - juris Rd[X.] 17 mwN).

Soweit es der Klägerin um die Anforderungen an die Erstellung von sogenannten [X.] im Opferentschädigungsrecht geht, fehlt es darüber hinaus an einer für die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit notwendigen substantiierten Auseinandersetzung mit der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung des B[X.] (vgl B[X.] Beschluss vom 18.4.2019 - [X.] V 47/18 B - juris Rd[X.] 12 mwN) sowie an der Darlegung, warum sich die von ihr für klärungsbedürftig gehaltenen Fragen nicht mithilfe dieser Rechtsprechung beantworten lassen (vgl hierzu B[X.] Beschluss vom 6.3.2020 - [X.] SB 86/19 B - juris Rd[X.] 6) und deshalb weiterer Klärungsbedarf besteht. Allein die auszugsweise Wiedergabe verschiedener Urteile des B[X.] in der Beschwerdebegründung genügt dafür nicht.

Dass die Klägerin die Entscheidung des [X.] inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 9.2.2023 - [X.] SB 35/22 B - juris Rd[X.] 7; B[X.] Beschluss vom 30.8.2022 - [X.] SB 17/22 B - juris Rd[X.] 11).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung [X.] als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 [X.]G).

4. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

        

Kaltenstein

Othmer

Röhl   

Meta

B 9 V 8/23 B

23.11.2023

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG Koblenz, 12. Mai 2017, Az: S 4 VG 13/15, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 60 Abs 1 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 373 ZPO, § 377 Abs 3 ZPO, § 403 ZPO, § 411 ZPO, § 547 Nr 1 ZPO, § 1 OEG, § 15 KOVVfG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 23.11.2023, Az. B 9 V 8/23 B (REWIS RS 2023, 9142)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9142

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