Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.10.2023, Az. B 9 V 9/23 B

9. Senat | REWIS RS 2023, 9077

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - soziales Entschädigungsrecht - Beschädigtenrente - Verlängerung der Antragsfrist - Hinderung an der Antragstellung ohne Verschulden - minderjähriges Opfer sexueller Gewalt - fehlendes Verschulden bis zur Volljährigkeit - subjektiver Maßstab - Zurechnung des Verschuldens der gesetzlichen Vertretungsperson - keine Verschuldenszurechnung bei Tatbeteiligung oder drohendem empfindlichem Ansehensverlust bzw Kriminalstrafe für Angehörige - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Sachaufklärungspflicht - schriftliche Verwerfung eines Beweisantrags - Erforderlichkeit eines neuen Beweisantrags für weitere Ermittlungen - Pflicht des Gerichts zur Hinwirkung auf sachdienliche Anträge - rechtskundig vertretener Beteiligter - Fragerecht gegenüber dem Sachverständigen - Divergenz - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 7. März 2023 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die am … 1972 geborene Klägerin begehrt in der [X.]auptsache noch die Zuerkennung eines früheren [X.] ihrer Beschädigtenversorgung ab dem Zeitpunkt der Schädigung im Jahr 1975 anstatt dem 1.9.2009.

2

Diesen Anspruch hat das [X.] nach Abschluss eines Teilvergleichs verneint, weil der allgemein auf "Opferentschädigung" gerichtete Antrag zu unbestimmt und die Berufung daher unzulässig sei. Darüber hinaus sei die Berufung aber auch unbegründet, weil die Klägerin keinen Anspruch auf eine Vorverlegung des [X.] habe. Dieser scheitere daran, dass die Klägerin nur bis zum … 1987 - vor Vollendung des 15. Lebensjahres - unverschuldet iS des § 60 Abs 1 Satz 3 [X.] ([X.]) an einer Antragstellung gehindert gewesen sei und die Jahresfrist nach § 60 Abs 1 [X.] am … 1988 geendet habe. Der Antrag auf Opferentschädigung sei jedoch erst am [X.] und damit mehr als 30 Jahre nach Ablauf der Frist gestellt worden. Bis zum … 1987 müsse sich die Klägerin zwar kein Verschulden ihrer gesetzlichen Vertreter zurechnen lassen. Ab dem … 1987 sei sie mit Eintritt ihrer sozialrechtlichen [X.]andlungsfähigkeit aber nicht mehr unverschuldet an einer Antragstellung gehindert gewesen. Nach dem Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie R vom [X.] sei der Klägerin - auf Basis ihrer eigenen Angaben - der sexuelle Missbrauch durch ihren Vater seit dem Kindesalter bewusst gewesen. Danach habe die Klägerin als junges Mädchen einem anderen Kind und einer Erzieherin von den Missbräuchen erzählt. Diese Angaben deckten sich mit den Erklärungen gegenüber der Gutachterin M in ihrem versorgungsmedizinischen Gutachten vom [X.], dass sie sowohl im Kindergarten als auch in der Schule und gegenüber ihrer Mutter den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater angesprochen habe. Die Behauptung einer bestehenden dissoziativen Amnesie werde entgegen den Ausführungen des auf Antrag der Klägerin gehörten Sachverständigen [X.] vom 22.8.2022 durch den eigenen Vortrag der Klägerin widerlegt. Eine konkrete Begründung hierfür habe der Sachverständige zu keinem Zeitpunkt gegeben. Auch in Bezug auf die anerkannte Vergewaltigung im Jahr 1994 habe die Klägerin selbst zu keinem Zeitpunkt eine dissoziative Amnesie geltend gemacht (Urteil vom 7.3.2023).

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim [X.] eingelegt und mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, einer Divergenz und mit Verfahrensmängeln begründet.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat die von ihr geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der danach vorgeschriebenen Weise dargetan.

5

1. Die Klägerin hat - anders als rechtlich geboten - bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des [X.] zugrunde liegt, nicht hinreichend substantiiert mitgeteilt. Ihren Schilderungen in der Beschwerdebegründung können allenfalls Fragmente der entscheidungserheblichen Tatsachen entnommen werden. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung oder Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes. Denn es ist nicht Aufgabe des [X.], sich im Rahmen des [X.]s die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (stRspr; zB [X.] Beschluss vom [X.] SB 35/22 B - juris Rd[X.] 5; [X.] Beschluss vom 5.12.2022 - [X.] V 30/22 B - juris Rd[X.] 6).

6

Ohne eine hinreichende Sachverhaltswiedergabe kann das [X.] nicht beurteilen, ob sich entscheidungserheblich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, ob eine Divergenz zu einer Entscheidung des [X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] oder des [X.] oder ob ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtene vorinstanzliche Entscheidung beruhen kann. Dies gilt umso mehr, wenn es sich - wie vorliegend - um einen umfangreichen Lebenssachverhalt handelt. In einer solchen Situation ist vom Beschwerdeführer zu erwarten, dass die Tatsachenfeststellungen, die für das [X.] und aus Sicht der Beschwerde entscheidungserheblich sind, in einer geordneten Abhandlung und nicht - wie hier erfolgt - im Rahmen der Begründung fragmentarisch und unzureichend strukturiert dargelegt werden (vgl stRspr; zB [X.] Beschluss vom 5.12.2022 - [X.] V 30/22 B - juris Rd[X.] 7 mwN).

7

2. Unabhängig davon erfüllt das Vorbringen der Klägerin auch nicht die [X.] der geltend gemachten Zulassungsgründe:

8

a) Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.]) beruft, muss anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie ggf des Schrifttums angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Er muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 7.11.2022 - [X.] V 28/22 B - juris Rd[X.] 6; [X.] Beschluss vom 23.2.2022 - [X.] SB 53/21 B - juris Rd[X.] 4). Diese [X.] verfehlt die Beschwerde.

9

Die Klägerin hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:

"1. Ist die Tatsache, dass ein Beschädigter oder eine Beschädigte vor dem Alter von 15 Jahren sexuell misshandelt oder missbraucht wurde, im Rahmen der Prüfung des § 60 Abs. 1 S. 3 [X.] dahingehend zu berücksichtigen, dass eine Rückwirkung der Antragstellung über die in Abs. 2 normierte Jahresfrist hinaus in Betracht kommt, weil der oder die Beschädigte ohne eigenes Verschulden an der Geltendmachung des Versorgungsanspruchs innerhalb der in § 60 Abs. 2 [X.] vorgesehenen Jahresfrist gehindert gewesen ist (vgl. [X.] 1735/ S. 17 zu 37).

2. Ist für die Frage des Verschuldens im Rahmen des § 60 Abs. 1 S. 3 [X.] bei einem oder einer 15-Jährigen, der oder die vor diesem Alter eine sexuelle Misshandlung oder ein sexueller Missbrauch erlitten hat, diese Tatsache ebenfalls zu berücksichtigen?

3. Liegt bei einem Jugendlichen, der sexuelle Misshandlung oder sexuellen Missbrauch erlebt hat, die Fähigkeit vor, einen Antrag i.S.d. § 60 Abs. 1 S. 3 [X.] zu stellen?"

Der Senat lässt dahinstehen, ob sie damit überhaupt hinreichend konkrete Rechtsfragen iS des § 160 Abs 2 [X.] bezeichnet hat. Denn die Klägerin zeigt bereits deren Klärungsbedürftigkeit nicht in der für eine Grundsatzrüge gebotenen Weise auf. Eine Rechtsfrage ist nämlich dann nicht (mehr) klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Letzteres ist auch dann der Fall, wenn das Revisionsgericht darüber zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 7.11.2022 - [X.] V 28/22 B - juris Rd[X.] 9; [X.] Beschluss vom 5.6.2020 - [X.] S[X.]7/19 B - juris Rd[X.] 9). Im [X.]inblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des [X.] substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen [X.] noch keine Entscheidung vorliegt oder durch die schon ergangenen Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet ist (vgl [X.] Beschluss vom 23.4.2021 - B 13 R 67/20 B - juris Rd[X.] 7 mwN).

Diese [X.] erfüllt die Beschwerde nicht. Insbesondere hat die Klägerin keinen fortbestehenden oder neu entstandenen Klärungsbedarf dargelegt. Sie benennt in diesem Kontext zwar das auch vom [X.] angeführte Urteil des [X.] vom [X.] ([X.] [X.] - [X.]E 104, 245 = [X.]-3100 § 60 [X.] 6), setzt sich aber im Rahmen ihrer Grundsatzrüge inhaltlich weder mit dieser noch mit anderen Entscheidungen des [X.] zu einer verspäteten Antragstellung minderjähriger Gewaltopfer sowie der Zurechenbarkeit des Verschuldens des gesetzlichen Vertreters hieran auseinander und prüft demzufolge auch nicht, ob sich aus ihnen Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Fragenstellungen zu § 60 Abs 1 [X.] ergeben. So hat das [X.] bereits mit Urteil vom [X.] ([X.]a/9 VG 1/04 R - [X.]E 94, 282 = [X.]-3800 § 1 [X.] 8, juris Rd[X.] 18) entschieden, dass ein minderjähriges Opfer sexueller Gewalt nach Eintritt sozialrechtlicher [X.]andlungsfähigkeit regelmäßig ohne Verschulden gehindert ist, Beschädigtenrente zu beantragen. Insoweit gilt grundsätzlich ein subjektiver Maßstab. Zu berücksichtigen sind insbesondere Geisteszustand, Reife, Alter, Bildungsgrad und Geschäftsgewandtheit. Auch hat sich das [X.] in beiden Entscheidungen zur Zurechenbarkeit einer schuldhaft unterlassenen Antragstellung von gesetzlichen Vertretern minderjähriger Gewaltopfer geäußert. Im Urteil vom [X.] ([X.]a/9 VG 1/04 R - [X.]E 94, 282 = [X.]-3800 § 1 [X.] 8, juris Rd[X.] 15 ff) hat das [X.] in Fortführung seiner Entscheidung vom 23.10.1985 (9a [X.] 4/83 - [X.]E 59, 40 = [X.] 3800 § 1 [X.] 5) darauf hingewiesen, dass dem minderjährigen Gewaltopfer das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters, der aus tat- und täterbestimmten eigenen Interessen keinen Antrag auf Beschädigtenrente stellt, nicht zuzurechnen ist. Deshalb scheidet nach der Rechtsprechung des [X.] eine Zurechnung von Verschulden des gesetzlichen Vertreters auch in Fällen aus, in denen der gesetzliche Vertreter entweder zugleich der - bisher unentdeckte - Täter war oder er im Falle des [X.] mit einem empfindlichen Ansehensverlust und einer Kriminalstrafe seines Angehörigen zu rechnen hat ([X.] Urteil vom 16.3.2016 - [X.] V 6/15 R - [X.]-3100 § 60 [X.] 7 Rd[X.] 23).

Auf die von der Klägerin behauptete inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung des [X.] bei der Subsumtion im Einzelfall kann eine Grundsatzrüge nicht gestützt werden (stRspr; vgl zB [X.] Beschluss vom 7.11.2022 - [X.] V 28/22 B - juris Rd[X.] 12 mwN).

b) Bereits aus dem genannten Grund der fehlenden Schilderung des für die Entscheidung des [X.] erheblichen Sachverhalts hat die Klägerin auch die von ihr gerügte Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] 2 SGG) zu dem von ihr zitierten Urteil des [X.] vom [X.] ([X.]a/9 VG 1/04 R - [X.]E 94, 282 = [X.]-3800 § 1 [X.] 8) nicht hinreichend bezeichnet (vgl allgemein zu den [X.] an eine Divergenzrüge zB [X.] Beschluss vom 25.10.2018 - [X.] V 27/18 B - juris Rd[X.] 8 mwN). Unabhängig davon hat die Klägerin auch keine divergierenden abstrakten tragenden Rechtssätze im Urteil des [X.] bezeichnet, die von einem abstrakten tragenden Rechtssatz in der genannten Entscheidung des [X.] abweichen. Denn nicht die behauptete Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 22/21 B - juris Rd[X.] 16; [X.] Beschluss vom [X.] - B 7 [X.] 142/02 B - [X.] 3-1500 § 160a [X.] 34 - juris Rd[X.] 13). Ihr diesbezügliches Vorbringen in der Beschwerdebegründung geht daher über eine im [X.] unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht hinaus.

c) Schließlich hat die Klägerin auch keinen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] 3 SGG) hinreichend bezeichnet.

aa) Soweit als Verfahrensmangel - wie vorliegend - ein Verstoß des [X.] gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das [X.] nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des [X.], aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des [X.] auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das [X.] mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; zB [X.] Beschluss vom 5.12.2022 - [X.] V 30/22 B - juris Rd[X.] 9; [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 51/20 B - juris Rd[X.] 9; [X.] Beschluss vom 26.2.2018 - [X.] S[X.]4/17 B - juris Rd[X.] 5).

Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.

Die Klägerin rügt, das [X.] habe ihren Antrag vom 20.2.2023, dass der Sachverständige [X.] sein Gutachten vom 22.8.2022 in der mündlichen Verhandlung erläutere, mit Schreiben vom 23.2.2023 verworfen, weil sich allein aufgrund der Diskrepanz zwischen dessen Gutachten und dem Gutachten von R kein Anspruch auf Ladung des Sachverständigen zum Termin ergebe. [X.]ierbei habe das [X.] übersehen, dass [X.] in seinem Gutachten auf Seite 20 ff eine konkrete Begründung zur Divergenz hinsichtlich der Beurteilung des Traumas als Extremtrauma abgegeben habe. Das [X.] hätte aus diesem Grund ihrem Antrag folgen müssen, [X.] zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden.

Mit diesem und ihrem weiteren Vorbringen hat die Klägerin jedoch bereits nicht aufgezeigt, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] bis zuletzt aufrechterhalten zu haben. Ein solcher Antrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren eine Warnfunktion. Es soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch nicht für erfüllt hält. Diese Warnfunktion verfehlen bloße Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind, weil es sich insoweit nur um [X.]inweise oder bloße Anregungen handelt ([X.] Beschluss vom 22.9.2022 - [X.] S[X.]/22 B - juris Rd[X.] 10 mwN). Um das Berufungsgericht ausreichend vor einer Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht zu warnen, muss ein im Berufungsverfahren rechtskundig vertretener Beschwerdeführer - wie die Klägerin - sein zuvor geäußertes Beweisbegehren deshalb in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] als prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 [X.] 3 SGG wiederholen und protokollieren lassen (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 4 Satz 1 ZPO; vgl stRspr; zB [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 47/21 B - juris Rd[X.] 8; [X.] Beschluss vom 14.5.2021 - [X.] SB 71/20 B - juris Rd[X.] 8).

Demgegenüber trägt die Klägerin selbst vor, das [X.] habe ihren Beweisantrag mit Schreiben vom 23.2.2023 verworfen und dies auch entsprechend begründet. In dieser prozessualen Lage brauchte das [X.] ohne einen weiteren Beweisantrag, der sich mit den Gründen der zuvor erfolgten Ablehnung des vorangegangenen Beweisantrags auseinandersetzte und weiteren Ermittlungsbedarf aufzeigte, nicht mehr anzunehmen, die Klägerin halte immer noch zusätzliche Ermittlungen von Amts wegen für geboten (vgl [X.] Beschluss vom 22.9.2022 - [X.] S[X.]/22 B - juris Rd[X.] 11). Dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung einen weiteren Beweisantrag zu Protokoll gestellt hat, behauptet sie nicht.

Unabhängig davon trägt die Klägerin auch nicht schlüssig vor, warum sich das [X.] ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu einer weiteren Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Es gehört zu den Aufgaben des [X.]s, sich im Rahmen seiner Beweiswürdigung auch mit einander entgegengesetzten Gutachten auseinanderzusetzen. [X.]ält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört - wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse - zur Beweiswürdigung selbst. Bei einer derartigen Fallgestaltung ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum ([X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 62/18 B - juris Rd[X.] 7). Lediglich dann, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben, ist das [X.] zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet (stRspr; zB [X.] Beschluss vom [X.] R 49/19 B - juris Rd[X.] 16 mwN). Solche Umstände hat die Klägerin nicht schlüssig bezeichnet. Tatsächlich kritisiert die Klägerin mit ihrem Vorbringen gegen die Auswertung und Würdigung der vorliegenden Sachverständigengutachten durch das [X.] dessen Beweiswürdigung (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG), womit sie nach § 160 Abs 2 [X.] 3 [X.]albsatz 2 SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann.

bb) Soweit die Klägerin die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) rügt, weil vor dem [X.] in der mündlichen Verhandlung vom 7.3.2023 der Sachverständige [X.] nicht zu den Diskrepanzen seines Gutachtens zum Gutachten von R angehört worden sei, genügt ihr diesbezügliches Vorbringen auch nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels in Form des gesetzlichen Fragerechts aus § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO. Die Klägerin hat schon nicht aufgezeigt, einen solchen Antrag bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] aufrechterhalten zu haben (vgl [X.] Beschluss vom 27.9.2018 - [X.] V 14/18 B - juris Rd[X.] 14). Überdies setzt die Ausübung des Fragerechts an den Sachverständigen eine hinreichend konkrete Bezeichnung der noch erläuterungsbedürftigen Punkte voraus. Dafür muss ein wie die Klägerin rechtskundig vertretener Beteiligter die im bisherigen Verfahren zu den beabsichtigten Fragen bereits getroffenen medizinischen Feststellungen der Sachverständigen näher benennen, sodann auf dieser Grundlage auf Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten in deren Ausführungen hinweisen und davon ausgehend schließlich die konkret - aus seiner Sicht - noch erläuterungsbedürftigen Punkte formulieren (stRspr; zB [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 51/20 B - juris Rd[X.] 7; [X.] Beschluss vom 2.10.2020 - [X.] SB 10/20 B - juris Rd[X.] 9; [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 26/18 B - juris Rd[X.] 9). Auch hieran fehlt es. Allein die in der Beschwerdebegründung erfolgte Darstellung der unterschiedlichen Ergebnisse in den Gutachten von R und [X.] reicht insoweit nicht aus. Soweit die Klägerin sich mit diesen Ausführungen gegen Auswertung und Würdigung der Gutachten durch das [X.] wendet und insbesondere nicht damit einverstanden ist, dass das Berufungsgericht den gutachterlichen Äußerungen des [X.] nicht gefolgt ist, rügt sie dessen Beweiswürdigung (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG). [X.]ierauf kann jedoch - wie oben bereits aufgezeigt - eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.

cc) Mit ihrer weiteren Rüge, das [X.] hätte sie auf die seiner Ansicht nach unbestimmte Antragstellung hinweisen müssen und die "Klage" nicht ohne vorherigen [X.]inweis als unzulässig erachten dürfen, wendet sich die Klägerin sinngemäß dagegen, das [X.] habe in der Person des Vorsitzenden, die sich aus § 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG ergebende Pflicht zur [X.]inwirkung auf sachdienliche Anträge verletzt. Unabhängig davon, ob und inwieweit eine solche [X.]inwirkungspflicht des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung auch gegenüber der rechtsanwaltlich vertretenen Klägerin bestanden hat (vgl [X.] Beschluss vom 6.12.2018 - [X.] [X.] 38/18 B - juris Rd[X.] 6; [X.] Beschluss vom 1.3.2018 - [X.] [X.] 52/17 B - juris Rd[X.] 7 zur Verpflichtung des Vorsitzenden zur [X.]inwirkung auf die Stellung sachdienlicher Anträge bei nicht anwaltlich vertretenen Klägern; zur Fürsorge- und Prozessförderungspflicht des Gerichts auch gegenüber Rechtskundigen vgl [X.] Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 19/06 R - [X.]-3250 § 14 [X.] 3 Rd[X.] 24), zeigt die Klägerin nicht auf, inwieweit die angefochtene Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann. Denn sie trägt selbst vor, dass das [X.] auf Grundlage der vorliegenden Befunde und Gutachten den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Vorverlegung des [X.] in der Sache geprüft und verneint und deshalb die Berufung auch als unbegründet angesehen habe. Somit versäumt sie es darzulegen, dass auch im Fall eines erfolgten vorherigen [X.]inweises des Vorsitzenden auf die Unbestimmtheit des gestellten Antrags und einer daraufhin erfolgten Antragsumstellung durch ihren Prozessbevollmächtigten das [X.] zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung gelangt wäre.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 [X.]albsatz 2 SGG).

3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 [X.]albsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

4. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

        

Kaltenstein

Röhl   

Othmer

Meta

B 9 V 9/23 B

18.10.2023

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: V

vorgehend SG München, 9. Oktober 2014, Az: S 30 VG 18/12, Urteil

§ 60 Abs 1 S 3 BVG, § 60 Abs 1 S 2 BVG, § 60 Abs 2 BVG, § 36 Abs 1 SGB 1, § 27 Abs 1 S 2 SGB 10, § 62 SGG, § 103 SGG, § 106 Abs 1 SGG, § 112 Abs 2 S 2 SGG, § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 122 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 4 S 1 ZPO, § 397 ZPO, § 402 ZPO, § 411 Abs 4 ZPO, § 176 StGB, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.10.2023, Az. B 9 V 9/23 B (REWIS RS 2023, 9077)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9077

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