Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.10.2022, Az. III ZR 211/20

3. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 7125

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Haftung des Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Sekundäre Darlegungslast zur Kenntnis der verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung -  Diesel-Fall, sekundäre Darlegungslast


Leitsatz

Diesel-Fall, sekundäre Darlegungslast

Zur sekundären Darlegungslast bei Vorgängen innerhalb eines Unternehmens, die auf eine Kenntnis seiner verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in sogenannten Diesel-Fällen schließen lassen (Anschluss an BGH, Urteile vom 8. März 2021 - VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 27 f und vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, WM 2021, 2056 Rn. 26 f; Fortführung von Senat, Urteil vom 4. August 2022 - III ZR 230/20, juris).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 28. August 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes (im Folgenden: Zedent) die Beklagte wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Zedent erwarb am 29. Mai 2009 bei einem Autohaus einen neuen [X.] zum Preis von 42.900,01 €. Das Fahrzeug, dessen Herstellerin die Beklagte ist, ist mit einem von der [X.] hergestellten Dieselmotor des [X.] ausgestattet. Es verfügt über eine von der [X.] entwickelte [X.]. Diese sah hinsichtlich der Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vor, und zwar einen hinsichtlich des [X.] optimierten Betriebsmodus 1 mit einer verhältnismäßig hohen Abgasrückführungsrate sowie einen Betriebsmodus 0 mit einer erheblich geringeren Abgasrückführungsrate. Die [X.] vermochte zu erkennen, ob das Fahrzeug auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte ([X.]) eingesetzt oder im Straßenverkehr betrieben wurde, und schaltete im [X.] in den Modus 1. Auf diese Art und Weise wurde sichergestellt, dass bei der Prüfung nach den Maßgaben der [X.] geringere Stickoxidemissionen gemessen und dementsprechend die gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte eingehalten wurden. Dagegen schaltete die [X.] in den Modus 0, wenn das Fahrzeug im Straßenverkehr eingesetzt wurde.

3

Am 22. September 2015 räumte die [X.] im Rahmen einer aktienrechtlichen Ad-hoc-Mitteilung und einer im Wesentlichen gleichlautenden Pressemitteilung erstmals die Verwendung der [X.] ein. Das [X.] ordnete daraufhin an, die Abschalteinrichtung in den betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. In der Folgezeit wurden Software-Updates für eine Vielzahl verschiedener Fahrzeug- und Motortypen freigegeben. Die Klägerin ließ im Jahr 2017 das Software-Update installieren.

4

Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr stehe gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu. Das Inverkehrbringen des Fahrzeuges mit einer manipulierten [X.] stelle eine sittenwidrige Schädigung dar. Hätte "sie beziehungsweise ihr Ehemann" hiervon gewusst, hätte "er" das Fahrzeug nicht erworben. Die Beklagte habe vorsätzlich gehandelt. Die Entwicklung des [X.] und der entsprechenden Steuerungssoftware sei eine gemeinschaftliche Entscheidung der Vorstände der Konzernunternehmen gewesen, zwischen denen teilweise auch Personenidentität bestanden habe.

5

Die Klägerin hat Erstattung des Kaufpreises nebst Delikts- sowie Verzugszinsen abzüglich einer nach einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km zu berechnenden Nutzungsentschädigung, Feststellung des Annahmeverzugs und Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten begehrt. Das [X.] hat die Beklagte zur Zahlung von 17.927,23 € nebst [X.] verurteilt und dabei eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zugrunde gelegt. Mit der Berufung hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer 7.135,08 € sowie von Delikts- und Verzugszinsen beantragt. Die Beklagte hat mit ihrer Berufung die Abweisung der Klage beantragt. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 21.859,56 € und von Verzugszinsen verurteilt und die weitergehenden Berufungen der Parteien zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat Erfolg. Sie führt, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der [X.] erkannt hat, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner - in BeckRS 2020, 51756 veröffentlichten - Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB. [X.] sei das Inverkehrbringen des mit der fraglichen Umschaltlogik versehenen Fahrzeugs. Mit der Inverkehrgabe bringe der Hersteller konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfüge; dies setze voraus, dass es den für deren Erhalt und Fortdauer einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspreche. Das Fahrzeug habe indes entgegen dem konkludenten Erklärungswert nicht über eine dauerhaft ungefährdete Betriebserlaubnis verfügt. Die Täuschung sei ursächlich für den Kaufvertragsabschluss gewesen; es entspreche der Lebenserfahrung, dass die Klägerin vom Kauf des Fahrzeugs Abstand genommen hätte, wenn ihr bekannt gewesen wäre, dass die Typgenehmigung zu Unrecht erteilt worden sei.

8

Die Täuschungshandlung der [X.] sei als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB zu qualifizieren. Bei der [X.] hätten die subjektiven Voraussetzungen einer [X.]ftung gemäß §§ 826, 31 BGB vorgelegen. Sie könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, an der Entwicklung des [X.] und der in diesem eingesetzten Steuerungssoftware nicht beteiligt gewesen zu sein. Es sei von einer Kenntnis der [X.] und einem kollusiven Zusammenwirken mit der [X.] auszugehen. Zumindest habe die Beklagte das Vorhandensein einer Abschaltlogik für möglich gehalten und bedingt vorsätzlich gehandelt, als sie den Motor gleichwohl eingesetzt habe. Den entsprechenden Behauptungen der Klägerin sei sie im Rahmen der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht hinreichend entgegengetreten. Zwar liege die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen von §§ 826, 31 BGB beim Geschädigten, die Beklagte treffe aber eine sekundäre Darlegungslast.

9

Die Klägerin habe hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands der [X.] von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Sie habe dargelegt, der Vorstand habe von dem Einsatz der manipulierten [X.]teuerungssoftware in dem Motor gewusst und diesen gleichwohl in ihre Fahrzeuge einbauen und in Verkehr bringen lassen. Auch wenn der Motor von der [X.] entwickelt worden sei, seien die maßgeblichen Entscheidungen zur Verwendung der [X.]teuerungssoftware auch vom Vorstand der [X.] getroffen und gebilligt worden. Es habe Überkreuzregelungen im Vorstand der [X.] und der [X.] gegeben und entsprechend Personenidentität bestanden, aufgrund derer die wesentlichen Entscheidungen von denselben Entscheidungsträgern getroffen worden seien. Für einen Vorsatz der [X.] spreche überdies der Umstand, dass es sich bei der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung um eine grundlegende, weltweit alle Fahrzeuge mit Motoren der [X.] betreffende Strategieentscheidung gehandelt habe, die mit erheblichen Risiken für den gesamten Konzern und persönlichen [X.]ftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden gewesen sei. [X.] Vortrag sei der Klägerin nicht möglich gewesen. Es sei zudem bezeichnend, dass gegen den "Chef" der [X.] [X.]sowie weitere ihrer Techniker ein Strafverfahren wegen des Vorwurfes des Betruges geführt werde.

Die Beklagte sei ihrer sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen. Sie beschränke sich im Wesentlichen auf die Aussage, keine Erkenntnisse über eine Beteiligung des Vorstands an der Entwicklung oder Verwendung der Umschaltlogik zu haben. Demgegenüber gehe sie nicht auf die von der Klägerin behaupteten personellen Verflechtungen und die Kenntnis von beziehungsweise die Beteiligung an der Entwicklung der Steuerungssoftware der als ihre Repräsentanten im Sinne des § 31 BGB zu bewertenden Personen ein. Da die Beklagte nicht konkret darlege, dass und wie ihre Vorstandsmitglieder in der Vergangenheit mit der [X.] verbunden und in die Entscheidungen um den konzernweiten Einsatz des [X.] EA189 eingebunden gewesen seien, könne sie sich nicht auf ihre mangelnde Kenntnis berufen. Der [X.] sei weiterer Vortrag auch zumutbar. Als Rechtsfolge ihres nicht ausreichenden Vortrags im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast sei der Vortrag der Klägerin als zugestanden anzusehen.

II.

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Kaufpreiserstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach den §§ 826, 31 BGB nicht bejaht werden. Das Berufungsgericht hat nicht rechtsfehlerfrei angenommen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) der [X.] die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat, da es die Voraussetzungen für eine sekundäre Darlegungslast der [X.] verkannt hat (hierzu 1.). Zudem hat das Berufungsgericht das rechtliche Gehör der [X.] verletzt, indem es ihr Gegenbeweisangebot zu der von ihm angenommenen Kausalität der Täuschung für den Kaufvertragsabschluss übergangen hat (hierzu 2.).

1. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme des Berufungsgerichts, ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der [X.] habe durch das Inverkehrbringen des von dem Zedenten erworbenen Fahrzeugs mit dem Dieselmotor der [X.] vorsätzlich sittenwidrig gehandelt.

a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung handelt ein Automobilhersteller gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer [X.]teuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (vgl. Senat, Urteil vom 13. Januar 2022 - [X.]/20, [X.], 1173, Rn. 18; [X.], Urteil vom 26. April 2022 - [X.], [X.], 896 Rn. 10; jew. [X.].[X.]). Ein [X.] Vorgehen des betreffenden Automobilherstellers kommt dabei nicht nur dann in Betracht, wenn dieser den Motor samt "[X.]" selbst hergestellt und entwickelt hat, sondern auch dann, wenn seine verfassungsmäßig berufenen Vertreter zumindest wussten, dass die von einem anderen hergestellten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung abzielenden Prüfstanderkennungssoftware ausgestattet waren, und sie Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstands mit einem solchen Motor versahen und in den Verkehr brachten ([X.], Urteil vom 26. April 2022 aaO mwN).

Wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend annimmt, trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (vgl. [X.], Urteile vom 25. Mai 2020 - [X.] 252/19, [X.]Z 225, 316 Rn. 35 und vom 30. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 2804 Rn. 15).

b) Ein Vorstellungsbild im vorgenannten Sinne von Personen, für die die Beklagte gemäß § 31 BGB einzustehen hat, hat das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Es hat ausgeführt, der Vorstand der [X.], jedenfalls aber die Mitarbeiter des oberen Managements der [X.], hätten über umfassende Kenntnisse vom Einsatz der Software zur [X.]teuerung verfügt und diese gleichwohl unverändert und ohne entsprechenden Hinweis in den von der [X.] hergestellten Fahrzeugen verbaut, obwohl die materiellen Typgenehmigungsvoraussetzungen gefehlt hätten und dies für die Käufer wesentlich gewesen sei. Diese Feststellung der von der [X.] bestrittenen Kenntnis ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter von der Prüfstanderkennungssoftware hat das Berufungsgericht auf die Erwägung gestützt, das entsprechende Vorbringen der insofern beweisbelasteten Klägerin gelte als zugestanden, weil die Beklagte der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nicht in ausreichendem Maße nachgekommen sei. Das ist aus Rechtsgründen zu beanstanden, weil es an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen für die vom Berufungsgericht angenommene sekundäre Darlegungslast fehlt.

aa) Eine sekundäre Darlegungslast der [X.] zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, setzt jedenfalls voraus, dass das (unstreitige oder nachgewiesene) Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (vgl. Senat, Urteil vom 4. August 2022 - [X.]/20, juris Rn. 19; [X.], Urteile vom 8. März 2021 - [X.], NJW 2021, 1669 Rz. 28 und vom 21. Dezember 2021 - [X.] 875/20, [X.], 308 Rz. 14; jeweils mwN).

bb) Solche hinreichenden Anhaltspunkte bietet das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtliche, also der Beurteilung des [X.] nach § 559 Abs. 1 ZPO unterliegende Parteivorbringen, nicht.

(1) Der Hinweis des Berufungsgerichts auf den Vortrag der Klägerin, es habe Überkreuzregelungen im Vorstand der [X.] und der [X.] gegeben und entsprechend Personenidentität bestanden, aufgrund derer die wesentlichen Entscheidungen von denselben Entscheidungsträgern getroffen worden seien, vermag eine sekundäre Darlegungslast der [X.] nicht zu begründen.

Zum einen ist der Vortrag der Klägerin zu den Tätigkeiten der Herren Dr. W.     , [X.]und [X.].       - soweit er deren Kenntnisse von der [X.]teuerungssoftware betrifft und sich daher hieraus Schlussfolgerungen für den vorliegenden Fall ziehen lassen - nicht unstreitig (vgl. Berufungsurteil S. 16 und 18). Zum anderen rügt die Revision zu Recht, dass die Klägerin zu diesen Personen vorgetragen hat, sie seien lediglich bis zum [X.] bei der [X.] als verfassungsmäßig berufene Vertreter tätig gewesen (Schriftsatz vom 4. Juli 2019, [X.] ff - [X.] ff), die [X.] habe die Entwicklung an dem Motor aber erst in demselben Jahr abgeschlossen (aaO S. 10, [X.]), so dass aus dem Klägervortrag nicht geschlossen werden könne, die Genannten seien an der Entscheidung der [X.] beteiligt gewesen, den Motor mit der fraglichen Manipulationssoftware in dem von dem Zedenten im [X.] erworbenen Fahrzeug einzusetzen. Soweit die Klägerin dem nunmehr entgegenhält, die Entscheidung über den Einsatz des [X.] im Bereich der [X.] sei bereits in den Jahren 2005/2006 getroffen worden, erfolgt dieser Vortrag erst im Revisionsverfahren (Seite 8 der Revisionserwiderung). Das Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Gleiches gilt für den Vortrag in der Revisionserwiderung ([X.] f), die Beklagte habe "vergleichbare Manipulationen" eingesetzt, so dass die entsprechende Kenntnis nicht mit dem Ausscheiden der genannten Personen aus führenden Positionen im Vorstand und auf der Führungsebene der [X.] verschwunden sei. Insoweit bleibt zudem unklar, was die Klägerin konkret mit "vergleichbar" vortragen möchte, da erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen unzulässigen Abschalteinrichtungen bestehen (vgl. etwa Senat, Urteil vom 13. Januar 2022 aaO Rn. 28).

(2) Soweit das Berufungsgericht zugrunde gelegt hat, dass es sich bei der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung um eine grundlegende, weltweit alle Fahrzeuge mit Motoren der [X.] betreffende Strategieentscheidung gehandelt habe, ist dies insofern nicht unstreitig, als die Kenntnis der im Bereich der [X.] entscheidenden Personen von dem Vorhandensein der fraglichen Abschalteinrichtung betroffen ist. Auch insofern können der Beurteilung im Revisionsverfahren weder der neue Vortrag der Klägerin im Revisionsverfahren noch Feststellungen aus anderen Verfahren (vgl. Revisionserwiderung S. 7 f) zugrunde gelegt werden.

(3) Schließlich ergibt sich auch aus der Feststellung, dass gegen [X.]sowie Techniker der [X.] ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Betrugs geführt werde (Berufungsurteil S. 17), kein hinreichender Anhaltspunkt für die erforderliche Kenntnis von verfassungsmäßig berufenen Vertretern der [X.] vom Einsatz der konkreten Manipulationssoftware. Die Revision rügt insofern zu Recht, dass nach dem Vortrag der Klägerin dieses Verfahren Kenntnisse [X.] erst nach Aufdeckung der [X.] in [X.] betrifft (Schriftsatz der Klägerin vom 4. Juli 2019, [X.] - [X.]) und die Beklagte darauf hingewiesen hatte, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht den [X.] zum Gegenstand hätten (Schriftsatz der [X.] vom 18. Juli 2019, [X.] - [X.] 256). Soweit das Berufungsgericht aus den von ihm genannten "allgemein zugänglichen Quellen" weitere Kenntnisse gehabt haben sollte, waren diese jedenfalls nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung und hätten daher nur dann ohne Verletzung des Anspruchs der [X.] auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verwertet werden können, wenn das Berufungsgericht der [X.] Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hätte (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Januar 2022 - [X.]/20, NJW-RR 2022, 499 Rn. 8 mwN).

2. Darüber hinaus tragen die bisher getroffenen Feststellungen nicht die Annahme des Berufungsgerichts, die Täuschung durch die Beklagte sei ursächlich für den Kaufvertragsabschluss gewesen. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör verletzt, indem es die von ihm angenommene Ursächlichkeit unter Verweis auf das Urteil des [X.] vom 25. Mai 2020 (aaO Rn. 49 ff) auf einen Satz der Lebenserfahrung gestützt hat, jedoch davon abgesehen hat, sich mit dem von der [X.] angebotenen Gegenbeweis auf "Vernehmung der Klagepartei" für die Behauptung zu befassen, dass der Kaufvertrag auch in Kenntnis der "verheimlichten" Umstände geschlossen worden wäre. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung lässt sich dies nicht damit rechtfertigen, dass das [X.] unzulässig, da auf eine Ausforschung gerichtet gewesen sei.

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (zB [X.] 65, 293, 295 f; 70, 288, 293; 83, 24, 35). Dazu gehört es, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen ([X.] 60, 247, 249; 65, 305, 307; 69, 141, 143 f). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen [X.]s verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet ([X.] 69, 141, 144; Senat, Urteile vom 23. Juni 2016 - [X.], NJW 2016, 3024 Rn. 18 sowie vom 7. Februar 2019 - [X.], NJW 2019, 1137 Rn. 33).

Der [X.] ist grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die er keine genauen Kenntnisse hat, die er aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liegt erst dann vor, wenn der [X.] ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt. Bei der Annahme von Willkür ist jedoch Zurückhaltung geboten. In der Regel liegt sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vor (vgl. Senat, Urteil vom 7. Februar 2019 aaO Rn. 37 mwN). Das gilt in besonderer Weise für ein [X.] des eigentlichen Beweisgegners, das auf die Erschütterung eines Anscheinsbeweises für das Vorliegen einer inneren Tatsache zielt. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass der Erfahrungssatz die Wirkung einer unwiderlegbaren Fiktion erhält. Jedenfalls ist der [X.] auf etwaige Bedenken gegen die Zulässigkeit des [X.]s hinzuweisen (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 34. Aufl., vor § 284 Rn. 8c; [X.], [X.] der ZPO, 3. Aufl., Rn. 271; vgl. auch [X.], Urteil vom 8. Mai 2002 - [X.], NJW-RR 2002, 1433, 1435).

b) Nach diesen Maßstäben hätte das Berufungsgericht von der Erhebung des angebotenen Beweises - insbesondere ohne vorherigen Hinweis und ohne Begründung - nicht absehen dürfen. Dabei liegt es nahe, das [X.] als Antrag auf Vernehmung des Zedenten als Zeugen zu verstehen, wie dies auch die Revision geltend macht. Denn sowohl die Parteien als auch das Gericht haben an entscheidenden Stellen den Zedenten als Klagepartei bezeichnet und von einer Kaufentscheidung der Klägerin - und nicht des Zedenten - gesprochen (so etwa bei den Ausführungen im Berufungsurteil zur Kausalität [S. 10 unten]). Jedenfalls hätte das Berufungsgericht das [X.] nicht ohne weiteres übergehen dürfen, sondern die Beklagte auf dessen Unklarheit hinweisen müssen.

3. Das Berufungsurteil erweist sich nach derzeitigem Sach- und Streitstand auch nicht deshalb als richtig, weil - wie die Revisionserwiderung ausführt - ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV, Art. 4 Abs. 2, Art. 5 VO 715/2007/[X.] nicht verneint werden könne. Dem steht bereits entgegen, dass das Berufungsgericht insbesondere zu den subjektiven Voraussetzungen einer solchen [X.]ftung bisher keine Feststellungen getroffen hat.

III.

Soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der [X.] entschieden hat, ist das Berufungsurteil daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Klageabweisung durch den Senat scheidet aus, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da beide Vorinstanzen den Vortrag der Klägerin - anders als der Senat - als ausreichend angesehen haben, muss ihr noch Gelegenheit gegeben werden, ergänzend zu einer etwaigen Kenntnis der [X.] von der unzulässigen Abschalteinrichtung zum Erwerbszeitpunkt vorzutragen (vgl. Senat, Urteil vom 4. August 2022 aaO Rn. 31 mwN).

[X.]     

      

Reiter     

      

Kessen

      

Herr     

      

Liepin     

      

Meta

III ZR 211/20

27.10.2022

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BGH, 5. August 2021, Az: III ZR 211/20, Beschluss

§ 31 BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.10.2022, Az. III ZR 211/20 (REWIS RS 2022, 7125)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7125 WM 2023, 134 REWIS RS 2022, 7125 MDR 2023, 358-360 REWIS RS 2022, 7125

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI ZR 838/20 (Bundesgerichtshof)

Deliktische Haftung des Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Verwirklichung einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch einen …


VI ZR 875/20 (Bundesgerichtshof)

Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Dieselfahrzeugs: Voraussetzungen der Haftung einer juristischen …


VI ZR 505/19 (Bundesgerichtshof)

Schadensersatzanspruch des Käufers eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Gebrauchtfahrzeugs: Haftung einer juristischen Person aus vorsätzlicher …


VI ZR 965/20 (Bundesgerichtshof)

Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Dieselfahrzeugs: Sekundäre Darlegungslast des Fahrzeugherstellers zu …


VI ZR 405/19 (Bundesgerichtshof)

Deliktische Haftung des Kraftfahrzeugherstellers gegenüber einem vom sog. Abgasskandal betroffenen Gebrauchtwagenkäufer: Sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.