Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2011, Az. XII ZB 139/11

12. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4598

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Versehentliches Einlegen eines fristgebundenen Schriftsatzes in den falschen Postversandumschlag


Leitsatz

Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte einen postfertig zu machenden Schriftsatz in die korrekte Versandtasche einlegt .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 3. Senats für Familiensachen des [X.] vom 21. Februar 2011 aufgehoben.

Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - [X.] vom 24. August 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: 100.000 €

Gründe

I.

1

Die Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Das Familiengericht hat die [X.] auf Zugewinnausgleich abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 26. August 2010 zugestellt worden. Mit einem rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangenen [X.] hat die Klägerin Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. November 2010 verlängert worden. Die - zutreffend - an das [X.] adressierte [X.] vom 23. November 2010 ist am 1. Dezember 2010 dort eingegangen, nachdem sie zuvor am 24. November 2010 an das [X.] gelangt und von dort weitergeleitet worden war.

2

Auf richterlichen Hinweis vom 6. Dezember 2010, zugestellt am 9. Dezember 2010, hat die Antragsgegnerin am 22. Dezember 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Der [X.]satz sei am 23. Oktober 2010 diktiert und gefertigt worden. Am gleichen Tag sei auch noch ein weiterer [X.] an das [X.] diktiert und gefertigt worden. Die ansonsten zuverlässige Kanzleiangestellte müsse wohl den an das [X.] gerichteten [X.] versehentlich zusammen mit dem anderen [X.] in den an das [X.] gerichteten Versandumschlag gelegt haben. Daher sei der [X.] entgegen der erteilten Anweisung auch nicht vorab per Telefax an das [X.] versendet worden.

3

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hätten es versäumt, für eine wirksame Postausgangskontrolle zu sorgen. Es fehle die Weisung, die notierte Frist erst dann zu löschen, wenn anhand des zu überprüfenden Sendeprotokolls feststehe, dass die Absendung des [X.] erfolgreich gewesen sei.

II.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.

5

2. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Das [X.] hat zu Unrecht der Klägerin die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und ihre Berufung verworfen.

6

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener [X.] rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen [X.] führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass der fristwahrende [X.] rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Ist dies geschehen und ist die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, so darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Das ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende [X.] in ein [X.] des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen [X.] gebracht wird, das [X.] also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist ([X.] Beschluss vom 12. April 2011 - [X.] - NJW 2011, 2501 Rn. 7 mwN). Wird für die Fristenkontrolle bereits daran angeknüpft, dass der fristwahrende [X.] postfertig gemacht worden ist, muss die Beförderung zu der Stelle, für die der [X.] bestimmt ist, organisatorisch so weit vorbereitet sein, dass sie durch Versehen, welche die eigentliche Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann ([X.] Beschluss vom 9. September 1997  [X.]  NJW 1997, 3446, 3447).

7

b) Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin die Fristversäumung ausreichend entschuldigt. Denn durch die Umstände ist glaubhaft gemacht, dass der [X.]satz versehentlich mit einem anderen, an das [X.] gerichteten [X.] in den [X.] gelangte. Darin liegt ein schlichtes Büroversehen der Kanzleimitarbeiterin, welches nicht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten beruht. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt würden überspannt, wollte man verlangen, dass er bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, das Einlegen der Sendung in die korrekte Versandtasche zu kontrollieren habe.

8

In der Annahme, das Schriftstück sei in den korrekten Versandumschlag gelangt, durfte die Kanzleimitarbeiterin auch die Frist im [X.] als erledigt kennzeichnen, so dass auch insoweit kein Anhaltspunkt für ein Anwaltsverschulden besteht.

9

c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten auch nicht darin, keine Weisung erteilt zu haben, nach der - von ihm verfügten - [X.] per Telefax einen Einzelnachweis auszudrucken und auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen. Denn diese Kontrollmaßnahmen sind nur erforderlich, wenn die [X.] des [X.] aus der Warte des Absenders erforderlich scheint, um die Frist einzuhalten, weil eine Postsendung den Empfänger unter Berücksichtigung normaler Postlaufzeiten nicht mehr rechtzeitig erreichte. Ist hingegen aus der Warte des Absenders alles Notwendige veranlasst, um den Eingang des fristgebundenen [X.]es rechtzeitig auf normalem Postwege zu erreichen, bedarf es einer zusätzlichen [X.] per Telefax grundsätzlich nicht. Für eine  in dem Falle überobligatorische  Vorabfaxübersendung können keine besonderen Sorgfaltsanforderungen aufgestellt werden. Daran ändert nichts, wenn der rechtzeitige Posteingang tatsächlich aus Umständen unterbleibt, für die der Prozessbevollmächtigte - wie hier - kein eigenes Organisationsverschulden trägt.

Nach der Glaubhaftmachung der Klägerin hatte ihr Prozessbevollmächtigter alle in seiner anwaltlichen Organisationsverantwortung liegenden Vorkehrungen getroffen, um den fristwahrenden [X.] rechtzeitig postfertig zu machen.

[X.]                                         [X.]Klinkhammer

                     Schilling                                                       [X.]

Meta

XII ZB 139/11

20.07.2011

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Düsseldorf, 21. Februar 2011, Az: II-3 UF 191/10, Beschluss

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2011, Az. XII ZB 139/11 (REWIS RS 2011, 4598)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4598

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