Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.04.2011, Az. VI ZB 6/10

6. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 7661

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anwaltliche Sorgfaltspflichten bei der Postausgangskontrolle


Leitsatz

1. Eine fristwahrende Maßnahme darf im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und das Postausgangsfach "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist .

2. Das Postausgangsfach ist nicht "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten, wenn eine Mitarbeiterin die in dem Postausgangsfach gesammelten Schriftsätze noch in Umschläge einsortieren muss .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des [X.] vom 25. Januar 2010 wird auf Kosten der Klägerin verworfen.

[X.]: bis 5.000 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch. Das [X.] hat dem Schadensersatzanspruch durch Urteil vom 28. August 2009 teilweise stattgegeben. Gegen das am 7. September 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 2. Oktober 2009 bei Gericht eingegangenen [X.] Berufung eingelegt. Nachdem bis zum 11. November 2009 weder eine Berufungsbegründung noch ein Fristverlängerungsantrag übermittelt worden war, hat der Vorsitzende des Senats beim Berufungsgericht die Klägerin darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

2

Daraufhin ist am 17. November 2009 die Berufungsbegründung eingegangen, verbunden mit dem Antrag, der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung am 4. November 2009 diktiert. In dem Diktat habe er - wie üblich - die Anweisung gegeben, die Berufungsbegründungsfrist nach Ausfertigung und Unterzeichnung des betreffenden [X.]es als erledigt zu kennzeichnen. Die Berufungsbegründung habe die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte P. am [X.] erstellt und dem Rechtsanwalt zur Unterschrift vorgelegt. Anschließend habe sie diese weisungsgemäß als erledigt gekennzeichnet und den [X.] in das [X.] des Büros gelegt. Gegen 16.45 Uhr habe dann - wie jeden Tag - eine Büromitarbeiterin die in dem [X.] gesammelten Schriftstücke in einen Postbriefkasten eingeworfen.

3

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt habe (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten werde das [X.] dazu genutzt, die Sendungen zu sammeln, die am gleichen Tag per Briefpost das Haus verlassen sollten. Die Schriftstücke würden dort in Umschläge einsortiert, mit Briefmarken versehen und gegen 16.45 Uhr zum Briefkasten gebracht. Es entspreche nicht den Anforderungen an die Büroorganisation, die Frist zur Berufungsbegründung bereits nach Ausfertigung des [X.]es und Unterzeichnung als erledigt zu kennzeichnen. Zudem sei das [X.] nicht die "letzte Station" vor dem Verbringen zum Briefkasten gewesen, weil die in dem [X.] befindlichen Schriftsätze noch nicht postfertig seien, sondern dort lediglich gesammelt würden, bis eine Mitarbeiterin sie in Umschläge einsortiere und mit Briefmarken versehe. Dies entspreche nicht den Vorgaben der Rechtsprechung.

II.

4

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, nicht erfüllt sind.

5

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des [X.]. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin weder in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch deren rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den [X.]en den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 2002 - [X.], [X.], 437; [X.], Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - [X.]/07, [X.], 2713 Rn. 6; vom 16. Februar 2010 - [X.], NJW 2010, 1378 Rn. 5, jeweils mwN).

6

2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde entspricht die angefochtene Entscheidung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht hat auch die Anforderungen an die anwaltliche Organisation in Bezug auf fristgebundene Schriftsätze nicht überspannt.

7

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener [X.] rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass der fristwahrende [X.] rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Ist dies geschehen und ist die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, so darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Das ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende [X.] in ein [X.] des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen [X.] gebracht wird, das [X.] also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist. Eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs, ist unter diesen Umständen nicht erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Mai 2006 - [X.], [X.], 1563, 1564; [X.], Urteil vom 11. Januar 2001 - [X.], [X.], 380, 381; vom 22. Mai 2003 - [X.], [X.]-Report 2003, 1035 f.; vom 16. Februar 2010 - [X.], NJW 2010, 1378 Rn. 7). Die Erledigung fristgebundener Sachen ist am Abend eines jeden [X.] anhand des Fristenkalenders zu überprüfen (Senatsbeschluss vom 23. Mai 2006 - [X.], aaO; [X.], Beschluss vom 16. Februar 2010 - [X.], aaO). Einen Nachweis dafür, dass das Schriftstück tatsächlich in den Postlauf gelangt ist, hat der [X.] ebenso wenig gefordert wie eine - meist nicht mögliche - Darlegung, wann und wie genau ein Schriftstück verloren gegangen ist; vielmehr genügt die Glaubhaftmachung, dass der Verlust mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in dem Bereich eingetreten ist, für den die [X.] - auch über die Zurechnung des Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO - verantwortlich ist ([X.], Beschluss vom 16. Februar 2010 - [X.], aaO).

8

b) Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze berücksichtigt. Der [X.] stellt maßgeblich darauf ab, dass der fristwahrende [X.] postfertig in das [X.] des Rechtsanwalts eingelegt und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen [X.] gebracht wird, das [X.] also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist. Wird für die Fristenkontrolle bereits daran angeknüpft, dass der fristwahrende [X.] postfertig gemacht worden ist, muss die Beförderung zu der Stelle, für die der [X.] bestimmt ist, organisatorisch so weit vorbereitet sein, dass sie durch Versehen, welche die eigentliche Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann ([X.], Beschluss vom 9. September 1997 - [X.], NJW 1997, 3446, 3447).

9

Diese Voraussetzungen waren in den von der Rechtsbeschwerde angeführten Entscheidungen des [X.] (Urteil vom 11. Januar 2001 - [X.], aaO) und des [X.] (Beschluss vom 22. Mai 2003 - [X.], aaO) erfüllt. Dem Urteil des [X.] lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der Prozessbevollmächtigte das für das Gericht bestimmte Original der Berufungsbegründung unterzeichnet sowie selbst kuvertiert und zur Poststelle seiner Kanzlei gebracht hatte und danach die dort lagernden Briefe nur noch von Mitarbeitern frankiert und unmittelbar zum Briefkasten gebracht werden mussten. In dem Fall, der dem Beschluss des [X.] zugrunde lag, wurde der [X.] ohne Kuvert in den für die Gerichtspost bestimmten Postkorb der Kanzlei gelegt und die im Postkorb befindliche Gerichtspost nach der allgemeinen Anweisung anschließend von einem zuverlässigen Boten zur allgemeinen [X.] der Justizbehörden gebracht. In diesen Fällen war - abgesehen von der Frankierung der Post im Fall des [X.] - der [X.] postfertig vorbereitet und konnte dann vom Boten zum Briefkasten bzw. der [X.] des Gerichts gebracht werden.

Die im Streitfall vorgetragene allgemeine Anweisung in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist anders gelagert. Hier wurde die Berufungsbegründung bereits nach Ausfertigung des [X.]es und Unterzeichnung durch den Prozessbevollmächtigten sowohl im elektronischen als auch im [X.] als erledigt gekennzeichnet. Zudem wurde nach der eidesstattlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten das [X.] dafür genutzt, die Post zu sammeln, die am gleichen Tage per Briefpost herausgehen sollte. Dieses Fach wurde an jedem Werktag von einer Mitarbeiterin geleert, die Briefe wurden in Umschläge einsortiert, mit Briefmarken versehen und dann zum Briefkasten der [X.] verbracht. Die Kennzeichnung als erledigt erfolgte also zu einem Zeitpunkt, zu dem der [X.] weder abgesandt noch zumindest postfertig gemacht worden war. Auch nachdem die das Diktat des Rechtsanwalts bearbeitende Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte den [X.] in das [X.] gelegt hatte, war dieser noch nicht postfertig, weil eine Mitarbeiterin die in dem [X.] gesammelten Schriftsätze noch in Umschläge einsortieren musste. Zwar hat die Rechtsprechung das bloße Frankieren der Briefe als unschädlich angesehen, jedoch kann man bei der vorliegenden allgemeinen Anweisung nicht davon ausgehen, dass der [X.] in dem Sinne postfertig in das [X.] als "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten gelegt wurde, dass er unmittelbar zum Briefkasten gebracht werden konnte. Anders als in dem Fall, dass der unkuvertierte Brief so, wie er in das [X.] gelegt wird, vom Boten zur [X.] des Gerichts gebracht wurde, war bei der im Streitfall glaubhaft gemachten allgemeinen Anweisung der weitere Zwischenschritt des Kuvertierens erforderlich, bevor die Sendung postfertig war und im nächsten Schritt zur Post gebracht werden konnte (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Dezember 2008 - [X.] 132/08, juris Rn. 11), wodurch die Gefahr entstand, dass der [X.] in ein anderes Kuvert gerät und die Frist nicht eingehalten wird.

3. Nach allem ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt hat (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), weil die Kanzleianweisung ihres Prozessbevollmächtigten den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entsprach. Die Rechtsbeschwerde war mithin mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

Galke                                    Zoll                                  [X.]

                    Pauge                                [X.]

Meta

VI ZB 6/10

12.04.2011

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 25. Januar 2010, Az: 5 U 124/09, Beschluss

§ 233 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.04.2011, Az. VI ZB 6/10 (REWIS RS 2011, 7661)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7661

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